Redner(in): Monika Grütters
Datum: 26. März 2015

Untertitel: "Es ist eine berührende Geste der Versöhnung und der Freundschaft zwischen Deutschland und Israel, dass wir die Ausstellung des Tel Aviv Museums of Art im Jahr 2015 in der deutschen Hauptstadt zeigen dürfen", betonte Staatsministerin Grütters in ihrer Rede.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/03/2015-03-26-gruetters-ausstellungseroeffnung-tel-aviv-museum-of-art.html


Es ist eine berührende Geste der Versöhnung und der Freundschaft zwischen Deutschland und Israel, dass wir die Ausstellung des Tel Aviv Museums of Art im Jahr 2015 in der deutschen Hauptstadt zeigen dürfen ", betonte Staatsministerin Grütters in ihrer Rede.

Anrede,

Es kommt selten vor, dass schon das bloße Stattfinden einer Ausstellung beeindruckend und berührend ist, ganz unabhängig von den ausgestellten Werken. Die Ausstellung "Jahrhundertzeichen. Tel Aviv Museum of Art visits Berlin" ist ein solches seltenes Ereignis. Ohne die künstlerische Strahlkraft ihrer spektakulären Exponate der klassischen Moderne und der zeitgenössischen israelischen Kunst in Abrede zu stellen, darf man wohl sagen: Sie ist zuallererst ein historisches "Jahrhundertzeichen". Denn die 72 Meisterwerke aus dem Tel Aviv Museum of Art sind nach dem Zweiten Weltkrieg zum ersten Mal wieder - wenn man ihre Geschichte sieht - oder zum ersten Mal überhaupt in Deutschland. Frau Landau hat sich von 72 Meisterwerken getrennt, die in der Dauerausstellung in Tel Aviv sind - das ist unglaublich. Die Kunstwerke sind in Berlin, in der Stadt, von der aus die Nationalsozialisten Tyrannei und Barbarei über Europa gebracht haben.

Das Tel Aviv Museum of Art, eine der bedeutendsten Kultureinrichtungen Israels, ist in gewisser Weise ( auch ) ein Kind dieser dunklen Zeit. Seine Geschichte ist in den Anfangsjahren eng mit Berlin, mit Deutschland verbunden - zum einen in der Person seines Gründungsdirektors Karl Schwarz, der kurz nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten aus Berlin nach Tel Aviv emigriert war und der Bitte des damaligen Bürgermeisters der Stadt, Meir Dizengoff, folgte, das von ihm gegründete Kunstmuseum aufzubauen.

Zum anderen führen über die Exponate viele Wege in die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands: Zahlreiche Sammler überließen dem Tel Aviv Museum Werke namhafter Künstler wie Marc Chagall, Max Liebermann oder Alexander Archipenko - ein Umstand, der vermutlich viele Werke vor der Zerstörung durch die Nationalsozialisten und vor dem Verlust im Zweiten Weltkrieg bewahrt hat. So entstand eine einzigartige Sammlung moderner Kunst, für die das Tel Aviv Museum zu Recht weltberühmt ist.

Es ist eine berührende Geste der Versöhnung und der Freundschaft zwischen Deutschland und Israel, dass wir die Ausstellung des Tel Aviv Museums of Art im Jahr 2015 in der deutschen Hauptstadt zeigen dürfen - 50 Jahre nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland am 12. Mai 1965 und 70 Jahre nach der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, das zum Synonym geworden ist für unvorstellbar grausame Verbrechen gegen die Menschlichkeit, denen Millionen Juden zum Opfer fielen.

Dass heute zahllose Brücken über diesen dunkelsten Abgrund der deutschen und der europäischen Geschichte führen, grenzt ja fast an ein Wunder. Nicht nur auf staatlicher und diplomatischer Ebene ist in den letzten fünf Jahrzehnten Vertrauen gewachsen und Nähe entstanden, sondern auch in der Zivilgesellschaft: in der Kultur- und Bildungsarbeit, in der Wissenschaft und in der Forschung und nicht zuletzt in persönlichen Freundschaften, die junge Deutsche in Israel und mittlerweile auch viele junge Israelis in Deutschland knüpfen. Für diese Brücken sind wir dankbar.

Wir sind dankbar, Israel zu unseren engen Partnern und Freunden zählen zu dürfen, im Bewusstsein, dass es niemals "normale" Beziehungen sein werden."An den Punkten, wo Juden und Deutsche sich berühren, wird immer die offene Wunde der Shoa klaffen", schrieb der israelische Schriftsteller David Grossmann kürzlich in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung. Diese Wunde, das wissen und das spüren wir, kann die "Zeit nicht heilen". Aber dank der vielen neuen Berührungspunkte, die um diese Wunde herum entstanden sind, fühlen wir uns nicht nur in Schuld und Schmerz aneinander gebunden, sondern einander auch in Freundschaft und Versöhnung verbunden.

Dazu trägt die Ausstellung von Meisterwerken aus der Sammlung des Tel Aviv Museums in Berlin bei. Als eine der zentralen kulturellen Veranstaltungen zu den Feierlichkeiten anlässlich des 50jährigen Bestehens diplomatischer Beziehungen steht sie für die enge und fruchtbare Kooperation zwischen der Bundesrepublik und Israel im Bereich der Kultur, die wir weiter vertiefen wollen.

So werden wir beispielsweise in diesem Jahr erstmals den neu geschaffenen Deutsch-Hebräischen Übersetzerpreis vergeben, den wir in Zusammenarbeit mit dem israelischen Kulturministerium entwickelt und ausgelobt haben. Damit wollen wir diejenigen fördern, die ganz entscheidend dazu beitragen, dass wir einander verstehen lernen und uns in die Lage des anderen hineinversetzen können. Übersetzer und Übersetzerinnen sind wahre Brückenbauer zwischen unseren Kulturen - insofern stärkt der Übersetzerpreis, der von nun an alle zwei Jahre vergeben werden soll, die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern.

Mit unseren israelischen Partnern werden wir vor allem auch bei der Provenienzforschung zu NS-Raubkunst- also bei der Untersuchung der Herkunft von Kunstwerken - enger zusammenarbeiten, um Kulturgüter, die im Nationalsozialismus geraubt wurden, zu identifizieren und für eine Rückgabe faire und gerechte Lösungen zu finden. Wenn wir das Leid jüdischer Opferfamilien auch nie wieder gut machen können, so können wir doch zeigen, dass wir uns unserer Verantwortung stellen.

Dabei geht es in der Regel gar nicht in erster Linie um den materiellen Ausgleich - es geht vielmehr um die Anerkennung des Leids, das jüdische Familien erfahren mussten. Gemeinsam mit meiner israelischen Amtskollegin habe ich letztes Jahr ein Memorandum unterzeichnet, das eine enge Kooperation im Bereich der Provenienzforschung zwischen unseren Ländern vorsieht. Eine Delegation meines Hauses hat im November erste Umsetzungsschritte vereinbaren können, darunter zum Beispiel den Austausch von Wissenschaftlern.

Darüber empfinde ich es als großen Vertrauensbeweis, dass die israelische Regierung sich bereit erklärt hat, ein Mitglied für das Kuratorium des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste zu benennen, das ich zusammen mit den Bundesländern ins Leben gerufen habe, um die Aktivitäten zur Suche nach nationalsozialistischer Raubkunst zu bündeln, zu stärken und auszubauen.

Dass heute so viele junge Israelis nach Berlin kommen, dass die Jüdische Gemeinschaft in Deutschland mit rund 107.000 Mitgliedern die drittgrößte in Europa ist, das zeigt: Die Brücken tragen, die wir in den vergangenen Jahrzehnten gebaut haben. Ja, wir haben wahrlich Grund zur Freude, Grund zum Feiern angesichts des 50jährigen Bestehens diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel!

Und doch mussten wir in den vergangenen Monaten wieder erfahren, dass diese Brücken ins Wanken geraten können. Die Anschläge in Paris und Kopenhagen, die antisemitischen Parolen, die letzten Sommer auch hierzulande die Kritik an Israels Militäroffensive im Gazastreifen begleitet haben, die Diskussionen, dass das Tragen einer Kippa oder eines Davidsterns in manchen Gegenden als Provokation empfunden werden könnte - all das weckt bei vielen jüdischen Mitbürgern verständlicherweise Ängste und Erinnerungen an die Traumata der Vergangenheit. Hier stehen wir Deutschen in der Verantwortung, die jüdische Gemeinschaft, ihre Identität und Kultur, als Teil unserer Identität und Kultur in Europa zu schützen.

In der Passacaglia g-Moll, meine Damen und Herren, der "Schutzengel-Sonate" von Heinrich Ignaz Biber, aus der wir später einen Auszug hören werden, geleitet ein immer gleicher Bass die Violine auf ihren melodischen Wegen durch Höhen und Tiefen. So will auch Deutschland an der Seite Israels stehen - so wollen wir Bürgerinnen und Bürger eines weltoffenen Deutschlands an der Seite unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger stehen. Ich danke Ihnen, verehrter Herr Botschafter, verehrter Herr Bürgermeister Huldai, verehrte Frau Landau, dass Israel mit der Ausstellung des Tel Aviv Museums sein Vertrauen in dieses weltoffene Deutschland zum Ausdruck bringt! Möge sie zur Vertiefung der Freundschaft zwischen unseren Ländern beitragen!