Redner(in): Monika Grütters
Datum: 04. Dezember 2014

Untertitel: "Die gemeinsame Welt verstehen, so wie sie dem anderen erscheint: das war und ist für mich immer eine starke Motivation, den Austausch zwischen und mit unterschiedlichen Religionen zu unterstützen" so die Kulturstaatsministerin in Ihrer Rede.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/12/2014-12-04-gruetters-ludwig-ehrlich.html


Die gemeinsame Welt verstehen, so wie sie dem anderen erscheint: das war und ist für mich immer eine starke Motivation, den Austausch zwischen und mit unterschiedlichen Religionen zu unterstützen " so die Kulturstaatsministerin in Ihrer Rede.

Anrede, Verstehen in der Politik heißt nie, den Anderen verstehen ( … ) , sondern die gemeinsame Welt so, wie sie dem Anderen erscheint." Diese Worte stammen von einer großen jüdischen Denkerin, die 1933 aus Deutschland in die USA emigrierte und die heute vor genau 39 Jahren, am 4. Dezember 1975, gestorben ist: von Hannah Arendt. Die gemeinsame Welt verstehen so wie sie dem Anderen erscheint: Das fällt oft gerade dort am schwersten, wo es am nötigsten ist - dort, wo Wahrheitsansprüche aufeinander treffen oder wo politisches Ringen um Kompromisse auf religiös begründete Prinzipien trifft.

Die gemeinsame Welt verstehen, so wie sie dem anderen erscheint: das war und ist für mich immer eine starke Motivation, den Austausch zwischen und mit unterschiedlichen Religionen zu unterstützen - nicht nur, weil es die politische Konsensfindung erleichtert, wenn man miteinander spricht und einander zuhört!

Die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Glaubensinhalten liegt mir vor allem deshalb am Herzen, weil ich als gläubige Katholikin der Überzeugung bin, dass Religion und Politik füreinander fruchtbar sein können. Der Interessenausgleich, für den wir in der Politik streiten, verlangt eine große Flexibilität im Denken und Handeln bei der Urteilsbildung aber hilft es, auf einem festen Wertefundament zu stehen. Insofern ist Religion, ist der Glaube keine rein private Angelegenheit. Mir hat es in meinem Leben oft geholfen, im Glauben verwurzelt zu sein - persönlich, aber auch politisch, weil ich im christlichen Menschenbild und in meiner religiösen Sozialisation inneren Halt und Orientierung finde. Deshalb glaube ich auch, nachvollziehen zu können, was ihr Glaube Menschen anderer Religionen bedeutet.

Weil der Glaube zwar keine reine, aber dennoch zuallererst eine Privatsache ist - und es in einer pluralistischen Gesellschaft mit religiöser und kultureller Vielfalt auch sein muss - , werden Orte der Begegnung mit und zwischen den Religionen umso wichtiger. Dabei sind wir gefordert, uns auf das Gemeinsame und auch auf das jeweils Besondere zu besinnen. Das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk, zu dessen beeindruckender Erfolgsgeschichte ich allen, die daran Anteil haben - vor allem Ihnen, lieber Rabbiner Homolka - herzlich gratuliere, leistet dazu einen wichtigen Beitrag. Sie, liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten, verkörpern - Frau Dr. Knobloch hat es zu Recht betont - unsere Hoffnung und Zuversicht auf ein traditionsbewusstes, selbstbewusstes und gleichzeitig vielfältiges und offenes Judentum in Deutschland!

Auch das Jüdische Museum Berlin, zu dessen großem Freundeskreis ich mich zählen darf und dessen Stiftungsratsvorsitzende ich nun als Kulturstaatsministerin bin, ist ein wunderbares Beispiel für einen Ort des Lernens und - ganz im Sinne Hannah Arendts - des Verstehens der Welt, wie sie dem Anderen erscheint. Deshalb freut es mich sehr, dass ich für eben dieses persönliche Anliegen gerade hier die Ernst-Ludwig-Ehrlich-Medaille entgegen nehmen darf. Sie bedeutet mir viel, weil sie mit meinem Engagement für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland etwas würdigt, was mir ein Herzensanliegen ist und das eben deshalb eigentlich gar keiner Auszeichnung bedarf. Vielen Dank für dieses Zeichen der Wertschätzung! Ich sehe darin auch einen Ansporn, mich weiterhin für die jüdische Gemeinschaft, für das jüdische Leben in Deutschland und für den interreligiösen Dialog einzusetzen.

Dazu gehört nicht zuletzt das Engagement für die Aufarbeitung der Folgen des nationalsozialistischen Terrorregimes. Ganz konkret betrifft das zum Beispiel den Umgang mit Kulturgütern, die im Nationalsozialismus geraubt wurden. Wir müssen uns der Provenienzrecherche, also der Frage nach der Herkunft unserer Kunstwerke, und einer möglichen Rückgabe ohne Wenn und Aber stellen. Erlittenes Leid können wir in den jüdischen Opferfamilien nicht wieder gut machen, aber wir können zeigen, dass wir unsere Verantwortung annehmen. Denn es geht in der Regel gar nicht in erster Linie um den materiellen Ausgleich - es geht vielmehr um die Anerkennung der Opferbiographien.

Für den Nachlass Cornelius Gurlitts haben wir - wie Sie sicherlich aus den Medien wissen - mit dem Erben, dem Kunstmuseum Bern, vor kurzem nach intensiven Verhandlungen eine Einigung erzielt, mit der wir, wie ich finde, unserer besonderen deutschen Verantwortung gerecht werden. Darüber hinaus habe ich die Mittel für die dezentrale Suche nach NS-Raubkunst im Vergleich zum Zeitpunkt meines Amtsantritts verdreifacht und gemeinsam mit den Ländern die Aktivitäten zur Suche nach NS-Raubkunst im Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gebündelt, das demnächst an den Start gehen wird.

Bei einem Besuch in Israel sagte mir meine Amtskollegin, Kulturministerin Limor Livnat, dass sie unsere Bemühungen, die Provenienzforschung voranzubringen, hoch anerkenne, ja sogar bewundere. Und sie bat mich spontan, zu prüfen, ob nicht deutsche Kunsthistoriker die Bestände israelischer Museen auf ihre Herkunft hin überprüfen könnten. Ich denke, einen größeren Vertrauensbeweis kann es kaum geben. Dafür bin ich sehr dankbar. Eine entsprechende Vereinbarung mit der israelischen Regierung haben wir mittlerweile unterzeichnet. Die erste Forschergruppe ist zur Zeit in Israel.

Darüber hinaus, meine Damen und Herren, können und müssen wir den Menschheitsverbrechen der Shoa die aus der Kraft einer lebendigen Erinnerungskultur genährte Entschlossenheit entgegen setzen, Antisemitismus und Judenhass zu bekämpfen, wo immer wir ihn erleben."Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt!", hieß es 1943 in einem Flugblatt der Münchner Widerstandsgruppe "Weiße Rose". Ein solcher Mantel der Gleichgültigkeit darf in unserem Land nie wieder entstehen! Die jüdische Gemeinschaft, ihre Identität und Kultur, sind Teil unserer Identität und Kultur, und ich versichere Ihnen deshalb, dass die Bundesregierung nicht nur gemeinsam mit Ihnen aufsteht gegen Judenhass, sondern dass wir auch alles in unserer Macht Stehende tun für ein weltoffenes Deutschland, das jedem Menschen, der hier lebt, eine sichere Heimat ist.

Ich danke Ihnen für das Vertrauen, das Sie mir - auch in diesem Sinne - mit der Verleihung der Ernst-Ludwig-Ehrlich-Medaille entgegen bringen. Ich nehme sie als Zeichen unserer Verbundenheit und Freundschaft!