Redner(in): Monika Grütters
Datum: 02. April 2014

Untertitel: Die Eröffnung der bisher größten Einzelausstellung Ai Weiweis im Berliner Martin-Gropius-Bau fand ohne den Künstler stattt. Dennoch sei er anwesend, erklärte Kulturstaatsministerin Monika Grütters. "Seine Werke sprechen zu uns, durch sie bleibt Ai Weiwei mit der Welt in Kontakt umso eindrücklicher übrigens, seit ihm die Ausreise aus seinem Heimatland verwehrt wird."
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/04/2014-04-03-gruetters-ai-weiwei.html


Die Eröffnung der bisher größten Einzelausstellung Ai Weiweis im Berliner Martin-Gropius-Bau fand ohne den Künstler stattt. Dennoch sei er anwesend, erklärte Kulturstaatsministerin Monika Grütters."Seine Werke sprechen zu uns, durch sie bleibt Ai Weiwei mit der Welt in Kontakt umso eindrücklicher übrigens, seit ihm die Ausreise aus seinem Heimatland verwehrt wird."

Anrede, Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit " - Friedrich Schiller hat sein Credo in vielen seiner Werke verarbeitet.

Ai Weiwei tut es auch.

Die Evidence des Schiller`schen Diktums nimmt in diesen Hallen hier auf großartige Weise Gestalt an. Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit " Ai Weiwei zeigt uns SEINE Freiheit, sein innere Freiheit, die ihm bis heute und unter widrigen Umständen ermöglicht, herausragende Werke der Kunst zu schaffen wie wir sie heute hier in einer Fülle und in einer Vielfalt sehen wie vorher weltweit noch nie.

Ai Weiwei darf heute nicht hier sein. Aber: The artist is present. Seine Werke sprechen zu uns, durch sie bleibt Ai Weiwei mit der Welt in Kontakt umso eindrücklicher übrigens, seit ihm die Ausreise aus seinem Heimatland verwehrt wird.

Heute, fast auf den Tag genau drei Jahre nach seiner Verhaftung eröffnen wir hier die bislang größte Einzelausstellung Ai Weiweis. Keine der hier gezeigten Arbeiten war bisher in Deutschland zu sehen, mehr als die Hälfte der Kunstwerke ist eigens für den Martin Gropius-Bau entstanden.

Diese großartige Ausstellung ist vor allem Ihnen, lieber Gereon Sievernich, zu verdanken. Sie haben unglaublich viel Energie investiert, Sie haben nicht geruht, bis Ihre Vision, bis Ihr Traum so kann man das wohl nennen Wirklichkeit geworden ist. Sie, der studierte Sinologe, verstehen Ai Weiwei, und Sie geben ihm hier im Martin Gropius-Bau den Raum, die Freiheit, die er in seinem Land nicht hat. Uns beschenken Sie mit der kostbaren Möglichkeit, dem Künstler zu begegnen, ja, auch Zwiesprache mit ihm, mit seiner Kunst zu halten. Dafür sind wir, und da bin ich mir sicher dafür ist auch er Ihnen sehr dankbar!

Es ist ja eine sehr eigene Qualität in den Arbeiten Ai Weiweis, die in ihrer gedanklichen Komplexität und Ambivalenz zugleich offen und mehrdeutig sind, wenn er mit den Ereignissen spielt, sie zur Kunst gleichsam sublimiert eine sehr subjektive Art, Erlebtes zu verarbeiten, vor allem, wenn es dabei um die Erfahrung der Unterdrückung, der Freiheitsberaubung geht.

Es ist für uns hier ja kaum vorstellbar, wieviel innere Souveränität, wieviel Kraft es braucht, was für eine ungeheure Anstrengung es sein muß, seine eigene Gefängniszelle originalgetreu nachzubauen. Ai Weiwei hat 81 Tage in dieser Zelle gesessen, ständig beobachtet von zwei Wärtern."81" so betitelt er diese Arbeit. Erinnerungskultur, an der wir seinen unbedingten Willen zur Freiheit buchstäblich zu spüren bekommen.

Oder nehmen Sie die riesige Fahrräder-Installation im Eingangsbereich: Sie ist Yang Jia gewidmet, der auf einem geliehenem Fahrrad in Shanghai unterwegs war, als er verhaftet, des Diebstahls verdächtigt, auf der Polizeiwache misshandelt wurde. Später hat man ihn des Mordes angeklagt, und obwohl alles dagegen sprach, wurde er hingerichtet. Ai Weiwei setzt ihm hier dieses Denkmal mit den Fahrrädern der Marke Shanghai.

Auf die für ihn so typische, zugleich subversive wie ironische Weise lässt er Art und Ausmaß der Repression Eingang finden in sein künstlerisches Werk. Was ihm widerfährt, verwandelt er in Kunst. Seine Reaktion auf die totale Überwachung ist totale Offenheit. So hat er überall auf seinem Grundstück Kameras installiert, zeigt sein Leben in Fotos: im Bad, im Atelier, auf dem Markt. Ai Weiwei hat sein ganzes Leben und seinen Alltag zur globalen Kunstausstellung erklärt. Sein Ausstellungsraum ist das World Wide Web.

Ai Weiweis Kunst wird international rezipiert, und zugleich wurzelt sie tief im Grund der chinesischen Kultur.

Ai Weiwei liebt sein Land, und zugleich leidet er an ihm. Er kritisiert Umweltverschmutzung, wirtschaftliche Ungleichheit - und nicht zuletzt die Geschichts- und Traditionsvergessenheit in China. Hier in der Halle sind es die berühmten 6000 Holzschemel, dieser achtlos weggeworfene Alltag auf dem Land, aus denen er hier eine großartige Erinnerungslandschaft schafft.

Es ist die komplexe Schönheit, die Kraft, die ästhetische, die materielle und oft geradezu poetische Qualität dieser seiner Arbeiten selbst, aus der sich ihre politische Sprengkraft speist.

Für mich ist Ai Weiwei in der Wahl seiner künstlerischen Mittel und in der politischen Relevanz seines Wirkens der modernste, gegenwärtigste Künstler unserer Zeit ein universeller Geist und Anstifter, Avantgarde und Tradition zugleich.

Dieser große, unerhört wirkungsvolle, global agierende Konzeptkünstler, Bildhauer, Fotograf, Aktivist und Kurator könnte für China so etwas wie nationales Kulturgut sein, der kulturelle Stolz seines Landes.

Stattdessen wird er verhaftet, verleumdet, verhört.

Die gewaltige Kraft der Kultur erkennt eben auch der chinesische Staat, wenn er den Nobelpreisträger Liu Xiaobo einsperrt und mundtot macht. Doch genau so sind Künstler wie Ai Weiwei und der Friedenspreisträger Liao Yiwu ( er ist heute abend hier! ) zum Symbol geworden, zum Symbol für den Widerstandsgeist der Kunst.

Deutschland - die Bundesregierung und die Kanzlerin persönlich - haben sich immer wieder für diese Künstler eingesetzt.

Wir haben auch der Versuchung widerstanden, bei der Eröffnung des neuen chinesischen Nationalmuseums in Peking eine affirmative Kunstschau zu präsentieren, sondern haben die Kunst der Aufklärung dort gezeigt. Gelegentlich hat uns das den Vorwurf der Naivität eingebracht. Doch so naiv sind wir auch wieder nicht, zu glauben, dass man damit auch nur einem einzigen Funktionär den Kopf verdrehte. Aber gerade in hermetischen Gesellschaften haben wir mit dem Prinzip "Wandel durch Annährung" über die Kultur weit mehr erreicht als die Politik, die Wirtschaft, die Diplomatie. Nicht "Museumspolitik statt Menschenrechte", sondern Museumspolitik im Dienst der Menschenrechte - denn weltweit hat die Kultur noch jedes politische System überlebt.

Deutschland hat aus zwei Diktaturen eine Lehre gezogen: "Kunst und Wissenschaft sind frei."

Und das muß auch der oberste Grundsatz jeder verantwortlichen Kulturpolitik sein. Denn frei sein können Kunst und Wissenschaft nur, wenn der Staat ihre Freiheiten schützt. Wir haben gelernt, dass es die Künstler, die Intellektuellen sind, die mit ihrem Mut zum Experiment - der immer auch das Risiko des Scheiterns einschließt - dass es diese Kreativen sind, die unser Gemeinwesen voranbringen. Sie, die Künstler, sie sind das kritische Korrektiv. Sie gehen der gesellschaftlichen Wirklichkeit voraus. Sie sind der Fortschritt, sie sind unsere Avantgarde. Und: Sie brauchen Freiraum, um sich entfalten zu können was sie nicht brauchen, sind autoritative Vorgaben.

Ai Weiweis Schaffen zeigt: Man kann einen Menschen seiner physischen, seiner äußeren Freiheit berauben. Dafür, daß er seine innere Freiheit, seine Würde behält, dafür können wir anderen viel tun, seinen Geist befreien, indem wir seine Kunst hier zeigen zum Beispiel.

Ich freue mich und bin dankbar, dass gerade in einer Stadt wie Berlin, in deren Geschichte die Unterdrückung der Freiheit so schreckliche Spuren hinterlassen hat, so viele Menschen als "Freunde Ai Weiweis" für den Künstler eintreten. Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit " ( sagt Friedrich Schiller. )

Es ist kein Widerspruch, dass es gerade ein äußerlich unfreier Künstler wie

Ai Weiwei ist, der uns daran erinnert.

Ai Weiwei steht mit seiner ganzen Existenz und mit seinem Wirken als Künstler für die Freiheit der Kunst ein. Er ist nicht korrumpierbar.

Und er zeigt das mit seinen kleinen großen Gesten zum Beispiel mit den Blumen, die er geschenkt bekommt und an sein Fahrrad vor dem Atelier hängt: sie sind sein Angebot, sie sind seine Botschaft.

Lassen wir ihn zum Abschluss selbst zu Wort kommen: Bevor ich Aktivist wurde, war ich Künstler. Und irgendwann fing man an, mich Aktivist zu nennen, aber ich bleibe immer ein Künstler ".

Meine Damen und Herren,

ich fordere die chinesische Regierung auf, Ai Weiwei endlich wieder Reisefreiheit zu gewähren. Wir alle versichern diesen unbeugsamen und freien Geist unserer tiefen Solidarität.

Vielen Dank.