Redner(in): Monika Grütters
Datum: 24. November 2014

Untertitel: "Mit der Vereinbarung stellt sich Deutschland seiner historischen Verantwortung. Wir werden alles in unserer Möglichkeit stehende tun, um NS-Raubkunst zeitnah an die Nachkommen der Opfer des NS-Regimes zurück zu geben. Diese Werke bleiben bis zum Abschluss der Arbeiten in Deutschland.", kündigte Grütters an.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/11/2014-11-24-gruetters-gurlitt-bern.html


Mit der Vereinbarung stellt sich Deutschland seiner historischen Verantwortung. Wir werden alles in unserer Möglichkeit stehende tun, um NS-Raubkunst zeitnah an die Nachkommen der Opfer des NS-Regimes zurück zu geben. Diese Werke bleiben bis zum Abschluss der Arbeiten in Deutschland.", kündigte Grütters an.

Anrede,

dieser Pressetermin findet aus gutem Grund in Berlin statt, denn viele Aufgaben bleiben hier. Bern hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Am 27. Juni fand ein erstes Treffen der Beteiligten im Bundeskanzleramt statt, das den Schweizern erleichtert, eventuell sogar erst ermöglicht hat, dieses schwierige Erbe anzutreten.

Ich begrüße Sie herzlich zur Unterzeichnung der Vereinbarung zum Umgang mit dem Nachlass von Cornelius Gurlitt. Als Mit-Unterzeichner darf ich willkommen heißen Herrn Winfried Bausback, Bayerischer Staatsminister der Justiz und Herrn Christoph Schäublin, Präsident der Stiftung Kunstmuseum Bern. Außerdem begrüße ich Herrn Bernhard Pulver, Regierungsrat und Erziehungsdirektor des Kantons Bern.

Wir haben gemeinsam intensiv nach einem guten Weg gesucht, um angemessen und verantwortungsvoll mit dem Nachlass von Cornelius Gurlitt umzugehen. Mit der Vereinbarung, die wir heute - etwa ein Jahr nach dem Schwabinger Kunstfund - abschließen, haben wir unser Ziel erreicht.

Ich bin sehr froh, dass die Gespräche zur Vorbereitung unserer Vereinbarung von einem hohen Maß an Verantwortungsbewusstsein getragen waren, und ich danke allen Beteiligten für die lösungsorientierten Verhandlungen, die diesen guten Abschluss ermöglicht haben.

Wir haben es alle gemeinsam mit einer kulturgeschichtlichen und kunsthistorisch außerordentlichen Situation zu tun, die wir in Deutschland mit Verantwortungsbewusstsein und größtmöglicher Transparenz zu meistern versuchen.

Anspruchsvoll waren diese Verhandlungen auch und vor allem deshalb, weil die rückhaltlose Aufarbeitung nationalsozialistischen Kunstraubs eine Bedeutung hat, die weit über die rechtliche Dimension hinaus reicht. Hinter einem entzogenen, geraubten Kunstwerk steht immer auch das individuelle Schicksal eines Menschen. Diesen menschlichen Schicksalen wollten wir in der Ausgestaltung der Vereinbarung nicht nur rechtlich, sondern auch moralisch gerecht werden - im Einklang mit den in der Washingtoner Erklärung von 1998 niedergelegten Grundsätzen, die durch die "Gemeinsame Erklärung" von Bund, Ländern und Kommunen aus dem Jahr 1999 für Deutschland umgesetzt worden sind. Es geht uns um die Anerkennung der Opferbiografien.

Mit der Vereinbarung, die wir heute unterzeichnen, stellt sich Deutschland seiner historischen Verantwortung für das Leid und das Unrecht, dem Verfolgte des NS-Regimes und insbesondere Menschen jüdischen Glaubens unter der nationalsozialistischen Terrorherrschaft ausgesetzt waren.

Das bedeutet, erstens, dass wir alles in unserer Möglichkeit stehende tun, um NS-Raubkunst zeitnah an die Nachkommen der Opfer des NS-Regimes zurück zu geben. Die vom Bund und von Bayern getragene Taskforce Schwabinger Kunstfund wird die Provenienzforschung für alle Werke fortführen, bei denen ein NS-Raubkunst-Verdacht nicht ausgeschlossen werden kann. Diese Werke bleiben bis zum Abschluss der Arbeiten in Deutschland und werden zunächst in Bayern verwahrt.

Zusätzlich wird die Taskforce die Provenienzforschung für die Werke übernehmen, die sich außerhalb der Bundesrepublik im Haus von Cornelius Gurlitt in Salzburg befanden und bei denen ein Verdacht auf NS-Raubkunst nicht ausgeschlossen werden kann. Alle im Nachlass enthaltenen Werke, die sich als NS-Raubkunst erweisen oder mit hoher Wahrscheinlichkeit als solche einzustufen sind, werden ohne Wenn und Aber an die Berechtigten zurück gegeben. Die Provenienzrecherche, die Restitution und selbstverständlich auch deren Kosten übernimmt der Bund.

Was die Restitution der von der Taskforce bereits als NS-Raubkunst identifizierten Werke betrifft, kann ich Folgendes mitteilen: Neben den bereits bekannten Ergebnissen der Taskforce zu den Werken von Max Liebermann ( "Reiter am Strand" ) und Henri Matisse ( "Sitzende Frau" ) liegt nun ein dritter Fall eines NS-verfolgungsbedingten Entzugs vor. Es handelt sich um die Zeichnung "Das Klavierspiel" von Carl Spitzweg, die dem Leipziger Musikverleger Henri Hinrichsen entzogen wurde. Wir sind in diesen drei Fällen ab sofort zur Restitution bereit. Die Ergebnisse der Taskforce werden noch heute bei www.lostart.de veröffentlicht. Das Gespräch mit den Vertretern der Anspruchsteller haben wir bereits aufgenommen. Leider konnten die erforderlichen Erb- und Vertretungsnachweise aber nicht rechtzeitig beigebracht werden. Das wird jetzt aber endlich schneller gehen als bisher.

Unserer historischen Verantwortung stellen wir uns, zweitens, durch die Vereinbarung größtmöglicher Transparenz. Werke, die nach dem Ergebnis der Taskforce erwiesenermaßen oder mit hoher Wahrscheinlichkeit NS-Raubkunst sind, für die wir aber den oder die Anspruchsberechtigten noch nicht kennen, werden nicht nur zusammen mit dem Provenienzbericht der Taskforce in der Lost Art-Datenbank publiziert. Sie sollen mit Erläuterungen zu ihrer Herkunft auch in Ausstellungen präsentiert werden, so dass Berechtigte jederzeit die Möglichkeit haben, ihre Ansprüche geltend zu machen. Wenn sich keine Berechtigten finden, soll die Ausstellung der Werke an die ursprünglichen Eigentümer und ihre Biographien erinnern und über das Unrecht informieren, das sie erleiden mussten.

Transparenz haben wir auch für die Geschäftsbücher von Cornelius Gurlitt vereinbart. Sie werden künftig über die Lost Art-Website - unter Beachtung der Persönlichkeitsrechte Dritter - öffentlich zugänglich sein, und zwar schon ab heute Nachmittag auf www.lostart.de.

Einen dritten und letzten Punkt möchte ich noch hervorheben: Wie Sie wissen, gibt es im Nachlass von Cornelius Gurlitt auch einen Bestand von Werken, die von den Nationalsozialisten als "entartet" verunglimpft und aus öffentlichen Sammlungen und Museen entfernt wurden. Mir und uns allen war sehr daran gelegen, zu einer Lösung zu kommen, die den Interessen aller Beteiligten gerecht wird - insbesondere auch denen der öffentlichen Sammlungen und Museen, aus denen die Werke damals herausgerissen wurden. Deshalb freue ich mich sehr, dass das Kunstmuseum Bern sich bereit erklärt hat, Leihanfragen von deutschen, österreichischen und polnischen Museen, die bis zur NS-Aktion "Entartete Kunst" Besitzer der angefragten Werke waren, prioritär zu behandeln und diesen zu entsprechen, sofern es konservatorisch verantwortbar ist.

Alles in allem, meine Damen und Herren, bin ich überzeugt, dass wir mit unserer Vereinbarung eine gute Lösung für den Umgang mit dem schwierigen Erbe Cornelius Gurlitts gefunden haben, mit der wir unserer Verpflichtung zur Aufarbeitung des nationalsozialistischen Kunstraubs in Deutschland gerecht werden.

Darüber hinaus wird die Gründung des "Deutschen Zentrums Kulturgutverluste", die ich im Oktober gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Länder und Vertretern der kommunalen Spitzenverbände beschlossen habe, ebenso zur Aufarbeitung beitragen wie die Verdreifachung der Haushaltsmittel für die dezentrale Suche nach NS-Raubkunst.

Unser Land - Staat und Verwaltungen genauso wie Organisationen, Einrichtungen und Privatpersonen - darf keinen Zweifel daran lassen, dass wir uns um rückhaltlose Aufarbeitung nationalsozialistischen Kunstraubs bemühen.

Die vorliegende Vereinbarung ist insofern ein Meilenstein - aber für Deutschland eben nur ein Meilenstein unter anderen, auf einem Weg, auf dem wir weiter vorankommen wollen!

Vor allem unter historischen Gesichtspunkten ist ein Museum in der Schweiz ein guter Ort, das Kunstmuseum Bern ein guter Partner. Für viele Künstler war die Schweiz, waren Schweizer Museen in der Nazi-Zeit ein Zufluchtsort. Auch in dieser Hinsicht ist hier heute eine gute Partnerschaft zur Bewältigung unserer ( nicht nur Kunst- ) Geschichte entstanden.