Redner(in): Monika Grütters
Datum: 19. Juni 2014

Untertitel: Zum Festkonzert "Wenn Engel musizieren" anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Vereins Mitteldeutsche Barockmusik in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (MBM) betonte Kulturstaatsministerin Monika Grütters: "Die MBM bringt nicht nur die barocke Musik in ihrer ganzen Vielfalt zum Klingen, sondern hat nach der Wende auch dazu beigetragen, die reichen Kulturlandschaften in dieser geschichtsträchtigen Region wieder zum Blühen zu bringen."
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/06/2014-06-19-gruetters-barockmusik.html


Zum Festkonzert "Wenn Engel musizieren" anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Vereins Mitteldeutsche Barockmusik in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ( MBM ) betonte Kulturstaatsministerin Monika Grütters: "Die MBM bringt nicht nur die barocke Musik in ihrer ganzen Vielfalt zum Klingen, sondern hat nach der Wende auch dazu beigetragen, die reichen Kulturlandschaften in dieser geschichtsträchtigen Region wieder zum Blühen zu bringen."

Anrede, Wenn Engel musizieren ", wie es uns das Motto des heutigen Festkonzerts ankündigt, fühlt man sich als Festrednerin geradezu berufen, auf profane Begrüßungsworte zu verzichten und stattdessen sofort eine Hymne auf die großen Komponisten anzustimmen, deren Erbe vom Verein Mitteldeutsche Barockmusik liebevoll gehegt und gepflegt wird. Ich widerstehe dieser Versuchung nur aus dem einzigen Grund, weil es das gesprochene Wort - selbst wenn ich" mit Engelszungen rede " - nicht mit dem musikalischen Hochgenuss aufnehmen kann, der uns erwartet: Musik mitteldeutscher Komponisten auf den Nachbauten der Engelsinstrumente im Freiberger Dom - das ist selbst für verwöhnte Ohren regelmäßiger Konzertbesucher ein ganz neues und besonderes Erlebnis! Umso mehr freut es mich, heute hier in Chemnitz zu sein und mit Ihnen zusammen dieses Festkonzert zu genießen! Was für ein wunderbares Geschenk zum 20jährigen Jubiläum der MBM!

Wenn Sie nachlesen wollen, warum die Bundesregierung die MBM vor 20 Jahren als "Leuchtturmmaßnahme" für die neuen Länder ins Leben gerufen hat und warum wir die Arbeit des Vereins zusammen mit den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit über 600.000 Euro jährlich finanzieren, dann empfehle ich Ihnen - nein, nicht die entsprechende Verwaltungsvereinbarung, sondern: - Thomas Mann zur Lektüre. In seinem großartigen Roman "Doktor Faustus" illustriert er in leuchtenden Farben, was diesen Teil Deutschlands so besonders macht, zum Beispiel wenn er zu Beginn die fiktive Stadt Kaiseraschern an der Saale beschreibt:

Eine Stadt,"mitten im Heimatbezirk der Reformation gelegen, im Herzen der Luther-Gegend". Er verortete sie im Regierungsbezirk Merseburg "südlich von Halle, gegen das Thüringische hin"."Weder Halle selbst, die Händel-Stadt, noch Leipzig, die Stadt des Thomas-Kantors, noch Weimar oder selbst Dessau und Magdeburg sind also fern …", fügt er hinzu. Und mit der Beschreibung von Dom und Schloss, von alten Kirchen und treulich konservierten Bürgerhäusern, dem Rathaus,"im Baucharakter zwischen Gotik und Renaissance schwebend" entsteht im Kopf des Lesers das Bild einer mittelalterlich geprägten Kleinstadt, die sich als "Kulturzentrum von geschichtlicher Eigenwürde …" fühlen darf.

Ein wahres Kleinod also, das pars pro toto steht für den kulturellen Reichtum einer ganzen Region. Für mich, die ich aus der historisch nun wahrlich nicht unbedeutenden Stadt Münster komme, ist die Perlenkette von dicht beieinander gelegenen, geschichtsträchtigen Städten im mitteldeutschen Raum immer wieder ein Faszinosum. Die Fülle von Ereignissen, von historisch bedeutsamen Orten und von Erinnerungen an Persönlichkeiten der Geschichte, der Wissenschaft und Kultur, die weit überregionale Bedeutung erlangten - diese Fülle ist überwältigend! Und besonders in der Musik reicht die Reihe der Namen von Komponisten, die diesem Raum entstammten, bis in den Olymp der Kulturgeschichte: Pretorius, Schütz, Schein, Scheidt, natürlich Bach und Händel, Fasch und Telemann, Schumann, Wagner. Mitteldeutschland war im 17. und 18. Jahrhundert ein Kernland der europäischen Musikentwicklung und stand im regen Austausch mit den europäischen Zentren der Musik - mit Venedig, Paris, London, Prag, Lübeck, Kopenhagen. Auf diese Zeit geht das einzigartige musikalische Erbe zurück, auf das Sie hier zu Recht sehr stolz sind.

Als im November 1989, vor nun bald 25 Jahren, der Freiheitswille der DDR-Bürgerinnen und -Bürger die Berliner Mauer zum Einsturz brachte und die Wiedervereinigung Deutschlands möglich wurde, geriet auch für viele Westdeutsche das in den Jahren der Trennung so fern gewordene "Ostdeutschland" mit seinem kulturellen Reichtum wieder in den Blick. Viele Initiativen entstanden, die sich für die Rettung von Kulturdenkmälern in den neuen Ländern einsetzten. Ensembles, Akademien, Festivals wurden gegründet. In dieser Zeit des Aufbruchs unterstützte der Bund, der nach dem Grundgesetz eigentlich keine ausdrückliche Zuständigkeit für Kultur besitzt, die neuen Bundesländer auf der Grundlage von Artikel 35 Einigungsvertrag mit einem sogenannten Substanzerhaltungsprogramm und einem kulturellen Infrastrukturprogramm. Ich halte es für eine der bemerkenswertesten Entwicklungen der bundesdeutschen Kulturpolitik, dass sich daraus zwischen den für Kultur zuständigen Verwaltungen beim Bund und in den neuen Bundesländern eine Arbeitsweise entwickelt hat, die wir heute als "kooperativen Kulturföderalismus" bezeichnen und die sich dann auch bundesweit etabliert hat.

Eines der ersten Vorhaben in diesem Rahmen war die Förderung einer "Ständigen Konferenz Mitteldeutsche Barockmusik", beschlossen vor 20 Jahren von den Ländern Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt gemeinsam mit dem damaligen Bundesinnenministerium und getragen von der Idee, den außergewöhnlichen musikalischen Reichtum der Region zu bewahren, seine oft noch verborgenen Schätze zu heben und sie der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen. Für ein solches Projekt gab es noch keine Vorbilder, dafür aber viel Enthusiasmus und großes Engagement aller Beteiligten.

Zu den Früchten dieses Engagements zählen erfolgreiche eigene Projekte der MBM mit Strahlkraft weit über den mitteldeutschen Raum hinaus wie die zur Zeit stattfindenden Tage Mitteldeutscher Barockmusik und das Heinrich Schütz Musikfest, aber auch eine Vielzahl von Konzerten und Opernaufführungen, die die MBM fördert. Die MBM bringt damit nicht nur die barocke Musik in ihrer ganzen Vielfalt zum Klingen, sondern hat nach der Wende auch dazu beigetragen, die reichen Kulturlandschaften in dieser geschichtsträchtigen Region wieder zum Blühen zu bringen! Für Ihr Engagement danke ich Ihnen, lieber Herr Prof. Hirschmann, liebe Frau Dr. Siegfried, dem gesamten Präsidium und den Unterstützern des Vereins sehr herzlich!

In den vergangenen Jahren hat die MBM es immer wieder geschafft, ein breites Publikum für das musikalische Erbe der Barockzeit zu begeistern, und ich bin sicher, dass das auch heute Abend wieder gelingt! Was für eine wunderbare Idee, die Originalinstrumente, die der italienische Bildhauer Giovanni Maria Nosseni seinen musizierenden Gipsengeln in der Begräbniskapelle des Freiberger Doms in die Hände gegeben hat, nachzubauen und als Orchester der Spät-Renaissance aufspielen zu lassen - mit Posaunen, Zinken, Lauten, Schalmeien, Cistern, Harfen und Schlagwerken! Ich bin sehr gespannt darauf und freue mich auf das Ensemble Musica Freybergensis, das uns heute Werke präsentieren wird, die im mitteldeutschen Raum jener Zeit gespielt wurden - von Valentin Haussmann, Hans Leo Hassler, David Samenhammer und Friedrich Weissensee. Viele von Ihnen werden, wie ich, von diesen Komponisten noch nichts gehört haben. Auch das gehört zum Erfolgsgeheimnis der MBM Als Zuhörer sind wir eingeladen, neben den großen Namen immer wieder auch die Kunst der unbekannteren Komponisten zu erleben und sie in ihrem historischen Kontext kennen zu lernen!

Freuen wir uns also auf ein ganz besonderes Konzert mit Instrumenten, die wir bisher vielleicht, wenn überhaupt, nur aus "Doktor Faustus" kannten, nämlich aus dem Leverkühnschen Musikinstrumentenlager in der Parochialstraße 15 in Kaiseraschern. Kenntnis- und farbenreich wie kaum ein anderer Autor hat Thomas Mann die Vielfalt der Musikinstrumente, auch der alten wie der Viola alta oder der Viola d ' amore, in diesem Roman geschildert: "Und so brauchte nur irgendwo im Reiche ein Bach-Fest bevorzustehen, zu dessen stilgerechten Aufführungen man einer Oboe d ' amore, der lange aus den Orchestern verschwundenen tieferen Oboe, bedurfte, damit das alte Haus an der Parochialstraße den Kundenbesuch eines herangereisten Musikus empfing … ."

Das Instrumentenlager in Kaiseraschern ist Fiktion. Die stilgerechten Aufführungen dagegen, von denen in "Doktor Faustus" die Rede ist, die gibt es wirklich - dank der MBM, die mit dem Enthusiasmus all ihrer Mitarbeiter, Unterstützer und Förderer für einzigartige musikalische Erlebnisse sorgt!

Danke dafür - und herzlichen Glückwunsch zu erfolgreichen 20 Jahren!