Redner(in): Angela Merkel
Datum: 13. April 2015

Untertitel: in Berlin
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/04/2015-04-13-bk-buergerdialog.html


BK ' in Merkel: Auch von meiner Seite ein herzliches Willkommen allen, die heute anwesend sind. Das sind vorrangig Menschen, die sich schon jetzt entschlossen haben, beim Bürgerdialog mitzumachen, und sehr zahlreich entweder als Veranstalter der 150 Veranstaltungen, die noch kommen und von denen Bundesminister Gabriel eben schon sprach, fungieren werden oder aber als Experten bei uns mitarbeiten.

Wir haben uns in unserer Koalitionsvereinbarung vorgenommen, dass wir das Thema "Gut leben in Deutschland was uns wichtig ist" mit den Menschen diskutieren wollen. Wir wissen, dass die Frage, was Politik bewerkstelligen soll, von Anfang an, solange die Bundesrepublik Deutschland existiert, die Politiker umgetrieben hat. Ich will den Vater der Sozialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhard, zitieren, der vom "Wohlstand für alle" sprach. Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft hat uns ja auch vorangebracht. Und man darf trotz all der Probleme, die wir haben, sagen, dass es uns heute besser geht als je zuvor und das in mehrfacher Hinsicht.

Aber auch Ludwig Erhard hat damals schon gesagt, Wohlstand sei ich zitiere ihn noch einmal: "eine Grundlage, aber kein Leitbild für die Lebensgestaltung". Das Leitbild für die Lebensgestaltung ist weitaus mehr, und das wird durch jeden Einzelnen mit Leben gefüllt. Wir wissen: Das Fundament unseres Wohlstands muss immer wieder neu erwirtschaftet werden, aber das, was Wohlstand im umfassenden Sinne bedeutet, ändert sich mit den Zeiten und mit den Herausforderungen auch um Deutschland herum.

Individuelle Fragen, die die Menschen bewegen, lauten: Ist mein Arbeitsplatz sicher? Habe ich genügend Zeit für meine Familie? Habe ich eine Familie? Bin ich glücklich? Was kann ich als Einzelner tun, um die Umwelt zu erhalten? Was kann ich dazu beitragen, dass meine Kinder und Enkel noch gut leben können? Was kann ich tun, damit die Welt sicherer wird? Was passiert, wenn ich alt bin, wenn ich krank bin, wenn ich alleine bin? Wer hilft mir? Wer steht mir bei? All dies sind Fragen, die Menschen bewegen und auf die sie Antworten erwarten, aber bei denen wir nicht wissen, wie die Gewichtung ist, bei denen wir lernen wollen, wie die Menschen in Deutschland darüber denken, wo sie Schwerpunkte setzen wollen und wo sie sagen: Manches kann der Einzelne alleine schaffen für anderes brauchen wir die Gesellschaft.

Jetzt ist natürlich zu fragen: Machen wir das, indem wir versuchen, möglichst viele zu erreichen? Ja, das ist ein Weg. Aber alle rund 80 Millionen Menschen in Deutschland werden wir nicht treffen. Und auch jene, die hier im Raum sind, werden es nicht schaffen, alle zu treffen. Deshalb müssen wir versuchen, aus dem, was wir hören, etwas Messbares zu gewinnen.

Das ist doppelt schwierig. Wir haben seit vielen Jahrzehnten Sachverständigenräte, zum Beispiel für die wirtschaftliche Entwicklung. Wir haben das schon von Bundesminister Gabriel erwähnte Bruttoinlandsprodukt, das aber mit Sicherheit nicht ausreicht, um unsere Lebensqualität zu beschreiben. Das heißt also, wir brauchen mehr Kennziffern, mehr Kenngrößen, mehr Aussagen, sogenannte Indikatoren.

Darüber denken ziemlich viele auf der Welt schon sehr lange nach. Die OECD hat eine Vorstellung. Wir haben auch die Sachverständigen für Wirtschaftsfragen Frankreichs und Deutschlands gebeten, sich etwas dazu zu überlegen. Und wir haben vor allen Dingen eine Enquetekommission des Deutschen Bundestages gehabt, die sehr interessante Aussagen dazu getroffen hat.

Es ist nicht nur ein interessantes Unterfangen der Bundesregierung, jetzt sehr eng mit den Menschen im Lande ins Gespräch zu kommen. Sondern es ist auch ein neuer Weg, praktisch das durchzuführen, was uns die Enquetekommission aufgegeben hat: nämlich solche Kennziffern zu finden und sie dann auszuwerten.

Deshalb muss auch keiner Angst haben, dass wir nur das aufnehmen, was wir hören. Vielmehr haben wir uns extra für eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Ergebnisse der Dialoge entschieden, damit uns das, was den Menschen wichtig ist, dann nicht durch die individuelle oder die Parteibrille gefärbt auf den Tisch kommt, sondern damit wir ein möglichst objektives Bild bekommen.

Ich will das unterstreichen, was der Bundeswirtschaftsminister und SPD-Vorsitzende gesagt hat: Selbst bei der neutralsten und wissenschaftlichsten Aufarbeitung wird es konkurrierende Vorstellungen geben, und nicht alles wird von jedem gleich beantwortet werden. Dazu gibt es die Vielfalt der Parteien. Dazu gibt es Gewerkschaften. Von den Gruppen, die jetzt bei den Bürgerdialogen mitmachen, wird es unterschiedliche Aussagen geben. Diese werden auch besagen: Das Thema und das Thema ist wissenschaftlich gut und schön, aber uns ist dieses Thema besonders wichtig. Das macht lebendige Demokratie aus. Diese soll möglichst vielfältig zum Tragen kommen. Deshalb wird das eine spannende Sache.

Ganz anders, als Sie es vielleicht von uns als Politiker erwarten, kennen wir die Antworten nicht. Und wir geben uns sogar Mühe, nicht zu glauben, dass wir sie kennen. Sondern wir sind neugierig. Das beinhaltet allerdings auch, dass wir zugeben, dass wir noch nicht alles wissen. Auch das gehört zu einer lebendigen Demokratie dazu. Die Politik kann ganz zum Schluss nur so klug sein wie die Menschen, die sich in ihr engagieren und ihre Beiträge zu dieser demokratischen Gesellschaft liefern.

Abschließend ein herzliches Dankeschön. Rund 150 Dialoge wird es geben, bei denen Politiker nicht dabei sind. Aber es wird dann auch Dialoge mit allen Bundesministern geben, die wir ab Juni durchführen. Wir beginnen zunächst mit den Gruppen, die sich engagiert haben. Dann kommen unsere Dialoge. Und zum Schluss wird das Ganze ausgewertet. Ich darf Ihnen versprechen: Sie hören weiter von uns. Herzlichen Dank.