Redner(in): Monika Grütters
Datum: 06. November 2014

Untertitel: "Die Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft bereiten hier nicht nur den Boden für Innovationen, sondern helfen uns mit ihrem Mut zum Experimentieren auch dabei herauszufinden, wie wir in Zukunft leben wollen. Dazu braucht es Freiraum und Unabhängigkeit, die zu sichern Aufgabe der Politik - insbesondere der Kulturpolitik - ist." sagte Monika Grütters in ihrer Rede.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/11/2014-11-06-gruetters-jahreskonferenz-kultur-und-kreativwirtschaft.html


Die Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft bereiten hier nicht nur den Boden für Innovationen, sondern helfen uns mit ihrem Mut zum Experimentieren auch dabei herauszufinden, wie wir in Zukunft leben wollen. Dazu braucht es Freiraum und Unabhängigkeit, die zu sichern Aufgabe der Politik - insbesondere der Kulturpolitik - ist." sagte Monika Grütters in ihrer Rede.

Anrede,

So kurz vor der Mittagspause wollte ich die undankbare Aufgabe, mit Zahlen und Fakten zur Kultur- und Kreativwirtschaft den rhetorischen Kampf gegen Ihren sinkenden Blutzuckerspiegel aufzunehmen, eigentlich meinem Kollegen, Bundesminister Gabriel, überlassen, der aber leider kurzfristig verhindert ist. Ich übernehme gerne einen Teil seiner Redezeit, möchte uns damit zunächst aber lieber einen Blick über den kultur- und kreativwirtschaftlichen Tellerrand hinaus in die Welt der Wissenschaft gönnen - auf eine Meldung, die es kürzlich in zahlreiche Zeitungen geschafft hat.

Wie so oft, wenn kuriose Hypothesen die Runde machen, haben amerikanische Wissenschaftler etwas herausgefunden, was sich medial wunderbar ausschlachten lässt. In diesem Fall waren es Anthropologen, die 1.400 Homo sapiens-Schädel untersucht haben - was vermutlich außerhalb der wissenschaftlichen Fachkreise niemanden interessiert hätte, wenn man aus den festgestellten Schädelveränderungen, unter anderem die so genannten Brauenwülste betreffend, nicht auf ein Absinken des Testosteronspiegels im Blut geschlossen hätte: ein plötzlicher Testosteronschwund zu einer Zeit, in der unsere Vorfahren nachweislich Anfänge von Kunst und Kultur entwickelt haben, ja man kann sagen: in der sich ein zivilisatorischer Quantensprung ereignet hat. Daraus wurde, Sie können es sich denken, in vielen Zeitungsmeldungen flott die Gleichung aufgemacht "weniger Testosteron = mehr Kooperation und Sozialverträglichkeit = mehr Kultur und Zivilisation", das ganze unter Überschriften wie "Mehr Weiblichkeit brachte Menschen voran" oder auch "Feminin bringt Fortschritt". Eine Menge Wasser also auf den Mühlen all derjenigen, die schon immer der Meinung waren, dass die Welt im allgemeinen und die Wirtschaftswelt im besonderen weiblicher werden sollte, was zweifellos aus vielen Gründen wünschenswert ist, mir als Schlussfolgerung aus Schädelveränderungen beim Homo Sapiens dann aber doch etwas gewagt erscheint.

Immerhin ist es den Wissenschaftlern der University of Utah auf diese Weise aber gelungen zu illustrieren, welche Dynamik sich weit über ein Fachgebiet hinaus im öffentlichen Raum entfalten kann, wenn Puzzleteile unseres Wissens anders zusammengesetzt werden."Neue Verbindungen schaffen", wie es in Ihrem Konferenzmotto heißt, Zusammenhänge herstellen, wo es bisher keine gab - das ist ein Teil der Kraft, die wir Kreativität nennen, und die wir überall in unserer Gesellschaft brauchen, allein schon deshalb, weil sich - wie Albert Einstein, einer der größten Verteidiger der Phantasie unter den Naturwissenschaftlern - einmal zutreffend bemerkt hat - Probleme niemals mit derselben Denkweise lösen lassen, durch die sie entstanden sind.

Die Kultur- und Kreativwirtschaft mit ihren über eine Million Beschäftigten und ihrem Umsatz von 145 Milliarden Euro im Jahr 2013, die sich mit einer Bruttowertschöpfung von 65,3 Milliarden Euro durchaus mit der Automobilindustrie messen lassen kann, ist insofern weit mehr als eine Branche neben anderen Branchen. Sie liefert nicht nur bestimmte Handelsgüter oder Dienstleistungen. Sie liefert den immateriellen Rohstoff für Innovationen in allen gesellschaftlichen Bereichen, indem sie uns in die Lage versetzt, neue Verbindungen zu schaffen, die Welt anders zu sehen, Probleme zu lösen. Um es bildlich auszudrücken: Die Künstler und Kreativen tragen die Fackel, an der viele andere das Feuer eigener schöpferischer Kraft entzünden.

Dass Ideen ein wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste Wirtschaftsgut in einer rohstoffarmen Gesellschaft sind, dass Künstler und Kreative zum wirtschaftlichen Wachstum beitragen, dass ihre Arbeit den Boden bereitet für die Innovationsfähigkeit unserer Unternehmen, für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und dass blühende Kulturlandschaften Deutschland in vielerlei Hinsicht attraktiver machen, dass Kultur also ein wichtiger Standortfaktor ist - all das gehört längst zu den ökonomischen und politischen Binsenweisheiten. Deshalb unterstützt die Bundesregierung im Rahmen der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft Unternehmerinnen und Unternehmer dabei, mit ihren Ideen auch ökonomisch erfolgreich zu sein. Es freut mich sehr, dass die Initiative sich über die Jahre zu einer erfolgreichen Kooperation zwischen meinem Haus und dem Bundeswirtschaftsministerium entwickelt hat! Das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft mit seinem Beratungsangebot in rund 90 Städten deutschlandweit ist eines der zentralen Projekte der Initiative, das gut angenommen wird - auch dank kompetenter und engagierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von denen viele heute auch hier sind. Herzlich willkommen!

Künstler und Kreative schaffen Werte aber auch und gerade jenseits der Maßstäbe ökonomischer Verwertbarkeit, meine Damen und Herren. Als gesellschaftliche Avantgarde sind sie Vordenker und Pioniere, die mit ihrem Mut, abseits des Mainstreams Neues zu entdecken, und Ihrer Fähigkeit, Wege für andere zu bahnen, unsere Gesellschaft voranbringen. Ihren "avantgardistischen Spürsinn für Relevanzen" - diese griffige Formulierung stammt von Jürgen Habermas - brauchen wir umso mehr angesichts des digitalen Wandels unserer Gesellschaft, der unsere Wirtschaft, unseren Arbeitsalltag und unsere Art zu kommunizieren in noch nie dagewesenem Tempo verändert. Die Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft bereiten hier nicht nur den Boden für Innovationen, sondern helfen uns mit ihrem Mut zum Experimentieren auch dabei herauszufinden, wie wir in Zukunft leben wollen. Dazu braucht es Freiraum und Unabhängigkeit, die zu sichern Aufgabe der Politik - insbesondere der Kulturpolitik - ist.

Es gibt viele Fronten, an denen die Freiheit von Künstlern und Kreativen verteidigt werden muss; ich will beispielhaft einige nennen.

Zunächst einmal geht es aus naheliegenden Gründen darum, dass man von kreativer Arbeit leben kann. Ein wichtiges Instrument, um das sicherzustellen, ist die Künstlersozialversicherung. Wer künstlerische Leistungen in Anspruch nimmt, der muss auch dafür Sorge tragen, dass Künstler von ihrer Arbeit nicht nur knapp überleben können, sondern angemessen bezahlt und sozial abgesichert werden. Ich bin froh, dass wir es in dieser Legislaturperiode in sehr kurzer Zeit hinbekommen haben, ein Gesetz zu verabschieden, das die KSK durch bessere Prüfpflichten der Deutschen Rentenversicherung stabilisiert. Der Künstlersozialabgabesatz bleibt auch im kommenden Jahr 2015 bei 5,2 Prozent stabil - ein wichtiges kulturpolitisches Signal. Die Bundesregierung hat damit Wort gehalten.

Zur Sicherung der künstlerischen Freiheit gehört auch ein modernes, an das digitale Zeitalter angepasstes Urheberrecht, das dem Urheber einen fairen und gerechten Anteil an der Wertschöpfung aus seiner kreativen Leistung sichert - und damit die Existenzgrundlage. Der Schutz geistigen Eigentums ist ganz entscheidend für die Entwicklung der Kreativwirtschaft. Wir brauchen ausgewogene Lösungen, die den Belangen aller Interessenvertreter - Nutzern wie Urhebern und Verwertern - gerecht werden. Hier ist in der vergangenen Legislaturperiode zu wenig passiert. Zentral - weil bis April 2016 fristgebunden - ist jetzt zunächst einmal die Umsetzung der EU-Wahrnehmungsrichtlinie. Das ist eine große Chance für die Kreativen. Je leichter sich Rechte grenzüberschreitend klären und Lizenzen einräumen lassen, desto größer ist der Vorteil nicht nur für die Nutzer, sondern auch auf Seiten der Urheber.

Eine weitere Front, an der wir die Vielfalt und die Freiheit der Kultur verteidigen müssen, sehe ich in den Verhandlungen über das geplante Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich befürworte dieses Abkommen grundsätzlich. Dass es Chancen für deutsche Unternehmen bietet, dass es gleichzeitig gerade in diesen Zeiten außenpolitisch wichtig ist, liegt auf der Hand. Es geht also nicht um das "Ob", wohl aber um das "Wie". Wir brauchen klare Garantien und rote Linien. Für mich ist entscheidend, dass - erstens - für die EU und Deutschland keine weiteren Liberalisierungsverpflichtungen in das Abkommen aufgenommen werden, als ohnehin in WTO / GATS bereits gelten. Zweitens halte ich für eine umfassende Absicherung zusätzlich die Aufnahme einer Generalklausel für wichtig. Dadurch sollen Maßnahmen zum Schutz der kulturellen Vielfalt und der Meinungsvielfalt in allen Bereichen ( auch Telekommunikation oder Urheberrecht ) und durchgängig bei allen Kapiteln ( auch Investitionsschutz oder regulatorische Zusammenarbeit ) ausdrücklich für rechtmäßig erklärt werden.

Nicht zuletzt ist Freiheit aber auch eine Frage des Geldes: Kreativität und Experimente muss man sich leisten können, und das ist vor allem in der Gründungsphase nicht so einfach. Viele von Ihnen, meine Damen und Herren, sind als Kleinunternehmerinnen und Kleinunternehmer Überzeugungstäter, die aus persönlicher Leidenschaft heraus ihr Ding machen und damit zum Teil auch ein hohes ökonomisches Risiko eingehen manchmal bis an die Grenze zur Selbstausbeutung. Ohne solche "Überzeugungstäter", wie Sie es sind, würde unserem Land die Kraft zur Veränderung fehlen. Deshalb loben wir für verschiedene Branchen jedes Jahr Preise und Preisgelder aus, die über die finanzielle Unterstützung und die regionale Wirkung hinaus auch bundesweit Aufmerksamkeit für eine Branche erzeugen. Dazu gehören die Spielstättenprogrammpreise für Musikclubs und die Kinoprogramm- und Verleiherpreise für kleine Kinos.

Für 2015 habe ich außerdem eine Million Euro bereitgestellt, um erstmals einen Preis für unabhängige, inhabergeführte Buchhandlungen zu vergeben. Diese Preise sensibilisieren Kunden und wirken wie ein Dünger für eine vielfältige Kulturlandschaft, und genau darum geht es: um einen fruchtbaren Boden, in dem nicht nur der Mainstream gedeiht.

Eine weitere Möglichkeit für Unternehmerinnen und Unternehmen im Kunst- , Kultur- , Film- und Medienbereich, an Fördergelder zu kommen, ist das neue EU-Programm "Kreatives Europa". Für den Zeitraum 2014 bis 2020 stehen hier fast 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung - zum Beispiel zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Künstlern und Kreativen, zur Fortbildung, zur Entwicklung digitaler Plattformen oder auch für Festivals und Events. In Deutschland gibt es, koordiniert von meinem Haus, fünf Beratungsbüros,"Creative Europe Desks" genannt. Hier, meine Damen und Herren, bekommen Sie Hilfe und Beratung, wenn Sie europäische Fördermittel beantragen wollen, und ich kann nur sagen: Ran an die Fördertöpfe!

In diesem Zusammenhang will ich Sie gleich auch noch auf ein ganz neues Förderinstrument im Rahmen des Programms "Kreatives Europa" hinweisen, nämlich auf den geplanten Bürgerschaftsfonds. Ab 2016 bis 2020 stehen 121 Millionen Euro zur Verfügung, um kreditgebenden Banken einen Teil des Risikos durch Bürgschaften abzunehmen. Auf diese Weise sollen vor allem kleine und mittlere Unternehmen der Kreativwirtschaft leichter an Darlehen kommen. Etwa 10 % der Mittel sind für Weiterbildungsmaßnahmen vorgesehen: Die Erfahrung zeigt nämlich, dass Banken das Risiko kreativwirtschaftlicher Projekte oft zu hoch einschätzen und Kredite schlicht und einfach deshalb verweigern, weil sie die Besonderheiten der Branche nicht kennen. Daran sollen Ihre Projekte künftig nicht mehr scheitern, meine Damen und Herren!

Mit diesen Beispielen für staatliche Unterstützung, die Ihrer Kreativität mehr Freiraum gewährt, möchte ich es mit Blick auf die Uhr bewenden lassen - zumal einem mit leerem Magen kurz vor der Mittagspause der Suppentopf ja dann doch näher steht als alle Fördertöpfe.

Ich wünsche Ihnen eine weiterhin erfolgreiche Konferenz mit inspirierenden Gesprächen und interessanten Gesprächspartnern - ganz nach dem Motto "Neue Verbindungen schaffen" - und für die Rückkehr in den Arbeitsalltag die kreativitätsfördernde Einstellung, die Joseph Beuys einmal so auf den Punkt gebracht hat: "Arbeite nur, wenn Du das Gefühl hast, es löst eine Revolution aus." Diese auf den ersten Blick etwas ungesund anmutende Haltung kann man, wie ich finde, durchaus als pointierte Beschreibung des kultur- und kreativwirtschaftlichen Unternehmertums beschreiben. Es muss ja nicht immer gleich die Weltrevolution sein. Die kleinen Revolutionen im Alltag, im Denken und im Bewusstsein sind es, die jeder gesellschaftlichen Veränderung vorausgehen, und in diesem Sinne tragen Kunst und Kultur immer den Keim des - im besten Sinne - Revolutionären in sich. Dass aus diesen Keimen etwas wachsen darf, dass es einen fruchtbaren Boden dafür gibt und ein wachstumsförderndes Klima - das macht eine vitale Gesellschaft aus. Dafür einzutreten, ist aller Anstrengung wert, und ich versichere Ihnen, dass Sie dabei immer auf meine Unterstützung zählen können!