Redner(in): Christina Weiss
Datum: 21.04.2005

Untertitel: Staatsministerin Dr. Christina Weiss würdigte bei der Eröffnung der Ausstellung "Der Krieg begleitet mich bis zum Ende" im Käthe-Kollwitz-Museum Berlin am 21. April 2005 die Arbeiten der Künstlerin.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/04/819604/multi.htm


Nie wieder Krieg "- dieser wohl berühmteste Appell von Käthe Kollwitz hat bis heute, da sich das Ende des Zweiten Weltkrieges zum sechzigsten Male jährt, nichts von seiner Eindringlichkeit verloren." Nie wieder Krieg " - das ist keine Wunschvorstellung einer Träumerin, die einen diffus formulierten gesellschaftlichen Fortschritt herbei sehnt und sich gleichzeitig in ihr künstlerisches Wolkenkuckucksheim zurückzieht, wo sie die Augen vor der harten Realität verschließen kann.

Im Gegenteil: Wie alle Lebensäußerungen dieser großen deutschen Künstlerin liegt auch diese Forderung in ihrem unmittelbaren Erleben begründet. Sie hat ihren geliebten Sohn Peter 1914 auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs verloren. Und in Berlin hat sie am Spandauer Südhafen, wo sie und ihr Mann, ein "Arme Leute" -Arzt, fast fünfzig Jahre gewohnt haben, die Auswirkungen von Zerstörung, Not und Elend tagtäglich hautnah erfahren.

Was mich an Käthe Kollwitz' unbedingten Pazifismus jedoch besonders berührt, ist sein Trotz-alle-dem."Nie wieder Krieg" - als Käthe Kollwitz das Plakat, das diese Worte trägt, im Jahr 1924 veröffentlichte, war sie sich natürlich darüber im Klaren, dass sie damit gegen die Kriegstreiber im eigenen Land und anderswo keine Chance haben würde. Sie hat es trotzdem getan, hat ihre Stimme laut und vernehmlich erhoben, um sich selbst und jenen, die unter dem Krieg am meisten leiden, zumindest dieses eine Mal Gehör zu verschaffen.

Man hat in der Vergangenheit des öfteren versucht, die Kunst von Käthe Kollwitz auf das Mutter / Kind-Motiv zu reduzieren. In der Tat tauchen in ihren Zeichnungen, Graphiken und Skulpturen häufig Frauen und Kinder auf. Doch das heißt nicht, dass für sie alle Frauen Mütter sind. Und wenn sich bei ihr eine Mutter über ihren toten Sohn beugt, dann bedeutet dies nicht zwangsläufig eine mütterliche Beweinung. Es ist nicht mehr Schmerz, sondern Nachsinnen ", schrieb Käthe Kollwitz über ihre Pietà , die vor einigen Jahren hier in Berlin vierfach vergrößert in der Neuen Wache aufgestellt wurde. Das Nachsinnen - damit ist nicht in erster Linie Trauer gemeint, sondern eher eine Art stiller, innerer Furor, ein Grübeln und Zweifeln, wie es Albrecht Dürer in seinem Kupferstich der" Melancholia "dargestellt hat. Ich will", notierte Käthe Kollwitz im Februar 1920 in einem Tagebucheintrag,"eine Zeichnung machen, die einen Menschen zeigt, der das Leid der Welt sieht." Um dieses "Sehen" ist es ihr zeitlebens gegangen: dass das allgegenwärtige Leiden als solches erkannt werde, dass der Blick auf die falle, die sonst nicht - oder wenn, dann nur als gesichtslose Masse - wahrgenommen wurden. Genauso vehement wehrte sie sich dagegen, auf ein bestimmtes Thema festgelegt zu werden. Folgendes Zitat stammt vom Mai 1917: "Was so viele gar nicht sehen, wenn sie behaupten, ich sei ein Elendsschilderer: Die Traurigkeit geht doch über soziale Nöte hinaus. Das Leben ist es, was alles in sich birgt und mit dem ich mich auseinandersetze durch die Arbeit."

In diesem Anliegen offenbart sich Käthe Kollwitz als wahrer homo politicus. Sie war - wie jeder - nicht frei von Irrtümern, das aber aus tiefster humanitärer Überzeugung. Sie war eine Sozialistin, die sich später in der Weimarer Republik zur Demokratin wandelte, vor allem aber war sie eine entschiedene Gegnerin des Nationalismus. In einem Brief vom 22. April 1917 schrieb sie an ihren Sohn Hans: "Die nationale Entwicklung, ( ... ) führt in Sackgassen. Es muss ein Zustand gefunden werden, der ( ... ) das verhängnisvolle nationale Wettrennen unmöglich macht."

Bei alldem war Käthe Kollwitz Künstlerin mit Leib und Seele, die vor jeder Ausstellung mit sich rang, um im Falle eines Erfolges ihrer Erleichterung um so freieren Lauf zu lassen. Aufregung und Sorge lagen hier dicht beieinander. Höchstes Glück bedeutete ihr die Anerkennung der Kollegen.

Morgen begehen wir Käthe Kollwitz' 60. Todestag. Sie war während des Krieges aus Berlin geflohen und hatte sich in Moritzburg bei Dresden niedergelassen. Dort wurde sie in ihren letzten Wochen vor allem von ihrer Enkelin Jutta gepflegt. Sie - Jutta - hat uns auch ihre letzten Worte überliefert. Sie lauteten: "Grüßt alle". Käthe Kollwitz war bis zuletzt in Gedanken bei anderen.

Ich freue mich, dass es eine private Einrichtung wie dieses schöne Käthe Kollwitz-Museum gibt, die das Andenken an diese große Frau und Künstlerin wach hält. Für ihre Ausstellung wünsche ich Ihnen viel Erfolg!