Redner(in): Monika Grütters
Datum: 17. Oktober 2016

Untertitel: Beim Richtfest für die Erweiterung des Deutschlandhauses hat Kulturstaatsministerin Grütters den Umbau als "sichtbares Zeichen gegen Flucht und Vertreibung" gewürdigt. Das Gebäude soll unter anderem die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung mit ihrem Dokumentationszentrum beziehen. Grütters lobte das schlüssige Konzept der geplanten Dauerausstellung. Die Geschichte von Flucht und Verreibung durch die nationalistischen Expansions- und Vernichtungspolitik werde eingebettet in die Geschichte. Damit profiliere sich das Dokumentationszentrum als Lernort. - Die Rede im Wortlaut
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2016/10/2016-10-18-gruetters-deutschlandhaus.html


Beim Richtfest für die Erweiterung des Deutschlandhauses hat Kulturstaatsministerin Grütters den Umbau als "sichtbares Zeichen gegen Flucht und Vertreibung" gewürdigt. Das Gebäude soll unter anderem die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung mit ihrem Dokumentationszentrum beziehen. Grütters lobte das schlüssige Konzept der geplanten Dauerausstellung. Die Geschichte von Flucht und Verreibung durch die nationalistischen Expansions- und Vernichtungspolitik werde eingebettet in die Geschichte. Damit profiliere sich das Dokumentationszentrum als Lernort. - Die Rede im Wortlaut

Vor knapp zwei Jahren widmete der ehemalige Botschafter Israels in Deutschland, Avi Primor, seine Rede zum Volkstrauertag der Frage, ob ein Jude über deutsche Gefallene und deutsche Opfer des Zweiten Weltkrieges trauern könne."Ja", sagte er, weil Deutschland sich verändert habe - ein Vorbild geworden sei in Sachen Erinnerung und Gewissenserforschung. Ich zitiere: "Weltweit habe ich außer Deutschland kein einziges Land gefunden, das es gewagt hat, Mahnmale zu errichten, die an die eigenen Verbrechen erinnern und die eigene Schande verewigen. Mit so einem Deutschland trauere ich gern."

Nicht immer, meine Damen und Herren, waren die Antworten so klar im Sinne einer auch deutsche Opfer einschließenden Erinnerungskultur, wenn wir Deutschen in den vergangenen Jahren um eine angemessene Form des Gedenkens an Flucht und Vertreibung in Folge des Zweiten Weltkriegs gerungen haben. Ich kann die damit verbundenen Ängste und Befürchtungen auch sehr gut nachvollziehen. Es ist Teil demokratischer Aufarbeitung der Vergangenheit, solche Konflikte zuzulassen und auszutragen, so schmerzhaft das auch ist. Umso mehr erfüllt es mich Dankbarkeit, dass wir nun - im Bewusstsein deutscher Verbrechen, im Bewusstsein deutscher Schuld und Schande - nach vielen Jahren teils erbitterter Auseinandersetzungen auch der Erinnerung an Flucht und Vertreibung der rund 14 Millionen Deutschen im und nach dem Zweiten Weltkrieg Raum geben können.

Mit dem Umbau und der Sanierung des Deutschlandhauses, das künftig das Dokumentationszentrum der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" beherbergen wird, entsteht nun auch physisch jenes "sichtbare Zeichen gegen Flucht und Vertreibung", das die Bundesregierung im März 2008 beschlossen hat, um im Kontext der nationalistischen Expansions- und Vernichtungspolitik an die Zwangsmigrationen des 20. Jahrhunderts und die millionenfach damit verbundenen, menschlichen Schicksale zu erinnern. Die bis zuletzt kontroversen Debatten und Verwerfungen zeigen einmal mehr, wie schwierig es ist, eine all den unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen angemessene Form des Erinnerns an das unermessliche Leid zu finden, das Deutschland im 20. Jahrhundert über Europa gebracht hat.

Als kaum weniger schwierig erweist sich hier in Berlin leider immer wieder auch die pünktliche Fertigstellung von Bauvorhaben. Es ist mir wichtig, hier klar zu stellen: Erstens, die zusätzlichen Kosten beim Bau des Deutschlandhauses sind nicht auf Änderungen der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" zurückzuführen. Und zweitens, die Stiftung ist nur EINE Nutzerin des Deutschlandhauses mit einem Anteil von rund 40 Prozent. Wenn wir die baulichen Probleme, die nun auch hier aufgetreten sind und über die das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung ( BBR ) uns kürzlich unterrichtet hat, schon in Kauf nehmen müssen, dann sollten wir, wie ich finde, die Verzögerung der Bauübergabe nutzen, um der Dauerausstellung konzeptionell den letzten Feinschliff zu geben und angesichts aktueller politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen noch ein wenig nachzujustieren - freilich ohne den grundsätzlichen Konsens über das gemeinsam vom Stiftungsrat und dem wissenschaftlichen Beraterkreis erarbeitete Konzept in Frage zu stellen.

Gundula Bavendamm hat dazu nach ihrem Amtsantritt als neue Direktorin der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" eine Arbeitsweise an den Tag gelegt, die den Stiftungsrat sehr beeindruckt hat. Mit Ihrem Anliegen, liebe Frau Dr. Bavendamm, den Schwerpunkt der Dauerausstellung - die Geschichte von Flucht und Vertreibung im und nach dem Zweiten Weltkrieg - einzubetten in die Geschichte der Migration und dabei auch auf die Flüchtlingsströme der Gegenwart einzugehen, schärfen Sie das Profil des Dokumentationszentrums als Lernort. Und eben das ist es, was diese überparteiliche, unabhängige Bundesstiftung leisten kann und soll: dass sie mit der Erinnerung an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert unsere Gesellschaft und hoffentlich Besucher aus der ganzen Welt sensibilisiert für Ursachen und Folgen des Heimatverlusts.

Ich freue mich sehr, dass wir diesem Ziel mit dem heutigen Richtfest ein großes Stück näher gekommen sind, und danke allen, die sich dafür eingesetzt haben: Wer ein Haus kauft, kauft die Nachbarn mit ", lautet ein englisches Sprichwort, und auch wenn dem Einzug des Dokumentationszentrums der" Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung "ins Deutschlandhaus kein Kauf vorausgeht, lohnt sich auch hier ein Blick auf die Nachbarn. Die anderen künftigen Mieter hier im Haus kennen wir ja alle noch nicht. Aber: In unmittelbarer Nähe finden sich andere bedeutende historische Lern- und Gedenkorte, auf deren Arbeit die Stiftung Bezug nimmt: beispielsweise die" Stiftung Topographie des Terrors ", die" Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas "und die" Stiftung Jüdisches Museum ". In dieser Nachbarschaft im Herzen der Hauptstadt bekommt das Gedenken an Flucht und Vertreibung, an deutsche Leidensgeschichten von Heimatverlust und Entwurzelung nicht nur den notwendigen Raum, sondern ganz offensichtlich auch seinen historisch wie politisch angemessenen Platz. In diesem Sinne: auf eine erfolgreiche Fortsetzung der Bauarbeiten!