Redner(in): Monika Grütters
Datum: 10. Februar 2017

Untertitel: Beim Treffen der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm hat Kulturstaatsministerin Grütters die gute Entwicklung und den politischen Wert dieser "anspruchsvollen Filmgattung" hervorgehoben. Vom novellierten Filmfördergesetz profitiere auch der Dokumentarfilm. Auch für die Zukunft sicherte sie den Machern des Genres politische Rückendeckung zu.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2017/02/2017-02-10-bkm-ag-dok.html


Beim Treffen der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm hat Kulturstaatsministerin Grütters die gute Entwicklung und den politischen Wert dieser "anspruchsvollen Filmgattung" hervorgehoben. Vom novellierten Filmfördergesetz profitiere auch der Dokumentarfilm. Auch für die Zukunft sicherte sie den Machern des Genres politische Rückendeckung zu.

Arbeitspsychologen sprechen vom "Suppenkoma", wenn sich nach der Mittagspause wohlige Trägheit einstellt, und raten, wie Sie vielleicht wissen, zu einem stabilisierenden 20-minütigen Nickerchen, neudeutsch auch "Power Napping" genannt. Ich mache mir deshalb mit Blick auf Ihre soeben beendete Mittagspause und das gemeinsame Eintreten ins biorhythmische Nachmittagstief keine Illusionen, was die Erwartungen an meine Rede betrifft. Politikergrußworten sagt man ja bisweilen eine durchaus schlaffördernde Wirkung nach....

Suppenkoma hin oder her: Ich freue mich, hier ein - trotz des anspruchsvollen Tagungsprogramms - offensichtlich waches und interessiertes Publikum zu begrüßen. Vielen Dank für die Einladung, lieber Herr Frickel! Versprechen kann ich Ihnen auf jeden Fall schon jetzt mehr "Power" als "Napping" : Denn bei der politischen Gestaltung guter filmpolitischer Rahmenbedingungen, von der ich Ihnen berichten will, haben wir in den vergangenen Monaten für den Dokumentarfilm eine Menge erreicht, und das ist nicht nur für Filmschaffende, sondern auch für die wachsende Fangemeinde dieser Kunstform eine erfreuliche Nachricht.

Die filmpolitischen Erfolge des vergangenen Jahres sind hart erarbeitet, und zwar zunächst einmal vor allem von Ihnen, liebe Filmemacherinnen und Filmemacher, die Sie über Jahre mit einer schier unerschöpflichen Vielfalt an künstlerischen Ausdrucksformen aus dem Dokumentarfilm "großes Kino" gemacht haben - ein Genre, das man "auf dem Schirm haben" muss, auch in der Filmförderung. Noch vor zwanzig Jahren fristete der Dokumentarfilm ja im Kino eher ein Mauerblümchendasein … Es ist Ihr Verdienst, dass Dokumentarfilme mittlerweile gut ein Drittel der deutschen Filmpremieren ausmachen, dass diese Kunstform auf Dokumentarfilmfesten zelebriert wird, die sich zu wahren Publikumsmagneten entwickelt haben, und dass der Dokumentarfilm bei den großen Wettbewerben heute als ernst zu nehmenden Konkurrenz für den Spielfilm gilt, nicht zuletzt auf der Berlinale: Man denke nur an den Goldenen Bären für Giancarlo Rosis "Fuocoamare" im vergangenen Jahr, oder in diesem Jahr an "Beuys", Ihren Film lieber Andres Veiel, über die im besten Sinne revolutionäre Kraft eines radikalen Künstlers. Ich freue mich schon auf die Premiere am kommenden Dienstag: nicht nur deshalb, weil mein Haus als Förderer an der Produktion beteiligt war, sondern weil die Kraft der Kunst und die Bedeutung der Kunstfreiheit, wie ich finde, gerade jetzt ins Rampenlicht gehören - in einer Zeit, in der man selbst in Demokratien nicht davor zurück schreckt, Künstlerinnen und Künstler mundtot zu machen, wie aktuell in der Türkei, oder sie ans staatliche Gängelband zu nehmen und nationalistisch zu vereinnahmen, wie populistische Parteien es fordern. Ich bin sicher: Wer sich mit Andres Veiel auf Joseph Beuys einlässt, schaut anders auch auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen.

Eben deshalb schätze ich den Dokumentarfilm so sehr: weil er unserer Wahrnehmung der gesellschaftlichen Wirklichkeit Tiefenschärfe verleiht - und einen anderen Blickwinkel. Und mein Eindruck ist, dass die Erfolgsgeschichte dieser anspruchsvollen Filmgattung mit einem akuten Bedürfnis nach eben jener Tiefenschärfe zu tun hat - mit dem Bedürfnis, dem gleichgültigen, auf unseren Smartphones vorbeirauschenden Strom vielfach verstörender Informationen und Bilder ein Stück Wahrheit und Erkenntnis abzutrotzen. Gerade heute, da unsere Augen mehr sehen als unser Kopf an Verstand aufzubringen und unser Herz an Empathie zu empfinden vermag, gerade heute braucht es die aufwändige Recherche, das Fingerspitzengefühl, die Erzählkunst und die atmosphärisch starken Bilder, die den Dokumentarfilm auszeichnen, um Relevantes sichtbar und Wirklichkeit in ihrer Vielschichtigkeit erfassbar zu machen. Mit seinen besonderen ästhetischen Mitteln ist der Dokumentarfilm nicht nur Welterklärer; nein, er hebt die Distanz zwischen Welt und Erklärung auf, er zieht uns geradezu in seinen Kosmos hinein und macht uns, die Beobachtenden, zu Erlebenden. Das ist seine große Stärke, und es ist eine Stärke auch für die demokratische Debattenkultur, die von der Bereitschaft lebt, genau hinzuschauen und sich mit Missständen auseinanderzusetzen statt nur vorbei zu scrollen. Nicht zuletzt angesichts der populistischen Vereinfacher und ihrer dreisten Lügen, die der Welt neuerdings als "alternative Fakten" präsentiert werden, kann man dem dokumentarischen Kino nur wünschen, dass es noch mehr als bisher ein breites Publikum erreicht!

Deshalb, lieber Herr Frickel, bin ich dankbar, dass die AG DOK - und Sie persönlich als langjähriger Vorsitzender - mit derselben hartnäckigen und unerschütterlichen Ausdauer, die einen guten Dokumentarfilmer auszeichnet, für die Stärkung dieser politisch wie kulturell bedeutenden Filmkunstgattung eintreten. Ihre Expertise war nicht zuletzt bei den Beratungen zum neuen Filmförderungsgesetz sehr hilfreich - und ich denke, der intensive Austausch hat sich für den Dokumentarfilm und seine Schöpferinnen und Schöpfer ausgezahlt.

Wie Sie wissen, meine Damen und Herren, ist am 1. Januar das umfassend modernisierte Filmförderungsgesetz ( FFG ) in Kraft getreten, mit dem wir den roten Teppich für künftige Filmerfolge ausgerollt haben. Es ermöglicht mehr

als bisher qualitative Spitzenförderung - unter anderem

Als Dokumentarfilmer profitieren Sie insbesondere davon, dass wir im neuen FFG die Anregung aufgegriffen haben, Experimentiermöglichkeiten für den Dokumentarfilm zu schaffen. Dokumentarfilme können jetzt auf Antrag zeitgleich oder mit geringem zeitlichem Abstand zur Kinoauswertung auf DVD und auf bestimmten VoD-Plattformen angeboten werden. Damit betreten wir filmpolitisches Neuland, und ich hoffe, dass dabei neue Geschäftsmodelle entstehen, die Ihnen allen zugute kommen. Weil es - Fördermittel hin oder her - leidenschaftliche Neugier und eine gute Portion verwegenen Muts braucht, um sich gerade dem zeit- und rechercheintensiven Dokumentarfilm zu verschreiben, will ich Ihnen nicht vorenthalten, was wir im vergangenen Jahr mit den 15 Millionen Euro erreichen konnten, die ich zusätzlich für die kulturelle Filmförderung meines Hauses bereit gestellt hatte, um - auch im Dokumentarfilmbereich - für mehr Unabhängigkeit zu sorgen.

Wir haben die Fördermöglichkeiten für die einzelnen Filmproduktionen deutlich erhöht ( von 250.000 Euro auf 500.000 Euro und in besonderen Fällen auf bis zu eine Million Euro pro Film ) .

Wir haben das Höchstbudget der antragsberechtigten Filme von 2,5 Millionen Euro auf 5 Millionen Euro angehoben.

Wir haben den zulässigen Anteil der BKM-Fördersumme deutlich erhöht ( auf bis zu 80 Prozent, in Ausnahmefällen auch noch höher ) .

Wir haben die Juryarbeit gestärkt - mit eigenständigen Jurys für den Spielfilm- und den Dokumentarfilmbereich.

Und - um noch ein letztes Beispiel zu nennen - wir haben in die Entwicklung von Stoffen investiert und für den Dokumentarfilm eine Stoffentwicklungsförderung neu eingeführt.

Die zusätzlichen 15 Millionen für die kulturelle Filmförderung haben wir auch für 2017 bereitgestellt, und so soll es, das ist mein Ziel, auch in den kommenden Jahren bleiben - auf dass daraus eine Erfolgsgeschichte wird wie beim DFFF, aus dessen Mitteln im Jahr 2016 auch 27 Dokumentarfilme gefördert wurden - "Love Boat" ( Regie: Tristan Ferland Milewski ) zum Beispiel, der auf der diesjährigen Berlinale zu sehen ist.

Das alles sind gute Nachrichten für die dokumentarische Filmkunst. Die beste Nachricht habe ich mir aber für den Schluss aufgehoben: Ich werde den DFFF in Abstimmung mit Bundesfinanzminister Schäuble noch im laufenden Jahr um ein weiteres Element erweitern, das sich speziell an nationale und internationale Großproduktionen wendet. Dafür wird der DFFF im Jahr 2017 in einem ersten Schritt mit einem zusätzlichen Fördervolumen von 25 Millionen Euro und einer eigenen, speziell auf Großproduktionen zugeschnittene Förderlinie ausgestattet. Den DFFF stocke ich damit also in diesem Jahr auf 75 Millionen Euro auf. Die Förderung von Filmproduktionen aus meinem Kulturetat werden dann in diesem Jahr insgesamt rund 100 Millionen Euro betragen, 75 Millionen Euro DFFF I und II und 25 Millionen Euro weitere, insbesondere kulturelle Filmproduktionsförderung. Über die Erhöhung und den Weg dazu habe ich mich bereits seit längerer Zeit mit dem Bundesfinanzministerium ausgetauscht. Für die Folgejahre ab 2018 führe ich derzeit die Haushaltsgespräche zu meinem Kulturetat mit dem Bundesfinanzminister. Ich bin, so viel kann ich jetzt schon sagen, sehr zuversichtlich, dass ich noch weitere substantielle Erhöhungen des DFFF erreichen werde. Im Ergebnis wird das auch dem Dokumentarfilm zugute kommen.

Mit diesem Ausblick auf künftige, zusätzliche Fördermöglichkeiten, meine Damen und Herren, hoffe ich, nicht nur zur guten Stimmung auf Ihrer heutigen Mitgliederversammlung beizutragen, sondern Sie auch in Ihrer couragierten Suche nach Klarheit und Wahrheit bestärken zu können, die Werner Herzog, einer der berühmtesten Grenzgänger zwischen Spielfilm und Dokumentarfilm, kürzlich in einem Interview so beschrieben hat, ich zitiere: "Ich versuche einfach, ein guter Soldat zu sein, der eine Stellung hält, die von anderen aufgegeben wurde. Der sich vorwärts bewegt, ohne vor Geschützdonner zurückzuschrecken." Das mag etwas zu martialisch klingen für eine Kunst, die uns auch immer wieder mit der Poesie ihrer Bilder in Bann zieht. Doch der Wahrheit ein Stück näher kommen zu wollen, geht meistens nicht, ohne sich auf vermintem Gelände zu bewegen, zwischen die Fronten zu geraten oder Abwehrfeuer zu provozieren. Und deshalb braucht es tatsächlich unerschrockene Soldaten im Dienste der Wahrheit, die Stellungen halten, die von anderen aufgegeben wurden, und sich vorwärts bewegen, ohne vor Geschützdonner zurück zu schrecken. Dafür danke ich Ihnen, meine Damen und Herren, und dafür haben Sie auch weiterhin meine politische Rückendeckung!