Redner(in): Monika Grütters
Datum: 04.03.2015

Untertitel: Staatsministerin Grütters unterstreicht die staatliche Verantwortung für den Schutz der Kunst und der kulturellen Werte und warnt vor der eindimensionalen Sicht auf den Preis, den Marktwert der Kunst.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/03/2015-03-06-gruetters-art-karlsruhe.html


Staatsministerin Grütters unterstreicht die staatliche Verantwortung für den Schutz der Kunst und der kulturellen Werte und warnt vor der eindimensionalen Sicht auf den Preis, den Marktwert der Kunst.

Anrede,

Anders als Markus Brock kann ich leider nicht jeden Tag zur "art KARLSRUHE" gehen, aber durch Ausstellungs- und Messehallen streifen zu dürfen, das empfinde ich als Kunstliebhaberin immer wieder als ein ganz besonders schönes Privileg meines Amtes. Herzlichen Dank für die Einladung zur Eröffnung der "art KARLSRUHE" und für den informativen Rundgang eben, liebe Frau Wirtz, lieber Herr Schrade!

Dass dieses Privileg in der Regel mit der Erwartung einer Rede verbunden ist, tut zumindest meinem - und hoffentlich auch Ihrem - Kunstgenuss keinen Abbruch, meine Damen und Herren. Ich hoffe, dass es mir gelingt, Sie einzustimmen auf das wieder einmal beeindruckende künstlerische Spektrum, das Sie auf der 12. art KARLSRUHE erwartet - genauer gesagt: auf den Wert dieser Kunstwerke jenseits ihrer Preise, um die es in den nächsten Tagen ja noch oft genug gehen wird.

Unter den jüngsten Entwicklungen im Kunstbetrieb sind es die aktuell zu beobachtenden Veränderungen im Verhältnis von Wert und Preis der Kunst in der öffentlichen Wahrnehmung, die mich als Kulturpolitikerin ganz besonders beschäftigen. Dass Kunst einen Wert und einen Preis hat und dass die sorgfältige Unterscheidung zwischen beidem keinesfalls nur eine semantische Spitzfindigkeit ist, das ist nicht neu. Die ( berechtigte ) Klage darüber, dass im Hype um zeitgenössische Kunst den erzielten Preisen oft mehr Aufmerksamkeit gilt als der Substanz, den Inhalten - eben: dem Wert - ist ebenfalls nicht neu. Neu ist aber, dass die eindimensionale Sicht auf den Preis, den Marktwert der Kunst neuerdings in der Politik hoffähig wird.

Der bisherige, aus unserem Selbstverständnis als Kulturnation gewachsene Konsens, wonach der Staat dem Wert der Kultur, dem Schutz kulturellen Werte verpflichtet ist, hat die Landesregierung Nordrhein-Westfalen nicht davon abgehalten, Ende des vergangenen Jahres zwei Warhols zu verscherbeln, um mit dem Spekulationsgewinn Spielbanken zu sanieren und Haushaltslöcher zu stopfen. Der zuständige Finanzminister erklärte dazu, ich zitiere: "Ein Kunstwerk hat einen Wert, wenn es zu veräußern ist." Was immer er sich bei dieser Äußerung gedacht haben mag: An die kulturelle Avantgarderolle des Rheinlands, für die diese Bilder - angekauft übrigens lange bevor andere Pop-Art überhaupt zur Kenntnis nahmen - beispielhaft stehen, kurz: an ihren Wert für die Sammlungsgeschichte des Rheinlands, dachte er wahrscheinlich nicht.

Wie viele andere habe ich davor gewarnt, dass dieser Deal zu einem Dammbruch werden und weitere Verkäufe von Kunstwerken aus öffentlichem Besitz nach sich ziehen könnte - leider mit Recht, wie wir schon sehr kurz danach erlebten und inzwischen wissen.

Nicht zuletzt deshalb treibe ich in enger und guter Zusammenarbeit mit den Ländern die Novellierung des Kulturgutschutzes voran: Mein Ziel ist es, in einem einheitlichen, kohärenten Gesetz - bisher gab es drei unterschiedliche Gesetze - den Kulturgutschutz in Deutschland neu zu gestalten. Ein Gesetzentwurf soll noch in der ersten Jahreshälfte 2015 vorliegen. Im April wird eine Verbandsanhörung stattfinden, um auch den Kunsthandel in das Verfahren einzubinden. Mir ist wichtig, dass wir uns zu unserem bisher unbestrittenen hohen Ethos des Sammelns und Bewahrens bekennen - in der Überzeugung, dass Kunst von unschätzbarem Wert für eine humane Gesellschaft und eine lebendige Demokratie ist.

Über die im Widerspruch zu diesem Ethos stehenden Entscheidungen in Düsseldorf ist mittlerweile im Grunde längst alles gesagt. Und trotzdem ist das letzte Wort dazu noch nicht gesprochen, zumindest nicht zwischen Kultur- und Finanzpolitikern. Denn die nordrhein-westfälische Landesregierung hat einen Konsens aufgekündigt, auf den wir Kulturpolitiker uns bisher verlassen konnten: der Konsens nämlich, dass Kunst ein Wert an sich ist, den zu schützen zu unseren vornehmsten Pflichten zählt.

Diesem Konsens haben wir auf bundespolitischer Ebene gerade einen Riesenerfolg für die Kultur zu verdanken - ein starkes Bekenntnis des Bundes zur Kultur auch in Zeiten der berühmten schwarzen Null. Wie Sie vielleicht gelesen haben, wurde der Bundeskulturhaushalt für 2015 um 118 Millionen Euro aufgestockt. Darüber stellt der Bund 200 Millionen Euro für ein Museum der Moderne in Berlin bereit: ein Durchbruch nach jahrelangem Ringen, der mich nicht nur deshalb euphorisch stimmt, weil wir die Kunst des 20. Jahrhunderts, dieses größten deutschen Jahrhunderts in der Kunstgeschichte - die spektakuläre Sammlung der Nationalgalerie, die bisher zum großen Teil in den Depots verstaubte - endlich angemessen ausstellen können. Hinzu kommt, dass wir das großzügige Angebot der drei Sammler Marx, Marzona und Pietzsch, uns ihre Konvolute mit einem Versicherungswert fast in Milliardenhöhe zu überlassen, endlich annehmen konnten. Endlich haben wir das Geld, um die damit verständlicherweise verbundene Bedingung zu erfüllen, die hochkarätigen Stücke adäquat und in Ergänzung der Museumssammlung der Öffentlichkeit, denn der sind wir verpflichtet, zu präsentieren.

Dass dieser Durchbruch in Berlin unmittelbar auf den Dammbruch in Düsseldorf folgte, ist eine tröstliche zeitliche Koinzidenz, die nicht über die Folgen des Düsseldorfer Präzedenzfalls hinweg täuschen sollte. Wo die Preise, die sich mit Kunst erzielen lassen, politisch höher bewertet werden als ihr Wert, wird sie zum dekorativen Luxus, den wir uns nur in guten Zeiten leisten und den wir in schlechten Zeiten zur Disposition stellen, um Haushaltslöcher zu stopfen.

Natürlich bin ich mir bewusst, meine Damen und Herren, dass viele der 50.000 Besucherinnen und Besucher, die die "art KARLSRUHE" in den nächsten Tagen erwartet, von konkret erzielbaren Preisen leben. Profane steuerpolitische Details wie die Anwendungsvorschrift zur Neuregelung der Umsatzbesteuerung, die die Kunsthandelsbranche seit Monaten umtreibt, sind deshalb auch aus kulturpolitischer Sicht keineswegs so banal wie das Wort "Pauschalmarge" klingt.

Ich ärgere mich genauso wie Sie, die Sie zum Teil ja regelrecht verzweifelt sind, über die Blockadehaltung der Länderfinanzminister gegenüber einer kulturverträglichen Anwendung der pauschalierten Margenbesteuerung. Der Bundesregierung sind hier nur leider die Hände gebunden: Die Anwendung des Steuerrechts, und damit auch der Pauschalmarge, verortet unsere Verfassung bei den Ländern. Vor diesem Hintergrund kann ich Sie nur auf bestehende Spielräume der Neuregelung hinweisen: Anwendungsvorschriften können eine gesetzliche Regelung ja nicht aushebeln, und deshalb empfehle ich Ihnen allen, sich steuerlich und rechtlich beraten zu lassen.

Im politischen Tagesgeschäft, das zeigt das Beispiel Margenbesteuerung, fehlt es leider oftmals schlicht an Gespür und Verständnis für die besonderen Belange von Künstlern, Galerien und Museen einerseits und für ihren gesellschaftlichen Beitrag andererseits. Ich versichere Ihnen aber, dass ich nicht müde werde, beides immer wieder zu unterstreichen. Eben deshalb ist mir die Unterscheidung zwischen dem Wert und dem Preis der Kunst ja auch so wichtig.

Von Pablo Picasso stammt folgende, erfrischend nüchterne Feststellung, die ich in diesem Zusammenhang gerne zitiere: "Ein Maler ist ein Mann, der malt, was er verkauft. Ein Künstler ist ein Mann, der das verkauft, was er malt." Diese Aussage deckt die Bandbreite zeitgenössischer Kunst nicht annähernd ab und entspricht, nebenbei bemerkt, auch nicht den zeitgenössischen Standards des Gender Mainstreaming. Sie fasst aber in schlichten Worten zusammen, dass Künstler nicht mit Malern und Werte nicht mit Preisen gleich gesetzt werden sollten. Auf diese feinen Unterschiede kommt es an, und in diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen erfolgreiche und inspirierende Messetage!