Redner(in): Monika Grütters
Datum: 30. Juni 2017

Untertitel: Bei der 150-Jahr-Feier der Schweizer Vertretung in Berlin, in unmittelbarer Nähe zu ihrem Amtssitz, hat Kulturstaatsministerin Grütters die gute kulturpolitische Zusammenarbeit beider Länder hervorgehoben. Das funktioniere so wunderbar auch ohne bilaterales Abkommen. Grütters dankte ausdrücklich dem Kunstmuseum Bern, "mit dem wir nach dem Kunstfund "Gurlitt" historische Verantwortung übernehmen". Sie freue sich auf die Doppelausstellung mit der Bundeskunsthalle.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2017/06/2017-06-30-bkm-schweizer-botschaft.html


Bei der 150-Jahr-Feier der Schweizer Vertretung in Berlin, in unmittelbarer Nähe zu ihrem Amtssitz, hat Kulturstaatsministerin Grütters die gute kulturpolitische Zusammenarbeit beider Länder hervorgehoben. Das funktioniere so wunderbar auch ohne bilaterales Abkommen. Grütters dankte ausdrücklich dem Kunstmuseum Bern,"mit dem wir nach dem Kunstfund" Gurlitt "historische Verantwortung übernehmen". Sie freue sich auf die Doppelausstellung mit der Bundeskunsthalle.

Gerade mal ein paar Meter Luftlinie trennen mein Büro im Bundeskanzleramt von der schweizerischen Botschaft: Da ist es natürlich nicht nur politische Amtspflicht, sondern auch eine persönliche Geste nachbarschaftlicher Freundschaft, eine besondere Freude und Ehre, heute Abend mit Ihnen, verehrte Frau Botschafterin, und Ihren Gästen auf 150 Jahre "Schweizer Vertretung in Berlin" anzustoßen. Vielen Dank für die freundliche Einladung, auch im Namen von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, von der ich Ihnen herzliche Grüße übermitteln soll!

Mit der Botschaft in unmittelbarer Nachbarschaft des Kanzleramts ist die Schweiz ohne Zweifel prominent in Berlin vertreten. Prominent vertreten ist sie allerdings nicht nur in Berlin. Versuchen Sie mal, mit dem Auto durch Deutschland zu fahren und dabei nicht durch eine Schweiz zu kommen. Das wird schwierig. Es gibt in ganz Deutschland nämlich über 100 Regionen, die sich "Schweiz" nennen: von der Saarländischen Schweiz im Süden bis zur Holsteinischen Schweiz im Norden, von der unbekannten "Nippeser Schweiz" im Westen ( dabei handelt es sich, kein Scherz, um eine Grünanlage in Köln ) bis zur berühmten Sächsischen Schweiz oder auch der Märkischen Schweiz im Osten. Die beiden letztgenannten "Schweizen" verdanken ihren Namen übrigens Schweizer Künstlern bzw. Kunststudenten, die sich dort an ihre Heimat erinnert fühlten. Kurz und gut - man kann sagen: Schweiz ist, erstens, wo es schön ist in Deutschland. Und an der Schweiz führt in Deutschland, zweitens, kein Weg vorbei. Damit, meine Damen und Herren, ist auch über die in vielerlei Hinsicht besondere deutsch-schweizerische Freundschaft schon Einiges gesagt: über die gegenseitige Wertschätzung, aber auch über die gute Zusammenarbeit und die vielfältigen wirtschaftlichen und kulturellen Verbindungen, die sich in den vergangenen, wechselvollen 150 Jahren entwickelt haben.

Für unsere enge Partnerschaft stehen heute beispielsweise die trilaterale Zusammenarbeit der Schweiz, Frankreichs und Deutschlands bei der Erarbeitung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung in den Vereinten Nationen, aber auch unsere vertrauensvolle Kooperation im Rahmen der OSZE. Ein Vorbild ist die Schweiz für uns Deutsche darüber hinaus seit langem auch in der internationalen Friedensmediation, in ihrer klassischen Rolle als friedliche Streitschlichterin und Hüterin des humanitären Völkerrechts. Die Bundesregierung hat sich deshalb erfolgreich für den Ausbau unserer Zusammenarbeit im Bereich Mediation eingesetzt. Und zugegeben: Insbesondere wir Berliner schauen natürlich auch deshalb mit respektvoller Bewunderung auf das Nachbarland im Süden, weil man es dort tatsächlich geschafft hat, ein verkehrspolitisches Jahrhundert-Projekt - nämlich den Gotthard-Basis-Tunnel - pünktlich fertig zu stellen, während es über unser verkehrspolitisches Jahrhundertprojekt mittlerweile heißt: "Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu eröffnen." ( Walter Ulbricht, der just am heutigen Tage seinen 124. Geburtstag feiern würde, lässt freundlich grüßen! ) .

Als Kulturstaatsministerin liegen mir natürlich auch und ganz besonders der kulturelle Austausch und die kulturpolitische Zusammenarbeit am Herzen. Dafür schließt man üblicherweise bilaterale Kulturabkommen - nicht aber mit der Schweiz. Denn das kulturpolitische Miteinander funktioniert mit der Schweiz in jeder Hinsicht so wunderbar, dass für Verträge schlicht kein Bedarf besteht. Kronzeugen enger kulturpolitischer Kooperation sind auch die Leiter namhafter Kultureinrichtungen: Julien Chapuis im Bodemuseum, Samuel Wittwer bei der SPSG, Raphael Gross im DHM - alles Schweizer! Und nebenbei: Auch die Architekten für das geplante Museum des 20. Jahrhunderts - Jacques Herzog und Pierre de Meuron - kommen aus der Schweiz.

Ganz besonders verbunden bin ich als deutsche Kulturstaatsministerin aber dem Kunstmuseum Bern, mit dem wir nach dem Kunstfund "Gurlitt" im Jahr 2013 - Sie erinnern sich bestimmt - historische Verantwortung übernehmen. Die rückhaltlose Aufarbeitung nationalsozialistischen Kunstraubs hat eine Bedeutung, die weit über die rechtliche Dimension hinaus reicht. Hinter jedem entzogenen, geraubten Kunstwerk steht immer auch und vor allem das individuelle Schicksal eines Menschen. Deshalb war die Annahme der Erbschaft von Cornelius Gurlitt alles andere als selbstverständlich. Es freut mich sehr, dass unsere Bundeskunsthalle und das Kunstmuseum Bern ab November dieses Jahres eine Doppelausstellung zeigen, in der Opferschicksale in Bonn gewürdigt werden und sogenannte "Entartete Kunst" in Bern gezeigt wird.

Ob Kultur, ob Wirtschaft, ob internationales Krisenmanagement: Angesichts der über viele Jahre und Jahrzehnte bewährten Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Schweiz ist es kein Wunder, dass die Flagge mit dem weißen Kreuz auf rotem Grund schon so lange zu Berlin Mitte gehört - und dabei allgemein mindestens auf freundliches Wohlwollen stößt ( … was hier in Berlin ja nun wahrlich nicht jedem Kreuz vergönnt ist … ) . Die hohe Wertschätzung mag auch mit der Verlässlichkeit, ja Beharrlichkeit der Schweizer zu tun haben, für die das Botschaftsgebäude mit seiner bewegten Geschichte geradezu sinnbildlich steht. Es überdauerte die größenwahnsinnigen Baupläne des Architekten und späteren NS-Rüstungsministers Albert Speer für Hitlers Welthauptstadt "Germania". Es überstand wie durch ein Wunder unversehrt die Bombardements des Zweiten Weltkriegs. Es überlebte den Kalten Krieg im Niemandsland an der Berliner Mauer. Es widerstand attraktiven finanziellen Angeboten und Avancen, als die Entscheidung für Berlin als Hauptstadt des wiedervereinten Deutschlands das Gebäude mitten hinein ins künftige Parlaments- und Regierungsviertel katapultierte. So ist vom ehemaligen Alsenviertel allein die Schweizerische Botschaft übrig geblieben, die alle Zeitstürme überstanden hat. Hier zeigt sich die Schweiz als Überlebenskünstlerin: als Vorbild an Stabilität und Kontinuität. Und gerade hier, in diesem "mit historischem Gift imprägnierten Gelände" - um eine Formulierung des Berliner Architekten Axel Schultes aufzugreifen - , gerade vor dem Hintergrund der wechselvollen Geschichte des ehemaligen Alsenviertels zeigt sich, was das heute demokratische und wiedervereinte Deutschland seinen Freunden und Partnern in der Welt - darunter auch der Schweiz - verdankt. Deshalb habe ich als Geschenk, verehrte Frau Botschafterin, ein kleines Büchlein dabei, das die Geschichte dieses Ortes beleuchtet, an dem wir heute in nachbarschaftlicher Freundschaft verbunden sind.

Einen überzeugenden Botschafter hat die Schweiz übrigens - das darf ich zum Schluss noch kurz erwähnen - auch in meinem Neffen: Als 10jähriger wünschte er sich von seiner Patentante Moni für sein Survival-Trainig ein Tarnzelt vom Militär. Bekommt man ja zum Glück alles im Internet. Erschwerend kam allerdings hinzu, dass es nicht irgendein Tarnzelt sein durfte - nein, für das Survival-Camp musste es eines aus der Schweizer Armee sein. Unter einem Schweizer Zelt überlebt es sich offenbar besser … . Nicht nur gut überleben, sondern gut leben und auch gut feiern kann man in der Schweiz bekanntermaßen allemal. Glücklich also, wer Gast unter einem Schweizer Dach sein darf! Ich jedenfalls freue mich auf den Abend mit Ihnen unter diesem altehrwürdigen Schweizer Dach und gratuliere herzlich zu 150 Jahren Schweizer Vertretung in Berlin!