Redner(in): Michael Naumann
Datum: 21.10.1999
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/38/10838/multi.htm
Eckhard Gropp: Herr Staatsminister, die Bilanz Ihrer Reden, Statements und Presseerklärungen nach einem Jahr sieht so aus, dass die Musik eine vergleichsweise untergeordnete Rolle zu spielen scheint? bis auf einige Reizthemen, auf die wir sicher gleich zu sprechen kommen werden. Dieser übergeordnete Akzent, den Sie in anderen Bereichen gesetzt haben, fehlt im Bereich der Musik. Woran liegt das? Hat die Musik eine zu schwache Lobby, wird zu wenig gefragt, oder ist Ihr persönliches Interesse eben zu stark auf andere Dinge gerichtet? Dr. Michael Naumann: Also erstens hat es damit zu tun, dass gerade die Musik ja im kommunalen Bereich eine wesentlich größere Rolle spielt, als ihr das im Allgemeinen zugeschrieben wird. Ich denke an die vielen Chöre, ich denke an die vielen Laien-Orchester. Dies alles geschieht im kommunalen Bereich. Da bin ich einfach nicht zuständig. Was nun das Überregionale betrifft, so habe ich mich in der Vergangenheit durchaus zu Wort gemeldet, vor allem dann, wenn es um so genannte Zuwendungsempfänger des Bundes geht. Denken Sie nur an die Philharmonia Hungarica, denken Sie an die Bamberger Symphoniker, denken Sie an Bayreuth, denken Sie an die Opern in Berlin, die durch den Hauptstadt-Kulturfond des Bundes mitgefördert werden. Also: Musik spielt keineswegs eine nur dezentrale Rolle. Ich muss allerdings auch sagen, Ich bin zwar ein ehemaliger Chorsänger, wie ich irgendwo gelesen habe... vom Bariton zum Bass, wenn ich das richtig gelesen habe... ja, und irgendwann muss ich auch noch ein Kindertenor gewesen sein oder gar Sopran? wer weiß, doch kurzum: Das Thema ist, Gott Lob, da Deutschland wahrscheinlich eines der musikalischsten Länder ist? zumindest wenn wir die Zahl der Laien-Musiker ernst nehmen? kein Thema, das wirklich brennt.
Ist das tatsächlich so? Gerade der Laien-Bereich, so habe ich den Eindruck, fühlt sich ein wenig vernachlässigt jetzt. Dort hat man offenbar größere Hoffnungen in Ihr Amt gesetzt. Lassen Sie uns aber damit beginnen, welche Hoffnungen Sie selbst in Ihr Amt gesetzt haben. Sie haben mal gesagt, es sei für Sie die letzte Chance, politisch Ideen umsetzen zu können. Was für Ideen? jetzt nach einem Jahr Resümee? sind das gewesen? Was ist übrig geblieben bei den politischen Realitäten, denen Sie dann ausgeliefert waren?
Ach, ich kann eigentlich nicht klagen. Es ist eine Menge umgesetzt worden. Während des Wahlkampfes habe ich in Zusammenarbeit mit der zukünftigen Regierung und auch nach Rücksprache mit dem zukünftigen Bundeskanzler angekündigt, dass wir die kulturpolitischen Mittel für die Neuen Länder verdoppeln werden. Das ist geschehen. Und übrigens hier auf mein Betreiben hin auch vor allem im Musikbereich.
Können Sie das konkretisieren? Was sind das für Projekte, wo dann Geld reingeflossen ist, weil Sie ja immer gesagt haben, es werden konzentriert Projekte gefördert, die? von besonderer Bedeutung "sind. Was ist für Sie musikalisch" von besonderer Bedeutung " für den Bund?
In den Neuen Ländern? in Sachsen-Anhalt und in Sachsen? befindet sich das Zentrum der Deutschen Barockmusik - also Schütz, Telemann, die Bach-Familie. Und hier fördert der Bund nicht nur Schulen und Institutionen, sondern sorgt zum Beispiel auch durch den Ausbau des Schlosses, in dem Bach in Köthen? meiner Heimatstadt, das darf ich hier ruhig sagen? die großen säkularen Werke geschrieben und auch zur Aufführung gebracht hat, dafür, dass diese Stadt, der es im Übrigen wirtschaftlich nicht so gut geht, mit dem Bach-Festival ihren Rang, den sie bereits jetzt hat, noch verbessert. Wenn Sie dort zu Musikfestspielen gehen, werden Sie ein internationales Publikum finden. Diese Festspiele in den Bach-Orten der Neuen Länder untereinander zu verknüpfen ist etwas, was ich nicht nur angeregt habe, sondern was auch geschieht: Zum Beispiel durch die Renovierung der Spielstätten. Und das ist ja die eigentliche Aufgabe von Kulturpolitik: die Podien zu verbessern - nicht etwa die Musiker zu besseren Musikern machen zu wollen oder gar sie zu kritisieren.
Trotzdem kommt es zu Schließungen und Fusionen von Orchestern nun gerade auch im Bereich der Neuen Bundesländer. Wie verträgt sich das jetzt damit? Sagen Sie jetzt nicht, dass das nun nur Ländersache sei. Da sind ja auch Akzente von der Bundesseite her zu setzen.
Schauen Sie, die Schließungen von Orchestern zum Beispiel in Brandenburg sind seit Jahren ganz offenkundig fällig gewesen auf Grund der äußerst knappen Haushaltsmittel der Länder. Sie sind hinausgeschoben worden, solange es ging. Ich glaube, mit dem gutem Willen aller Beteiligten, übrigens auch der Musiker, wäre die Schließung zum Beispiel des Potsdamer Orchesters zu verhindern gewesen.
Hätten Sie da moderieren können? Wäre das ein Teil Ihres Amtes gewesen, so wie Sie es verstehen?
Wenn Musiker das Angebot haben, mit einem anderen Orchester zu fusionieren, um ihre Arbeitsplätze zu retten und das ablehnen und dann ihr Orchester auf Grund dieser ablehnenden Haltung? so war es ja schließlich? nicht mehr weiter operieren kann, ganz einfach deshalb, weil der Steuerzahler in Brandenburg, dem ärmsten Land der Bundesrepublik, das Geld dafür nicht aufbringen kann, dann ist den Musikern leider kaum zu helfen.
Berücksichtigen Sie dabei denn, dass Orchester zwangsläufig andere Unternehmungen sind als Wirtschaftsunternehmen, die ohne weiteres fusionieren können, dass natürlich auch emotionale Befindlichkeiten eine Rolle spielen? bei Musikern, bei Künstlern, die kreativ tätig sind?
Das würde ich gerne berücksichtigen, leider beobachte ich aber auch gleichzeitig eine sehr ausgeprägte Gewerkschaftsmentalität. Wenn zum Beispiel hier in der Deutschen Oper, einem der renommiertesten Häuser des Landes, Musiker streiken, dabei aber noch nicht einmal die Zivilcourage aufbringen, in Streik zu treten, sondern sich krankmelden und damit die Premiere von "Moses und Aron" von Schönberg ruinieren sowie weitere Aufführungen dieser hoch teuren Inszenierung verhindern, weil sie eine Medienzulage zu ihrem Gehalt von durchschnittlich 110.000 Mark per annum haben wollen? eine Medienzulage für Medienleistungen, die sie gar nicht erbracht haben? , dann, muss ich sagen, ist das eigentlich kein künstlerisches Argument. Wenn lauter fremde Musiker aus aller Welt buchstäblich zusammengetrommelt werden müssen und sich, schlecht einstudiert, aus dem Flugzeug springend, hinter die Perkussions-Instrumente stellen, dann hat das nichts mit Emotionalität zu tun, sondern mit einer durch und durch gewerkschaftlich inspirierten Haltung zu ihrem eigenen Beruf, die aber offenkundig an die Grenze des Machbaren führt. Das sind Probleme, die der Bund nicht lösen kann. Die müssen vor allem die Musiker selbst lösen, und die muss auch die Intendanz der Deutschen Oper lösen.
Generell und bezogen auf die Musik, wie verstehen Sie da Ihre Rolle? Sie sagten gerade, dass Ihre Position besonders bei der Musik sehr eingeschränkt sei, aber wo liegen da nun auch in Zukunft Ihre Möglichkeiten? Wir haben ja nach diesem ersten Jahr gerade mit Freude gehört, dass sie nicht "amtsmüde" seien, sondern auch weiterhin dieses Amt wahrnehmen wollen. Was sind da Akzente, die Sie im musikalischen Bereich glauben setzen zu können?
Ich will Ihnen sagen: In einem Jahr kann man natürlich nicht alles machen. Den größeren Akzent, den ich in Zukunft, in den nächsten Jahren unserer Regierung setzen möchte, ist eine Förderung vor allem des Musikunterrichts an der Schule. Und das kann man auch symbolisch machen. Das ist nicht immer nur Geld, was da eine Rolle spielt. Der Musikunterricht an der Schule ist nach Aussagen aller Kenner ins Hintertreffen geraten. Ich halte das für hoch problematisch. Das ist aus verschiedenen Gründen problematisch, die auch etwas mit dem Wirtschaftsleben in unserem Lande zu tun haben, darüber können wir ja gleich sprechen.
Prinzipiell ist es so, dass Musik die Fenster zur eigenen Seele öffnet. Das ist meine feste Überzeugung. Und die sind oft genug verschlossen. Dass die Musik in den Schulen ins Hintertreffen geraten ist, wie übrigens auch der Zeichenunterricht, ist höchst bedauerlich. Das scheint mir etwas mit der Ökonomisierung unseres Selbstbewusstseins in Deutschland zu tun zu haben. Dass dieses Land eine Kulturnation sei, das erzählen wir permanent allen anderen in Europa mit großem Stolz und weisen auf unsere zahlreichen Opern hin. Dass aber in diesen Opern und überhaupt in den Konzerten immer weniger junge Menschen auftauchen, ist nachweisbar und ein Problem. Und das hat etwas zu tun mit dem Musikunterricht. Hier gilt es natürlich ein öffentliches Bewusstsein zu erzeugen, um dieses Defizit zu verstehen... das wäre eine Möglichkeit Ihres Amtes, dieses Bewusstsein wachzurufen. Ist das richtig?
Das ist auch mein Job, und ich tue es auch? zum Beispiel jetzt!
Welche anderen Möglichkeiten werden Sie wahrnehmen, um das zu tun, ohne dabei den föderalen Strukturen zu sehr ins Handwerk zu pfuschen, den Ländern zu sehr rein zu reden? Denn das ist ja immer die Gefahr dabei.
Sie wissen ja, dass es in den Ländern Musik-Gymnasien gibt; eine wunderbare Einrichtung. Und wer einmal eines dieser jungen Orchester gehört hat, glaubt seinen Ohren nicht zu trauen, wie perfekt die sind.
Es gibt aber auch andere Schulen, da gibt es über lange Jahre gar keinen Musikunterricht...
Das kann auch nicht der Sinn sein, dass die besten Talente des Landes in Spezialschulen versammelt werden und dort erstklassige Sinfonieorchester aufbauen mit einem Durchschnittsalter von 17 Jahren, sondern es kommt darauf an, dass der Musikunterricht in ganz Deutschland wieder auf das Niveau zurückgeführt wird, das er irgendwann einmal gehabt haben muss. Die Klagen werden jedenfalls lauter.
Was für Aktionen könnte man sich da vorstellen? Ich denke jetzt an Institutionen wie den Deutschen Musikrat, der ja immer wieder den Versuch auch unternimmt, konzertierte Aktionen ins Leben zu rufen. Gibt es da Möglichkeiten einer Zusammenarbeit? Oder könnten Sie sich vorstellen, für solch eine Aktion zum Beispiel eine Schirmherrschaft zu übernehmen?
In erster Linie kommt es darauf an, dass die Kultusminister-Konferenz sich mit diesem Thema beschäftigt. Dass sie sich mit diesem Thema intensiver beschäftigt, als dies offenkundig der Fall ist. Es liegt aber nicht an mir, die Tagesordnung der Kultusminister-Konferenz zu entwerfen. Das muss sie selber tun. Hier ist auch der Musikrat gefordert, der übrigens auch vom Bund finanziell unterstützt wird.
Sie hätten doch eine ganze Menge konkreter Anregungen für die Kultusminister-Konferenz. Wollen sie die nicht doch einbringen, ohne sich zu sehr einzumischen?
Die Kultusminister-Konferenz fürchtet das Gespräch mit dem Staatsminister der Kultur des Bundes immer noch etwas; sie hat immer noch verfassungsrechtliche Vorbehalte, die mit der Realität unseres Landes eigentlich gar so viel nicht zu tun haben.
Da höre ich Bedauern. Sie würden das Gespräch also suchen und mit weniger großen Vorbehalten führen. Es muss ja nicht immer gleich in eine verfassungsrechtliche Diskussion führen, wie stark der Föderalismus durch solch ein Gespräch zurückgedrängt würde.
Ich habe da meine Erfahrungen gemacht. Und ich kann leider nicht sagen, dass es da ein großes Gesprächsbedürfnis gibt.
Kommen wir jetzt noch einmal auf diese Reizwörter, die wir am Anfang angesprochen haben. Da ist natürlich an erster Stelle Bayreuth zu nennen, wo es Hin und Her gegangen ist. Da ging es natürlich auch um die Mittel. Zunächst hieß es, wir halbieren die Zuschüsse, dann hatten Sie sich mit dem damaligen Finanzminister, Herrn Lafontaine, offenbar geeinigt, dieses dann doch wieder zurückzunehmen, und nun sind wir bei einer Kürzung von 239.000 Mark. Da sagen Sie, das sei die halbe Abendgage von Herrn Domingo in Hamburg, also "kaum der Rede wert". War es dann überhaupt noch nötig, wenn es "kaum der Rede wert war" ?
Wir haben einen Schuldenberg geerbt, der dazu geführt hat, dass jede vierte Steuermark inzwischen an die Banken geht zur Tilgung von Krediten, die dieses Land im Laufe von 16 Jahren der vorigen Regierung aufgenommen hat. Es tut mir Leid, dass sich das anhört wie im Wahlkampf. Das ist aber in Wirklichkeit die Bilanz der Firma Deutschland. Und dann gibt es natürlich Zwänge, denen sich auch ein Kulturminister mit einem neuen Amt nicht entziehen kann.
Und das war dann so ein Zwang, diese Feststellung, Fördermittel um die Hälfte zu halbieren. Das betraf Bayreuth, das betraf die Bamberger Symphoniker und die Philharmonia Hungarica. Warum dann plötzlich doch der Zurückzieher. War der öffentliche Druck dann doch größer als erwartet?
Nein. Das läuft dann meistens so: Die Kollegen im Finanzministerium kommen mit dem Rotstift an und machen ganz grobe Striche. Und dann geht es eigentlich in einem Gespräch auf Arbeitsebene und zwischen den Ministern darum, diese groben Striche gewissermaßen zu verfeinern und die Kürzungen dort zu reduzieren, wo sie nicht unbedingt nötig sind.
Wie viel Sachkompetenz steht denn bei den "groben Strichen", die Sie ansprechen, dahinter?
Die Sachkompetenz des Finanzministeriums, wenn es um das Kürzen geht, ist groß. Die interessiert nur das Geld... ist die Kompetenz auch groß, wenn es um die richtige Stelle des Kürzens geht?
Dann müssen die einzelnen Ministerien ganz einfach ihre Positionen klarstellen und verteidigen. Das habe ich getan, als es ursprünglich um eine Kürzung der Mittel für Bayreuth um 50 % ging. Das heißt, dass Bayreuth im Jahre 1999 de facto ohne Blessuren über die Runden gekommen ist. Dann ging es aber um den Haushalt 2000. Der Haushalt 2000 wird einerseits definiert durch den absolut ungebrochenen Druck der Schuldenlast, die auf unserem Land lasten, und andererseits von der Überzeugung des Finanzministers, aber auch des ganzen Kabinetts, und zu dem zähle ich mich auch, nun mit dem Sparen in der Tat dort anzufangen, wo es möglich ist. Stichwort Bayreuth: In Bayreuth wird in der Tat im Jahre 2000 um eine Summe von 239.000 Mark gegenüber 1999 gekürzt. Nun muss man bedenken, dass im Haushalt des Landes Bayern für Bayreuth eine Summe von ungefähr 4,2 Millionen Mark eingestellt ist für die Förderung dieses ja wirklich über die Grenzen hinaus strahlenden Festivals. Diese Summe ist in den letzten fünf Jahren niemals ganz abgerufen worden. Herr Wagner hat gut gehaushaltet und hat ganz offenkundig die jährlich etwa 400.000 bis 600.000 Mark, die der Landtag zur Verfügung gestellt hat, nicht abgerufen. Schließlich liegt es in Bayern, und es ist ein in seinem Wesen durchaus bayerisches Großereignis. Reserven sind also vorhanden, so dass man heute, nachdem der Schlachtenlärm sich gelegt hat und der letzte "Lohengrin" entschwunden ist, sagen muss: hier hat allen voran der Bayerische Ministerpräsident und dann gewissermaßen sein Sancho Pansa, der Kulturminister Zehetmair, einfach ein öffentliches Politfeuerwerk veranstaltet, was dann aber peu à peu doch an Glaubwürdigkeit verloren hat... aber der nächste Schwan geht bestimmt. Und da war eine Anregung von Ihnen nun die Eintrittspreise zu erhöhen. Ich weiß nicht genau, was Sie unter dem Begriff "demokratische Preise" die dort bislang herrschen würden, verstehen, wenn es um Karten bis zu 350 Mark geht. Das ist für einen SPD-Politiker doch immerhin erstaunlich. Was schwebt Ihnen ungefähr vor? Was wären die Preise, die man nehmen müsste? Wenn Herr Wagner doch so gut gehaushaltet hat, dann wäre das doch eigentlich gar nicht nötig.
Erstens: Den Begriff der "demokratischen Preise" habe ich natürlich nicht gebraucht. 350 Mark ist eine Menge Geld. Zweitens ist es so, dass verglichen mit allen großen Festspielen, ob das bei Gala-Abenden in Hamburg ist, oder in Salzburg, wo die Karten 800 Mark kosten, die Eintrittspreise in Bayreuth für die ersten acht Reihen wesentlich unter dem Niveau der europäischen Festspiele liegen. Bei einer Erhöhung der Preise von zum Beispiel 350 auf 450 Mark hätte der Festspielleiter in diesem Jahr einen Überschuss von 2,5 Millionen Mark erzielen können. Er muss dem Steuerzahler, das heißt auch den Vertretern des Steuerzahlers, nämlich den Politikern, erklären, warum er das nicht macht. Er tut es nicht, beziehungsweise es wird dann mit dem Hinweis auf "demokratische Eintrittspreise" von DM 350 abgeblockt... ist denn das eine geschickte Forderung eines Sozialdemokraten? Ich muss da noch einmal nachhaken.
Was hat das mit Sozialdemokratie zu tun... weil es doch sehr die Frage ist, ob es sich jemand leisten kann, dort mit einer Familie in die Oper zu gehen, wenn Sie ja auf der anderen Seite fordern, die sollen ihre Karten-Verteil-Politik etwas durchsichtiger strukturieren. Wer hat dann was davon, wenn die Karten dann nachher 450 Mark kosten?
Die Wahrheit ist, dass es doch sehr schön wäre, wenn Karten, die zehnfach überzeichnet sind, die Sie gar nicht bekommen, einem transparenten Vergabesystem unterworfen werden. Da beginnt für mich die Demokratie. Und dann stellt sich sehr wohl die Frage, warum der Steuerzahler für ein Festival, das massiv subventioniert wird, für jeden Sitz, der vorne meistens von Leuten besetzt wird, die in der Tat ihre Biographie einreichen müssen und deren Zugang zu den Karten äußerst undurchsichtig ist, mit bis zu 200 Mark pro Sitz Subventionen zahlen soll. Das sind Fragen, die stellen sich im Übrigen allen Opern. Das hat nichts zu tun mit parteipolitischen Überlegungen und Sozialdemokratie. Aber ich glaube, dass Herr Stoiber und sein Kulturminister eigentlich gerade bei der Klientel von Bayreuth nicht versuchen müssen, politische Pluspunkte einzusammeln. Die haben sie sowieso.
Wer versucht denn bezogen auf die Philharmonia Hungarica, Pluspunkte einzusammeln. Oder ist das ein anderer Fall und kein solches Politikum?
Das ist für mich kein Politikum, weil bereits der Vorgänger im Innenministerium, in dem diese Zuständigkeit bis zum Regierungswechsel lag, nämlich Herr Kanther, die Einstellung der Förderung dieses Orchesters beschlossen hatte. Der Grund dafür ist eindeutig: Dieses Orchester hat sich 1956 konstituiert mit hervorragenden, vor dem Einmarsch der Russen geflohenen Philharmonikern aus Budapest und ganz Ungarn. Die historische Leistung dieses Orchesters wird überhaupt nicht in Frage gestellt. Die Frage stellt sich allerdings heute, warum ein Orchester, das nicht mehr diese politische repräsentative Rolle hat, die das Exil-Orchester damals hatte, weiterhin vom Bund gefördert werden soll. Die Grenzen zu Ungarn sind offen. Der Fall der Mauer ist durch die Öffnung der Grenzen in Ungarn überhaupt erst in Bewegung gesetzt worden. Das ungarische Musikleben ist ebenso prachtvoll wie talentiert? wie es das früher ja auch war. Warum soll also heute vom Bund ein Orchester, das buchstäblich durch die Lande fährt wie andere Orchester ja auch, gefördert werden, wenn dieser ursprüngliche politische Zuwendungsgrund entfallen ist? Und der ist entfallen.
Nun könnte man ja umdenken, und die Philharmonia Hungarica versucht das ja und versucht, neue Akzente zu setzen. Was für eine Zukunft hat das ganze Projekt aus Ihrer Sicht. Müssen die sich jetzt nach privatem Sponsoring umsehen?
Erst einmal wird das so geschehen, wie das immer geschieht in Deutschland, wenn der Staat sich aus irgendeinem Zuwendungssegment zurückzieht. Es werden schwere politische Geschütze aufgefahren werden. Und darauf bin ich schon vorbereitet. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass bereits Herr Kanther sagte, es gehe nicht mehr so weiter. Des Weiteren wird der Bund helfen? anders übrigens, als das ursprünglich geplant war? , mit Sozialplänen beziehungsweise mit Übergangsgeldern, auf alle Fälle aber mit einem gleitenden Ende der Zuwendungen, dafür zu sorgen, dass hier nicht Menschen mit ihrem Instrument auf der Straße stehen. Sie haben vorhin nach sozialdemokratischem Gewissen gefragt: Hier ist es!