Redner(in): Angela Merkel
Datum: 29. Januar 2014

Untertitel: in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Kentzler,liebe Frau Kentzler,sehr geehrter Herr Wollseifer,liebe Frau Wollseifer,liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Kabinett,sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/2014-01-29-merkel-zdh.html


Aus dem Deutschen Bundestag, aus den Parteien,

Nach drei Amtsperioden haben wir nun wieder einen Wechsel an der Spitze des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Herr Kentzler hat sein Amt seinem Nachfolger, Herrn Wollseifer, übergeben. Bevor ich auf den Neuen zu sprechen komme, möchte ich Ihnen, lieber Herr Kentzler, danke sagen.

An einer bedeutsamen Wegmarke wie dem Ende einer Präsidentschaft ist eine Rückschau üblich. Von Herrn Kentzler aber weiß ich, dass er lieber nach vorn geschaut hat. Das hat er immer klargestellt. Kaum war er als ZDH-Präsident gewählt, gab er schon Blickrichtung und Marschtempo vor ich zitiere ihn: "Wir dürfen nicht warten, bis uns die Zukunft überholt hat." Diese Zukunftsorientierung hat sich wie ein Bogen über die gesamte Präsidentschaft gespannt. In letzter Konsequenz lautete dann auch das Motto des jüngsten Handwerkstags 2013: "Zukunft kommt von Können". Das drückt ein Stück weit Selbstbewusstsein aus. Das Motto ist auch passend zu Ihrer ganz persönlichen Bilanz.

So war gerade auch während der Finanz- und Wirtschaftskrise ein Präsident an der Verbandsspitze gefragt, der das Selbstvertrauen des Handwerks verkörperte, der in schwierigen Zeiten den Interessen des Handwerks besonderes Gewicht und Stimme verlieh; und diese Stimme war Otto Kentzler. Unter seiner Führung konnte das Handwerk nicht nur das Krisental hinter sich lassen. Das Handwerk hat auch sein Ansehen neu gestärkt und ein modernes Erscheinungsbild gewonnen.

Ich habe immer bewundert, wie Sie Schritt für Schritt leicht eingängige Werbeelemente eingeführt haben und sich von den Großen nicht die Butter vom Brot nehmen ließen auch da nicht. Die Imagekampagne des Handwerks war gelungen. Sie hat ein unglaubliches Wir-Gefühl erzeugt. Das ist angesichts der Vielfalt der Gewerke alles andere als selbstverständlich. Das Spektrum reicht von A wie Augenoptiker bis Z wie Zimmerer. Und trotzdem ist Ihnen mit dieser Imagekampagne gelungen, dass heute weniger von "einem" Handwerk als vielmehr von "dem" Handwerk die Rede ist. Das Handwerk wird heute mehr denn je als eigenständiger Wirtschaftsbereich, als eine starke Einheit gesehen.

Es ist wirklich beeindruckend: Ungefähr jedes vierte deutsche Unternehmen zählt zum Handwerk. Von den 5,3 Millionen Beschäftigten ist eben schon gesprochen worden. 500 Milliarden Euro Jahresumsatz da hört es sich schon fast wie ein Understatement an, wenn Sie von der "Wirtschaftsmacht von nebenan" sprechen, wie Sie das Handwerk so schön betitelt haben. Diese Wirtschaftsmacht von nebenan hat einen erheblichen Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung unseres ganzen Landes. Was Wachstum und Beschäftigung anbelangt, kann sich Deutschland im internationalen Vergleich sehen lassen. Dazu tragen die Arbeitgeber und die Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleichermaßen bei.

Nun will ich hier heute keinen politischen Disput eröffnen, aber doch sagen: Politisch ist während der Amtszeit von Präsident Kentzler einiges geschehen. Im Übrigen ist das vielleicht als kleiner Ratschlag sehr interessant: Er fordert nicht alles oder nichts, sondern schrittweise Verbesserungen. Er hat immer sehr traurig geguckt, wenn ich gesagt habe: Das kann ich mir aber gar nicht vorstellen. Das hat zumindest bei mir viel mehr Eindruck gemacht, als wenn jemand ganz harsche Forderungen stellte.

Wir haben beschlossen, die erhöhte Umsatzgrenze für die Ist-Versteuerung von 500.000 Euro dauerhaft beizubehalten. Das war und ist für die Liquidität kleiner Unternehmen sehr wichtig. Denn die Umsatzsteuer muss erst dann abgeführt werden, wenn der Kunde die Rechnung tatsächlich bezahlt hat. Ich erinnere an die Einführung der Begünstigung nicht entnommener Gewinne. Das war ein Anreiz zur besseren Eigenkapitalausstattung. Ich erinnere an den Handwerkerbonus, den wir von 600 Euro auf 1.200 Euro verdoppelt haben.

Es liegt natürlich nicht nur im Interesse des Handwerks, sondern im gesamtgesellschaftlichen Interesse, dass wir gute Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Erfolge haben. Die Bundesregierung weiß das; und deshalb möchte ich heute Abend auf drei Punkte eingehen: erstens auf die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, zweitens auf die Sicherung der Fachkräftebasis und drittens auf die Energiewende.

Ich glaube, wir haben keinen Dissens, wenn es um eine wachstumsfreundliche Konsolidierung der Haushalte geht. Der Erfolg von Handwerkern beruht ja auch ganz wesentlich darauf, dass sie mit Geld umgehen können. Die Schuldenregel, die wir in Deutschland im Grundgesetz haben und auch auf europäischer Ebene festgelegt haben, hat sich bereits bewährt. Im EU-weiten Vergleich hat Deutschland ein Bruttoinlandsprodukt, das weit überdurchschnittlich zugenommen hat. Wir waren unter den Ersten, die aus dem Tal der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise wieder herauskamen. Der Beschäftigungstrend geht nach oben. Mit der Konsolidierung sind wir recht weit vorangekommen. Schon seit 2012 können wir beim Bund die Neuverschuldungsgrenze einhalten. Und wir werden ab 2015 keine neuen Schulden mehr machen. Das ist unser festes Vorhaben.

Öffentliche Haushalte durch Steuererhöhungen auszugleichen, wäre kontraproduktiv. Wir haben im Augenblick ohnehin mehr Steuereinnahmen als jemals zuvor. Einer der Gründe, warum wir keine Steuererhöhungen wollen, ist, dass wir gerade denen, die durch ein vernünftiges Management der Wirtschaftsbetriebe zu mehr Beschäftigung beigetragen haben, nicht wieder erschwerte Investitionsbedingungen geben wollen. Denn das Geld, das in die Betriebe, das in Investitionen gesteckt ist, ist gut angelegt.

Steuerpolitische Verlässlichkeit ist unser Maßstab. Deshalb sage ich auch: Die Vergünstigungen in der Erbschaftsteuer beim Betriebsübergang werden zwar noch gerichtlich beklagt, aber wir sind von der Verfassungsmäßigkeit der Verschonungsregelung fest überzeugt. Wir sind auch deshalb davon überzeugt, weil sie eine Gegenleistung für die Sicherung von Arbeitsplätzen ist, die im Interesse des Allgemeinwohls liegt.

Das führt mich zum zweiten Punkt, zur Sicherung der Fachkräftebasis. Es wird in den nächsten Jahren aufgrund der demografischen Entwicklungen einen verstärkten Wettlauf um die attraktivsten Arbeitgeber geben. Ich möchte als Erstes dem Handwerk ein ganz herzliches Dankeschön sagen. Sie haben in allen Zeiten und Sie tun dies auch heute die duale Berufsausbildung nach Kräften gestärkt, die Millionen und Abermillionen von jungen Menschen eine gute Zukunft eröffnet hat.

Wir wissen: Bildung, Ausbildung, lebenslanges Lernen darin liegt der zentrale Schlüssel für eine erfolgversprechende Zukunft. Wir setzen gleichermaßen auf berufliche Ausbildung und Hochschulausbildung. Inzwischen beginnen über 50 Prozent der jungen Menschen eines Jahrgangs ein Hochschulstudium das ist erfreulich; das hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Aber das habe ich heute auch in meiner Regierungserklärung gesagt; das ist ein Anliegen der gesamten Bundesregierung, der Großen Koalition wir wollen die Säule der dualen Berufsausbildung jetzt erneut stärken. Wir werden auch in Brüssel unser Wort dafür einlegen, dass dies stattfindet. Aber vor allen Dingen müssen wir zu Hause dafür sorgen. Denn dass die niedrigste Jugendarbeitslosenquote Europas bei uns zu finden ist, hat das ist unsere feste gemeinsame Überzeugung mit der dualen Berufsausbildung zu tun. Wir wollen deshalb die "Allianz für Aus- und Weiterbildung" als Fortsetzung des "Ausbildungspakts" in unsere Regierungsarbeit einbeziehen. Wir hoffen, dass sich auch die Gewerkschaften beteiligen.

Im Augenblick ermöglicht das Handwerk rund 400.000 Auszubildenden den Start ins Berufsleben. Was die Ausbildung anbelangt, möchte ich meinen Dank nicht nur an den ehemaligen Präsidenten und den jetzigen Präsidenten richten, sondern vor allen Dingen auch an die vielen, vielen Betriebe, an die Kammern, Innungen, Kreishandwerkerschaften und all diejenigen, die sich ehrenamtlich engagieren. In meinem Wahlkreis gibt es zwar relativ viele Arbeitslose. Wenn es das Handwerk nicht gäbe, das sich um viele Einzelne kümmert, sähe es aber sehr viel schlechter aus. Daher danke schön dafür.

Mein dritter Punkt ist die Energiewende, weil sie für das Handwerk natürlich genauso wichtig ist wie für die Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger insgesamt. Gerade Handwerksbetriebe gehören zumeist nicht zu den energieintensiven Betrieben, die von der EEG-Umlage ausgenommen sind, sondern haben ihren Beitrag zur Energiewende in hohem Maße zu leisten. Deshalb verstehe ich, dass es für Sie von elementarem Interesse ist, zu wissen: Wie geht es da weiter?

Wir haben die Eckpunkte für die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes vorgelegt. Wir wissen, dass auch diese Eckpunkte nur dann ihre Wirkung entfalten werden, wenn sie erstens durchgesetzt werden und wenn zweitens der Ausbau der erneuerbaren Energien parallel zum Netzausbau verläuft. Denn allein das Vorhandensein verfügbarer erneuerbarer Energien ist, wenn sie nicht zum Einsatz kommen, wirklich noch keine Energiewende. Deshalb hoffen wir auf eine faire, auf eine intensive Diskussion über dieses Thema.

Energiewende und Klimaschutz beschränken sich nicht auf das Thema Stromproduktion, sondern haben viele Facetten. Da geht es unter anderem um das Thema Energieeffizienz und dabei auch um das Thema Gebäudesanierung. Wir kennen die großen Potenziale für Energieeinsparung. Wir wissen wir haben mit Herrn Kentzler oft darüber gesprochen: Die Skala ist bei Ihnen nach oben offen. Das, was wir an Förderbedingungen schaffen, wird von den Handwerkern auch genutzt. Deshalb freue ich mich, dass auch von Herrn Wollseifer zu hören war, dass das Handwerk im Grundsatz hinter der Energiewende steht. Natürlich hängt der Erfolg der Energiewende auch von den Handwerkern ab, weil an die 30 Handwerksgewerke an ihrer Umsetzung beteiligt sind. Das ist in der Tat beeindruckend. Wir wollen gemeinsam versuchen, das Ganze zum Gelingen zu bringen.

Sehr geehrter Herr Wollseifer, Sie haben die Nachfolge von Herrn Kentzler im Amt des ZDH-Präsidenten angetreten. Nachträglich noch einmal herzlichen Glückwunsch, obwohl Sie schon mitten in der Arbeit sind. Ich darf Ihnen versichern: Sie haben abwechslungsreiche und verantwortungsreiche Jahre vor sich. Aber das trifft Sie nicht unerwartet, denn Sie sind ja auch reich an Erfahrung als Geschäftsführer, als Unternehmensgründer mit einer beeindruckenden Unternehmensentwicklung, und in vielen Ehrenämtern, so auch als Präsident der Handwerkskammer zu Köln. Ganz offensichtlich ist für Sie Handwerk nicht nur Beruf, sondern wirklich Berufung. Dafür, dass Sie sich bereit erklärt haben, dieses Amt auszuüben, sage ich danke und wünsche Ihnen alles erdenklich Gute.

Bevor ich noch einmal zu Herrn Kentzler komme, möchte ich auch Frau Kentzler ein ganz herzliches Dankeschön sagen. Bei allem, was Herr Kentzler kann, sage ich nicht zu viel, wenn ich behaupte: Ohne Sie wäre es für ihn sehr viel schwieriger gewesen. Sie haben ihn immer unterstützt. Ein ganz herzliches Dankeschön dafür. Wir arbeiten ja für eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Bei Handwerksfrauen wird oft vorausgesetzt, dass das einfach so gegeben ist. Trotzdem ist es alles andere als selbstverständlich.

Und, liebe Frau Wollseifer, ich hoffe, Sie wissen, was Sie erwartet. Es sind nicht nur Feierstunden, sondern manchmal sicherlich auch Sorgen und Probleme, die Ihren Mann drücken werden. Aber das werden nicht die ersten sein, wie ich vermute, wenn ich mir seine berufliche Karriere anschaue. Auch Ihnen eine gute Zeit an der Seite Ihres Mannes.

Und nun, lieber Herr Kentzler, möchte ich in diesem Rahmen noch etwas formeller meinen Dank aussprechen. Sie haben im Jahr 2005 Ihr Amt angetreten; und es wurde schon darauf hingewiesen kurz darauf habe ich meine erste Rede als Bundeskanzlerin beim deutschen Handwerk gehalten. Sie sind über all die Jahre Ihrem Anspruch treu geblieben, den Sie vor gut neun Jahren so formulierten: "Es ist falsch, den Handwerksverband wie eine Oppositionspartei zu führen. ( … ) Kritik allein bringt nichts, konstruktive Kritik in Form von Verbesserungsvorschlägen fällt da schon eher auf fruchtbaren Boden." Auch deshalb wusste ich die Zusammenarbeit immer sehr zu schätzen. Und deshalb ist es auch richtig und wichtig, Ihnen noch einmal ein ganz besonderes Dankeschön zu sagen.

Sie, Herr Kentzler, sind immer für traditionelle Handwerkstugenden eingetreten für Fleiß, für die Motivation der Mitarbeiter, für Mut, auch Neues zu wagen. Sie sehen darin keinen Gegensatz zum modernen Hightech-Handwerk. Für Sie gehören das klassische Handwerk und das moderne Handwerk immer zusammen. Damit unterstreichen Sie, dass Handwerk Werte schafft und Werte erhält. Sie haben sich damit bleibende Verdienste nicht nur um unsere Wirtschaft, sondern auch um unsere Gesellschaft erworben. Unser Bundespräsident verleiht Ihnen dafür das Große Verdienstkreuz. Mir ist es eine ganz besondere Freude, Ihnen diesen Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland nun überreichen zu dürfen.