Redner(in): Monika Grütters
Datum: 24. Januar 2017
Untertitel: Kulturstaatsministerin Grütters hat Regisseur und Intendant Jürgen Flimm zum B.Z.-Kulturpreis gratuliert. In der Laudatio würdigte sie dessen großen Beitrag zum kulturellen Angebot der Stadt. "Berlin kann sich glücklich schätzen, dass Du nach wie vor mit jugendlichem Enthusiasmus am Werk bist", so Grütters.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2017/01/2017-01-26-bkm-bz-kulturpreis.html
Kulturstaatsministerin Grütters hat Regisseur und Intendant Jürgen Flimm zum B. Z. -Kulturpreis gratuliert. In der Laudatio würdigte sie dessen großen Beitrag zum kulturellen Angebot der Stadt."Berlin kann sich glücklich schätzen, dass Du nach wie vor mit jugendlichem Enthusiasmus am Werk bist", so Grütters.
Am Anfang einer großen Karriere steht manchmal ein kleiner Kratzer am männlichen Ego. Bei Jürgen Flimm war es die Erkenntnis: "Frauen himmeln immer den Schlagzeuger an." Der begnadete Schlagzeuger, der sich in die Herzen der Mädchen trommelte, war sein älterer Bruder Dieter. Und was tat der neidische kleine Bruder? Er suchte sich ein anderes Betätigungsfeld und fand es im Kasperletheater auf dem Dachboden, dichtete Dialoge für Puppen und schließlich ganze Stücke.
Ob sich das damals im Wettbewerb um weibliche Gunst ausgezahlt hat, hast Du im Interview offen gelassen, lieber Jürgen. Zumindest was meine Gunst betrifft, will ich Dir aber gerne gestehen, dass ein Foto von Dir einen Ehrenplatz in meinem Büro hat: ein Foto von Dir nicht mit Kasperle, sondern als Kaspar - zwischen Barrie Kosky als Melchior und Dietmar Schwarz als Balthasar.
Falls Sie sich fragen, meine Damen und Herren, welches Stück hier gespielt wird: Die drei Opernintendanten aus Berlin zierten verkleidet als die drei Weisen aus dem Morgenland im Jahr 2013 das weihnachtliche Titelbild der BZ - was den damaligen Kulturstaatssekretär André Schmitz dazu inspirierte, einen Schnappschuss der heiligen drei, vom Shooting erschöpften Könige als Weihnachtskarte zu verschicken. Diese Karte habe vermutlich nicht nur ich aufbewahrt. Denn Du weißt ja bestimmt, lieber Jürgen, was der von Dir hoch geschätzte Dramatiker Anton Tschechow einmal gesagt hat: Am liebsten erinnern sich die Frauen an die Männer, mit denen sie lachen konnten " Das als späte Genugtuung nach einer frühen Schmach …
Mit Deiner Theaterkarriere jedenfalls ist es vom heimischen Dachboden aus weiter steil bergauf gegangen, und das hat mit Eigenschaften zu tun, die Du schon früh als Puppenspieler unter Beweis gestellt hast: mit Deiner Fantasie, mit Deiner Experimentierfreude, mit Deiner Neugier, mit Deiner Fähigkeit, sich als Künstler immer wieder neu zu erfinden und nicht zuletzt mit Deinem hohen Anspruch nach dem Motto "Ein gutes Theater ist ein volles Theater." - … ein Satz, für den Du einst viel Hohn und Kritik einstecken, ja Dich sogar des Populismus bezichtigen lassen musstest - und den Du zum Glück beherzt verteidigt hast. Ich darf Dich noch einmal zitieren: "Ein Theaterabend ist ein Dialog. ( … ) Ein Theater, das sich nicht mehr über das Publikum legitimiert, kommt in Not. Es gefährdet sich, wenn es den Dialog verweigert. ( … ) Wie krumm, wie hart, wie schräg auch immer ich eine Geschichte erzähle, ich muss das Publikum dafür interessieren ( … ) ."
Genau das, lieber Jürgen, gelingt Dir seit fast 50 Jahren - und seit 2010 auch hier in Berlin. Kein Wunder, dass die Vorstellungen der Staatsoper selbst im Exil im Schillertheater fast immer ausverkauft sind! Ob als Intendant, als Regisseur oder als Festivalleiter: Du warst und bist bis heute ein ebenso begnadeter wie wagemutiger Geschichtenerzähler, der das Publikum in Bann zieht und die Bühne zu dem macht, was sie im besten Sinne immer auch sein kann: ein Spiegel des Menschseins und damit ein Ort der Selbstverständigung und Selbstvergewisserung einer Gesellschaft.
Berlin, das so viel Kraft aus seiner kulturellen Vielfalt schöpft, Berlin kann sich glücklich schätzen, dass Du nach wie vor mit jugendlichem Enthusiasmus am Werk bist und dabei nicht nur das Überschreiten des gesetzlichen Renteneintrittsalters fröhlich ignorierst, sondern bisher auch der Versuchung widerstanden hast, Dich abseits der Bühne anderen Leidenschaften zu widmen. der Kommentierung sportlicher Dramen beispielsweise: In der intellektuell gehobenen Fußballberichterstattung, etwa zum Thema "Kaisers Dämmerung - Ist Franz Beckenbauer ein tragischer Held?", bist Du ein gefragter Analyst. oder der Zubereitung Umbrischen Eintopfs, die Du als Gast bei Alfred Biolek zelebriert hast: Es sei die schönste Tragödie Deines Lebens, dass Deine Frau brillant kochen kann, hast Du dort zu Protokoll gegeben - als Grund, warum Du am häuslichen Herd häufiger durch Abwesenheit glänzt als Deiner Lust am Kochen zu frönen.
Wir sind gespannt, lieber Jürgen, welche neuen und alten Bühnen Du bespielen wirst, wenn nach dem Rückumzug der Staatsoper ins Stammhaus Unter den Linden die längst geplante und ( - in Berlin durchaus erwähnenswert! - ) die voraussichtlich undramatische Amtsübergabe an Deinen designierten Nachfolger Matthias Schulz ansteht. Im Rückblick auf Dein Wirken in Berlin jedenfalls erscheint Dein kleines Gastspiel als einer der Heiligen Drei Könige schon jetzt in neuem Licht: "Caspar" ist persisch und bedeutet "Hüter des Schatzes". Sein Geschenk, die Myrrhe, steht für das Menschsein, für das Leid und die Sterblichkeit des Menschen.
Ja, als Intendant der Staatsoper hegst und pflegst Du einen wahren Schatz und schenkst uns mit Deinen Inszenierungen und Produktionen immer wieder berührende und bewegende, über unsere eigene Erfahrungswelt hinausgehende Vorstellungen davon, was es heißt, Mensch zu sein. Es ist mir eine Ehre, Dir den Bronzenen Bären überreichen zu dürfen.
Herzlichen Glückwunsch zum BZ-Kulturpreis!