Redner(in): Monika Grütters
Datum: 17. August 2016

Untertitel: Zum Auftakt des Young Euro Classic Festivals hat hat Kulturstaatsministerin Grütters das European Union Youth Orchestra als "herausragendes Symbol der kulturellen Vielfalt Europas" gewürdigt. "Wir brauchen den Musik gewordenen europäischen Geist, die völkerverbindenden Charakter der Kultur", so Grütters.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2016/08/2016-08-17-gruetters-young-euro-classics.html


Zum Auftakt des Young Euro Classic Festivals hat hat Kulturstaatsministerin Grütters das European Union Youth Orchestra als "herausragendes Symbol der kulturellen Vielfalt Europas" gewürdigt."Wir brauchen den Musik gewordenen europäischen Geist, die völkerverbindenden Charakter der Kultur", so Grütters. Eine kleine Reise ist genug, um uns und die Welt zu erneuern ", diese Worte stammen aus der Feder des französischen Schriftstellers Marcel Proust. Sich selbst erneuern - sich intellektuell zu erfrischen, sich inspirieren zu lassen und seine Gedanken zu ordnen - ja, das geht besonders gut an fernen, fremden Orten.

Seit Jahrhunderten schon packt Menschen, vor allem Künstler, immer wieder die Wanderlust: Georg Friedrich Händel zog es aus dem Mitteldeutschen Raum über Hannover nach London, um dort im bürgerlichen Umfeld als freier Komponist und Opernunternehmer zu wirken. Ludwig van Beethoven reiste von Bonn nach Wien, um Schüler Joseph Haydns zu werden. Der Norweger Edvard Grieg studierte in Leipzig und blieb der Stadt, in der er später Freundschaft mit Joseph Brahms und dem Russen Peter Tschaikowsky schloss, ein Leben lang verbunden. Ja, viele unserer größten Musikgenies waren Europäer, und das gilt auch für andere Künstler - man denke nur an Goethe, den Italienreisenden, oder auch an den frankophilen Heinrich Heine.

Die Entwicklung der klassischen Musik jedenfalls ist ohne den geistigen Austausch fern der Heimat undenkbar. Undenkbar sind mittlerweile allerdings auch: tagelange Reisen mit der Postkutsche oder per pedes. Wie gut geht es den jungen Musikerinnen und Musikern heute, die Europa und die Welt entdecken wollen! Die "Nachfahren" Händels, Beethovens und Griegs können ohne Visum von Barcelona nach Bukarest, von Tallinn nach Turin reisen, sind dank sozialer Medien immer und überall mit Freunden aus aller Welt verbunden - und sie treffen sich seit 16 Jahren hier in Berlin zum Young Euro Classic Festival!

In diesem Jahr wird das Festival von einem ganz besonderen Orchester eröffnet: Das European Union Youth Orchestra ist seit 40 Jahren herausragendes Symbol der kulturellen Vielfalt Europas. Es ist zugleich Symbol der verbindenden Idee eines vereinten, friedlichen Europas und damit Botschafter unserer gemeinsamen kulturellen Wurzeln und Werte. Nur wenige europäische Kulturprojekte verkörpern so glaubwürdig und lebendig das europäische Prinzip der Einheit in Vielfalt.

Als ich im Mai davon hörte, dass die Arbeit der jungen Musikerinnen und Musiker ab September nicht mehr weitergeführt werden kann, weil die EU-Finanzierung ausläuft, war ich erschüttert! Denn wir brauchen heute mehr denn je den Musik gewordenen europäischen Geist, die Solidarität und Begeisterung der Jugend, den völkerverbindenden Charakter der Kultur. Kultur hat - mehr als viele andere gesellschaftliche Milieus - die Kraft der Integration. Wenn es dieses europäische Jugendorchester noch nicht gäbe, müsste man es jetzt gründen!

Dem Orchester die Mittel zu streichen, war das völlig falsche Signal zum völlig falschen Zeitpunkt. Deswegen habe ich mich - gemeinsam mit meinen europäischen Kollegen - dafür eingesetzt, dass wir bei den Beratungen der Europäischen Kultur- und Medienminister in Brüssel über die Finanzierung des Orchesters sprechen. Unsere Initiative war erfolgreich: In diesem Jahr stehen 600.000 Euro als kurzfristige Finanzhilfen zur Verfügung. Für die Zukunft des Orchesters wird es nun darauf ankommen, die Möglichkeiten der europäischen Förderung weiter auszuschöpfen.

Das ist mir ein echtes Herzensanliegen. Denn ich bin sicher, dass die jungen Musikerinnen und Musiker mit ihrer künstlerischen Meisterschaft, mit ihrem Selbstverständnis als Europäerinnen und Europäer und mit der musikalischen Strahlkraft der Vielfalt auch andere Menschen für die europäische Idee begeistern können - ganz nach dem Young Euro Classic-Motto "Hier spielt die Zukunft!".

Dieses Motto, meine Damen und Herren, dürfen wir sicherlich nicht nur als schlichte Beschreibung der hier vertretenen Altersgruppe verstehen, sondern auch als Vision und damit vielleicht durchaus auch als Kampfansage - als Kampfansage gegen all jene, die in Deutschland wie in anderen europäischen Ländern gegenwärtig auf breiter Front Ressentiments gegen anders Denkende, anders Glaubende, anders Aussehende, anders Lebende schüren. Hier spielt die Zukunft! ", das heißt: Wir setzen dem Bedürfnis nach Abgrenzung, der um sich greifenden Fremdenfeindlichkeit, der Sehnsucht nach einer homogenen Gesellschaft und dem Ruf nach einem starken Nationalstaat den Stolz auf die vielfältige, im Austausch mit anderen Kulturen gewachsene europäische Kultur entgegen und das Vertrauen darauf, dass uns in Europa weiterhin gelingt, was in einem Orchester selbstverständlich ist: das Zuhören und Einfühlen, das Lauschen auf andere Stimmen, auf Takt und Tonart, auf laut und leise.

In diesem Sinne wünsche ich dem Young Euro Classic Festival 2016 ein aufmerksames Publikum und allen beteiligten Künstlerinnen und Künstlern viel Freude und Applaus."Musik ( … ) macht das Herz weich;( … ) ganz still und ohne Gewalt macht die Musik die Türen der Seele auf." Das hat die deutsche Widerstandskämpferin Sophie Scholl einmal gesagt. Mögen diese Worte hier im Konzerthaus am Gendarmenmarkt und weit darüber hinaus Resonanz finden!