Redner(in): Angela Merkel
Datum: 13. Juli 2015
Anrede: Sehr geehrter Herr Nuntius,sehr geehrte Exzellenzen,meine Damen und Herren,lieber Peter Altmaier als Chef des Bundeskanzleramts
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/07/2015-07-14-merkel-diplomatischer-corps.html
Sehr geehrter Vertreter des Auswärtigen Amtes, Herr Staatssekretär Steinlein, und liebe Mitarbeiter des Bundeskanzleramts,
Ich möchte Sie alle ganz herzlich hier im Bundeskanzleramt willkommen heißen. Ich will aber nicht verhehlen, dass wir schon im zweiten Jahr nicht nach Meseberg fahren konnten, weil es heute, wie Sie ja auch in Berlin gesehen haben, wieder stark geregnet hat und eine Gartenparty nicht die richtige Antwort auf solches Wetter ist. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf. Insofern wollen wir sehen, was im nächsten Jahr ist. Wir können uns dennoch im Bundeskanzleramt treffen, um über die politische Großwetterlage zu beraten.
Wir haben beim G7 -Gipfel vor gut einem Monat in Elmau aktuelle Fragen der Weltwirtschaft und der Außenpolitik besprochen. Ich möchte allen, die dabei waren, ganz herzlich danken. Wir hatten sehr intensive Diskussionen nicht nur im Kreis der G7, sondern auch mit Vertretern der Outreach-Staaten, insbesondere zu den Themen Terrorismusbekämpfung und Bekämpfung von Ebola sowie zum Thema Weltgesundheit.
Wir teilen im G7 -Format gemeinsame Werte Menschenrechte, die Achtung der Würde des Einzelnen, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und territoriale Integrität. Daraus leitet sich auch die Agenda unseres Handelns ab. Wir wollen Räume der Freiheit schaffen, Räume des Rechts, Räume des freien Handels mit hohen Umwelt- und Sozialstandards. Darüber, wie wir alle diesen Zielen näherkommen, haben wir in der G7 auch mit den Spitzen der internationalen Organisationen sowie, wie schon gesagt, mit unseren Gästen beraten.
Sie alle kennen die großen Herausforderungen. Wir leben in einer sich rasant verändernden Welt. Die Weltbevölkerung wächst, aber die Ressourcen sind begrenzt. Deshalb stellt sich immer drängender die Frage nach den Entwicklungschancen aller. Die Antwort liegt natürlich in einem Weltwirtschaftswachstum, das mit dem Erhalt natürlicher Grundlagen ebenso wie mit sozialer Verantwortung einhergeht. Ich bin sehr froh, dass der G7 -Gipfel gerade auch dazu deutliche Impulse gesetzt hat. Aber es ist natürlich klar: Um als G7 etwas bewegen zu können, sind wir viel zu wenige; wir brauchen viele Mitstreiter über den Kreis der G7 hinaus.
Wir können zum Beispiel den Einstieg in die Dekarbonisierung der globalen Wirtschaft nur als Gemeinschaftswerk aller schaffen. Entscheidende Weichen dafür muss die UN-Klimakonferenz Ende dieses Jahres in Paris stellen. Dort wird sich zeigen, ob und inwieweit die internationale Staatengemeinschaft willens und fähig ist, der Verantwortung vor allem auch gegenüber kommenden Generationen gerecht zu werden. Ich unterstütze UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und den französischen Präsidenten Hollande darin, dass in Paris endlich wichtige Fortschritte für den Klimaschutz erzielt werden können.
Der Klimawandel zeigt sich vor allem in südlichen Ländern und beeinträchtigt dort erheblich die Entwicklungschancen. Daher ist es nur folgerichtig, dass die neue Post-2015 -Agenda die Themen Nachhaltigkeit und Entwicklung zusammenführen will. Deutschland setzt sich dabei für anspruchsvolle Ziele ein. Heute hat in Addis Abeba die internationale Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung begonnen, an der für Deutschland unser Bundesminister Gerd Müller teilnimmt. Um die neuen Entwicklungsziele zu erreichen, sind alle Arten der Finanzierung gefragt öffentliche genauso wie private Investitionen. Alle Länder sind dazu aufgerufen, je nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Erreichung dieser Ziele beizutragen. Dies ist für alle auch eine Frage der wirtschaftlichen Vernunft, denn wir erleben jeden Tag, dass im Zuge der Globalisierung Wohl und Wehe der einzelnen Wirtschaftsregionen eng zusammenhängen.
Mit einer anspruchsvollen Post-2015 -Agenda haben wir als Weltgemeinschaft eine einmalige Chance, die Weichen so zu stellen, dass wir die absolute Armut innerhalb einer Generation das heißt: bis 2030 beseitigen können. Und ich sage: Deutschland fühlt sich dazu verpflichtet, seinen Beitrag dazu zu leisten, um dieses Ziel wirklich zu erreichen.
Eine wesentliche Voraussetzung für Entwicklung ist und bleibt Frieden. Aber wir erleben zurzeit eine Vielzahl von Konflikten ganz zu schweigen von den menschlichen Tragödien, die ganze Regionen um viele Jahre zurückwerfen. Durch Syrien und Irak ziehen islamistische Terrormilizen eine Spur furchtbarer Gewalt. Da, wo sie sich einnisten, tyrannisieren sie die Bevölkerung. Dass sie darüber hinaus auch ohne Sinn und Verstand Kulturgüter zerstören, zeigt einmal mehr die Ignoranz und Respektlosigkeit gegenüber großen historischen Errungenschaften der Menschheit.
Extremismus und Terrorismus bedrohen den Frieden auch in anderen Teilen der Welt. Wir müssen, um gegenzusteuern, Extremismus und Terrorismus den Nährboden entziehen. Das heißt, wir müssen diejenigen stärken, die der Ideologie der Intoleranz und des Hasses offensiv entgegentreten. Das heißt, in Ländern wie Syrien und Irak müssen wir einen politischen Prozess unterstützen, der alle Bevölkerungsgruppen gleichberechtigt einbezieht. Das heißt, auch bei uns in Europa dafür Sorge zu tragen, dass junge Menschen nicht radikalem Gedankengut verfallen.
Wir spüren, dass das Übel des Terrorismus uns alle betrifft. Auch in Europa lassen sich viel zu viele junge Menschen dazu verführen, sich terroristischen Gruppen anzuschließen. Auch in Europa treiben Terroristen ihr Unwesen. Anschläge wie die im Januar in Paris richten sich gegen alles, was ein friedliches und tolerantes Zusammenleben ausmacht. Es sind Anschläge gegen die Menschlichkeit.
Wir sehen auch die Folgen von Terror, Krieg und daraus resultierender Perspektivlosigkeit. Sie spiegeln sich nicht zuletzt in den vielen Flüchtlingen wider. Das Flüchtlingswerk UNHCR spricht von weltweit fast 60 Millionen Flüchtlingen, Vertriebenen und Asylsuchenden so viele wie nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Wir wissen, in Europa können wir diese Herausforderung nur gemeinsam und solidarisch bewältigen. Deshalb haben wir eine Gesamtstrategie erarbeitet. Sie setzt an mehreren Stellen gleichzeitig an. Wir brauchen bei der Aufnahme von Flüchtlingen nicht nur das Engagement einiger weniger EU-Länder, sondern wirklich ein gesamteuropäisches Engagement. Die Verbesserung der Seenotrettung haben wir bereits beschlossen. Die Flüchtlingstragödien auf dem Mittelmeer müssen ein Ende haben. Dabei kommt es ebenso darauf an, den kriminellen Schleusern und Schleppern das üble Handwerk zu legen, die nichts anderes als skrupellose Geschäfte mit der Not von hilflosen und auf Hilfe angewiesenen Menschen machen. Vor allem müssen wir die Ursachen von Flucht und Vertreibung bekämpfen. Das erfordert eine bessere Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern.
Dabei sehen wir uns insbesondere im Hinblick auf Libyen vor große Herausforderungen gestellt. Bewaffnete Auseinandersetzungen lähmen ein Vorankommen des Landes auf dem Weg zu politischer Stabilität. Eine Regierung der nationalen Einheit, wie sie auch von Herrn León aufzubauen versucht wird, könnten wir in Deutschland und in der Europäischen Union mit der ganzen Bandbreite unserer Instrumente unterstützen.
In Tunesien haben wir gesehen, dass Fortschritte hin zu einer stabilen demokratischen Verfassung möglich sind, wenn sich maßgebende politische und soziale Akteure kompromiss- und konsensfähig zeigen. Aber wir erleben genauso, dass die Erfolge noch auf tönernen Füßen stehen. Das haben uns die Morde im Bardo-Museum und am Strand von Sousse schmerzhaft vor Augen geführt. In diesen Tagen stehen wir eng an der Seite Tunesiens. Wir haben zugesagt, unsere Zusammenarbeit im Kampf gegen Terrorismus und bei der Grenzsicherung zu intensivieren. Nordafrika insgesamt wird weiterhin Schwerpunkt der deutschen und europäischen Außenpolitik sein.
Wir wollen gut mit unseren Nachbarn kooperieren. Das gilt mit Blick gen Süden, aber das gilt natürlich auch mit Blick gen Osten. Wir denken weiter an die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland. Wir wissen um die destabilisierende Einflussnahme im Osten der Ukraine. Das russische Vorgehen verletzt zentrale Grundsätze der Friedensordnung in Europa. Deshalb sind die von der Europäischen Union beschlossenen Sanktionen auch weiterhin gültig. Jedoch wollen wir eine politische Lösung. Deutschland und Frankreich, allen voran der französische Staatspräsident, setzen sich dafür ein. Wir wollen die Vereinbarung von Minsk umsetzen, denn wir wissen, dass ansonsten ein politischer Prozess sehr schwer wird. Wir wollen, dass die Ukraine ihre Zukunft wieder selbstbestimmt gestalten kann. Die Ukraine kann hierbei auch auf internationale Unterstützung bauen. Wir wollen aber auch kein Entweder-oder, was eine Annäherung an die Europäische Union und gute Beziehungen zu Russland anbelangt. Nach unserer Auffassung ist beides möglich.
In der vergangenen Woche war ich in Albanien, Serbien und Bosnien-Herzegowina. Die kriegerischen Auseinandersetzungen in den 90er Jahren haben bis heute tiefe Spuren in den Ländern hinterlassen, vor allem auch im Verhältnis zueinander. Deshalb bin ich sehr froh das wurde mir während meiner Balkanreise auch immer wieder gesagt, dass die Westbalkan-Konferenz 2014 in Berlin eine Reihe von Impulsen gegeben hat unter anderem für einen Jugendaustausch und für regionale Verkehrsprojekte. Es ist auch erfreulich, dass sich die Premierminister aller Länder des westlichen Balkans bereits dreimal außerhalb einer solchen Konferenz getroffen und Anliegen der gemeinsamen Agenda besprochen haben.
Die konkreten Ergebnisse, die seit letztem Jahr erreicht wurden, sollen auf der Folgekonferenz in Wien präsentiert werden. Es ist eine gute Nachricht, dass wir konkrete Ergebnisse haben werden. Wir wissen wir haben es am 20. Jahrestag in Srebrenica wieder gesehen, dass es alles andere als einfach ist, nach dem Leid der Vergangenheit aufeinander zuzugehen. Aber wir in Europa, in der Europäischen Union, haben die Erfahrung gemacht, dass zwischen Nachbarn kein Graben so tief und so breit sein kann, dass er nicht überbrückt werden könnte.
Vor 70 Jahren endeten der von Deutschland begangene Zivilisationsbruch der Shoa und der Zweite Weltkrieg. Deutschland hatte unermessliches Leid über Europa und die Welt gebracht. Am Ende lag unser Land selbst in Trümmern materiell und, noch schlimmer, moralisch. Angesichts dessen nimmt sich die Aussöhnung mit unseren Nachbarn, aus der Verständigung, Partnerschaft und schließlich Freundschaft erwuchsen, auch heute noch wie ein Wunder aus ganz besonders auch die einzigartigen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel, deren diplomatischen Beginn vor 50 Jahren wir in diesem Jahr feiern.
Unseren Partnern und Freunden in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika haben wir die Einbindung unseres Landes in die internationale Staatengemeinschaft zu verdanken. So konnte bereits vor 60 Jahren die damalige Bundesrepublik Deutschland der Nordatlantischen Allianz beitreten. Bis heute ist die NATO der Anker unserer gemeinsamen Sicherheit.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle auf das traurige Ereignis heute hinzuweisen: den unvermittelten Tod von Philipp Mißfelder. Wir alle sind geschockt. Viele von Ihnen haben ihn als unseren Außenpolitischen Sprecher gekannt. Wir denken in dieser Stunde an seine Frau und an seine beiden kleinen Kinder. Wir werden ihn sehr vermissen.
Meine Damen und Herren, dieses Jahr feiern wir Deutsche ein weiteres Jubiläum: die Vollendung der Deutschen Einheit vor 25 Jahren. Sie wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht unsere Partner in der Welt Vertrauen zu uns und Vertrauen zum damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl gehabt hätten. Das Ende der deutschen Teilung ging einher mit dem Ende der Teilung Europas. Ost und West haben wieder zueinandergefunden. Ich freue mich darauf, dass wir im Herbst dieses Glück in unserer Geschichte feiern können.
In den letzten 25 Jahren, in diesem Vierteljahrhundert, haben wir viel erreicht. Deutschland hat eine Entwicklung vollzogen, die kaum jemand voraussehen konnte. Aber auch das vereinte Europa insgesamt hat in den vergangenen 25 Jahren riesige Fortschritte gemacht. Wir haben eine völlig neue Qualität der Zusammenarbeit etwa durch den Vertrag von Maastricht oder den Vertrag von Lissabon und nicht zuletzt natürlich durch unsere Währungsunion. Die Entscheidung für den Euro steht wie keine zweite Entscheidung für die Idee der europäischen Einigung.
Es ist und bleibt unser Ziel, dass Europa stärker aus der europäischen Staatsschuldenkrise herauskommt, als es in sie hineingegangen ist. Dazu haben wir eine Reihe notwendiger Schritte unternommen, Stabilitätsregeln verbessert, Hilfsprogramme aufgelegt und Reformen durchgeführt. Irland, Spanien und Portugal haben einen harten Prozess hinter sich, aber sie konnten ihre Hilfsprogramme erfolgreich abschließen. Sie haben an Stabilität gewonnen.
In den letzten Tagen richteten sich alle Augen auf Griechenland. Die Euro-Gruppe der Finanzminister sowie die Staats- und Regierungschefs haben heute Nacht den Weg ebnen und die Voraussetzungen für die Aufnahme von Verhandlungen über ein ESM-Programm für Griechenland schaffen können. Bevor auch der Deutsche Bundestag Entsprechendes beschließen kann, müssen wir natürlich erst die Beratungen im griechischen Parlament morgen und übermorgen abwarten. Wenn sie erfolgreich verlaufen, dann werden wir den Deutschen Bundestag bitten, der Bundesregierung ein Verhandlungsmandat für ein solches ESM-Programm zu geben.
Meine Damen und Herren, bei allen Herausforderungen, mit denen wir immer wieder konfrontiert sind, dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, welch großer Schatz die Idee der europäischen Einigung ist. Über 500 Millionen Menschen leben in einer Rechts- und Verantwortungsgemeinschaft in einer Wertegemeinschaft, die auf Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit basiert. Davon profitieren wir jeden Tag. Dies sollten wir im Hinterkopf behalten, auch wenn wir manchmal kontrovers diskutieren. Die Meinungsvielfalt gehört ebenso wie die Fähigkeit zum Kompromiss zu den großen Stärken Europas. In Europa wie auch in allen Regionen der Welt fahren wir in der Regel besser damit, miteinander zu reden, statt übereinander oder aneinander vorbei zu reden.
Sie als Botschafter sind nicht allein Repräsentanten Ihrer Länder, sondern Sie sind auch Brückenbauer zwischen unseren Ländern. Sie reden dem Miteinander das Wort und verhelfen zu einem besseren gegenseitigen Verständnis. Angesichts der vielen Probleme auf der Welt, von denen ich nur einige skizzieren konnte, ist Ihr Wirken als Brückenbauer und Türöffner heute wertvoller denn je. Deshalb verstehen Sie bitte diesen Empfang als einen besonderen Dank an jede Einzelne und jeden Einzelnen von Ihnen. Herzliche Grüße in die jeweilige Heimat seien darin mit eingeschlossen. Herzlichen Dank.