Redner(in): Christina Weiss
Datum: 06.02.2003

Untertitel: "Kino beflügelt immer noch unseren Geist, unsere Seele, unsere Phantasie": Kulturstaatsministerin Weiss spricht über Filmförderung, Nachwuchstalente und unterstreicht ihre Forderung nach "Kino als Lernort".
Anrede: Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, sehr geehrter Herr Egoyan, sehr geehrte Mitglieder der Jury, lieber Dieter Kosslick, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/83/466083/multi.htm


auf diesem Festival wird ein deutscher Film zu sehen sein, der, kaum dass er in den Vereinigten Staaten angelaufen war, die dortigen Postämter beschäftigte. Auf den hastig ausgefüllten Telegrammformularen stand geschrieben: "Wie haben Sie das gemacht?","Welche neue Kamera haben Sie benutzt?" Das war vor achtzig Jahren. Das Interesse galt Friedrich Wilhelm Murnau und seinem legendären Film "Der letzte Mann". Seitdem hat sich viel verändert. Vor allem verläuft die Richtung der telegraphischen Anfragen nun in der Regel umgekehrt. Und doch beflügelt das Kino immer noch unseren Geist, unsere Seele, unsere Phantasie. Die fast lehrbuchhafte Frage "Wie haben Sie das gemacht" wird immer noch gern und überall gestellt. Vor allem dann, wenn es darum geht, das Kino auf emotionslockernde Substanzen hin zu untersuchen.

Man darf einem Festival wie der Berlinale schon wünschen, dass diese Frage täglich tausendfach gestellt wird: an Regisseure, an Drehbuchschreiber, an Kameraleute, an Cutter, an Tonleute, an Produzenten. Es ist nämlich eine Frage, die keineswegs nur mit leicht zu befriedigender Neugier gefüllt ist, oder auf ein reines Gespräch am Schraubstock des Films abzielt. Ein Festival wie dieses ist doch auch auf Begegnungen ausgelegt, man versucht, den eigenen Reflex im anderen zu untersuchen. Es geht schlicht um das, was Dieter Kosslick einen "audiovisuellen ökumenischen Weltkongress" nennt. Das Motto "towards tolerance" gibt diesem Weltkongress des Kinos eine durchaus politische Note. Gerade in diesen Zeiten! Und es klingt ermutigend, wenn unter diesem Leitgedanken auch der Talent Campus firmiert. Dort wird sich zum allerersten Mal die junge filmische Weltgemeinde versammeln. 500 junge Filmemacherinnen und Filmemacher sind eingeladen, einen Bericht zur Lage der Leinwand abzugeben, ihre Zunft zu befragen, aber auch über neue Technologien zu sprechen und ethische Fragen zu berühren. Das ist gut für den europäischen Film, aber längst nicht nur für ihn allein. Die Berlinale entwickelt sich immer stärker zu einer Agora, wo der filmische Nachwuchs selbstbewusst auftreten kann. Wer sich die Namen der Etablierten anschaut, die gebeten sind, auf diesem Campus ihre Filmdosen voller Wissen auszukippen, der ahnt, wie oft die oben zitierte Frage in jenen fünf Tagen zu hören sein wird. Wenn es nach mir geht, könnte diese Frage auch an einer Schultafel stehen. Warum soll sich Medien- und Filmerziehung nicht in einem guten Deutschunterricht wiederfinden, wie es der Bundespräsident vorgeschlagen hat. Das Erfassen und Verarbeiten von Bildern ist in unserem Medienzeitalter ebenso wichtig geworden wie das Lesen und Schreiben. Daher unterstütze ich vehement, dass das Kino zum Lernort wird, zu einer Sehschule, die einen differenzierten Blick auf den Stoff, die Aussage und die Qualität eines Films trainiert. Ein Blick, der erkennt,"wie es gemacht ist". Und mir wäre es hoch willkommen, wenn der Berlinale Talent Campus auch Antworten auf die Frage finden würde, wie das Publikum von morgen beschaffen sein müsste, wie ein kritischer Umgang mit den Medienangeboten gelernt werden kann.

Dieter Kosslick hat im Vorfeld dieser Berlinale davon gesprochen, dass der deutsche Film besser sei als sein Ruf. Ich unterstütze diese Auffassung mit Nachdruck. Der Bundeskanzler hat genau vor einem Jahr von dieser Stelle aus die öffentlich-rechtlichen wie privaten Sender aufgerufen, sich noch stärker für die Filmförderung zu engagieren. Schließlich seien sie einer der Hauptnutznießer der Filmproduktion. Heute sind wir nun soweit: Der Rundfunkstaatsvertrag könnte den Auftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten formulieren, sich ergiebiger als bisher an der Filmförderung zu beteiligen. Der deutsche Film bekäme somit ein stabileres Fundament. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Intendanten dieses Fundament untergraben wollen und bitte die Ministerpräsidenten der Länder inständig, dieser Vertragsänderung zuzustimmen. Die dramatische wirtschaftliche Situation, in der sich viele Produzenten befinden und die ihre Existenz bedroht, verlangt nicht nur von der Politik, daß sie entschlossen handelt. Die Krise, so hat es ein Produzent unlängst auf den Punkt gebracht, sei nicht mehr kreativ, sondern finanziell. Das wissen - so glaube ich - auch die Fernsehanstalten. Die Bundesregierung hat ihre Filmförderung seit fünf Jahren um gut dreißig Prozent erhöht. Mit der Novelle des Filmförderungsgesetzes in diesem Jahr werden wir die Kräfte bündeln, weil wir präziser und nachhaltiger fördern wollen. Zudem benötigt der deutsche Films eine akzentuierte Außenpolitik, die zugleich darauf angelegt ist, ein Kulturgut aus Deutschland im Ausland zu bewerben.

Trotz aller Feinjustierungen bleibt die Frage, wie es gelingen kann, die Einnahmen der Filmförderungsanstalt zu erhöhen. Mir ist durchaus bewusst, welche Zeiten wir durchmessen und ich verstehe, wenn das Geld derzeit alles andere als locker sitzt. Aber wenn wir es mit dem deutschen Film wirklich ernst meinen, wenn uns der Marktanteil nicht kalt läßt, wenn wir an unsere Filmemacher glauben, wenn wir sie lieben und mit ihnen hoffen, dann brauchen wir wirklich jede helfende Hand. Und ich betone: jede.

Meine Damen und Herren, an diesem ersten Abend der 53. Berlinale will ich aber nicht nur von Dingen sprechen, die mich noch bekümmern, sondern Sie auch auf eine verheißungsvolle Premiere einstimmen. Lange haben wir darüber gestritten, wie man es machen kann. Heute kann ich Ihnen endlich verkünden: Die Deutsche Filmakademie wird gegründet. Sie soll ab dem kommenden Jahr den Deutschen Filmpreis ausrichten. Eine Jury aus ehemaligen Preisträgern wird über den jeweiligen Jahrgang zu befinden haben. Ich verspreche mir davon einen großen Imagegewinn für den deutschen Film. Freuen wir uns darauf!

Zurück zu dieser Berlinale. Für Dieter Kosslick geht es heute abend in die zweite Runde. Man weiß ja von Schriftstellern, dass das Buch nach dem erfolgreichen Debüt das schwerste sei. Wenn ich aber die Feuilletons richtig gelesen habe, sind durchaus Fälle offenbar, bei denen Kritiker zu Wiederholungsjublern werden. Ich wünsche Ihnen, lieber Dieter Kosslick, daß Ihnen dies ebenso beschieden sein möge. Aber wie ich Sie kenne, sehen Sie eher selten Gespenster. Bestimmt werde ich auch Sie nach diesem Festival fragen: Wie haben Sie das gemacht? Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern jedenfalls sei schon jetzt für die Vorbereitung dieser Berlinale herzlich gedankt.

Zunächst wünsche ich den Teilnehmern des Wettbewerbs viel Glück und dem immer größer werdenden Publikum möglichst wenig Schlaf, wohlgemerkt: wenig Schlaf im Kino!

Möge es ein Festival im Frieden werden!

In diesem Sinne erkläre ich die 53. Internationalen Filmfestspiele für eröffnet.