Redner(in): Angela Merkel
Datum: 20. Mai 2016

Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident Bach,sehr geehrter Herr Präsident Hörmann,sehr geehrte Festgäste aus dem In- und Ausland,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2016/05/2016-05-20-merkel-dosb.html


Vor nunmehr zehn Jahren wurde der Deutsche Olympische Sportbund gegründet. Auch ich erinnere mich noch genau daran. Diese zurückliegenden zehn Jahre waren reich an sportlichen Höhepunkten und Erfolgen. Deshalb möchte ich im Namen der ganzen Bundesregierung herzlich gratulieren.

Über 27Millionen Vereinsmitgliedschaften sprechen eine eigene Sprache: Sport ist in Deutschland eine Volksbewegung im besten Sinne des Wortes. Ein Drittel der Gesamtbevölkerung engagiert sich also im und für den Vereinssport. Wenn wir auch all die anderen dazuzählen, die sportlich aktiv sind oder Sportereignisse mitverfolgen, dann ist es nicht übertrieben zu sagen, dass Sport zum Leben einfach dazugehört. Fast jeder begeistert sich für irgendeine Disziplin. Der Fußball steht ganz vorn. Schon er allein hat Millionen Fans in Deutschland.

Deutschland ist eine begeisterte und begeisternde Sportnation. Angesichts einer unglaublichen Vielfalt an Angeboten findet sich für jeden eine Lieblingssportart. Dies gilt auch für den paralympischen Sport. Mit oder ohne Beeinträchtigung Sport tut einfach gut. Er entfaltet körperliche, soziale und emotionale Kräfte. Er baut Berührungsängste ab und bringt Menschen zusammen.

Deshalb ist Sport auch ein ausgezeichneter Integrationsmotor. Kaum jemand weiß dies besser als Sie in den Vereinen und Verbänden. Mehr als 25Jahre reichen die Wurzeln des bundesweiten Programms "Integration durch Sport" zurück. Dass der Name auch wirklich Programm ist dafür sorgt heute der Deutsche Olympische Sportbund, unterstützt vom Bundesministerium des Innern und vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Dieses Programm hat sich bewährt. Daher haben wir es auch für Asylbewerberinnen und Asylbewerber geöffnet und die Bundesmittel für 2016 mehr als verdoppelt auf insgesamt über elfMillionen Euro. Ich halte das für eine sehr lohnende Investition. Denn in einem Sportverein mitmachen zu können, macht es Neuankömmlingen leichter, erste Kontakte zu knüpfen, unser Land besser kennenzulernen und einen guten Platz in unserer Gesellschaft zu finden. Allen, die dabei hilfreich zur Seite stehen, möchte ich herzlich danke sagen.

Die wohl wichtigste Stütze des Sports ist und bleibt das ehrenamtliche Engagement. Überall in unserem Land finden sich unzählige Sportfreunde, die sich in ihrer freien Zeit um die Organisation des Vereinslebens kümmern, Turniere veranstalten oder den Nachwuchs trainieren. Sie packen mit an und sind da, wenn sie gebraucht werden. Ohne sie wäre der Sport in seiner Breite undenkbar. Sie sind das Rückgrat des Breitensports. Und ohne diese Grundlage sind auch Erfolge im Spitzen- und Leistungssport in Deutschland kaum denkbar.

Zumeist nehmen erfolgreiche Sportkarrieren bereits im Kindesalter ihren Lauf. Das heißt, Eltern spielen eine entscheidende Rolle. Aber gewiss nicht allen behagt der Gedanke, dass sich ihre Kinder als Möchte-gern-Profis auf die Ausübung einer Sportart konzentrieren. Denn wer weiß schon genau, wie sich das auf die Schulbildung und auf die künftige berufliche Perspektive auswirkt. Zweifellos aber macht es Kindern viel Freude, sich mit anderen zu messen und sportliche Erfolge einzufahren. Dies kann der Beginn einer wunderbaren Laufbahn im Leistungssport sein.

Aber Tatsache ist auch: Der Weg ist hart. Bis Nachwuchssportler zur Spitze vorstoßen, sind neben sportlichen auch viele andere Hürden zu überwinden. Vor allem Bildung, Ausbildung und Studium mit Leistungssport zu vereinbaren, ist für viele ein Drahtseilakt. Zum Glück engagieren sich viele Sportvereine und -verbände, damit dieser Drahtseilakt gelingt. Dabei kooperieren immer mehr Vereine direkt mit Schulen. Sie bieten AGs an oder schicken ihre Trainer in den Sportunterricht. In Berlin zum Beispiel gibt es das Projekt "Profivereine machen Schule". Davon haben alle Seiten etwas: Der Schulsport verbessert sich; und die Vereine gewinnen Nachwuchs. Alba Berlin hat sogar eine eigene Grundschulliga gegründet.

Daneben brauchen wir natürlich auch engagierte Eltern. Viele Mütter und Väter sind erfreulicherweise bereit, ihren Kindern das Training und die Teilnahme an Wettkämpfen zu ermöglichen. Das fängt mit dem Hinfahren und Abholen an und führt über den Kauf von Sportkleidung und -ausrüstung bis hin zur Übernahme von Aufgaben im Verein. Das alles machen sie, weil sie sehen, was ihre Kinder gewinnen. Damit meine ich nicht nur Pokale, sondern vor allem auch soziale Werte wie Ausdauer und Disziplin, Teamgeist, Fairness und Toleranz also Eigenschaften, die nicht nur im Sport, sondern in allen Lebensbereichen zählen.

Aber ich will auch nichts schönreden, denn eine Karriere in Sport und Beruf verlangt einiges ab. Die Herausforderung, Höchstleistungen in beidem zu erbringen, ähnelt der viel zitierten Quadratur des Kreises. Daher endet manch vielversprechende Sportkarriere aus Sorge um die Zukunft vorzeitig. Oft ist der Verdienst aus dem sportlichen Erfolg zu gering, um damit auch für die Zeit nach der Profi-Ära vorzusorgen. Einige Stars in populären Sportarten verdienen ausgezeichnet. Viele andere hingegen haben es dagegen deutlich schwerer, sportlichen Erfolg in finanzielle Sicherheit umzusetzen. Da braucht es andere Quellen der Motivation.

Umso bemerkenswerter ist eine Einstellung, wie sie zum Beispiel der Ringer und amtierende Weltmeister Frank Stäbler zum Ausdruck brachte ich möchte ihn zitieren: "Mir war immer bewusst, dass ich mit Ringen nicht reich werde. Ich habe das Ziel, dass ich innerer Millionär werde." Zitatende. In jedem Fall ist es Gold wert, dass es zum Beispiel die Initiative "Sprungbrett" gibt. Damit bietet die Bundesregierung gemeinsam mit der Stiftung Deutsche Sporthilfe ehemaligen Spitzenathletinnen und -athleten Unterstützung an, wenn sie ihre beruflichen Chancen verbessern wollen.

Wir brauchen junge Menschen, die Ja zum Leistungssport sagen, die die Mühe jahrelangen Trainings auf sich nehmen und vieles andere zurückstellen für den eigenen Erfolg, aber auch für den Erfolg unseres Landes. Denn unsere Athletinnen und Athleten sind auch unsere Botschafter in der Welt. Sie treten bei internationalen Wettbewerben für Deutschland an, repräsentieren unser Land und geben ihm ein Gesicht. Topsportler sind auch Botschafter ihrer Disziplin und als solche gleichsam leuchtende Vorbilder. Steigt ihr Stern, steigen oft auch die Anmeldungen in den Vereinen.

Im Grunde ist es ein Kreislauf: Erfolg weckt Begeisterung; Begeisterung sorgt für Nachwuchs; und mit dem Nachwuchs wachsen die Chancen auch auf künftigen Erfolg. Spitzensport beflügelt also den Breitensport. Und dieser wiederum ist die Quelle des Spitzensports. Spitzen- und Breitensport sind zwei Seiten ein- und derselben Medaille.

Diese Medaille glänzt aber nur dann, wenn sportliche Erfolge wirklich ehrliche Erfolge sind. Sport entfaltet seine vielen positiven Effekte nur, wenn seine Integrität gesichert ist. Manipulation, Doping und Korruption hingegen machen Siege zur Farce. Sie zerstören jede Glaubwürdigkeit. Sie haben im Sport nichts zu suchen. Eine verbesserte gesetzliche Grundlage ermöglicht eine angemessene Sanktionierung krimineller Verhaltensweisen. Strafgesetze können aber nur ein Baustein sein, um Sport sauber zu halten. Dazu braucht es vor allem auch das gemeinsame Engagement der Vereine und Verbände, der Trainer und Betreuer, der Fanclubs und natürlich der Sportler selbst. In der Präambel zur Satzung des DOSB heißt es ich zitiere: "Der DOSB tritt ausdrücklich für einen humanen, manipulations- und dopingfreien Sport ein." Dieser Anspruch muss uns alle im Sport wie in der Politik leiten. In diesem Sinne gilt es, eine Sportkultur zu pflegen, die einer ungetrübten Sportbegeisterung dient.

Meine Damen und Herren, was kann man sich für das Jubiläumsjahr 2016 mehr wünschen als viele großartige sportliche Erfolge? In dieser Hinsicht wurden wir bislang wahrlich nicht enttäuscht. Denken wir nur an die medaillenträchtigen Wettbewerbe im Wintersport, an den EM-Titel unserer Handballer oder jüngst an die deutschen EM-Erfolge der Kanuten, Ruderer, Wasserspringer und nicht zuletzt der Schwimmer mit Behinderung. Hier an alle Sternstunden allein der ersten Monate dieses Sportjahres zu erinnern, würde den Rahmen sprengen.

Die meisten fiebern nun bereits der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich entgegen. Wenig später stehen die Olympischen und Paralympischen Spiele in Rio auf dem Programm. Bei aller gebotenen diplomatischen Zurückhaltung auch mit Blick auf unsere internationalen Gäste ich drücke trotzdem allen deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Daumen.

Das Sportjahr 2016 insgesamt lässt uns kaum zum Atmen kommen. Aber wir wollen es auch nicht anders. Als Sportnation wollen wir uns und anderen immer wieder beweisen, was in uns steckt. Wenn es stimmt, dass der Sport ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, dann kann sich unser Land wirklich sehen lassen. Großen Anteil daran haben auch der DOSB und alle seine Mitglieder. An ihrem unermüdlichen Einsatz für ein in umfassendem Sinne sportliches Miteinander lässt sich ihr Stellenwert in unserer Gesellschaft ermessen. Daher kommt es wirklich von Herzen, wenn ich Ihnen Dank für Ihren Einsatz ausspreche und auch für die nächsten zehn Jahre große Erfolge wünsche.

Herzlichen Dank.