Redner(in): Monika Grütters
Datum: 07. Dezember 2016

Untertitel: Kulturstaatsministerin Grütters hat in Düsseldorf die Bedeutung von Kultureinrichtungen und kulturellem Engagement betont. "Unsere Kultureinrichtungen - allen voran unsere Museen - geben Auskunft über unser kulturelles Gedächtnis, über unser Bild von uns selbst und der Welt", so Grütters. Staatliche Verantwortung für den Schutz von Kulturgut wie auch die Unterstützung legitimer Interessen von Museen, Sammlern, Geldgebern und Leihgebern seien daher auch in Zukunft unabdingbar.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2016/12/2016-12-07-gruetters-industrieclub-duesseldorf.html


Kulturstaatsministerin Grütters hat in Düsseldorf die Bedeutung von Kultureinrichtungen und kulturellem Engagement betont."Unsere Kultureinrichtungen - allen voran unsere Museen - geben Auskunft über unser kulturelles Gedächtnis, über unser Bild von uns selbst und der Welt", so Grütters. Staatliche Verantwortung für den Schutz von Kulturgut wie auch die Unterstützung legitimer Interessen von Museen, Sammlern, Geldgebern und Leihgebern seien daher auch in Zukunft unabdingbar.

Gäbe es eine Auszeichnung für besondere Verdienste um den Schutz von Kulturgut, wer hätte sie 2016 zuallererst verdient? - Mit gutem Recht könnte man natürlich Museen, aber auch Sammler oder Stifter nominieren. Ich selbst erlebe bei meinen zahlreichen Besuchen in Kultureinrichtungen in ganz Deutschland immer wieder, wie sehr so manches Museum von einer jahrzehntelangen Tradition des bürgerschaftlichen Engagements und des Mäzenatentums profitiert. In Berlin können wir jetzt sogar ein neues Museum der Moderne mit 200 Millionen Euro errichten - um nicht nur die spektakulären Sammlungen der Nationalgalerie angemessen zu präsentieren, sondern auch die Angebote dreier Privatsammler - Marzona, Pietzsch, Marx - zur Überlassung ihrer Kunstwerke anzunehmen. Doch bei aller Wertschätzung für die Meriten unserer Museen und solcher Sammler: Noch preiswürdiger wäre aus meiner Sicht eine Institution, die bisher wohl kaum ein Kunstliebhaber auf dem Schirm hatte - und ich denke dabei nicht an den Deutschen Bundestag, der im Juli ohne eine einzige Gegenstimme unser neues Kulturgutschutzgesetz verabschiedet hat, obwohl auch dies zweifellos ein Meilenstein für den Kulturgutschutz ist. Nein, am meisten verdient hätte diese Auszeichnung in diesem Jahr vermutlich der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag.

Ausgerechnet der Internationale Strafgerichtshof - ausgerechnet ein Gericht, das sich üblicherweise mit schwersten Menschenrechtsverletzungen, mit Völkermord und Kriegsverbrechen, mit Massakern und Massenvergewaltigungen befasst - hat der Weltöffentlichkeit eindrucksvoll vor Augen geführt, warum Kulturgut einen besonders hohen Schutz verdient. Der Internationale Gerichtshof hat unmissverständlich und unüberhörbar klar gemacht: Kulturgüter sind keine Luxusgüter. Kulturgüter sind, wie die Tageszeitung DIE WELT die Anklage zutreffend kommentierte,"existentiell, für Gemeinschaften, Nationen, die Menschheit"; es geht dabei, ich zitiere,"um das Lebensrecht von Gedanken und Ideen." Ähnlich hat sich vergangene Woche Papst Franziskus geäußert: Das kulturelle Erbe mache "eine wesentliche Dimension" des Menschseins aus, sagte er anlässlich einer internationalen Konferenz zum Schutz von Kulturgütern in Konfliktgebieten.

Die Überzeugung, dass Kulturgüter existentiell sind als Spiegel unserer Geschichte und unserer Identität, diese Überzeugung ist Teil unseres Selbstverständnisses als Kulturnation. Kultur ist, was uns definiert. Kultur ist, was uns ausmacht - als Menschen, als Europäer, als Deutsche, als Rheinländer oder Thüringer, als Bayern oder Mecklenburger, als Hamburger oder Berliner. Unsere Kultureinrichtungen - allen voran unsere Museen - geben Auskunft über unser kulturelles Gedächtnis, über unser Bild von uns selbst und der Welt. Nationale Identität erwächst zuallererst aus dem Kulturleben eines Landes.

Deutschland ist dank einer staatlichen Kulturfinanzierung, die weltweit ihresgleichen sucht ( - wir haben im Deutschen Bundestag gerade den Bundeshaushalt 2017 und damit eine weitere massive Erhöhung des Bundeskulturhaushalts um ganze 17 Prozent verabschiedet - ) , ein Land mit einer beinahe einzigartigen Dichte an Kultureinrichtungen. Allein die Hälfte aller Opernhäuser weltweit steht auf deutschem Boden. Der Journalist Ralph Bollmann hat sich vor einiger Zeit die Mühe gemacht, sie alle zu bereisen, und kam in seinem wunderbaren Buch "Walküre in Detmold" - eine der schönsten Liebeserklärungen an die deutsche Kulturlandschaft - zu dem Schluss, ich zitiere: "Das Besondere an Deutschland ist nicht, dass es mehrere bedeutende Zentren hat. Ungewöhnlich ist, wieviel Wichtiges sich an ganz unwichtigen Orten abspielt." Oder, wie ich persönlich es formulieren würde: wieviel Weltläufigkeit und kulturellen Reichtum es in ganz Deutschland, ja selbst in der vermeintlichen Provinz, zu entdecken gibt.

Als Spiegel unserer Identität, meine Damen und Herren, verdienen Kunst und Kultur nicht nur Förderung, sondern auch Schutz. Wer überzeugt ist, dass Kulturgüter "existentiell [sind] für Gemeinschaften, Nationen, die Menschheit" ( um noch einmal die WELT zu zitieren ) , kann und darf Kunst und Kultur nicht allein dem Markt, der Regulierung durch Angebot und Nachfrage, überlassen. Das Grundgesetz verpflichtet uns deshalb ausdrücklich zum "Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland". Und das Völkerrecht verpflichtet uns, gegen den illegalen Handel mit Antiken beispielsweise aus den Kriegs- und Krisengebieten im Nahen Osten vorzugehen. Deshalb hat Deutschland 2016 sein Kulturgutschutzrecht modernisiert und das deutsche Recht an internationale und EU-Standards angepasst. Wir leisten damit zum einen- endlich! - unseren Beitrag zur Eindämmung des illegalen Handelns mit Kulturgütern und zum Schutz des kulturellen Erbes der Menschheit - nicht im ( deutschen ) Alleingang übrigens! Denn auch der Europarat in Straßburg arbeitet derzeit an einem "Überein-kommen über Straftaten im Zusammenhang mit Kulturgut". Damit reiht sich auch das Strafrecht ein in die internationalen Vorgaben zum Kulturgutschutz durch die EU, durch die UNESCO, den UN-Sicherheitsrat und jetzt eben auch des Europarats, die es zu berücksichtigen und national umzusetzen gilt.

Zum anderen schützen wir in den wenigen Fällen, in denen Kulturgüter emblematisch sind für unsere Geschichte und Identität, diese wenigen Stücke vor Abwanderung ins Ausland und vor Zerstörung. Was im Einzelfall als "national wertvoll" gilt, darüber befinden auch weiterhin Sachverständige, zu denen nach wie vor zum Beispiel Museen, der Kunsthandel und auch private Sammler gehören. Die gemeinsame, staatliche wie auch bürgerschaftliche Verantwortung für den Abwanderungsschutz bewährt sich seit vielen Jahren insbesondere beim Ankauf von Kunst - ein Modell, das viel besser funktioniert als der oft gepriesene britische Ansatz. Mit der britischen Regelung, dass ein privater inländischer Käufer innerhalb von sechs Monaten ein konkretes Angebot abgeben muss, scheitert nämlich regelmäßig der Ankauf im Inland. Die Abwanderung muss dann genehmigt werden. Den "fair market value" legt - in Deutschland undenkbar! - der Minister fest... ! Großbritannien hat 2012 und 2013 Kunst für 11,3 Millionen Pfund angekauft, aber Kunst im Wert von rund 340 Millionen Pfund ziehen lassen. Günstiges bleibt, Teures geht. Ein für die Museen und für die Bürger trauriges Ergebnis … . In Deutschland dagegen hat die Kulturstiftung der Länder, 1988 zur "Förderung und Bewahrung von Kunst und Kultur nationalen Ranges" gegründet, bisher rund 170 Millionen Euro eigene Mittel ausgegeben, aber unter Beteiligung des Bundes und privater Geldgeber für 625 Millionen Euro angekauft. Was die Kulturstiftung der Länder in den vergangenen Jahren - auch dank privater Sponsoren - geleistet hat, geht nämlich weit über die Leistungen Großbritanniens im gleichen Zeitraum hinaus. Diese Form der staatlich-privaten Zusammenarbeit in Deutschland ist ein echtes Erfolgsmodell, und nicht zuletzt aus diesen positiven Erfahrungen heraus ist es mir ein Herzensanliegen, das großartige private Engagement für Kunst und Kultur auch weiterhin zu fördern. Aus diesem Grund habe ich entschieden, die Mittel meines Hauses zum Ankauf national wertvollen Kulturguts im Jahr 2017 erst einmal zu verdreifachen.

Außerdem war es mir wichtig, mit der Novellierung des Kulturgutschutz-gesetzes auch private Eigentümer, Sammler, Leihgeber einerseits und Museen andererseits besser zu stellen. Worin bestehen diese Verbesserungen konkret? Erstens: Im bisher geltenden Kulturgutschutzgesetz von 1955 gab es keine Definition dafür, was "national wertvoll" ist. Anhaltspunkte fanden sich bisher nur in einer Empfehlung der KMK. Nach intensiven Beratungen, Anhörungen, Konferenzen und unzähligen Einzelgesprächen präzisiert das neue Gesetz die Kriterien für Werke, die in ein Verzeichnis national wertvollen Kulturguts einzutragen sind. Das sorgt für mehr Rechtssicherheit. Zweitens: Das Gesetz sieht vor, dass die Sachverständigenausschüsse, bestehend aus Vertretern von Museen, Archiven, Wissenschaft, Handel und Sammlern gestärkt werden; ihre Zusammensetzung wird veröffentlicht. Das Verfahren ist damit transparenter. Außerdem ist der Kreis derjenigen eingeschränkt worden, die ein Eintragungsverfahren beantragen können. Eigentümer von Kulturgütern werden damit auch hier stärker abgesichert als zuvor. Drittens: Leihgaben an öffentliche Museen können - natürlich mit jederzeit widerruflicher Zustimmung des Leihgebers - vorübergehend vom gesetzlichen Schutz öffentlicher Museen profitieren. Falls Leihgaben gestohlen werden und auf illegalem Weg ins Ausland gelangen, bestehen Rückgabeansprüche nicht mehr nur 30, sondern 75 Jahre. Auch das ist gut für Sammler und Leihgeber. Viertens: Im Gegensatz zum Gesetz von 1955 enthält die Novelle klare Verfahrensregeln. Sie schreibt beispielsweise ausdrücklich eine maximale Bearbeitungsfrist von zehn Tagen für die Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung vor. Für den seltenen Fall, dass ein Verfahren zur Eintragung in ein Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes eröffnet wird, ist dies im Regelfall innerhalb von sechs Monaten abzuschließen - ansonsten gilt es ohne Eintragung als beendet. Eine solche Befristung gab es bisher nicht. Auch das stärkt Eigentümer und Sammler. Fünftens: Sammler profitieren künftig beim Kauf eines Kunstwerks davon, dass der gewerbliche Kunsthandel im Rahmen des Zumutbaren die Herkunft und Provenienz prüfen muss. Sie können damit sicher sein, dass keine Rückgabe-forderungen drohen. Und auch im Sinne der Händler schafft das neue Gesetz Klarheit und Rechtssicherheit. Es stärkt das Vertrauen in den Kunsthandelsstandort Deutschland und die Position des seriösen Kunsthandels, der damit die Konkurrenz durch "schwarze Schafe" nicht mehr fürchten muss. Sechstens, last but not least, eine Verbesserung speziell für Museen: Sie brauchen künftig im internationalen Leihverkehr keine Einzelgenehmigung mehr, sondern können eine für fünf Jahre gültige, allgemeine Genehmigung beantragen. Das reduziert den Verwaltungsaufwand, entlastet die Museen sowie vor allem die Verwaltungen der Länder und stärkt den internationalen Leihverkehr. Das Gesetz ist also gerade kein "Bürokratiemonster" wie es manche Kritiker behaupten, sondern entlastet um etwa 80 - 90 Prozent der bisherigen Anträge, die vor allem von den Museen kamen.

Ich bin überzeugt, meine Damen und Herren, dass wir mit diesen Regelungen der staatlichen Verantwortung für den Schutz von Kulturgut wie auch den legitimen Interessen von Museen, Sammlern, Geldgebern und Leihgebern gerecht werden und auch deren Engagement für den Kulturstandort Deutschland stärken. In den wenigen Ausnahmefällen, in denen Kulturgüter emblematisch sind für unsere Geschichte und Identität, muss es auch in Deutschland möglich sein, diese wenigen Stücke vor Abwanderung ins Ausland und vor Zerstörung zu schützen. Wir reden hier nur über wenige, sehr wenige, besonders bedeutsame Kunstwerke, über einzelne Stücke, die als national wertvoll einzuordnen sind, über einen verschwindend kleinen Teil des riesigen Kunstmarktes. Es geht ausdrücklich nicht darum, möglichst viele Werke in diese Verzeichnisse einzutragen. Werke von Max Liebermann oder Käthe Kollwitz mögen vielleicht national bedeutsam sein. Aber ihre Abwanderung ins Ausland wäre kein unersetzlicher Verlust, weil wir ja bereits sehr viele Bilder von diesen Künstlern in den Museen haben. Es kann also überhaupt nur in ganz wenigen Fällen zu Konflikten kommen zwischen legitimen privaten Interessen und dem öffentlichen Interesse an der Bewahrung des besonderen Werts eines Werkes für Deutschland. Beides miteinander zu vereinbaren, ist uns in den vergangenen 60 Jahren aber ausnahmslos ohne nennenswerten Streit gelungen. Beim Schutz national wertvollen Kulturguts reden wir ja über gesetzliche Regelungen, die seit 60 Jahren, seit 1955, ( und auch schon vorher: seit 1919 ) gelten und die allgemein akzeptiert und rechtlich abgesichert sind. Viele schienen das in der Debatte vergessen zu haben - wahrscheinlich, weil es seit 60 Jahren fast ausschließlich konfliktfrei funktioniert.

Angesichts der zahlreichen Verbesserungen ist die Unterstützung für die Gesetzesnovelle viel breiter als die - von einigen schrillen Stimmen geprägte - öffentliche Debatte es vermuten lässt. Neben Unterstützung aus dem Bundesverband der Fördervereine Deutscher Museen für bildende Künste gab es viel Zustimmung vom Deutschen Museumsbund, vom Internationalen Museumsrat, vom Berufsverband Bildender Künstler, vom Künstlerbund, vom Deutschen Kulturrat, von zahlreichen Freundeskreisen als Vertreter von Sammlern, Leihgebern und Eigentümern. Auch bei meiner USA-Reise Anfang März habe ich viel positive Resonanz zum Gesetzentwurf bekommen. Dort und im EU-Kulturministerrat ist man regelrecht erleichtert, dass Deutschland endlich in die Reihe angesehener Kulturgutschutz-Länder aufrückt. Zu den Unterstützern zählen darüber hinaus die 18 Staaten, deren Botschafter sich bei mir persönlich für den Gesetzentwurf bedankt haben, und nicht zuletzt die Kulturminister unserer 16 Bundesländer. Der Bundesrat hat dies in seiner breiten Zustimmung zum Gesetz im Juli auch deutlich gemacht, so dass das Gesetz wie geplant Anfang August in Kraft treten konnte. Diese breite Unterstützung beruht auf dem Konsens, dass Kunst nicht nur einen Preis, sondern auch einen Wert hat, dass Kunst also keine Ware und Geldanlage ist wie jede andere - eine Überzeugung, die ja auch das mäzenatische Wirken und das bürgerschaftliche Engagement für bildende Kunst trägt. Ich kann nur davor warnen, sie leichtfertig zu relativieren oder vom Tisch zu wischen.

Wir haben es doch hier in Nordrhein-Westfalen erlebt: Vor zwei Jahren verscherbelte die Landesregierung zwei Warhols, um mit dem Spekulationsgewinn Spielbanken zu sanieren bzw. zu bauen und Haushaltslöcher zu stopfen. Der zuständige Finanzminister erklärte dazu, ich zitiere: "Ein Kunstwerk hat einen Wert, wenn es zu veräußern ist." Und auch die Debatte um die Zukunft des Düsseldorfer Schauspielhauses hat gezeigt, was unseren Kultureinrichtungen droht, wenn das Bewusstsein für den Wert der Kunst und der Kultur - und damit auch für die staatliche Verantwortung - fehlt. Wo die Preise, die sich mit Kunst erzielen lassen, höher bewertet werden als ihr Wert, wird sie irgendwann zum dekorativen Luxus, den wir uns nur in guten Zeiten leisten und den wir in schlechten Zeiten zur Disposition stellen.

Wenn wir eine solche "Kulturpolitik nach Kassenlage" ablehnen, wenn wir uns stattdessen weiterhin eine auskömmliche Kulturfinanzierung leisten wollen - dann aus dem Konsens heraus, dass Kunst von unschätzbarem Wert ist für eine humane Gesellschaft und Kräfte entfalten kann, die jene der Politik und des Geldes bisweilen übersteigen. Diese Kräfte, meine Damen und Herren, brauchen wir auch in Zukunft. In diesen Zeiten brauchen wir sie sogar mehr denn je: in einer Zeit, in der es so viele Flüchtlinge gibt, wie es seit dem Zweiten Weltkrieg noch nie der Fall war; in einer Zeit, in der vielerorts auf breiter Front Ressentiments gegen anders Denkende, anders Glaubende, anders Aussehende, anders Lebende geschürt werden; in einer Zeit, in der die Worte "Wir sind das Volk" missbraucht werden, um Stimmung zu machen gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Vielfalt und Freiheit - und damit letztlich gegen alles, was uns definiert und ausmacht: gegen unsere Kultur nämlich; in Zeiten, in denen die europäische Idee, die uns über Jahrzehnte Frieden, Freiheit und Wohlstand beschert hat, an Strahlkraft verliert und nationalistisches Denken um sich greift.

Unsere Kultureinrichtungen können, jede auf ihre Weise, zur Verständigung darüber beitragen, was für ein Land wir in diesen Zeiten sein wollen: sei es in der Auseinandersetzung mit unserer Geschichte; sei es in der kulturellen Bildung und in der Vermittlung dessen, was uns ausmacht; sei es in der Förderung der künstlerischen Avantgarde. Die Kunst hat Einfluss darauf, wie kulturelle Vielfalt in Deutschland wahrgenommen wird. Sie kann Verbindendes sichtbar machen, wo das Trennende die Wahrnehmung beherrscht. Sie kann Perspektiven verschieben und Vorstellungsräume erweitern - und damit auch die Grenzen der Empathie. Sie kann unseren Werten jenseits argumentativer Auseinandersetzung Gehör verschaffen. Kultur ist damit eben nicht nur Standortfaktor. Kultur ist Brückenbauerin und Türöffnerin, aber auch Spiegel unseres Selbstverständnisses. Ja, Kultur schafft Werte jenseits der Maßstäbe ökonomischer Verwertbarkeit. Wo, wenn nicht in der Kultur, wird nach Antworten auf letzte Fragen gerungen, auf Fragen nach den Sinn stiftenden Kräften und Werten, die unsere Gesellschaft zusammen halten?

Dies zu ermöglichen, ist Aufgabe einer Kulturpolitik, die sich der Freiheit der Kultur und der Kunst verpflichtet fühlt. In Deutschland haben wir aus zwei deutschen Diktaturen in einem Jahrhundert eine Lehre gezogen, die da lautet: Kritik und Freiheit der Kunst sind konstitutiv für eine Demokratie. Wir brauchen sie, die mutigen Künstler, die verwegenen Denker! Sie sind der Stachel im Fleisch unserer Gesellschaft, der verhindert, dass intellektuelle Trägheit, argumentative Phantasielosigkeit und politische Bequemlichkeit die Demokratie einschläfern. Sie sind imstande, unsere Gesellschaft vor gefährlicher Lethargie und auch vor neuerlichen totalitären Anwandlungen zu schützen. Die Freiheiten dieser Milieus zu schützen, ist oberster Grundsatz, ist vornehmste Pflicht verantwortungsvoller Kulturpolitik. Kunst, Kultur, Literatur dürfen, ja sie sollen und müssen zuweilen Zumutung sein. Deshalb müssen wir alles daran setzen, ihre Freiheiten und ihre ästhetische Vielfalt zu sichern. Die staatliche Fürsorge für die Kultur und ihre Freiheit, die mit dem Mut zum Experiment natürlich auch das Risiko des Scheiterns einschließt, hat immer wieder weltweit beachtete Leistungen hervorgebracht. Ich bin überzeugt: Dieses hartnäckige Engagement für die Kultur und die Künste hat entscheidenden Anteil am mittlerweile wieder hohen Ansehen Deutschlands in der Welt. Kultur ist eben nicht das Ergebnis wirtschaftlichen Wohlstands; sie ist vielmehr dessen Voraussetzung. Sie ist nicht allein Standortfaktor, sondern auch und vor allem Ausdruck von Humanität. Sie ist der Modus unseres Zusammenlebens.

Von einem der berühmtesten Söhne des Rheinlands, nämlich von Joseph Beuys, ( der - obwohl in Krefeld geboren - angesichts seines Wirkens hier in der Stadt ja fast schon als Düsseldorfer durchgeht - , ) stammt der schöne Satz: "Arbeite nur, wenn Du das Gefühl hast, es löst eine Revolution aus." Diese auf den ersten Blick etwas ungesund anmutende Arbeitseinstellung kann man durchaus auch als pointierte Beschreibung der Überzeugungen verstehen, die Künstler, aber auch Kulturförderer motiviert. Es muss ja nicht immer gleich die Weltrevolution sein. Die kleinen Revolutionen im Denken, im Wahrnehmen, im Empfinden, im Bewusstsein sind es, die jeder kleinen und großen gesellschaftlichen Veränderung vorausgehen, und in diesem Sinne tragen Kunst und Kultur immer den Keim des - im besten Sinne - Revolutionären in sich. Dass aus diesen Keimen etwas wachsen darf, dass es einen fruchtbaren Nährboden dafür gibt und ein wachstumsförderndes Klima - das macht eine vitale Demokratie aus. Genau deshalb bin ich seit 20 Jahren mit Herz und Seele Kulturpolitikerin, meine Damen und Herren, und genau deshalb appelliere ich auch hier in Düsseldorf an Sie alle, die Sie Einfluss darauf nehmen können: Geben Sie der Kultur in Ihrer Stadt so viel Raum wie nur möglich!