Redner(in): Angela Merkel
Datum: 19. März 2014

Untertitel: im Bundeskanzleramt
Anrede: Sehr geehrter Herr Foxman,sehr geehrter Herr Curtiss-Lusher,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/03/2014-03-19-merkel-joseph-prize.html


Sehr geehrte Vorstandsmitglieder der Anti-Defamation League,

Herzlichen Dank für die große Ehre, die Sie mir mit der Verleihung des "Joseph Prize for Human Rights" entgegenbringen.

Ich bin mir bewusst, dass ich diesen Preis nicht hätte erhalten können, wenn unser Land nicht das wäre, was es ist: ein geeintes Deutschland mit einer gefestigten parlamentarischen Demokratie ein Rechtsstaat, der auf der unantastbaren Würde des Menschen aufbaut, wie es Artikel 1 unseres Grundgesetzes besagt.

Ich weiß die Auszeichnung zu schätzen: als Zeichen des Vertrauens in mich und unser Land, als Beleg einer engen und verlässlichen transatlantischen Partnerschaft und als Ansporn, weiterhin für Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit einzutreten, so wie es die Anti-Defamation League nunmehr seit über 100 Jahren weltweit tut.

Ihre Organisation entstand aus dem Anliegen heraus, Antisemitismus und Rassismus die Stirn zu bieten. Damals, 1913, lag das grausamste Kapitel der Judenverfolgung noch außerhalb jeder Vorstellungskraft. Deutschland aber sollte dieses Kapitel leider wenige Jahre später schreiben. All das, wofür die Anti-Defamation League seit jeher eintritt, hatten Deutsche auf furchtbare Weise missachtet und außer Kraft gesetzt. Unermessliches Leid ging von unserem Land aus. Der Zivilisationsbruch der Shoah bleibt für immer ins Gedächtnis der Nationen eingeschrieben.

Und dennoch: Deutschland bot sich die Chance für einen Neuanfang. Dies verdanken wir auch und besonders unseren Freunden jenseits des Atlantiks. Sie haben die Kraft bewiesen, uns zu vertrauen und dieses Vertrauen so einzusetzen, dass sich die Dinge zum Guten wenden konnten. Genau für diese Überzeugung steht auch die Anti-Defamation League. Sie stellt sich dem Anspruch unermüdlichen Engagements.

Lieber Herr Foxman, Sie haben in Ihrem Bericht zum Jubiläumsjahr den britischen Denker Edmund Burke zitiert: "The only thing necessary for the triumph of evil is for good people to do nothing." Ja, so verfestigt Vorurteile und Hass oft scheinbar sein mögen, so verfahren mancher Konflikt auch sein mag nie dürfen wir aufgeben, einen Ausweg zu suchen. In Frieden und Sicherheit leben zu können das ist jede Anstrengung wert. Ich sage das in diesen Tagen auch vor dem Hintergrund einer neuen Herausforderung, vor der wir stehen.

2014 jährt sich der Mauerfall zum 25. Mal. Die Mauer ist gefallen, weil Menschen den Mut aufgebracht haben, für ihre Freiheit einzutreten. Aber auch heute noch gilt es gegen Mauern anzurennen gegen Mauern in Köpfen; Mauern, die ein freiheitliches und friedliches Zusammenleben erschweren. So dürfen wir eben nicht zulassen, dass neue Mauern des Antisemitismus und des Fremdenhasses neu hochgezogen werden. Schon einem latenten, schleichenden, nicht offen geäußerten Antisemitismus müssen wir klar und eindeutig entgegentreten.

Gewiss, Toleranz und Weltoffenheit lassen sich nicht einfach per Gesetz vorschreiben. Ausgrenzungen vermeiden, Vorurteile widerlegen, Diffamierungen entgegnen das ist nicht nur eine politische Daueraufgabe, sondern auch eine gesellschaftliche Querschnittsaufgabe. Erziehung, Bildung, Wissensvermittlung, die Bereitschaft und Fähigkeit zum offenen, fairen Dialog das ist und bleibt die beste Vorbeugung gegen jegliche Art von Extremismus und Antisemitismus.

Wir hätten aber aus unserer Geschichte wenig gelernt, wenn wir nicht auch über unseren Tellerrand hinaus blicken würden. Der Auftrag, Menschenrechten Geltung zu verschaffen, endet nicht an unseren Landesgrenzen. Ein friedliches Leben miteinander weltweit zu fördern, gehört zum Selbstverständnis deutscher Außen- und Sicherheitspolitik.

Dabei ist uns Israel ein enger Partner. Wir arbeiten auf vielen Feldern intensiv zusammen und erörtern gemeinsam bilaterale und internationale Themen ob es um den Nahost-Friedensprozess gehen mag, um das iranische Nuklearprogramm, die verheerende Situation in Syrien oder andere drängende Fragen.

Ausdruck unserer engen Zusammenarbeit sind insbesondere die deutsch-israelischen Regierungskonsultationen. Erst vor wenigen Wochen haben wir uns dazu in Tel Aviv wieder getroffen. Wir hatten die deutsch-israelischen Regierungskonsultationen aufgenommen, um die ganze Breite unserer Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu nutzen in der Forschung, im Jugendaustausch, in vielen anderen Bereichen. Wir, Deutschland und Israel, verfolgen sogar gemeinsame Entwicklungsprojekte in Afrika, um auch deutlich zu machen: Wir arbeiten für die Zukunft, wo auch immer dies notwendig ist.

Nächstes Jahr wird ein besonderes Jahr sein, weil wir den 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel begehen werden. Wir wollen dieses Jubiläumsjahr würdig begehen, indem wir unseren festen Willen bekräftigen, unsere Partnerschaft immer wieder mit neuem Leben zu erfüllen.

Wir durften in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und der Shoah erfahren, was Vertrauen in die Vernunft des Menschen zu bewegen vermag. In Deutschland, das einst geteilt war, durften wir erfahren, was Mut und Zivilcourage bewirken können. Ja, in Deutschland haben wir erfahren, dass nichts so bleiben muss, wie es heute ist oder wie es war. Aus dieser Erfahrung nährt sich unser Bestreben, gemeinsam mit unseren Partnern in der Welt unermüdlich für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte zu kämpfen. In diesem Sinne verstehe ich die heutige Preisverleihung gleichermaßen als Würdigung, aber eben auch als Ansporn, immer weiterzuarbeiten. Herzlichen Dank.