Redner(in): Monika Grütters
Datum: 16. September 2017
Untertitel: Straßenkunst sei wegen ihrer "ganz eigenen Ästhetik" längst über die Untergrundkunst hinaus gewachsen, freute sich Kulturstaatsministerin Grütters, als sie das "Urban Nation Museum for Urban Contemporary Art" eröffnete. Die weltweit einzigartige "Hall of Fame" der urbanen Kunst sei nirgends besser aufgehoben als in Berlin, der deutschen Hauptstadt der Straßenkunst.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2017/09/2017-09-16-urban-nation-museum.html
Straßenkunst sei wegen ihrer "ganz eigenen Ästhetik" längst über die Untergrundkunst hinaus gewachsen, freute sich Kulturstaatsministerin Grütters, als sie das "Urban Nation Museum for Urban Contemporary Art" eröffnete. Die weltweit einzigartige "Hall of Fame" der urbanen Kunst sei nirgends besser aufgehoben als in Berlin, der deutschen Hauptstadt der Straßenkunst.
Aufzubegehren gegen die Vergänglichkeit gehört zur Natur des Menschen: Davon lebt die Kosmetikindustrie, davon zeugen Literatur und Philosophie. Und davon erzählt auch ein künstlerischer Versuch, der flüchtigsten Form der Bildenden Kunst, der Straßenkunst, Bestand und Dauer zu verleihen: Im niederländischen Nijmegen hat der Künstler Paul De Graaf ein Stück Mauer aus der "Graffiti Hall of Fame" herausgefräst, um im Querschnitt die übereinander gelagerten Farbschichten aus 30 Jahren urbaner Kunst sichtbar zu machen. So gelang es ihm, die vielen übersprayten und damit verlorenen Kunstwerke gewissermaßen als bunte Jahresringe des Großstadtlebens künstlerisch wieder zu beleben.
Es gehört ja zum besonderen Nimbus der "Urban Art", dass sie früher oder später aus dem öffentlichen Raum verschwunden sein wird - übermalt oder überwuchert, in der Sonne verblasst oder vom Regen verwaschen. Trotzdem - oder auch gerade deshalb - ist es höchste Zeit, dass diese facettenreiche Kunstform ihr eigenes Museum bekommt. Mag den Wandbildern auf Brandschutzwänden, den Collagen an den Fassaden, den Schriftzügen auf den Giebeln und erst recht all den kleinen Kunstwerken im Straßenbild, den Stickern und Kreidezeichnungen, den Plastiken und Paste-ups als Ausdruck des Zeitgeistes auch nur eine überschaubare Lebenszeit vergönnt sein: Die Kultur und Geschichte, für die sie stehen, verdienen es, dokumentiert und erzählt zu werden. Ich freue mich jedenfalls sehr, dass wir heute mit dem Urban Nation Museum eine weltweit einzigartige "Hall of Fame" der urbanen Kunst eröffnen - ein Museum, das der Vergänglichkeit dieser Kunstform mit dem klassischen Anspruch des Sammelns, Bewahrens, Forschens und Vermittelns begegnet und sich gleichzeitig unter dem zukunftsweisenden Motto "Connect. Create. Care" als Partner und Förderer der Straßenkünstlerinnen und -künstler versteht.
Ich danke Ihnen herzlich für Ihr jahrelanges, leidenschaftliches und hartnäckiges Engagement, liebe Yasha Young, dem wir dieses neue, farbenprächtige und auch architektonisch beeindruckende Schmuckstück in der Hauptstadt verdanken. Und ich wage schon mal die Prognose, dass Ihnen damit etwas ganz Außerordentliches gelingt: nämlich bei meinen halbwüchsigen Neffen, die ansonsten nur ihrer Tante zuliebe mit ins Museum gehen, echte Begeisterung für einen Museumsbesuch zu wecken...
Dieses Haus, meine Damen und Herren, ist weltweit einzigartig - und wo wäre es besser aufgehoben als in Berlin, der deutschen Hauptstadt der Straßenkunst, die sich darüber hinaus zum Sehnsuchtsort der künstlerischen Avantgarde auf der ganzen Welt entwickelt hat. In den wilden Jahren nach dem Fall der Mauer entstand hier zwischen Anarchie und Aufbruch ein Biotop für Experimente und Enthusiasmus in der Kunst, und auch wenn Gentrifizierung und steigende Mieten diesem Biotop mittlerweile gefährlich zusetzen, erleben wir seit vielen Jahren ein Aufblühen der künstlerischen Vielfalt. Was in einer Künstlerbiografie früher New York war, das ist heute Berlin: Schmelztiegel der Ideen, Labor für Experimente, Resonanzraum für Diskurse,"the place to be" für Kreative. Man muss es nicht so sarkastisch sehen wie ein bekannter deutscher Illustrator, der, wie viele andere Künstler, nach Jahren in New York nun die deutsche Hauptstadt zur Wahlheimat auserkoren und festgestellt hat, Berlin sei, ich zitiere,"ein bisschen wie der laute Spaßvogel auf einer Party, der alle unterhält und nie ´ne Flasche Wein mitbringt, dessentwegen aber alle gern zu der Party kommen." Aber eines wird kaum jemand bestreiten: Berlin verdankt seine Anziehungskraft der Kunst und Kultur. Das enorme finanzielle Engagement des Bundes für die Hauptstadtkultur zeigt, welch hohe Bedeutung wir dieser Entwicklung beimessen: Im vergangenen Jahr hat Berlin aus meinem Kulturetat Mittel in Höhe von annähernd 600 Millionen Euro erhalten ( - übrigens mehr, als das Land Berlin selbst im Jahr für Kultur ausgibt - ) , und das weckt anderswo auch durchaus Neid. Doch ganz Deutschland profitiert davon, dass Menschen aus aller Welt nach Berlin kommen und die junge und weltoffene Atmosphäre ebenso wie das Kulturangebot und die Orte des Erinnerns als prägend für ihr Bild von Deutschland erleben. Und so verdient das Urban Nation Museum, das internationale Künstlerinnen und Künstler der Street Art- und Graffiti-Szene nach Berlin holt, sowohl ein Berlinerisches "ick freu mir" als auch ein bundesdeutsches "Herzlich willkommen!".
Die Werke der hier vertretenen Künstlerinnen und Künstler zeigen: Straßenkunst, Urban Art ist über die klandestine Untergrundkunst längst hinaus gewachsen, und das liegt nicht nur daran, dass es zum Glück mehr und mehr legale Wände und Flächen dafür gibt. Es liegt auch und vor allem an ihrer ganz eigenen Ästhetik, mit der sie Passanten zum Publikum macht. Als rebellische, subversive Intervention im öffentlichen Raum belebt sie das Gesicht einer Stadt und bringt "auf die Straße", was Kunst auszeichnet: Sie zwingt zum Hinschauen, streut Sand ins Getriebe der Großstadt, stellt Alltägliches in Frage und verändert Blickwinkel und Perspektiven. Ihre Präsenz macht einen Unterschied: Die Mauer, die Berlin einst teilte, war nach Westen hin bekanntlich voller Graffiti, und vom Ostteil der Stadt aus gesehen trostlos und grau. Und bei aller Vergänglichkeit der Street Art: Graffiti war dann doch beständiger als Grau. Schon allein dafür hat die Straßenkunst ein Urban Nation Museum verdient! In diesem Sinne: Viel Erfolg für Ihr Haus, liebe Yasha Young! Auf viele begeisterte Besucherinnen und Besucher!