Redner(in): Monika Grütters
Datum: 04. Mai 2014

Untertitel: Kulturstaatsministerin Monika Grütters unterstrich anlässlich des Festkonzertes zum Polnischen Nationalfeiertag und 10-jährigen Jubiläum des EU-Beitritts Polens die Bedeutung der deutsch-polnischen Beziehungen. "Sie bilden ein wichtiges Element in diesem Prozess des Zusammenwachsens und der guten Nachbarschaft in Europa", erklärte Grütters.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/05/2014-04-06-gruetters-konzert-10-jahre-eu-beitritt-polen.html


Kulturstaatsministerin Monika Grütters unterstrich anlässlich des Festkonzertes zum Polnischen Nationalfeiertag und 10-jährigen Jubiläum des EU-Beitritts Polens die Bedeutung der deutsch-polnischen Beziehungen."Sie bilden ein wichtiges Element in diesem Prozess des Zusammenwachsens und der guten Nachbarschaft in Europa", erklärte Grütters.

Anrede, Wenn Vaterland das erste Wort des Polen ist, so ist Freiheit das zweite ", schrieb einst Heinrich Heine ( in:" Über Polen " ) . Seine Freiheitsliebe hat Polen ganz Europa zum Geschenk gemacht - und zwar mehrfach in unserer beider gemeinsamen Geschichte.

Umso mehr freue ich mich, dass meine erste Begegnung mit meinem polnischen Amtskollegen Herrn Kulturminister Zdrojewski in diesem schönen Rahmen und zu so einem besonderen Anlass stattfindet. Zehn Jahre Mitgliedschaft Polens in der Europäischen Union sind zu feiern - und diese Rückschau auf das zusammenwachsende Europa macht uns hoffnungsfroh. Gerade auch die lebendigen und immer enger werdenden deutsch-polnischen Beziehungen bilden ein wichtiges Element in diesem Prozess des Zusammenwachsens und der guten Nachbarschaft in Europa. Ich danke Ihnen, Herr Minister, dass Sie heute den Weg nach Berlin gefunden haben und mit uns - gemeinsam der großzügigen Einladung des Herrn Botschafters folgend - dieses wichtige Jubiläum in vielversprechendem musikalischem Rahmen hier in der Philharmonie begehen.

Es ist von hohem symbolischem Wert, dass Sie die Feier zum 10-jährigen Jubiläum zeitgleich mit Ihrem Nationalfeiertag, dem 3. Mai, veranstalten. Denn der Geist des 3. Mai 1791, des Tages also, an dem Polen die erste moderne Verfassung Europas in Warschau verabschiedet hat, entfaltet seine Wirkungskraft ebenso wie die polnischen Befreiungskämpfe des 19. Jahrhunderts oder das Eintreten für die Freiheit durch die Arbeiter der Danziger Werft 1980, denen wir alle so viel zu verdanken haben. Polen und seine sprichwörtliche, durch alle politischen Schicksalsschläge hindurch bewahrte Freiheitsliebe sind für Europa von unschätzbarem Wert; Polen hat, könnte man sagen, diese Freiheitsliebe in Europa verankert - nicht nur in den vergangenen zehn Jahren, in denen das Land Mitglied der EU geworden ist, sondern schon viel früher: Als vor 25 Jahren die Mauer fiel, erlebten wir eine europäische Freiheitsbewegung ohne Beispiel, und sie war vor allem ausgelöst worden durch die Gewerkschaft Solidarnosc und Lech Walesa, den mutigen Priester Jerzy Popieluszko, die Arbeiter der Danziger Lenin-Werft, unterstützt von Papst Johannes Paul II, der am vergangenen Sonntag in Rom heilig gesprochen wurde. Denn ohne diese Ereignisse, ohne diese Persönlichkeiten wäre auch die Entwicklung hin zur deutschen Einheit nicht denkbar. Dafür gebührt unseren polnischen Freunden großer Dank!

Nun ist es nicht so, dass wir uns in Europa auf eine gemeinsame oder gar einheitliche Erinnerung beziehen könnten. Zu groß war die über Jahrhunderte währende Vielfältigkeit der politischen Interessen, die immer neue Trennungen und Konflikte hervorrief. Doch wenn es so etwas wie den "Geist Europas" gibt, dann ist es diese Freiheitsliebe, die sich gerade auch in der Kultur Polens ausdrückt und von uns anderen Ländern dankbar aufgenommen wird. Wir Deutsche haben in unserer Nachbarschaft zu Polen und mit Polen vom lebendigen kulturellen Austausch enorm profitiert; die Ausstellung "Tür an Tür", die mein Haus gemeinsam mit dem polnischen Kulturministerium vor drei Jahren im Martin-Gropius-Bau ermöglicht hat, legte darüber beeindruckendes Zeugnis ab. Kunst und Kultur haben uns immer wieder verbunden. Aber wir wollen und dürfen keinen Moment vergessen, was Deutsche Polen auch immer wieder angetan haben. Gerade in diesem an historischen Tagen so reichen Jahr gedenken wir der grausamen Niederschlagung des Warschauer Aufstands vor 75 Jahren durch deutsche Truppen am 18. September 1944. Und wir denken an den deutschen Überfall auf Polen im September 1939. Dass wir trotz dieser von Gewalt und Hass gekennzeichneten Epoche unsere kulturellen und geistigen Verbindungen heute im wiedervereinigten Europa wieder pflegen können, haben wir gemeinsam erarbeitet, darum ringen wir, daran erfreuen wir uns. Verankert aber sind diese schönen Erlebnisse in der polnischen Freiheitsliebe.

Und diese Freiheitsliebe ist nicht zuletzt in der Kunst spürbar. Denken wir zum Beispiel an Chopin, der nicht nur die Musik und das Klavierspiel seiner Zeit revolutionierte - er war selbst voller Freiheitsdrang. Diese Freiheitsliebe, aber auch den Schmerz darüber, wegen zu befürchtender Repressalien nicht in seine Heimat zurückkehren zu können, teilte der Komponist mit zahlreichen Künstlern und Intellektuellen, die es im Zuge der überall in Europa erwachenden Freiheitsbewegungen nach Paris ins Exil verschlagen hatte. Der große polnische Dichter Adam Mickiewicz war einer von ihnen. Seine Balladen inspirierten Chopins Musik. Robert Schumann - ein anderer großer Komponist dieser Zeit - schätzte Chopin nicht nur als musikalisches Genie, sondern entdeckte in dessen Musik eine große kämpferische Energie - "Kanonendonner" gar - freilich unter Blumen verborgen, wie er es so schön formulierte.

So haben polnische Freiheitsgedanken schon zu Chopins Zeiten Menschen in Europa beeindruckt. Und wie verwoben waren in Europa die Geschicke, wie intensiv tauschten sich gerade in der Zeit der Romantik die europäischen Künstler und Intellektuellen miteinander aus!

Es ist schön, dass auch im heutigen Europa wieder Dialog und Austausch - vor allem über unsere Künste - an der Tagesordnung sind. Um Freiheit kämpfen wir immer noch, und gerade um sie müssen wir immer ringen, weil sie so fundamental ist für unser friedliches Zusammenleben. Zu unser aller Glück ist sie durch die Europäische Union in viel größerem Maße als jemals zuvor für unsere Mitgliedstaaten gewährleistet. Doch wie die Ereignisse in der Ukraine zeigen, können wir uns nicht auf dem Erreichten ausruhen.

Heute Abend aber wollen wir uns an der Musik bedeutender polnischer Komponisten erfreuen und dankbar sein, dass es in unserer Erinnerung der letzten 25 Jahre so viel Gemeinsames gibt.

Die zurückliegenden zehn Jahre, in denen Polen innerhalb der EU wirken konnte, haben unsere Zusammenarbeit auf politischem und kulturellem Gebiet beglückend intensiviert und verfestigt. Dafür danke ich Ihnen ganz besonders, lieber Herr Minister Zdrojewski, da ich von meinem Vorgänger weiß, wie gut Sie sich verstanden und wie erfolgreich Sie zusammengearbeitet haben. Es ist ja weltweit oft so, dass es gerade die Kultur ist, die Brücken baut, wenn Politik, Wirtschaft und Diplomatie an ihre Grenzen stoßen. Die Rolle der Kultur für die deutsch-polnischen Beziehungen und bei der Versöhnung zwischen unseren beiden Ländern können wir gar nicht hoch genug einschätzen. Die Kultur ist Motor unserer engen Partnerschaft, sie stiftet Verbindungen zwischen beiden Gesellschaften. Kaum einer hat das schöner gesagt als Friedrich Schiller: "Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit."

In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen wunderschönen Abend.