Redner(in): Monika Grütters
Datum: 31. Oktober 2014

Untertitel: Bis zum Reformationsjubiläumsjahr im Jahr 2017 setzen Themenjahre inhaltliche Schwerpunkte, die die Grundlage für eine überkonfessionelle und die Kulturnation Deutschland betreffende Beschäftigung mit den verschiedenen Aspekten der Reformation bilden.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/10/2014-10-31-gruetters-reformation-bild-bibel.html


Bis zum Reformationsjubiläumsjahr im Jahr 2017 setzen Themenjahre inhaltliche Schwerpunkte, die die Grundlage für eine überkonfessionelle und die Kulturnation Deutschland betreffende Beschäftigung mit den verschiedenen Aspekten der Reformation bilden.

Anrede,

Über "Bild und Bibel" wollen wir nachdenken in diesem kommenden Jahr zur Vorbereitung auf das Reformationsjubiläum. Über "Bild & Bibel" - ein spannendes Paar - auch ein spannungsvolles. Sowohl traditionell als auch aktuell waren die Bilder der Bibel, die gemalten, die sprachlichen, die gedanklichen Bilder, war auch immer der zeitgenössische bildnerische Umgang mit den Geschichten der Bibel eine Herausforderung.

Ein Beispiel: Der berühmte Maler Willem de Kooning schuf 1985 ein Triptychon für die St. Peters Lutheran Church in New York, das seinen Platz dort nicht finden konnte. Die Gemeinde verstand es nicht. Sie wollte es nicht haben. Die Zumutung war zu groß. Es sei zu subjektiv, Ausdruck einer privaten Theologie, nichts Erkennbares darauf, kein Kreuz, nur rote und blaue Linien, die man entfernt für Umrisse von Vögeln und Menschen halten könnte, aber eben auch für etwas ganz anderes.

Hier offenbart er sich der Konflikt zwischen der autonomen Kunst der Moderne und der Kirche als Auftraggeberin von Bildern, die der Vermittlung verbindlicher religiöser Inhalte dienen soll.

Aber: Das, was den Gemeindemitgliedern in New York wie eine Zumutung der Abstraktion vorgekommen ist kann das nicht andererseits auch ein großartiges Angebot sein? Kann es überhaupt noch verbindliche Ausdruckformen geben für etwas, das man gar nicht genau benennen kann?

Vieles in der Religion ist eben unaussprechlich. Es geht um Dinge, für die es hier auf Erden gar keinen Ausdruck gibt. In der Kunst findet dieses Phänomen oft seine Entsprechung in der Abstraktion.

Meine Damen und Herren,

dieses Unaussprechliche am Glauben, der Umgang mit den Geschichten, Texten und Bildern der Bibel hat die Gläubigen zeitlebens beschäftiget und herausgefordert. Mit dem Thesenanschlag des Jahres 1517 hat Martin Luther die Grundlage reformatorischer Entwicklungen gelegt, deren Auswirkungen weit über die Kirche hinausgingen. Sie haben bis heute weltweit gesellschafts- und kulturpolitische Wirkungen.

Das ist der Grund für das große Engagement der Bundesregierung, deren Aktivitäten ich bei diesem Thema koordiniere, und dasjenige vieler Länder und Kommunen. Bis zum Reformationsjubiläumsjahr im Jahr 2017 setzen Themenjahre inhaltliche Schwerpunkte, die die Grundlage für eine überkonfessionelle und die Kulturnation Deutschland betreffende Beschäftigung mit den verschiedenen Aspekten der Reformation bilden. In den vergangenen Jahren haben wir uns im Rahmen der Reformationsdekade mit den Themen Bekenntnis, Bildung, Freiheit, Musik, Toleranz und Politik beschäftigt.

Heute, am Reformationstag 2014, eröffnen wir hier in Hamburg das Themenjahr "Reformation - Bild und Bibel", um der Kunst der Reformationszeit aber auch der neu entstandenen Wort- und Bildsprache Raum zu geben, um uns mit der Rolle der Medien, ihrer Macht, der deutschen Sprache, der Bildkunst und Luthers Beitrag hierzu ein Jahr lang auseinander zu setzen. Ich sehe darin eine große Chance.

Wir leben in einer Zeit, in der die Frage nach dem Verhältnis von Religion, Kultur und Politik wieder hoch aktuell ist. Religion, Kirche und Kultur - sie sind ja keineswegs deckungsgleich, sondern stehen oft in einem spannungsvollen Verhältnis zueinander.

Wir brauchen und wir suchen Werte und Wahrheiten jenseits von Politik, Geschichte und Ökonomie. Kirche und Kultur sind dabei zwei Milieus, die dazu Fühlung behalten, zwei Milieus, die eines gemeinsam haben, eben dass sie um Antworten auf letzte Fragen ringen: Die Kirchen und die Gläubigen, die Intellektuellen und die Künstler sind es, die Antworten suchen und zuweilen finden auf Fragen nach den Sinn stiftenden Kräften und Werten. Dies zu ermöglichen, begründet nicht nur eine Kulturpolitik, die der Freiheit der Kunst oberste Priorität einräumt, sondern verpflichtet uns alle, diese Freiheit immer wieder neu zu verteidigen.

Als wäre das Verhältnis zwischen Kirche und Kunst, zwischen Bild und Bibel nicht schon kompliziert genug, gibt es das sogenannte Bilderverbot im 2. Buch Mose ( 2. Mose 20 ) . Dort heißt es: "Du sollst Dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf der Erde, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!"

Wir sollen uns kein Bildnis machen! Braucht aber nicht gerade der Glaube die Bilder? Woran soll er sich, sollen wir uns denn sonst halten? Oder welche Bilder findet der Glaube? Welche Bilder findet der Glaube heute? Wie wird diese Glaubensbotschaft durch Medien, Bild und Sprache heute vermittelt?

Rund 70 Jahre vor dem Beginn der Reformation wurde der Buchdruck erfunden. Alles Gedruckte konnte auf einmal weite Verbreitung finden. Allerdings waren die gedruckten Buchexemplare meistens weiterhin in lateinischer Sprache und somit nur einer gebildeten Minderheit von Nutzen. Mit dem Beginn der Reformation änderte sich das: Luther bediente sich in virtuoser Weise der neuen Form des Drucks - besonders der Flugschrift und des Flugblattes, aber auch seine Bibelübersetzung erreichte schnell beeindruckende Verbreitung. Martin Luthers Schriften machten im 16. Jahrhundert fast ein Drittel der gesamten Druckauflage aus.

Dabei hat Luther "dem Volk aufs Maul geschaut", eigenwillige Ausdrücke erdacht und poetische Wortbilder geschaffen: Feuertaufe, Bluthund, Machtwort, Lückenbüßer, Lästermaul … oder auch Metaphern wie Perlen vor die Säue werfen, ein Buch mit sieben Siegeln, die Zähne zusammenbeißen, im Dunkeln tappen oder etwas ausposaunen - die Spuren Luthers in unserer Sprache sind vielfältig.

Illustriert wurden viele dieser reformatorischen Botschaften durch die Werkstatt Cranachs. 1522 ließ Lucas Cranach der Ältere in seiner Druckerei das sogenannte "Septembertestament" drucken. Die Holzschnitte für die 1534 gedruckte Gesamtausgabe der Bibel lieferte ebenfalls die Werkstatt Cranachs.

Insgesamt widmete sich das Familienunternehmen Cranach intensiv den protestantischen Bildthemen, so dass dieses Themenjahr nicht zufällig auch den 500. Geburtstag Lucas Cranach des Jüngeren markiert.

Das aktuelle Themenjahr bietet uns allen die Chance, diesen Spuren nachzugehen, dieses reiche kulturelle Erbe neu zu entdecken. Ich freue mich sehr, dass mein Haus mit dem Förderprogramm "Reformationsjubiläum 2017" hierzu für Ausstellungen, wie zum Beispiel die sicherlich hochinteressante Landesausstellung in Wittenberg "Cranach der Jüngere", und andere Veranstaltungen einen nennenswerten Beitrag leisten wird.

Johannes Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks war die Voraussetzung dafür, dass Informationen, Gedanken und Ideen eine große Zahl von Menschen erreichen konnten - sie ist als Medienrevolution durchaus vergleichbar mit dem Aufkommen des Internets in dieser Zeit. Ob sich Luther heute Twitterwall, Hashtags und Tweets bedient hätte, um in 140 Zeichen seine Botschaften unters Volk zu bringen? Ob er sich ein Facebook-Profil zugelegt hätte?

Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass Chancen und Risiken großer Medien-n nahe beieinander liegen. Unser Grundgesetz garantiert das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit, die Pressefreiheit und Rundfunkfreiheit, um die Grundversorgung der Bevölkerung mit Informationen sicher zu stellen, die für eine funktionierende Demokratie notwendig sind.

Dahinter steht die auch aus unseren Erfahrungen mit der Diktatur des Nationalsozialismus gewonnene Überzeugung, dass eine freie Presse, eine vielfältige Medienlandschaft, eine kritische, informierte Öffentlichkeit und ein lebendiger Diskurs die stärksten Garanten sind für Demokratie und gegen staatliche Willkür die Überzeugung, dass Leser, Hörer, Zuschauer und Internet-Nutzer eben nicht nur Konsumenten auf einem Markt sind, auf dem die Nachfrage das Angebot bestimmt, sondern Bürgerinnen und Bürger, die einen Anspruch haben auf das, was Qualitätsmedien zu leisten imstande sind.

An diesen Überzeugungen hat sich im Übergang vom analogen ins digitale Zeitalter nichts geändert. Geändert haben sich aber im digitalen Zeitalter die Bedingungen der Durchsetzbarkeit entsprechender Regeln. Das ist zweifellos eine große Herausforderung aber kein Grund zu kapitulieren.

Dieses Themenjahr sollten wir jedenfalls auch nutzen, um über die Auswirkungen des digitalen Wandels, über die gewaltigen gesellschaftlichen Veränderungen, über die Werte, die in der digitalen Welt gelten sollen, eine breite gesellschaftliche Debatte zu führen.

Doch mehr denn je leben wir - damals wie heute - auch in und von Bildern. Aber Achtung: Bilder bilden nie nur Wirklichkeit ab. Bilder können Dinge auf schöpferische Weise hervorbringen und Ungeahntes sichtbar machen. Sie können uns hineinführen in ein ganz neues Fragen nach dem Warum, nach dem Sinn, nach dem letzten, inneren Zusammenhang unseres so verletzlichen und endlichen Daseins. Deshalb brauchen wir eine Anleitung, diese Bilder zu verstehen. Willem de Kooning in New York wurde nicht verstanden.

Ein anderes positives Beispiel: Der Künstler Florian Slotawa zum Beispiel arbeitet sehr konkret und dezidiert religiös. In der großen Ausstellung "Warum!" zum Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003 hatte er eine Verkündigungsszene geschaffen. Er hatte seinen eigenen privaten Hausrat, Möbel in einer Installation aufgeschichtet. Nach oben gerichtet sah man den Kühlschrank mit einer geöffneten Tür ein Licht. Er hat damit die Verkündigung, die Auferstehung, den Heiligen Geist gemeint.

Und wenn man sich auf seine Sprache einmal eingelassen hatte, war es auch auf den ersten Blick zu erkennen, es war fast selbstverständlich eine Verkündigungsszene in heutigem Gewand.

Wir brauchen diese Bilder. Doch Bilder verlangen heute mehr denn je Bildung, die Fähigkeit zum rechten Umgang mit ihnen, die kritische Kraft der Unterscheidung. Aber wenn eine Kultur sich von ihren Wurzeln entfernt, was geschieht dann? Sollte die Lektüre der Bibel nicht auch für die obligatorisch werden, die nie mehr eine Kirche von innen sehen werden? " fragt vor diesem Hintergrund der bekannte Schriftsteller Cees Noteboom. Müssen wir akzeptieren, dass es ein immer kleiner werdender Kreis ist, der überhaupt noch eine Ahnung davon hat, was in der Bibel geschrieben steht und einst den Kern unserer abendländischen Tradition und Kultur ausgemacht hat? Denn die europäische Kunst ist ohne die Bibel nicht zu verstehen. Auch darüber lohnt es sich zu diskutieren.

Meine Damen und Herren,

erlauben Sie einer Staatsministerin für Kultur und Medien, die gleichzeitig auch Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken ist, zum Schluss einen Wunsch auszusprechen.

Im Jahr 2017 wird die Reformation 500 Jahre alt. Das Land, in dem Katholiken wie Protestanten jeweils ein Drittel der Bevölkerung stellen, ist selbst ein Ergebnis der Umwälzung, die Luther angestoßen hat. Selbstverständlich ist das auch für uns Katholiken ein wichtiger Anlass zur Reflexion, und auch für uns katholische Christen ist der heutige 31. Oktober ein wichtiger Tag geworden, seit am Reformationstag 1999 in Augsburg ein zentrales Dokument der Ökumenischen Bewegung unterzeichnet wurde: die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre.

Herr Schneider, Frau Käßmann,

bei unserer letzten Begegnung haben Sie mir das Bemühen der EKD, im Zuge des Reformationsjubiläums auf die Katholische Kirche zuzugehen, sie zum Mitfeiern einzuladen, eindrucksvoll dargelegt. Ich kann Sie nur bestärken, auf diesem Wege weiter voranzugehen. Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam die Reformationsdekade als eine Chance zur Vertiefung des Dialogs zwischen den Kirchen nutzen und die ökumenische Annäherung suchen.

Wir müssen über die historischen Gründe der Spaltung nachdenken, aber auch die großen heutigen Gemeinsamkeiten der Kirchen herausarbeiten gerade der gemeinsame kulturelle Reichtum der verschiedenen Konfessionen sollte uns ermutigendes Beispiel sein. Mit Respekt vor der je anderen Überzeugung gilt es, weder die Kontroversen zu verharmlosen, noch sie als unüberwindlich zu definieren und deshalb zu resignieren. Auch in diesem Sinne ist es eine wichtige Aufgabe der Lutherdekade, das kulturelle Gedächtnis zu stärken und unserem ( kulturellen ) Bewusstsein das nötige Maß an historischer Tiefenschärfe zu verleihen.

In diesem Sinne freue ich mich auf das vor uns liegende Themenjahr.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.