Redner(in): Monika Grütters
Datum: 29. Januar 2016

Untertitel: Kulturstaatsministerin Grütters hat 12 kleine und mittlere deutsche Bühnen mit dem neuen Theaterpreis des Bundes ausgezeichnet. Theater seien unverzichtbar als Fundament unseres kulturellen Selbstverständnisses und als Seismographen gesellschaftlicher Entwicklungen - und zwar auch abseits der Metropolen, erklärte Kulturstaatsministerin Monika Grütters bei der Preisverleihung
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2016/02/2016-02-02-rede%20gruetters-theaterpreis.html


Kulturstaatsministerin Grütters hat 12 kleine und mittlere deutsche Bühnen mit dem neuen Theaterpreis des Bundes ausgezeichnet. Theater seien unverzichtbar als Fundament unseres kulturellen Selbstverständnisses und als Seismographen gesellschaftlicher Entwicklungen - und zwar auch abseits der Metropolen, erklärte Kulturstaatsministerin Monika Grütters bei der Preisverleihung

Um die besonderen Bedeutung des Theaters für eine humane Gesellschaft zu unterstreichen, kann man die klingenden Namen der einschlägigen Kronzeugen Revue passieren lassen. Man kann die aristotelische Poetik bemühen, Schillers Ausführungen über "die Schaubühne als eine moralische Anstalt" paraphrasieren, Brechts Theorie des epischen Theaters vortragen und so weiter. Man kann aber auch einfach ins Theater einladen - und dazu auffordern, Platz zu nehmen vor diesem gewaltigen Spiegel des Menschseins.

Der Theaterpreis des Bundes, den ich heute zum ersten Mal vergeben darf, ist eine solche Einladung. Er soll nicht nur besondere künstlerische Leistungen würdigen - das natürlich auch! Vor allem aber soll er den Theatern insgesamt mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung verschaffen. Er soll ins öffentliche Bewusstsein rücken, dass Theater unverzichtbar sind als Fundament unseres kulturellen Selbstverständnisses und als Seismographen für aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen - und zwar nicht nur in den Großstädten und Ballungsräumen, sondern auch abseits der Metropolen.

Unter den verschiedenen künstlerischen Sparten sind es ja gerade die Theater, die sich in der Verantwortung sehen, auf gesellschaftliche Veränderungen einzugehen. Diese "Kultur der nichtradikalisierten Diskussion", wie Ulrich Khuon es als Vorsitzender der Intendantengruppe im Deutschen Bühnenverein kürzlich formuliert hat, gewinnt gerade in Zeiten an Bedeutung, in denen eine Spaltung der Gesellschaft droht, weil unterschiedliche Lager nicht imstande sind, miteinander zu sprechen und sich zu verständigen - so wie aktuell angesichts Hunderttausender Menschen, die Zuflucht suchen in Deutschland.

Das wird vielfach nicht angemessen wahrgenommen und gewürdigt. Während die großen Bühnen in der Regel breite öffentliche Aufmerksamkeit genießen, schaffen kleine und mittlere Theater den Sprung in die bundesdeutschen Feuilletons nur selten - und am ehesten noch mit Besorgnis erregenden Nachrichten über ihren Existenzkampf. Ich erwähne nur das Theater Rostock, das Theater Eisleben, das in Eisenach, aber auch Bühnen wie das Landestheater in Dinslaken. Doch gerade sie sind es, die mit viel Leidenschaft und noch mehr Idealismus dafür sorgen, dass es in ganz Deutschland Inszenierungen auf hohem professionellem Niveau gibt und dass auch abseits der Großstädte ein vielfältiges kulturelles Angebot existiert.

Die große Zahl an Theatern - wir haben hier in Deutschland die weltweit höchste Theaterdichte! - ist ein Erbe der früheren territorialen Zersplitterung unseres Landes in viele kleine Fürstentümer, in denen man sich neben imposanten Residenzschlössern auch Gemäldegalerien, Bibliotheken und eben Theater gönnte. Deutschland war zuerst eine Kulturnation und dann eine politische Nation. Es war die Kultur, die Identität und Zusammenhalt stiftete.

Die vielfältige deutsche Theater- und Orchesterlandschaft, die wir vergangenes Jahr in die nationale Liste des immateriellen Kulturerbes der Unesco aufgenommen haben, begründet bis heute Deutschlands Ruf als Kulturnation. Andere Länder beneiden uns darum. Sie zu erhalten, mag aufwändig und teuer sein. Und dennoch ist es kein dekorativer Luxus, den wir uns leisten, sondern gerade in unserer heutigen pluralistischen und im besten Sinne multikulturellen Gesellschaft ein unverzichtbarer Beitrag zur Orientierung und Selbstvergewisserung: um zu verstehen, woher wir kommen und was uns ausmacht als Deutsche, als Europäer, als Weltbürger.

Ein Erbe aus der Zeit der früheren Zersplitterung in Kleinstaaten ist aber auch unser Kulturföderalismus. Nach dem Grundgesetz gilt, was wir "Kulturhoheit der Länder" nennen, dass nämlich für die Kulturförderung die Länder verantwortlich und die bundespolitischen Gestaltungsmöglichkeiten sehr beschränkt sind. Das bedeutet konkret, dass der Bund aus verfassungsrechtlichen Gründen keine Möglichkeit hat, einzelne Bühnen institutionell zu fördern. Der Bund kann finanziell immer nur einzelne Modellprojekte - zeitlich begrenzt - zusätzlich zu den Trägern unterstützen. Er kann nicht dort Reparaturbetrieb sein, wo Kommunen und Länder sparen. Er kann und er darf die finanziellen Leistungen der Kommunen, der Regionen und Länder für die Theater nicht ersetzen, schon gar nicht ausbleibende Mittel kompensieren. Und er kann auch nicht in Strukturen eingreifen - also über Budgets, Gehälter und Arbeitsbedingungen mitreden oder sie gar verändern.

Ich weise darauf deshalb explizit hin, weil ich nicht zuletzt während meiner Theaterreise im vergangenen Jahr in vielen Gesprächen von den Sorgen und Nöten erfahren habe, die den deutschen Theateralltag prägen - vor allem dort, wo aus unterschiedlichen demografischen, wirtschaftlichen oder strukturellen Gründen die Finanzlage und die Finanzplanung der nächsten Jahre besonders kritisch und angespannt sind.

Viele der Herausforderungen, mit denen Theater sich dadurch konfrontiert sehen, werden wir auf Bundesebene nicht lösen können. Nur an wenigen und ganz bestimmten Schrauben können wir nachjustieren und haben das ja auch schon getan bzw. sind gerade dabei - etwa bei der Künstlersozialkasse, beim Arbeitslosengeld für Künstlerinnen und Künstler oder beim Urheberrecht. Umso wichtiger ist es, dass wir auf allen Ebenen bewusst machen, wie wichtig beständige kulturelle Angebote sind und wie unverzichtbar darin die Theater als Orte gesellschaftlicher Kommunikation, ja auch geistiger Intervention sind.

Aus diesen Überlegungen heraus entstand die Idee, einen Theaterpreis des Bundes auszuloben, und ich bin sehr dankbar, dass der Deutsche Bundestag mir für die erste Runde eine Million Euro bewilligt hat. Mit 189 Bewerbungen war das Echo auf die Ausschreibung wie erhofft sehr groß. Natürlich will jeder, der sich für einen Preis bewirbt, auch gewinnen. Aber schon allein die Möglichkeit, die eigene Arbeit auch in einen überregionalen Kontext zu stellen, sozusagen bundesweit wahrgenommen zu werden, haben offenbar viele als Chancen begriffen.

Umgekehrt wiederum hat die Vielzahl von Bewerbungen einen unglaublichen Facettenreichtum an Theater- und Veranstaltungsformen, künstlerischen, pädagogischen und sozialen Aktivitäten, Programmüberlegungen und an ästhetischen Experimenten und Grenzüberschreitungen zu Tage gefördert.

Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie schwer es für die Jury war, die herausragenden Bewerbungen herauszufiltern: das Besondere, das Einmalige, das Mut machende ( und nicht nur Mut brauchende ) . Liebe Mitglieder der Jury - liebe Frau Behrendt, liebe Frau Mundel, liebe Frau Peter, lieber Herr Bergmann, lieber Herr Brandenburg - , . ich ahne, was mein Haus Ihnen da zugemutet hat! Herzlichen Dank für Ihre Mühe, für das Studium der dicken Unterlagen und Ihr sorgfältiges Abwägen zur Entscheidungsfindung!

Ein herzliches Dankeschön verdienen auch das Zentrum Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstituts - besser bekannt als ITI - und hier namentlich Herr Engel, Herr Freundt und Frau Franke für die intensive Begleitung der Ausschreibung, die Aufarbeitung der Unterlagen bis hin zur Gestaltung dieser Veranstaltung. Das ITI ist vor allem international tätig, aber sein großes Ansehen in der Welt verdankt es der geballten Kompetenz der deutschen Theaterschaffenden aller Sparten und Formen, die darin vertreten ist. Das war uns eine außerordentlich wertvolle Unterstützung. Danken möchte ich auch Balbina für die musikalischen Beiträge, die so wunderbar zum Theater passen. Sie hat für uns die Arbeit an ihrer CD unterbrochen, was uns sehr ehrt. Vor allem aber freue ich mich auf Sie, liebe Preisträgerinnen und Preisträger, und bin gespannt, was wir heute Abend von Ihrer Arbeit erfahren werden!

Haben Sie sich, werte Gäste, selbst einmal befragt, was Sie über die Preisträger wissen? - Vom Theater mit dem Namen "Das letzte Kleinod" zum Beispiel: Ein Theater auf Rädern, auf dem Weg zu den Geschichten der Menschen … das hat natürlich einen ganz besonderen Charme und es zeigt, dass unsere gängigen Begriffe von Theater offen für Entwicklungen sein müssen.

Ich persönlich verfolge als Münsteranerin die Arbeit des Theaters in Osnabrück noch immer mit Neugier. Der fulminante Neustart des Gorki in Berlin ist vielfach schon gewürdigt worden; viel Aufmerksamkeit begleitet seit Jahren auch das Ringen des Theaters Dessau um seinen künstlerischen Fortbestand.

Der Westflügel in Leipzig ist mir zumindest durch das dort beheimatete Figurentheater "Wilde & Vogel" vertraut, das 2013 den Tabori-Preis erhalten hat. Über die Arbeitsweise des FFT in Düsseldorf habe ich im Rahmen der Theaterreise Interessantes erfahren. - … und so nimmt man einzelne Splitter, wenige Facetten wahr - auch der heute ebenfalls auszuzeichnenden Bühnen aus Oberhausen, Bremerhaven und Stendal, Hamburg, Leipzig oder Neukölln: Facetten, die allenfalls eine Ahnung davon geben, was die Theater in den Kommunen leisten, die das Theatererlebnis aber natürlich nicht ersetzen können. Zwar werden nur wenige es schaffen, als "Theatertouristen" durch die Republik zu reisen, wie es der Journalist Ralph Bollmann für sein wunderbares Buch "Walküre in Detmold" getan hat, das den rund 80 deutschen Musiktheatern gewidmet ist. Doch ich bin sicher, dass der Theaterpreis des Bundes Lust darauf macht, die Vielfalt der Theaterkultur in Deutschland auch außerhalb der Großstädte zu erleben. Lorbeer allein macht nicht satt, besser wer Kartoffeln hat ", sagt ein deutsches Sprichwort. In der Küche stimmt das natürlich. In der Kultur dagegen - das weiß jede Künstlerin und jeder Künstler - können auf Lorbeer auch Kartoffeln wachsen. Das jedenfalls wünsche ich Ihnen, liebe Preisträger, und gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrer Auszeichnung mit dem ersten Theaterpreis des Bundes!