Redner(in): Monika Grütters
Datum: 01. Dezember 2014

Untertitel: Am 1. Dezember 1984 ging der Gemeinschaftssender 3sat auf Sendung. Wie kaum ein anderer Sender habe 3sat mit der Konzentration auf Kultur- und Wissenschaftsberichterstattung zum Erfolgsprinzip gemacht, was anderswo als Quotenkiller und Kassengift gelte, erklärte Kulturstaatsministerin Grütters bei der Jubiläumsfeier.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/12/2014-12-01-rede-gruetters-3sat.html


Am 1. Dezember 1984 ging der Gemeinschaftssender 3sat auf Sendung. Wie kaum ein anderer Sender habe 3sat mit der Konzentration auf Kultur- und Wissenschaftsberichterstattung zum Erfolgsprinzip gemacht, was anderswo als Quotenkiller und Kassengift gelte, erklärte Kulturstaatsministerin Grütters bei der Jubiläumsfeier.

Anrede,

Den Jubilar im besten Licht erscheinen zu lassen, gehört bei Geburtstagsfeiern zu den Harmonie stiftenden, der Festtagslaune zweifellos zuträglichen Ritualen, und das fällt ja nun heute zum Glück nicht schwer: Wer kann schon von sich behaupten, seit drei Jahrzehnten im Ruf eines leuchtenden Vorbilds zu stehen?

Der Kulturkanal 3sat darf eben dies für sich in Anspruch nehmen. Wo auch immer Klagen laut werden über die zunehmende Verflachung der Fernsehprogramme, über fehlende Originalität und Tiefenschärfe, über Formate, die ausschließlich Sensationslust und Voyeurismus bedienen - 3sat gilt als rühmliche Ausnahme, als mediales Mekka für Fernseh-Feinschmecker, die die Übertragung eines Opern- und Konzertmitschnitts zur Primetime zu schätzen wissen und sich - mit Freude am Schöngeistigen und am Querdenkerischen - ihre tägliche "Kulturzeit" gönnen.

Wie kaum ein anderer Sender hat 3sat mit der Konzentration auf Kultur- und Wissenschaftsberichterstattung zum Erfolgsprinzip gemacht, was anderswo als Quotenkiller und Kassengift gilt: den Verzicht auf Anbiederung an den Massengeschmack, der Vorrang des Informationswerts vor dem Unterhaltungswert, den Mut zum Perspektivenwechsel und nicht zuletzt die Beschäftigung mit Themen abseits des Mainstreams.

Fairerweise darf man natürlich nicht unterschlagen, dass diese Freiheit ihren Preis hat: Über das Loriotsche Bonmot, wonach ein perfekter Werbeblock im Fernsehen seine Wirkung verfehlt, wenn er alle paar Minuten von einem unverständlichen Spielfilmteil unterbrochen wird, kann man bei 3sat auch und vor allem dank der Beitragsfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks herzlich lachen. Gleichwohl sind die Erfolge des Gemeinschaftssenders von ARD, ZDF, ORF und DRS hart erarbeitet: 3sat hat heute - trotz einer mit der Digitalisierung einhergehenden Vervielfachung des medialen Angebots - den höchsten Marktanteil seit seinem Bestehen und zeigt damit, dass Qualität im Fernsehen allen Unkenrufen zum Trotz eine Zukunft hat. Das, meine Damen und Herren, ist vor allem das Verdienst von Menschen, die sich aus Überzeugung und persönlicher Leidenschaft dem Kultur- und Wissenschaftsjournalismus widmen. Ihnen allen danke ich herzlich!

Nicht weniger wichtig als die Haltung und das Engagement derjenigen, die uns seit 30 Jahren audiovisuelles Feuilleton vom Feinsten bieten, ist der politische Konsens, dass sich die Mühe nicht nur für das zugegebenermaßen überschaubare 3sat-Publikum lohnt, sondern dass das Angebot für alle zur medialen Grundversorgung einer demokratischen Gesellschaft gehört.

Vieles, was im deutschen Fernsehen tagaus tagein läuft, illustriert auf teils skurrile, teils bedrückende Weise, was der französische Soziologe Pierre Bourdieu Mitte der 90er Jahre in seinen berühmten Vorlesungen "Über das Fernsehen" nicht nur den Medienmachern und Medienpolitikern ins Stammbuch schrieb, als er gegen die gefährliche Dominanz der kommerziellen Logik zu Felde zog. Ich zitiere: "Das unter der Herrschaft der Einschaltquote stehende Fernsehen trägt dazu bei, den als frei und aufgeklärt unterstellten Konsumenten Marktzwängen auszusetzen, die ( … ) mit dem demokratischen Ausdruck einer aufgeklärten, vernünftigen öffentlichen Meinung, einer öffentlichen Vernunft, nichts zu tun haben." Man müsse deshalb im Namen der Demokratie gegen die Einschaltquote kämpfen.

Die von Bourdieu damals als Teil des Problems diagnostizierte Monopolstellung des Fernsehens, was die Versorgung breiter Bevölkerungsschichten mit Informationen betrifft, gibt es zwar so heute nicht mehr, aber das Fernsehen wird auch in Zukunft ein wichtiges Medium bleiben, und das ist auch gut so. Und deshalb müssen wir Rahmenbedingungen schaffen, unter denen sich anspruchsvolle Inhalte und journalistische Qualität, wie wir sie von 3sat gewohnt sind, auch in Zukunft behaupten können.

Unser Grundgesetz garantiert das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit, die Pressefreiheit und Rundfunkfreiheit, um die Grundversorgung der Bevölkerung mit Informationen sicher zu stellen, die für eine funktionierende Demokratie notwendig sind. Dahinter steht die auch aus unseren Erfahrungen mit der Diktatur des Nationalsozialismus gewonnene Überzeugung, dass eine freie Presse, eine vielfältige Medienlandschaft, eine kritische, informierte Öffentlichkeit und ein lebendiger Diskurs die stärksten Garanten sind für Demokratie und gegen staatliche Willkür die Überzeugung, dass Leser, Hörer, Zuschauer und Internet-Nutzer eben nicht nur Konsumenten auf einem Markt sind, auf dem die Nachfrage das Angebot bestimmt, sondern Bürgerinnen und Bürger, die einen Anspruch haben auf das, was Qualitätsmedien zu leisten imstande sind. Deshalb brauchen wir auch in Zukunft einen starken, gebührenfinanzierten und politisch wie wirtschaftlich unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Darüber hinaus arbeiten wir auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene intensiv daran, faire Wettbewerbsbedingungen für das digitale Zeitalter zu etablieren: zum einen, um der zunehmenden, der Qualität und Vielfalt medialer Inhalte nicht zuträglichen Macht globaler Großkonzerne Grenzen zu setzen, zum anderen, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass auch die privaten Fernsehsender bzw. Medienunternehmen faire Wettbewerbschancen haben.

3sat hat den eigenen Qualitätsanspruch in all den Jahren hoch gehalten und mit klugen Beiträgen und originellen Formaten immer wieder Maßstäbe für das audiovisuelle Feuilleton gesetzt. Dafür danke ich Ihnen herzlich, lieber Herr Dr. Langenstein, der Sie die Geschicke des Senders seit vielen Jahren maßgeblich mit gestaltet haben. Mein herzlicher Dank gilt auch den Generaldirektoren und Intendanten der vier Sender und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die die hohen Qualitätsansprüche Tag für Tag durch ihre Arbeit einlösen.

Solche Ansprüche mögen manchmal wie ein Kampf gegen Windmühlen erscheinen - zum Beispiel, wenn man liest, dass am 20. Februar dieses Jahres, als die Krim-Krise gerade eskalierte, der meist geklickte Beitrag auf Spiegel Online die Fotostrecke "Grimassen beim Eiskunstlauf" war. Entsprechend groß ist die Versuchung, mediale Inhalte an den leicht kommerzialisierbaren Unterhaltungsinteressen der breiten Masse auszurichten.

Dieser Versuchung zu erliegen, hieße für die öffentlich-rechtlichen Anbieter allerdings, an dem Ast zu sägen, auf dem sie sitzen. Denn die Sonderbehandlung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in unserem dualen Rundfunksystem, das sich über viele Jahre bewährt hat, ist nur solange gerechtfertigt, wie die Sender das Qualitätsversprechen einlösen, das an das Privileg der Gebührenfinanzierung geknüpft ist. Deshalb verbinde ich meine herzlichen Glückwünsche zum 30-jährigen Bestehen des Kultur- und längst auch Kult-Senders 3sat mit dem Appell an die Programmverantwortlichen:

Treten Sie dem Diktat der Einschaltquote ebenso entschieden entgegen, wie Sie das auch von der Politik erwarten!