Redner(in): Monika Grütters
Datum: 09. April 2016
Untertitel: Zum Jubiläum des Zonta-Clubs würdigte Kulturstaatsministerin Grütters das Engagement der Mitglieder für Gleichberechtigung und Emanzipation. Auch in Kunst und Kultur gelte es bei der Gleichstellung für Frauen: "hartnäckig bleiben!"
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2016/04/2016-04-12-rede-gruetters-zonta-club.html
Zum Jubiläum des Zonta-Clubs würdigte Kulturstaatsministerin Grütters das Engagement der Mitglieder für Gleichberechtigung und Emanzipation. Auch in Kunst und Kultur gelte es bei der Gleichstellung für Frauen: "hartnäckig bleiben!"
Vor einiger Zeit hat uns Deutschlands größte Boulevardzeitung erhellende Erkenntnisse der amtlichen Statistik zur Lebenssituation der Hauptstadt-Frau präsentiert: Die durchschnittliche Berlinerin braucht demnach 28 Minuten im Badezimmer und kramt ganze 67 Tage ihres Lebens in der Handtasche. Keine Ahnung, wie man so etwas als Wissenschaftler des Statistischen Landesamtes seriös ermittelt, aber eines steht fest: Männer haben ganz offensichtlich mehr Zeit, die sie ihrem beruflichen Fortkommen widmen können. Dass die Statistiken immer noch schlechtere Aufstiegschancen und geringere Einkommen von Frauen im Vergleich zu Männern ausweisen, wird aber vermutlich nicht nur daran liegen - auch wenn es durchaus Zusammenhänge zwischen weiblicher Mode und weiblicher Mobilität in Beruf und Gesellschaft gibt.
Vielleicht auch diesen Zusammenhängen haben Sie sich, verehrte Berliner Zontians, heute Nachmittag bei Ihrem Ausflug in die Modegalerie des Kunstgewerbemuseums gewidmet. Passend jedenfalls wäre es: Ein Artikel des Tagesspiegel zum 50. Jubiläum des Berliner Zonta-Clubs jedenfalls stand unter der treffenden Überschrift "Raus aus dem Korsett". Raus aus dem Korsett: Dafür steht Ihr Club, und gemeint sind nicht die Fischbeinkorsetts, die einst eine schmale Frauentaille formten - nein, gemeint sind Normen, Konventionen, Nachteile und Vorurteile, die der Entfaltung von Frauen Grenzen setzen. So verschieden die Frauen sind, die den Berliner Zonta-Club seit 1966 geprägt haben - eines haben sie alle gemeinsam: Es sind Frauen, die gleichstellungspolitisch Verantwortung übernehmen und dazu beitragen, Korsetts dorthin zu verbannen, wo sie hingehören: ins Museum: sei es, indem sie selbstbewusst ihren eigenen Weg gehen, sei es, indem sie Frauenkarrieren fördern, sei es, indem sie schlechter gestellten Frauen zu einem selbstbestimmten Leben verhelfen.
Der Umstand, dass wir Frauen uns heute nicht mehr in enge Korsetts zwängen müssen, trägt nicht nur zur Entfaltung von Begabungen bei, sondern ganz profan auch zum unbefangenen kulinarischen Genuss. Da ist es nur konsequent, 50 erfolgreiche Jahre mit einem opulenten Abendessen zu feiern. Herzlichen Dank für die Einladung an diesen reich gedeckten Tisch zum Festbankett, liebe Annett Hoffmann-Theinert!
Falls Sie die Auswahl Ihrer Festrednerin mit der Erwartung verknüpft haben, dass Kunst und Kultur gewiss auch in Sachen Gleichberechtigung Speerspitze des gesellschaftlichen Fortschritts sind, dass es aus Kunst und Kultur also besonders Inspirierendes, gar Ermutigendes im Sinne der Gleichberechtigung zu vermelden gibt - muss ich Sie allerdings leider enttäuschen. Die Kunst hat ihrem Ruf und ihrem Selbstverständnis als gesellschaftliche Avantgarde in Sachen Geschlechtergerechtigkeit bisher leider keine Ehre gemacht. Schauen wir zurück: Künstlerische Fähigkeiten wurden Frauen schlicht abgesprochen, von der künstlerischen Ausbildung waren sie lange ausgeschlossen. Wo es Frauen dennoch gelang zu reüssieren, bremsten gesellschaftliche Konventionen die weibliche Schaffenskraft. So stellte der Kunsthistoriker Wilhelm Lübke 1862 mit Befriedigung fest: "Sie haben über Pinsel und Palette nicht die Sorge für die Kinder und den Mann, über den Farbtöpfen nicht die Kochtöpfe […] vergessen […] . Solange sie so treffliche Töchter, Gattinnen und Mütter sind, mögen wir, dünkt mich, es leichter ertragen, wenn sie keine Raffaels und Michelangelos werden." Zwar gab es zum Glück zu allen Zeiten Frauen, die sich nicht damit begnügten,"treffliche Töchter, Gattinnen und Mütter" zu sein und die auch noch den Mut hatten, ihren eigenen Stil zu finden statt Raffaels oder Michelangelos sein zu wollen. Doch ihr enges Korsett, das die Entfaltung und die Anerkennung ihrer Talente verhinderte, wurden sie trotzdem nicht los.
So schrieben sich im Jahr 1919 - im Gründungsjahr der Konföderation der Zonta-Clubs - , als das Staatliche Bauhaus in Weimar seine Pforten öffnete, zwar 84 Frauen und 79 Männer für ein Studium ein, und Walter Gropius verkündete zunächst "absolute Gleichberechtigung". Doch schon bald bekamen die Bauhaus-Meister kalte Füße: Die große Anzahl von Frauen, fürchtete Gropius, könnte dem Ansehen des Bauhauses schaden. Gerhard Marcks, damals Formmeister der Töpferei, plädierte dafür,"möglichst keine Frauen in die Töpferei aufzunehmen, beides ihret- und der Werkstatt wegen". Ähnlich besorgt gab man ( n ) sich in der grafischen Druckerei und in der Metallwerkstatt.
Im Gegenzug wurde 1920 großzügigerweise die Weberei zur Frauenklasse erklärt, was den Maler Oskar Schlemmer, ebenfalls einer der Bauhaus-Pioniere, zum Dichten veranlasste: "Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, das webt, und sei es nur zum Zeitvertreib." Ironie der Bauhausgeschichte, dass ausgerechnet die Weberei - die Frauenklasse! - zu einer der künstlerisch produktivsten und auch noch kommerziell erfolgreichsten Werkstätten wurde … aber das nur nebenbei.
Als Indiz dafür, dass die Anerkennung für weibliche und männliche Leistungen auch im Kunstbetrieb des 21. Jahrhunderts noch sehr ungleich verteilt ist, darf der relativ geringe Anteil der Bilder weiblicher Künstlerinnen in Museen, Sammlungen und Galerien gewertet werden. Hier heißt es für uns Frauen - wie übrigens auch in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Medien - : hartnäckig bleiben! Dass es vereinzelt immer noch Männer gibt, die Frauen bescheinigen, nicht malen zu können, wie Georg Baselitz dies vor nicht allzu langer Zeit zum wiederholten Male in einem Interview zu Protokoll gab, sollte uns dabei nicht weiter irritieren. Mit dieser Meinung haben sich schon andere blamiert. Anton von Werner beispielsweise war wie Georg Baselitz der Meinung, dass Frauen nicht malen können; 1904 verweigert er als Berliner Akademiedirektor 200 Künstlerinnen den Zugang zum Studium. Eine dieser Frauen war Käthe Kollwitz. Ein kleines Aquarell von ihr kostet heute zehnmal so viel wie ein großformatiges Ölbild von ihm - eine späte Genugtuung, aber eine Genugtuung, die zeigt, dass es sich lohnt, für die Chancen und Rechte von Frauen zu kämpfen, so wie die Zontians.
Vor allem aber zeigt dieser kleine Exkurs in die bildende Kunst, dass die alten Rollenkorsetts leider längst noch nicht alle ins Museum gewandert sind. Rein rechtlich sieht es heute natürlich deutlich besser für uns Frauen aus als im Gründungsjahr des Zonta-Clubs Berlin, als Frauen überhaupt nur unter der Bedingung erwerbstätig sein durften, dass dies - ich zitiere aus dem so genannten "Gleichberechtigungsgesetz" von 1957 - "mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar" war. Aber machen wir uns nichts vor: Von fairen Chancen für beide Geschlechter kann noch lange keine Rede sein. Gleichberechtigung ist deshalb ein Ziel, für das es sich auch heute zu streiten und zu kämpfen lohnt. Ich denke dabei nicht nur an Aufstiegschancen und gleiches Geld für gleiche Arbeit; ich denke auch nicht nur an überkommene Rollenvorstellungen, die Frauen ( und übrigens auch Männer, wenn auch in anderen Bereichen ) heute noch an der Entfaltung ihrer Potentiale hindern. Ich denke auch an die Menschen, die Zuflucht suchen in Deutschland und die aus den Kulturen ihrer Herkunftsregionen ein anderes Verständnis der Geschlechterrollen mitbringen.
Es war richtig, und ich bin dankbar dafür, dass Angela Merkel die europäischen Menschenrechtsstandards angesichts einer drohenden humanitären Katastrophe im September 2015 zum Leitbild ihrer Flüchtlingspolitik gemacht hat - bei allen Risiken und Unwägbarkeiten, mit denen eine Entscheidung dieser Tragweite verbunden ist. Doch die Mühen der Integration werden unser aller Kraft erfordern - gerade auch in gleichstellungspolitischer Hinsicht. Schlimmer als daran zu scheitern wäre allerdings, es nicht einmal versucht zu haben. Ihr Engagement für Gleichberechtigung und Emanzipation, liebe Zontians, ist jedenfalls heute wichtiger denn je! Nicht zuletzt deshalb wünsche ich dem Zonta-Club Berlin auch weiterhin viel Erfolg, gesellschaftliche Gestaltungskraft und vor allem viele engagierte Mitglieder!
Leuchtende Vorbilder haben wir ja hier in Berlin zum Glück genug; erst kürzlich habe ich in der Zeitung gelesen, dass Berlin deutschlandweit Vorreiter für Frauen in Führungspositionen ist: Jede vierte Führungskraft ist weiblich, und jedes dritte Unternehmen wird von einer Frau gegründet. Gönnen wir uns zum Schluss trotzdem einen Blick über den Horizont der Wirtschaft und auch der Kultur hinaus auf den Sport. Bemerkenswerterweise haben Frauen ihre Rechte nämlich selbst in einer klassischen Männerdomäne durchgesetzt - im Fußball.
Wussten Sie, dass noch im Gründungsjahr des Zonta-Clubs Berlin - genauer: bis 1970 - ein Frauenfußballverbot des DFB galt? Aus - ich zitiere - "grundsätzlichen Erwägungen und ästhetischen Gründen" waren Fußballspiele mit weiblicher Beteiligung unter Androhung heftiger Strafen für die Vereine untersagt. Kein Scherz! Die theoretische Untermauerung lieferten Publikationen wie die 1953 veröffentlichte Studie eines niederländischen Psychologen und Anthropologen. Darin heißt es, ich zitiere: "Das Fußballspiel als Spielform ist wesentlich eine Demonstration der Männlichkeit. Es ist noch nie gelungen, Frauen Fußball spielen zu lassen, wohl aber Korbball, Hockey, Tennis und so fort. Das Treten ist wohl spezifisch männlich, ob das Getretenwerden weiblich ist, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist das Nichttreten weiblich." Das, meine Damen und Herren, würde heute vermutlich niemand mehr leichtfertig behaupten und das liegt gewiss nicht nur an den zwei WM- und den acht EM-Titeln der deutschen Frauen-Nationalmannschaft. Da wäre es doch gelacht, wenn die Erfolgsgeschichte weiblicher Emanzipation sich nicht auch in Zukunft weiter erzählen ließe! Sie, die Berliner Zontians, werden dazu ganz sicher, so wie bisher, ihren Beitrag leisten: als Mentorinnen, als Netzwerkerinnen, als Vorbilder und vor allem als erfolgreiche und durchsetzungsstarke Unternehmerinnen und Führungspersönlichkeiten.
Gut, dass wir Sie haben!
Herzlichen Glückwunsch zum 50-jährigen Jubiläum und - von Frau zu Frau - ein herzliches Dankeschön für Ihr gleichstellungspolitisches Engagement!