Redner(in): Monika Grütters
Datum: 15. Juni 2016

Untertitel: Kulturstaatsministerin Grütters hat bei der Ausstellungs-Eröffnung an die mutigen Bürgerinnen und Bürger erinnert, deren Zivilcourage "wir die Friedliche Revolution verdanken." Deren Verlauf wird im Innenhof der ehemaligen Stasi-Zentrale nachgezeichnet. Mit der Ausstellung profiliere sich der authentische Gedenkort als "Ort der Aufklärung über Diktatur und Widerstand" so Grütters.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2016/06/2016-06-15-gruetters-ausstellung.html


Kulturstaatsministerin Grütters hat bei der Ausstellungs-Eröffnung an die mutigen Bürgerinnen und Bürger erinnert, deren Zivilcourage "wir die Friedliche Revolution verdanken." Deren Verlauf wird im Innenhof der ehemaligen Stasi-Zentrale nachgezeichnet. Mit der Ausstellung profiliere sich der authentische Gedenkort als "Ort der Aufklärung über Diktatur und Widerstand" so Grütters.

Nur fünf Kilometer Luftlinie und elf Minuten Fahrzeit mit den öffentlichen Verkehrsmitteln liegen zwischen Alexanderplatz und Normannenstraße. Und doch könnte die gefühlte Distanz zwischen diesen beiden Orten angesichts ihrer DDR-Vergangenheit größer nicht sein: Hier der hermetisch abgeriegelte Maschinenraum staatlicher Macht, von dem im Auftrag der SED Überwachung und Unterdrückung durch das Ministerium für Staatssicherheit ausgingen.

Dort ein öffentlich Platz, an dem Menschen aufbegehrten gegen den Unrechtsstaat, ein Schauplatz zweier friedlicher Demonstrationen, die im kollektiven Gedächtnis bleiben werden: der gescheiterte Volksaufstand am 17. Juni 1953 - damals wurde unter anderem am Alex demonstriert - und die erfolgreiche Alexanderplatz-Demonstration am 4. November 1989, die größte systemkritische Demonstration der DDR-Geschichte, ein Meilenstein der Friedlichen Revolution.

Wenn wir heute hier im Innenhof der ehemaligen Stasi-Zentrale die neue Open-Air-Dauerausstellung "Revolution und Mauerfall" der Robert-Havemann-Gesellschaft eröffnen - eine Neugestaltung der erfolgreichen Präsentation, die 2009 und 2010 auf dem Alexanderplatz zu sehen war - , rückt stärker als bisher das Verbindende zwischen diesen beiden Orte ins Blickfeld.

Verbindend ist, dass gerade diejenigen, die als Oppositionelle in der DDR gegen den Unrechtsstaat der SED gekämpft und friedlichen Demonstrationen unter anderem auf dem Alexanderplatz den Weg bereitet haben, dem von der Normannenstraße aus verwalteten und gesteuerten Bespitzelungssystem der Stasi und deren Einschüchterungs- und Zermürbungsstrategien permanent und ungeschützt ausgesetzt waren.

Verbindend ist, dass aufgebrachte DDR-Bürger nicht nur am Alexanderplatz und anderen Orten demonstrierten, sondern im Januar 1990 auch die Stasi-Zentrale stürmten und damit das endgültige Ende des Staatssicherheitsdienstes besiegelten - jenes auf kalte Effizienz getrimmten Repressionsapparats, der jedes Infragestellen staatlicher Autorität im Keim erstickt und dem SED-Regime auf diese Weise die Macht gesichert hatte.

Verbunden sind diese beiden Orte damit in der Rückschau als Stationen jener deutschen Freiheitsgeschichte, die von den dramatischen Ereignissen 1953 über die Massenflucht in den Westen Deutschlands bis zum Mauerbau 1961, den demokratischen Aufbruch im Sommer und Herbst 1989, den Fall der Mauer im November 1989 bis zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 reicht.

Die neue Dauerausstellung "Revolution und Mauerfall" macht diese Verbindungen sichtbar und erweitert die Bedeutung des authentischen Gedenkortes in der Normannenstraße, so wie im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD vereinbart. Sie trägt zur Profilierung dieses authentischen Erinnerungsortes als Ort der Aufklärung über Diktatur und Widerstand bei. Dafür danke ich Ihnen, lieber Herr Sello, und allen, die an der Vorbereitung der neuen Dauerausstellung beteiligt waren.

Es ist das Verdienst der Robert-Havemann-Gesellschaft und ihrer Ausstellungen, Veranstaltungen, Publikationen und Bildungsprojekte, dass all jene DDR-Bürgerinnen und -Bürger nicht in Vergessenheit geraten, die den umfassenden Machtanspruch der SED in Frage gestellt haben, die dafür hohe persönliche Risiken in Kauf genommen haben und häufig auch Nachteile und Einschränkungen, zermürbende Schikanen, Haft und Gewalt ertragen mussten.

So wie es keinen Schlussstrich unter die Aufarbeitung des SED-Unrechts und unter das Gedenken an das Leid der Opfer geben darf, so darf nicht aus dem Blickfeld geraten, wem wir die Friedliche Revolution verdanken - den Sturz einer Diktatur allein durch massenhafte Mobilisierung gewaltfreier Proteste. Wir verdanken sie der Zivilcourage der Menschen, die sich ihre innere Unabhängigkeit trotz aller Repressalien nicht nehmen ließen und der Diktatur die Stirn boten - die, um es frei nach Reiner Kunze zu sagen, für sich auch in der Unfreiheit eine Wahl sahen, und sei es, sich denen nicht zu beugen, die ihnen ihre Wahl nahmen. An den Mut, den kritischen Geist und den Freiheitswillen dieser aufrechten Bürgerinnen und Bürger erinnert die Havemann-Gesellschaft.

Deshalb freue ich mich, dass mein Haus nicht nur zur Finanzierung der neuen Dauerausstellung beiträgt, sondern nun auch die langfristige finanzielle Absicherung der Havemann-Gesellschaft ermöglichen wird. Ich konnte das Land Berlin für eine gemeinsame, dauerhafte Förderung gewinnen, und wenn die Haushaltsgesetzgeber auf Bundes- und Landesebene zustimmen, können die bisherigen, zeitlich begrenzten Projektförderungen durch eine institutionelle Förderung abgelöst werden.

Außerdem haben wir - auch diese erfreuliche Nachricht soll nicht unerwähnt bleiben - sicherstellen können, dass das kostbare Schriftgut des Archivs der DDR-Opposition weiterhin gut untergebracht bleibt. Nachdem die Havemann-Gesellschaft an ihrem Standort in der Schliemannstraße kurzfristig die entsprechende Etage räumen muss, hat der Bund in kürzester Zeit die Weichen für eine Interimsunterbringung gestellt. Das Archiv kann in die Normannenstraße - und zwar in Haus 22 -einziehen, wo es bleiben kann, bis das endgültige Quartier in Haus 7 bezugsfertig ist. Herzlichen Dank allen Unterstützern und Kooperationspartnern vor allem bei der BImA und der BStU! Ich hoffe nun auf ein zügiges Genehmigungsverfahren durch den Bezirk Lichtenberg und auf Ihre Unterstützung, liebe Frau Monteiro. Wir haben im Sinne der Nutzung des Gesamtgeländes zur Aufarbeitung der Stasi-Geschichte ja auch bisher schon hervorragend zusammengearbeitet- nicht zuletzt durch die gemeinsame Förderung der Open-Air-Ausstellung. Dafür herzlichen Dank!

Auch wenn für uns heute der Gedenktag 17. Juni im Mittelpunkt der Erinnerung steht, meine Damen und Herren: Es ist ein interessanter Zufall, dass wir die Eröffnung der Ausstellung "Revolution und Mauerfal" ausgerechnet heute feiern - auf den Tag genau 55 Jahre, nachdem Walter Ulbricht auf einer Pressekonferenz erklärte, niemand habe die Absicht, eine Mauer zu errichten. Zwei Monate später begannen bekanntlich die Arbeiten für den Bau der Mauer, die 28 Jahre lang die Eingrenzung und Unterdrückung der Bürgerinnen und Bürger zementierte, bis der Ruf "Wir sind das Volk" seine revolutionäre Kraft entfaltete.

Die Erinnerung an Oppositionelle und Bürgerrechtler und an das Bewusstsein für den Wert demokratischer Freiheiten lebendig zu halten - das ist der Anspruch, mit dem wir die ehemalige Stasi-Zentrale zum Ort der Aufklärung über Diktatur und Widerstand entwickeln. Die Auseinandersetzung mit unserer jüngsten Geschichte - vor allem mit der SED-Diktatur, aber auch mit der Oppositions- und Bürgerrechtsbewegung, die 1989 Bürgerinnen und Bürger aus allen Altersgruppen und sozialen Schichten zum Eintreten für demokratische Rechte ermutigt hat - ist wichtiger denn je. Sie ist wichtiger denn je in Zeiten, in denen der Ruf der Montagsdemonstrationen "Wir sind das Volk" missbraucht wird, um auf breiter Front Ressentiments gegen anders Denkende, anders Glaubende, anders Aussehende, anders Lebende zu schüren - und damit auch gegen die Freiheit, Vielfalt und Rechtsstaatlichkeit einer pluralistischen Demokratie. Möge die Ausstellung "Revolution und Mauerfall" ihren Besucherinnen und Besuchern vermitteln, wie hart erstritten und erkämpft diese demokratischen Errungenschaften sind - und dass es sich immer wieder dafür zu streiten und zu kämpfen lohnt!