Redner(in): Monika Grütters
Datum: 24.02.2015

Untertitel: In ihrer Rede betonte Monika Grütters: "Wir müssen dafür sorgen, dass man auch im Zeitalter des Internets von geistiger Arbeit leben kann. Das geht nur, wenn Kreative angemessen an der Wertschöpfung aus ihrer intellektuellen oder künstlerischen Leistung beteiligt werden. In diesem Sinne setze ich mich für eine kultur- und medienpolitische Handschrift der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Anpassung des Urheberrechts an das digitale Zeitalter ein."
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/02/2015-02-25-gruetters-content-allianz.html


In ihrer Rede betonte Monika Grütters: "Wir müssen dafür sorgen, dass man auch im Zeitalter des Internets von geistiger Arbeit leben kann. Das geht nur, wenn Kreative angemessen an der Wertschöpfung aus ihrer intellektuellen oder künstlerischen Leistung beteiligt werden. In diesem Sinne setze ich mich für eine kultur- und medienpolitische Handschrift der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Anpassung des Urheberrechts an das digitale Zeitalter ein."

Anrede,

Es hat etwas wohltuend Anachronistisches, dass die Deutsche Content Allianz wie in guten, alten analogen Zeiten zu einem "Dialog" einlädt, zu einem klassischen Gesprächsformat also, bei dem Menschen anderen Menschen zuhören ohne Twitterwall und ohne Smartphones im Dauerbetrieb, über die in Echtzeit Informationen und Kommentare aus dem Veranstaltungsraum getwittert und gepostet, geliked, retweetet und geshared werden. Das ist insofern konsequent, als es heute um die Qualität und Vielfalt der Inhalte gehen soll und um die dafür notwendigen Rahmenbedingungen im Zeitalter der Digitalisierung um Fragen also, die im Rausch des technisch Machbaren leider oft ebenso auf der Strecke bleiben wie differenzierte Argumente in einem 140-Zeichen-Tweet.

Nach Jahren der Euphorie, in denen das Internet als Inbegriff des Fortschritts gepriesen wurde, stehen wir heute vor einer Situation, die man mit dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 vergleichen könnte. So wie sich damals ökonomische Gewinnerwartungen in Form von Spekulationen auf stetig steigende Aktienkurse am Neuen Markt nicht erfüllt haben, so haben sich auch die gesellschaftlichen und politischen Heilsversprechen für unsere Demokratie nicht erfüllt.

Ja, das Internet schafft Transparenz aber eben auch Wege in die totale Überwachung.

Ja, das Internet fördert Partizipation aber in der Anonymität und im schnellen Klick eben auch die Verantwortungslosigkeit.

Ja, das Internet verbreitet Wissen und Informationen in Echtzeit aber eben auch Unwahrheiten, Verschwörungstheorien, antidemokratische Stimmungsmache oder rassistische Hetze.

Ja, das Internet macht "Schwarmintelligenz" möglich aber auch die Macht des Mobs.

Ja, das Internet vergrößert unsere Freiheit aber eben auch die Freiheit, Regeln auszuhebeln oder zu umgehen, die, demokratisch legitimiert, aus gutem Grund für unser Zusammenleben in der analogen Welt gelten.

Kurz und gut: Das Internet ist nicht per se der demokratische Fortschritt.

Anders als bei der Dotcom-Blase ist uns bei dieser Internet-Blase 2.0 ein gewaltiger Crash bisher erspart geblieben, wenn man von den Erschütterungen, die die Enthüllungen Edward Snowdens ausgelöst haben, einmal absieht. Die notwendige Katharsis vollzieht sich vor allem in Form von Debattenbeiträgen, nicht zuletzt in Büchern und Zeitungen, was ja immerhin für die nach wie vor bestehende Vitalität des demokratischen Diskurses spricht. Die Wortführer, auch das ist bemerkenswert, sind keineswegs technikfeindliche Kulturpessimisten. Es sind Internetpioniere wie Jaron Lanier, der letztes Jahr für seine Kritik am digitalen Kapitalismus mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde. Es sind Blogger wie Sascha Lobo, der die Netzgemeinde vor einem Jahr mit dem Befund "Das Internet ist kaputt" in Aufruhr versetzte und in diesem Zusammenhang von der "digitalen Kränkung" sprach. Es sind Schriftsteller wie Dave Eggers, der in seinem Bestseller "Der Circle" vom Weg in den digitalen Totalitarismus erzählt.

Die digitale Kränkung, die digitale Desillusionierung, das Platzen der Internet-Blase 2.0: Mit welchem Begriff auch immer wir die aktuelle Situation beschreiben wollen - sie ist im Grunde keine schlechte Ausgangsposition, um dem Anliegen, Qualität und Vielfalt im Netz zu stärken, Gehör zu verschaffen. Hinzu kommt, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft mit über 250.000 Unternehmen, über einer Million Beschäftigten und einem Umsatz von 145 Milliarden Euro nicht irgendeine Nischenbranche ist. Künstler und Kreative liefern den immateriellen Rohstoff für Innovationen in allen gesellschaftlichen Bereichen. Mit ihrem "avantgardistischen Spürsinn für Relevanzen" - diese griffige Formulierung stammt von Jürgen Habermas - , bringen sie unsere Gesellschaft voran. Um es bildlich auszudrücken: Die Künstler und Kreativen tragen die Fackel, an der viele andere das Feuer eigener schöpferischer Kraft entzünden.

Es gehört zu unseren demokratischen Errungenschaften, dass sich dieser avantgardistische Spürsinn in unserer Gesellschaft entfalten kann. Wenn das Internet in diesem Sinne zum demokratischen Fortschritt beitragen soll, dann braucht es Regeln, die den Schöpfern geistiger Leistungen, den Künstlern und Kreativen, Freiraum gewähren, und die den Anbietern dieser Leistungen, insbesondere den Medienunternehmen, faire Wettbewerbschancen im World Wide Web garantieren. Hier liegt die kultur- und medienpolitische Gestaltungsaufgabe nicht zuletzt im Rahmen der Digitalen Agenda der Bundesregierung und innerhalb der Bund-Länder-Kommission, die ich für die Bundesregierung federführend leite.

Wo liegen aus kultur- und medienpolitischer Sicht die Prioritäten, wenn es darum geht, Qualität und Vielfalt der Inhalte zu stärken? Lassen Sie mich einige Schwerpunkte nennen:

Erstens: Qualität und Vielfalt brauchen ein modernes Urheberrecht.

Wir müssen dafür sorgen, dass man auch im Zeitalter des Internets von geistiger Arbeit leben kann. Das geht nur, wenn Kreative angemessen an der Wertschöpfung aus ihrer intellektuellen oder künstlerischen Leistung beteiligt werden. In diesem Sinne setze ich mich für eine kultur- und medienpolitische Handschrift der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Anpassung des Urheberrechts an das digitale Zeitalter ein. Dafür erstellt mein Haus gerade ein Positionspapier, das Leitplanken vorgeben soll für die zukünftige Diskussion in Fortsetzung des heutigen Abends.

Dabei müssen wir auch die europäische Ebene genau im Auge behalten. EU-Kommissar Oettinger hat bekanntlich erste Reformvorschläge insbesondere zu grenzüberschreitende Aspekte des Urheberrechts bereits für Mai und konkrete Entwürfe für den Herbst dieses Jahres angekündigt. Ich sage hier ganz deutlich, dass ich vor allem Überlegungen zur Aufhebung territorialer Beschränkungen ablehne. Es muss auch künftig - etwa im Filmbereich - der Erwerb bzw. Verkauf von Lizenzen nur für einzelne Mitgliedstaaten möglich bleiben. Wer eine Verpflichtung zu europaweiten Lizenzen einführen will, missachtet die ökonomischen Realitäten und baut zudem unnötig Hürden für kleinere national oder regional auftretende Anbieter auf. Wir brauchen auch künftig differenzierte Geschäftsmodelle. Auf der zurückliegenden Berlinale habe ich für den Filmbereich immer wieder gehört, dass der Vorabverkauf von Rechten für einzelne Territorien im Rahmen der Finanzierung eines Films eine ganz wichtige Rolle spielt. Wenn man das änderte, würden hier nur größere internationale Anbieter profitieren, die von einem Mitgliedstaat aus Dienste für Nutzer auch in anderen Mitgliedstaaten anbieten. Ihnen käme zugute, dass die Lizenzen für das Gesamtgebiet der europäischen Union voraussichtlich günstiger wären als der derzeit notwendige Erwerb von Lizenzen für alle einzelnen Mitgliedstaaten. Meine Damen und Herren, solchen Marktbereinigungen unter dem Deckmantel der Harmonisierung des Urheberrechts trete ich entschieden entgegen.

Prioritär - weil bis April 2016 fristgebunden - ist die Umsetzung der EU-Urheberrechtswahrnehmungsrichtlinie.

Je leichter sich Urheberrechte hier grenzüberschreitend klären und Lizenzen einräumen lassen, desto größer ist der Vorteil nicht nur für die Nutzer, sondern auch auf Seiten der Urheber und Verwerter. Kulturpolitisch wichtig ist es, dass der kulturelle und soziale Auftrag der deutschen Verwertungsgesellschaften gewahrt bleibt, sie aber nicht im europäischen Wettbewerb behindert werden. Verwertungsgesellschaften sind keine reinen Inkassounternehmen, sondern auf solidarischer Basis gegründete Zusammenschlüsse der Urheber - dieses Prinzip, das einen wesentlichen Erfolg der deutschen Verwertungsgesellschaften ausmacht, muss erhalten bleiben. Deutschland sollte hier Maßstab und Standard für EU-Regeln sein.

Derzeit sondieren wir auch innerhalb der Bundesregierung, wie Diensteanbieter, deren Geschäftsmodell auf der Verletzung von Urheberrechten aufbaut, stärker in die Verantwortung genommen werden können. Neben gesetzlichen Anläufen im Telemediengesetz wäre - trotz der bekannten kartellrechtlichen Probleme - eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft ideal, auf solchen Plattformen keine Werbung zu schalten, um derartige Geschäftsmodelle finanziell auszutrocknen. Der Betrieb Illegaler Seiten floriert doch nur deshalb, weil sich mit minimalstem Aufwand über Werbeeinblendungen hohe Gewinne erzielen lassen. Ich begrüße nachdrücklich die Initiative zu einer freiwilligen Selbstverpflichtung der Werbewirtschaft und bedauere sehr, dass dies bislang an Einwänden des Bundeskartellamts gescheitert ist. Man sollte jetzt hier nicht vorzeitig aufgeben. Wenn es aus kartellrechtlichen Gründen für ein solches Selbstverpflichtungsmodell erforderlich sein sollte, dass eine neutrale Stelle geschaffen wird oder eine staatliche Stelle mit den Aufgaben einer Clearingstelle betraut wird, dann müssen wir eine solche einrichten. Ich bin gerne bereit, daran mitzuwirken und mit Ihnen gemeinsam nach einer konstruktiven Lösung in diesem Sinne zu suchen.

Weitere, aus meiner Sicht notwendige Änderungen zugunsten der Urheber betreffen unter anderem die Durchsetzbarkeit von Rechten im Fall von Urheberrechtsverletzungen bei Nutzung offener W-LAN-Angebote, falls es dort zu Haftungserleichterungen kommen sollte, und die Tarifgestaltung der Pauschalabgabe für die Privatkopievergütung. Natürlich trete ich, wie Sie, für eine Hinterlegungspflicht für gesetzliche Vergütungsansprüche ein.

Wie Sie wissen, liegt die Federführung für notwendige Reformen im Urheberrecht innerhalb der Bundesregierung beim Justiz- und Verbraucherschutzministerium. Umso wichtiger war die Klarstellung des Deutschen Juristentages 2014, dass das Urheberrecht in erster Linie nicht den Verbraucher, sondern den Urheber und seine Rechte im Blick haben muss. Das stärkt meine und unsere Position bei den bevorstehenden Verhandlungen.

Zweitens: Qualität und Vielfalt brauchen Schutz vor Marktmacht.

Dabei geht es zum Beispiel um die Auffindbarkeit von Inhalten. Datenmonopole sind Deutungsmonopole, und Deutungsmonopole werden leicht zu Meinungsmonopolen. Insofern sehe ich die marktbeherrschende Stellung von Google mit über 90 Prozent Marktanteil in Deutschland äußerst kritisch. Es ist gut, dass das laufende EU-Kartellverfahren gegen Google nicht vorschnell ad acta gelegt wird, und ich hoffe auch, dass die Wettbewerbskommissarin Malmström die Praktiken und Vergleichsvorschläge von Google einer kritischeren Prüfung unterziehen wird als ihr Vorgänger. Gerade hier hoffe ich aber auch auf die Unterstützung der Anbieter.

Drittens: Qualität und Vielfalt brauchen faire Wettbewerbsbedingungen.

Unser Ziel muss es sein, dass auf ein und demselben Markt gleiche Regeln für alle herrschen - oder dass zumindest eine faire Regulierung mit einem Ausgleich der Rechte und Pflichten stattfindet. Dazu gehört, dass wir, wie im Koalitionsvertrag verabredet, das Kartellrecht überprüfen, ob es angesichts der Konvergenz der Medien auch wirklich dem fairen Wettbewerb dient und niemanden benachteiligt. Wenn deutsche Gerichte deutsche Video-on-Demand-Portale untersagen, sich dann aber mit Netflix ohne Weiteres ein amerikanischer Anbieter auf dem deutschen Markt breit machen kann, dann erfüllt das Kartellrecht ganz offensichtlich nicht seinen Zweck. Deshalb begrüße ich einen Vorstoß meines Kollegen BM Gabriel, der zum Umgang mit Internetplattformen eine kartellrechtsähnliche Regelung ins Spiel gebracht hat.

Einen vierten und letzten Punkt will ich noch hervorheben: Qualität und Vielfalt erfordern ein selbstbewusstes Bekenntnis zu unserem Kultur- und Demokratieverständnis.

Das betrifft insbesondere die Verhandlungen über das geplante Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich befürworte dieses Abkommen grundsätzlich. Dass es Chancen für deutsche Unternehmen bietet, dass es gleichzeitig gerade in diesen Zeiten außenpolitisch wichtig ist, liegt auf der Hand. Es geht also nicht um das "Ob", wohl aber um das "Wie". Zwar enthält das Verhandlungsmandat neben Schutzklauseln für den kulturellen Bereich eine Ausnahme für Audiovision, allerdings nur im Dienstleistungskapitel, nicht in benachbarten Kapiteln. Ich kann bisher nicht erkennen, dass die Kommission mit dem Ziel eines umfassenden Schutzes von Kultur und Audiovision verhandelt, wie es der Koalitionsvertrag vorsieht. Auch hier hoffe ich auf Ihre Unterstützung.

Meine Damen und Herren, das Internet ist ein Instrument, das unserer Demokratie genauso gut nutzen wie auch schaden kann je nachdem, ob es uns gelingt, Regeln und Werte unseres "analogen" Zusammenlebens durchzusetzen. Ich bin der Deutschen Content Allianz sehr dankbar, dass sie in den medien- und netzpolitischen Debatten Position bezieht für die Kreativen, für die Urheber, für die Inhalteanbieter und damit für Qualität und Vielfalt im Netz. Wir haben es in der Hand, aus den neuen technischen Möglichkeiten auch im Sinne des gesellschaftlichen Fortschritts etwas zu machen. Dazu gehört neben Gestaltungswillen, Pragmatismus und Zähigkeit auch ein Quäntchen jener Verwegenheit, die die Internetpioniere auszeichnet. Um es in den Worten von Steve Jobs zu sagen, der heute, am 24. Februar 2015, seinen 60. Geburtstag gefeiert hätte: "Think different. ( ... ) Denn die, die verrückt genug sind zu denken, sie könnten die Welt verändern, sind die, die es tun."