Redner(in): Monika Grütters
Datum: 23. Juni 2017

Untertitel: In ihrer Lobrede würdigte Kulturstaatsministerin Grütters Sir Simon Rattle als Türöffner der klassischen Musik für alle Gesellschaftsschichten. Rattle verbinde mit Musik Menschen über alle Grenzen hinweg. "Sie werden für Ihre Verdienste um kulturelle Bildung und Entwicklung genauso geschätzt wie für Ihre künstlerischen Erfolge als Chefdirigent - und das will was heißen".
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2017/06/2017-06-23-bkm-gema-rattle.html


In ihrer Lobrede würdigte Kulturstaatsministerin Grütters Sir Simon Rattle als Türöffner der klassischen Musik für alle Gesellschaftsschichten. Rattle verbinde mit Musik Menschen über alle Grenzen hinweg."Sie werden für Ihre Verdienste um kulturelle Bildung und Entwicklung genauso geschätzt wie für Ihre künstlerischen Erfolge als Chefdirigent - und das will was heißen".

Klassische Konzerthäuser gelten als Tempel der Hochkultur, als Kathedralen des Klangs, als Pilgerstätten des Bildungsbürgertums - und für Musikliebhaber, die wie ich ein Konzert-Abo der Berliner Philharmoniker ihr Eigen nennen und dieses Orchester geradezu vergöttern, gehört die Philharmonie vermutlich

zum Olymp. Das ehrt die Musikerinnen und Musiker und ihren Dirigenten. Doch gerade der Ruf der Exzellenz - der damit verbundene Ruch des Elitären - entrückt die klassische Musik der Lebenswelt breiter Bevölkerungsschichten. Denn er hebt die Hemmschwelle, Kultstätten klassischer Musik zu betreten - vor allem für Menschen, die weit davon entfernt leben und aufgewachsen sind.

Zum Glück, meine Damen und Herren, kultiviert man unter den Hohepriestern der Kulturtempel und den Göttern im Musik-Olymp heute nicht mehr nur die Pflege unseres musikalischen Erbes, sondern nährt mehr und mehr auch die Liebe zur klassischen Musik, und zwar in allen gesellschaftlichen Schichten.

Musik sei kein Luxus, sondern ein Grundbedürfnis - und Menschen zusammen zu bringen, sei das wichtigste, was Musik leisten könne: So haben Sie es einmal formuliert, lieber Sir Simon. Deshalb haben Sie mit Ihrem Education-Programm die Mauern, Hürden und Barrieren eingerissen, von denen Kulturtempel leider - zumindest gefühlt - oft umgeben sind. Sie haben die Türen der Philharmonie und den Zugang zur klassischen Musik für Menschen geöffnet, die zuvor nichts oder wenig wussten von ihrer Kraft und Schönheit oder die es sich schlicht nicht leisten können, ein Konzert der Berliner Philharmoniker zu besuchen.

Wollte man im Olymp der griechischen Mythologie einen Bruder im Geiste für Sie finden, dann wäre es der listige, menschenfreundliche Titan Prometheus: So wie Prometheus den Menschen das Licht, die Wärme und die Kraft des Feuers brachte, so haben Sie - auch fern des Musik-Olymps - die Liebe zur Musik erblühen lassen und über die Jahre tausenden Menschen aller Altersgruppen, aller Bildungsniveaus und sozialen Schichten unvergessliche Eindrücke von der Kraft der Musik geschenkt. Das dokumentiert eindrucksvoll und bewegend der Film Rhythm is it über das allererste Tanzprojekt der Berliner Philharmoniker mit 150 Kindern und Jugendlichen und Strawinskys Sacre du printemps.

Und so wie Prometheus, übersetzt: "der Vordenker", der kulturellen Entwicklung des Menschen den Weg ebnete, haben Sie sich als Pionier in der kulturellen Bildung hervor getan. Dafür stehen die Familienkonzerte unter dem Motto "Meet the Orchestra", dafür stehen die kostenfreien Lunchkonzerte; dafür stehen die "Kofferkonzerte" - Auftritte der Philharmoniker in Schulen; dafür stehen Konzert- , Tanz- und Chorprojekte, mehrwöchige Workshops mit Kindern und Jugendlichen oder auch das Schulorchestertreffen. Das klangvolle Versprechen der Musik, Menschen zusammen zu bringen, haben Sie damit mehr als eingelöst. Mit Musik öffnen Sie Augen, Ohren und Herzen. Mit Musik eröffnen Sie gemeinsame Erfahrungswelten, wo unterschiedliche Herkunft ab- und ausgrenzt. Mit Musik verbinden Sie Menschen über alle Grenzen hinweg. Dafür sind wir Ihnen dankbar - und auch allen Musikerinnen und Musikern, die das Education-Programm mit bewundernswertem Engagement zu einem gemeinsamen Anliegen gemacht haben!

Zumindest eines also, lieber Sir Simon, unterscheidet Sie zum Glück von Prometheus: Sie werden für Ihre Verdienste um die kulturelle Bildung und Entwicklung nicht vom Olymp verstoßen, sondern umso mehr geschätzt - nicht weniger jedenfalls als für Ihre künstlerischen Erfolge als Chefdirigent, und das will etwas heißen. Denn Ihre mitreißenden, tief bewegenden Aufführungen mit einem Orchester von Weltruf, das die besten Musikerinnen und Musiker in wunderbarer, ja geradezu himmlischer Harmonie vereint ( und das deshalb zu meiner großen Freude künftig aus meinem Kulturetat gefördert wird ) , bringen Musikliebhaber immer wieder aufs Neue zum Schwärmen. So schwelgte kürzlich ein Journalist der WELT in seinen Eindrücken von Ihrem grandiosen Auftritt mit Bruckners monumentaler 8. Sinfonie in der Elbphilharmonie, ich zitiere: "Der Mythos von der imposanten wie weihrauchumnebelten Klangkathedrale wird ganz galant zertrümmert ( … ) . Statt im weltfernen Nebel der Transzendenz zu schwelgen, verortet Sir Simon die Sinfonie in der Immanenz des Hier und Jetzt. Nicht vom Himmel hoch, sondern konkret aus diesem Musikempfinden der Menschenfreundlichkeit heraus entspringt gleichwohl ein hauchfeiner, oboenumflorter Götterfunke."

Mit diesem Musikempfinden der Menschenfreundlichkeit und mit Ihrer Fähigkeit,"weihrauchumnebelte Klangkathedralen" elegant zu zertrümmern, um die Musik ins Hier und Jetzt - und in die Herzen möglichst vieler Menschen - zu bringen, haben Sie Ihr Publikum, haben Sie Berlin, haben Sie die Kulturnation Deutschland um ein Vielfaches reicher gemacht. Dabei haben Sie sich nicht damit begnügt, die Philharmoniker auf künstlerisch höchstem Niveau zu halten - was ja nun wahrlich anspruchsvoll genug ist. Sie haben die Philharmoniker zu einem Orchester gemacht, dessen Wirkung im besten Sinne die Grenzen jedes Konzertsaals sprengt. Ihre Erfolge machen Hoffnung, dass mit kultureller Bildung auch in unserer Gesellschaft gelingen kann, was in einem Orchester selbstverständlich ist: das Zuhören und Einfühlen, das Lauschen auf andere Stimmen, auf Takt und Tonart, auf laut und leise. Es ist mir deshalb eine Ehre, lieber Sir Simon, Ihnen dafür heute zur Auszeichnung mit der GEMA-Ehrennadel gratulieren zu dürfen - wenn auch mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Wir werden Sie schmerzlich vermissen, wenn Sie die Berliner Philharmoniker als Chefdirigent zum Ende der Spielzeit 2017/2018 verlassen. Trotzdem: Herzlichen Glückwunsch und weiterhin viel Erfolg! Schön, dass Sie der deutschen Hauptstadt verbunden bleiben und mehr als noch einen Koffer in Berlin behalten!