Redner(in): Monika Grütters
Datum: 14. Oktober 2016

Untertitel: Zum 70jährigen Bestehen der Neuen Bühne Senftenberg hat Kulturstaatsministerin Grütters die Neue Bühne Senftenberg für ihre große Professionalität, Leidenschaft und Experimentierfreude gewürdigt. "Theater sind Orte öffentlicher Debatten, die die Gesellschaft auch immer mitformen", so Grütters bei der Jubiläumsfeier. Die aktuelle politische Lage zeige, wie unverzichtbar Stadttheater abseits der Metropolen seien. - Die Rede Wortlaut:
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2016/10/2016-10-14-gruetters-theaterreise-senftenberg.html


Zum 70jährigen Bestehen der Neuen Bühne Senftenberg hat Kulturstaatsministerin Grütters die Neue Bühne Senftenberg für ihre große Professionalität, Leidenschaft und Experimentierfreude gewürdigt."Theater sind Orte öffentlicher Debatten, die die Gesellschaft auch immer mitformen", so Grütters bei der Jubiläumsfeier. Die aktuelle politische Lage zeige, wie unverzichtbar Stadttheater abseits der Metropolen seien. - Die Rede Wortlaut: WIR SIND 70! "- Diesem umarmenden" Wir ", das da so euphorisch in Versalien daher kommt, schließe ich mich heute Abend zum Abschluss meiner Theaterreise durch Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg nur allzu gerne an. Spätestens seit der Kult-Schlagzeile" WIR SIND PAPST! "2005 und dem Jubelschrei" WIR SIND WELTMEISTER! "2014 sind wir Deutschen ja geübt darin, mit einem solchen" WIR " überschwänglich ein Höchstmaß kollektiver Freude und Begeisterung zum Ausdruck zu bringen. Dazu muss man weder katholisch noch sportlich noch 70 sein.

Anlass zu Freude und Begeisterung haben wir alle, die wir das Theater lieben, heute wahrlich genug. Das Theater Senftenberg steht mit seiner 70jährigen Geschichte für hohe Professionalität, für Theaterleidenschaft, für Verbundenheit mit seinem Publikum und für den Mut zum Experiment. Hier haben bedeutende Schauspielerinnen und Schauspieler die Bretter betreten, die die Welt bedeuten, bevor sie die Theaterwelt erobert haben. Dramaturgen und Regisseure wie Michael Thalheimer und Frank Castorf konnten sich hier ausprobieren, bevor sie mit Inszenierungen, die heute als legendär gelten, Theatergeschichte schrieben. Zu Ruhm und Glanz haben aber auch all jene Künstlerinnen und Künstler beigetragen, die auf dieser Bühne mutig die Freiheit der Kunst hoch hielten, nachdem das berüchtigte 11. Plenum des Zentralkomitees der SED 1965 der Freiheit der Kunst den Kampf angesagt hatte.

Auch das Überleben war manchmal ein Kampf - und leider hat nicht alles, was einmal gut war, auch überlebt. Die Abwicklung des Balletts, des Orchesters und des Musiktheaters zählt zweifellos zu den bitteren Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte. Und doch - oder vielleicht auch: gerade deshalb - ist es eine Theatergeschichte, die Mut schenkt und zuversichtlich stimmt für die Zukunft der vielen kleinen Stadttheater, die Deutschlands Theaterlandschaft in ihrer Vielfalt weltweit so einmalig machen. Die Neue Bühne Senftenberg konnte sich allen Widrigkeiten zum Trotz behaupten, weil sie ihrem Anspruch treu blieb, mit den Mitteln der Kunst immer wieder im besten Sinne Unruhe zu stiften und mit einem abwechslungsreichen Spielplan das Publikum zu begeistern.

Wie wichtig, ja wie unverzichtbar Stadttheater als Orte der Selbstverständigung einer Gesellschaft sind - und zwar gerade auch abseits der Metropolen - , das zeigt sich angesichts der aktuellen politischen Lage heute vielleicht mehr denn je. Es ist beschämend und beängstigend, was wir im Moment erleben: die grölenden und pöbelnden Horden vor Flüchtlingsunterkünften oder zuletzt in Dresden bei den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit; der Hass und die Verrohung in den sozialen Netzwerken; die Demonstrationen, auf denen Ressentiments geschürt werden gegen anders Denkende, anders Glaubende, anders Aussehende, anders Lebende und damit gegen die Freiheit und Vielfalt einer pluralistischen Gesellschaft.

Unter den verschiedenen künstlerischen Sparten sind es gerade die Theater, die sich in der Verantwortung sehen, auf gesellschaftliche Veränderungen einzugehen. Theater sind Orte öffentlicher Debatten, die die Gesellschaft nie nur abbilden, sondern immer auch mitformen. Ihre "Kultur der nichtradikalisierten Diskussion", wie Ulrich Khuon vom Deutschen Theater Berlin es einmal formuliert hat, gewinnt gerade in Zeiten an Bedeutung, in denen eine Spaltung der Gesellschaft droht, weil unterschiedliche Lager nicht imstande sind, miteinander zu sprechen und sich zu verständigen. Was Theater hier leisten, wird leider vielfach nicht angemessen wahrgenommen und gewürdigt. Deshalb habe ich im vergangenen Jahr zum ersten Mal einen Theaterpreis des Bundes für die Programmarbeit kleiner und mittlerer Bühnen ausgelobt und im Januar erstmals an zwölf Theater vergeben. Er soll künftig hoffentlich alle zwei Jahre ausgeschrieben werden und besondere Leistungen der Theater abseits der Metropolen ins Rampenlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit holen. Ich weiß, lieber Herr Soubeyrand, dass sich auch Ihr Theater mit einer - wie ich mir habe sagen lassen - sehr sympathischen Bewerbung beteiligt hat. Wenn sich die unabhängige Jury im letzten Jahr nicht für Ihr Haus entschieden hat, so lassen Sie sich bitte davon nicht entmutigen. Für die nächste Preisvergabe kann ich Ihnen natürlich keinen Jubiläumsbonus versprechen - aber den hat das Theater Senftenberg ohnehin auch gar nicht nötig. Denn es ist ein Haus, das nah an seinem Publikum ist, nah an den Themen, die die Menschen bewegen, ein Haus, das auch den Spaß, die schlichte Freude am Theaterspiel nicht gering schätzt.

Ich jedenfalls wünsche der Neuen Bühne Senftenberg weiterhin viel Erfolg und ein ebenso treues wie begeistertes Publikum -Theaterliebhaberinnen und Theaterliebhaber, die "ihrem" Stadttheater und "ihren" Künstlerinnen und -künstlern auch im Alltag die Wertschätzung schenken, die beim so wunderbar inszenierten "Spektakel" zum Fest überall sichtbar und spürbar ist. In diesem Sinne sagen wir heute stolz "WIR SIND 70!" - und ergänzen es durch ein zuversichtliches "WIR WERDEN 80, 90, 100!", mindestens!

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Neue Bühne Senftenberg!