Redner(in): Angela Merkel
Datum: 13. März 2013

Anrede: Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Erika Steinbach,sehr geehrter Herr Professor Möller,sehr geehrter Herr Staatssekretär Christoph Bergner,Herr Hartmut Koschyk,Herr Klaus Brähmig,Herr Helmut Sauer,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2013/03/2013-03-12-rede-bdv-merkel.html


Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, lieber Hans-Peter Friedrich, aus Bayern darf ich den CSU-Fraktionsvorsitzenden des Bayerischen Landtages, Herrn Georg Schmid, begrüßen, aber vor allen Dingen meine Damen und Herren, wertes Präsidium des BdV,

Ich habe mich gefreut, liebe Frau Steinbach, auch in diesem Jahr wieder eine Einladung zum Jahresempfang bekommen zu haben, dabei sein zu können und ein paar Worte an Sie alle richten zu dürfen. Ich bin sehr gern in die bayerische Landesvertretung gekommen nicht nur, weil ich sowieso gern hierher gehe, sondern weil diese Landesvertretung für diese Veranstaltung ein ganz besonderer Rahmen ist.

Es gab nach dem Zweiten Weltkrieg gerade für Bayern mit mehr als zwei Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen eine ganz besondere Aufgabe der Integration. Bayern hatte so viele Vertriebene wie kein anderes Bundesland. 1950 stellten Vertriebene in Bayern ein Fünftel der Wohnbevölkerung. Das lässt noch einmal ermessen, vor welcher Aufgabe die Bevölkerung stand und wie hoch angesichts der gelungenen Integration das historische Verdienst von beiden Seiten gewürdigt werden muss von der Seite der Vertriebenen genauso wie von der Seite derer, die politische Verantwortung trugen.

Zum anderen hat Bayern insbesondere in der letzten Zeit auch ganz bewusst durch den Besuch von Ministerpräsident Seehofer in Prag wie Frau Steinbach gesagt hat und jetzt mit dem Besuch des tschechischen Ministerpräsidenten in Bayern einen Weg aufgezeigt, wie Versöhnung gelebt werden kann. Wenn ich mich an diesen Besuch des tschechischen Ministerpräsidenten und meines Kollegen Petr Nečas erinnere, dann bin ich überzeugt, dass seine Rede vor dem Bayerischen Landtag in der Tat ein wichtiges historisches Ereignis war lange vorbereitet, auch mit sehr viel Aufeinanderzugehen vorbereitet und eine wirkliche Wegmarke auf dem Weg der Geschichte. Man sieht an den lang dauernden Entwicklungen, wie gut es ist, den Weg der Versöhnung ehrlich zu gehen, aufeinander zuzugehen, aber die Dinge auch beim Namen zu nennen.

Damit bin ich beim Thema: Erlittenes lässt sich nicht ungeschehen machen. Aber eine gemeinsame Sicht auf das Geschehene kann sich als Grundstock eines neuen Miteinanders erweisen. Es trifft den Kern, wenn es heißt: Wer Zukunft gestalten will, sollte sich immer seiner eigenen Wurzeln bewusst sein. Dazu passt sehr gut das diesjährige Leitwort des BdV: "Unser Kulturerbe - Reichtum und Auftrag". Das heißt, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, aus dem Schatz zu schöpfen und gleichzeitig in die Zukunft zu blicken.

Im Jahr 2013 gilt ein ganz besonderes Augenmerk der Siedlungsgeschichte Deutscher in Russland, denn vor genau 250 Jahren legte Zarin Katharina II. mit einem Manifest den Grundstein für die deutsche Besiedlung vor allem der Wolga-Region. Heute, nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges, leben viele Russlanddeutsche und ihre Nachkommen als ehemalige Aussiedler unter uns. Es ist ein aktueller Förderschwerpunkt der Bundesregierung, ihre Geschichte und früheren Lebensumstände näher zu erschließen, denn sie sind wie die jahrhundertelangen Traditionen Deutscher im Osten Europas insgesamt Teil unseres gemeinsamen kulturellen Erbes.

Es zu erforschen und zu bewahren, ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Und so versteht es die jetzige Bundesregierung auch. Wir ziehen dabei zum Beispiel gemeinsam mit Bayern an einem Strang. Das sehen Sie am vorgesehenen zentralen sudetendeutschen Museum in München. Für die Planungsarbeiten stellt die Bundesregierung in diesem Jahr 100 000 Euro bereit. Weitere 9,9 Millionen Euro hat der Deutsche Bundestag für die Folgejahre bereits in Aussicht gestellt.

Ich erlebe immer wieder, dass sich allen Unkenrufen zum Trotz auch die junge Generation ganz besonders für die bewegte Geschichte des Für- , Mit- und Gegeneinanders auf unserem Kontinent interessiert. Antworten auf Fragen von Identität und Heimat finden wir eben auch in unserer Erinnerungskultur. Wo es sie noch nicht ausreichend gibt, muss sie aufgebaut werden. Es geht darum, Gemeinsamkeiten zu erkennen und zu pflegen. Und das genau bildet dann auch eine starke Klammer für ein immer enger zusammenrückendes Europa.

Dazu gehören auch ein wacher Blick auf das Leid der Vergangenheit und den Schmerz und die Trauer von Vertriebenen wie auch das Werben für Verständigung. Daran will die Stiftung Flucht, Vertreibung und Versöhnung erinnern. Wir haben schon viele Stunden damit verbracht, aber ich darf sagen: Die Planungsarbeiten für einen modernen und zeitgemäßen Museumsbau im Deutschlandhaus sind weit vorangeschritten. Die Sanierungs- und Neubaumaßnahmen können bald beginnen. Und wir werden noch eine gemeinsame Veranstaltung abhalten, die gerade in Planung ist.

Wir haben die Mittel aus dem Bundeshaushalt für die Stiftung für das laufende Jahr um 50 Prozent auf nunmehr 3,75 Millionen Euro aufgestockt. Es gibt eine breite Akzeptanz. Und wir wollen jetzt einfach auch sehen, dass etwas passiert. Ich will ausdrücklich allen beim BdV danken, allen, die daran mitgewirkt haben Ihnen, liebe Frau Steinbach, ganz besonders. Irgendwie ist es immer vorangegangen.

Ein besonderer Schwerpunkt in der künftigen Dauerausstellung wird das Schicksal der deutschen Vertriebenen sein die Erinnerung wird auf Fakten beruhen. Dass wir das machen, ist auch eine Frage der Menschlichkeit. Denn die meisten, die ihre Heimat verlassen mussten, haben mit viel Einsatz, Fleiß und Geduld dann ihren Platz im Nachkriegsdeutschland gefunden. Sie haben eine einzigartige Erfolgsgeschichte des Neustarts und eine Erfolgsgeschichte der Integration geschrieben.

Herr Professor Möller ist auch genau dafür eben ausgezeichnet worden, dass er das immer beim Namen genannt hat, ob es nun gerade opportun war oder nicht. Unser heutiges Deutschland, unser wiedervereinigtes Deutschland sähe nicht so aus, wenn diese Integrationsgeschichte nicht gelungen wäre.

Der Staat hat dabei klug gehandelt und unterstützt. Vor 60 Jahren trat das Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge in Kraft. Zusammen mit dem Lastenausgleichsgesetz ist es das Fundament für die Kriegsfolgenrechte der Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland.

Bis heute ermöglicht das Bundesvertriebenengesetz Menschen, zu uns, in das Land ihrer Vorfahren, zurückzukehren das ist eine ganz wichtige Brücke. Seit 1950 haben wir auf diese Weise auch das muss man sich noch einmal vor Augen führen 4,5 Millionen Aussiedler, Spätaussiedler und ihre Familienangehörigen aufgenommen. Das war noch einmal eine gewaltige Integrationsleistung.

Dass in vielen Ländern bekannt war, dass Aussiedler, Spätaussiedler und ihre Familienangehörigen hier eine Heimat haben, hat sicherlich manchmal auch von mancher Ungerechtigkeit abgehalten. Wenn sich niemand mehr für solche Schicksale interessiert, dann kann viel leichter unmenschlich gehandelt werden.

Aber natürlich verdienen diejenigen mit deutschen Wurzeln, die in Ost- und Südosteuropa geblieben sind, auch unsere Aufmerksamkeit. Sie sollen ihre Sprache und kulturelle Identität pflegen können. Dafür werben wir. Viele von Ihnen, die im BdV engagiert sind, aber auch wir seitens der Politik auch ich, wann immer ich im Ausland bin treten dafür ein.

Meine Damen und Herren, Sie, die Mitglieder des BdV, der Landesverbände und Landsmannschaften unterstützen sowohl diejenigen, die kommen, als auch diejenigen, die bleiben. Auch das zeichnet Ihre Arbeit aus. Sie beraten und betreuen Vertriebene und Spätaussiedler. Sie unterstützen deutsche Volksgruppen und Minderheiten, die in ihrer Heimat geblieben sind. Und Sie bewahren die Erinnerung an Flucht und Vertreibung dadurch, dass Sie diese Erinnerung bewahren, bewahren Sie sich auch immer ein ganz klares Gefühl dafür, wo solche Ungerechtigkeiten heute wieder geschehen. Und Sie arbeiten im Geist der europäischen Verständigung mit unseren östlichen Nachbarn zusammen.

Ich weiß, dass sich die allermeisten von Ihnen unermüdlich ehrenamtlich engagieren und Sie damit Brückenbauer im wahrsten Sinne des Wortes sind. Das ist einer der Gründe, dass ich jedes Jahr so gern hierherkomme, um dafür einfach danke zu sagen. Denn Sie ermöglichen uns damit einen ganz speziellen und mit der deutschen Geschichte ganz eng verbundenen Blick auf unsere gemeinsame europäische Geschichte, in der wir die Dinge beim Namen nennen müssen und trotzdem nach vorn blicken wollen.

In diesem Sinne hoffe ich auf ein weiteres schönes Ereignis gemeinsam mit Ihnen, liebe Frau Steinbach, und vielen von Ihnen allen, wenn es um den Baubeginn für die Stiftung geht. Und ansonsten: Gute und konstruktive Gespräche!

Herzlichen Dank, dass ich heute Abend hier sein durfte.