Redner(in): Thomas de Maizière
Datum: 15.12.2005

Untertitel: Rede vom Chef des Bundeskanzleramts und Minister für besondere Aufgaben, Thomas de Maizière, vor Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft anlässlich des Preises "Freiheit und Demokratie", 15. Dezember, Berlin:
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2005/12/2005-12-15-rede-von-thomas-de-maizi_C3_A8re-bei-der-initiative-freiheit-und-demokratie-,layoutVariant=Druckansicht.html


Sehr geehrter Herr Baron, sehr geehrter Herr Thumann, sehr geehrter Herr Dr. Baumann, sehr geehrter Herr Kentzler, sehr geehrter Herr Dr. Koch, sehr geehrter Herr Dr. Georgi, meine Damen und Herren!

Sehr gern habe ich heute die Aufgabe von Ministerpräsident Koch übernommen, den Festvortrag anlässlich der diesjährigen Verleihung des Preises "Freiheit und Verantwortung" zu halten.

Der Titel dieses Preises könnte nicht besser in unsere Zeit passen. Denn die Chancen der Zukunft werden wir nur nutzen können, wenn wir uns auf die Kraft besinnen, die in der Freiheit steckt.

Die alte Bundesrepublik hat nach dem zweiten Weltkrieg ihre Chance zum Wiederaufbau genutzt - indem sie sich eine freiheitliche Wirtschafts- und Sozialordnung gab: die Soziale Marktwirtschaft.

Auch damals gab es Globalisierung, wie ich überhaupt meine, dass Globalisierung ein altes Phänomen ist und nicht so neu, wie viele heute glauben. Die junge Bundesrepublik ergriff beherzt die Gelegenheit beim Schopfe. Seitdem haben deutsche Autos einen Weltruf, nicht nur einen Markennamen.

Übrigens verzichtete freiwillig oder unfreiwillig die Soziale Marktwirtschaft bei ihrer Einführung weit mehr auf staatliche Intervention und Vereinheitlichung, als es damals in vielen Ländern Westeuropas üblich war. Die Antworten Großbritanniens und Frankreichs auf die Erfahrungen mit Weltwirtschaftskrise und totalitärer Herausforderung finden wir noch heute in Teilen, wenn wir z. B. auf das britische staatliche Gesundheitswesen, den National Health Service, oder die französische Industriepolitik schauen.

Was damals galt, gilt auch heute: Deutschland wird nicht handlungsfähig bleiben und seinen Wohlstand nicht halten können, wenn jeder auf seinem Schutzzaun, auf detailliertere Vorgaben in seinem Interesse und staatliche Intervention für sich setzt.

Der Auftrag unser Zeit lautet vielmehr: Begegnen wir dem Wandel mit Neugier und Offenheit, aber machen wir uns alle miteinander auch so stark, dass wir diese Offenheit wagen können.

Denn Freiheit alleine, von jedem auf seine Weise verstanden, mit Ellenbogen beliebig ausgeübt oder liegen gelassen, führt keineswegs zu mehr Wohlstand des Gemeinwesens.

Freiheit muss verantwortlich ausgeübt werden. Deswegen ist die Verbindung, die der Name Ihres Preises zum Ausdruck bringt, so entscheidend und wichtig.

Verantwortung ist mehr als Sozialbindung oder nur die Einhaltung des Recht. Verantwortung heißt: Nicht nur verantwortlich sein für die eigene Zukunft, die Zukunft der eigenen Familie, des eigenen Unternehmens, für das man arbeitet. Dabei ist schon diese Verantwortung, richtig verstanden, eine sehr fordernde Aufgabe.

Verantwortung heißt eben auch: Seine Freiheit nutzen in dem Wissen, dass ein Gemeinwesen mehr ist als eine Volkswirtschaft, und eine Volkswirtschaft mehr als eine Ansammlung von Konsumenten und Produzenten.

Unser Land braucht Unternehmen, die - formuliert mit den Worten Ludwig Erhards - die "Freiheit auf dem Markt mit dem sozialen Ausgleich und der sittlichen Verantwortung jedes Einzelnen dem Ganzen gegenüber" verbinden.

Sie, die hier sitzen, und insbesondere jene, die heute geehrt werden, wissen das. Denn mit diesem Preis werden Unternehmen gewürdigt, die durch ein herausragendes gesellschaftliches Engagement hervorgetreten sind.

Ich will Sie also nicht mit Worten von etwas überzeugen, das sie durch Ihr Tun bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben.

Ich will Ihnen vielmehr sagen, dass wir Sie brauchen, dringender denn je. Wir, das ist die neue Bundesregierung, das ist die Politik über Parteigrenzen hinweg, das ist aber auch das ganze Land und seine Bürgerschaft.

Wir brauchen Sie mit dem, was Sie konkret leisten. Wir brauchen Sie aber mindestens ebenso sehr als Vorbild, als Anreger, als Mitmacher.

Wir brauchen Sie als Gegenbild zu denen, die abseits stehen, die schnell mit der Kritik sind, langsam mit realistischen Alternativen, und die nicht mehr zu sehen sind, wenn es um das gemeinsame Anpacken geht.

Deswegen gilt mein besonderer Dank der "Initiative Freiheit und Verantwortung" selbst. Ohne Sie würde die Breitenwirkung des vielfältigen unternehmerischen Engagements viel geringer ausfallen. Ich finde: Eigentlich müssten die Initiatoren dieser Veranstaltung einmal selbst mit ihrem Preis ausgezeichnet werden.

Ich bin insgesamt sehr zuversichtlich, dass Freiheit und Verantwortung in Deutschland eine Renaissance erleben werden.

Es ist doch erfreulich, wie viele Unternehmen sich neben ihrem betrieblichem Erfolg auch gesellschaftlichen Aufgaben verpflichtet fühlen. Die Palette des Engagements ist außerordentlich breit - und das ist wichtig und hilfreich.

Besonders erwähnen möchte ich jene Unternehmen, die sich für eine bessere Betreuung, Bildung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen einsetzen. Gerade die benachteiligten Jugendliche müssen endlich wieder eine echte Chance auf dem Arbeitsmarkt erhalten. Bei der jungen Generation kann man gar nicht genug tun, um die Zukunft unseres Landes zu sichern.

Gesellschaftliches Engagement heißt für viele Unternehmen auch, sich als Teil der deutschen Geschichte zu verstehen und dafür Verantwortung zu übernehmen. Ich denke zum Beispiel an die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft".

Auch der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche ist Ausdruck eines Engagements für historische Verantwortung im Zeichen von Frieden und Versöhnung. Hieran hat unser heutiger Gastgeber, die Dresdner Bank, erheblichen Anteil.

Sehr geehrter Herr Dr. Georgi, Ihr Haus hat mit seiner Unterstützung in eindrucksvoller Weise gezeigt, was mit gesellschaftlichem Engagement geleistet werden kann. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich regionale Verbundenheit auch in einer globalisierten Gesellschaft entwickeln kann.

Anrede,

was im angelsächsischen Raum als "corporate citizenship" weit verbreitet ist, wird auch für uns in Deutschland immer selbstverständlicher: Die Vorstellung, dass gesellschaftliches Engagement von Unternehmen sozusagen eine mehrfache Rendite bringt.

Klar ist erstens: Ein solches Engagement nützt den Unternehmen selber. Sie profitieren vom positiven Image.

Aber Image allein reicht nicht. Es ist meinem Eindruck nach auch für viele flexible, hochqualifizierte Mitarbeiter wichtig, welchen Namen ihre Firma hat - wichtiger, als mancher Außenstehender denkt. Sie können sich stärker mit "ihrem" Unternehmen identifizieren - und sie wollen das auch.

Zweitens tragen engagierte Unternehmen zu einer positiveren Wahrnehmung der Wirtschaft in unserer Gesellschaft bei. Sie zeigen ganz handfest, dass wirtschaftlicher Gewinn für ein Unternehmen auch einen echten Gewinn für viele außerhalb des Unternehmens bedeutet.

Und diese Regierung will, dass deutsche Unternehmen und Unternehmen in Deutschland guten, ehrlichen Gewinn machen können - um zu investieren, um Arbeitsplätze zu schaffen und Know-How von überall her anzuziehen und um Steuern in Deutschland zu zahlen

Das Land der Ideen, wie es der Bundespräsident nennt, soll gerade nicht nur eine Gelehrtenrepublik oder ein Reich der Träumerei sein. Es soll ein Land mit Tatkraft sein. Je mehr sich unser Kopf manchmal gedankenvoll bis in die Wolken reckt, desto wichtiger ist es, dass wir mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen.

Drittens ist das bürgerschaftliche Engagement von Unternehmen in modernen Volkswirtschaften eine zentrale Voraussetzung für mehr gesellschaftliche Freiheit insgesamt und für einen schlanken Staat.

Ihr Einsatz ist damit ein wichtiger Beitrag für das, was die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung mit dem Ziel einer modernen Bürgergesellschaft beschrieben hat.

Ich bin keineswegs für einen schwachen Staat. Ich war Justiz- und Innenminister und weiß, wovon ich rede. Es kommt darauf an zu bestimmen, wo der Staat schwach und wo er stark sein muss. Ich weiß aber, dass in Zukunft schon aus finanziellen Gründen nur der schlanke Staat überhaupt ein starker Staat sein kann. Ich freue mich deswegen über jeden Fall, bei dem Betriebe und Bürger sagen: Gebt uns Freiheit statt Vorschriften, gebt uns Unterstützung statt Behörden, dann machen wir das selber besser.

Freiwilligkeit und Selbstverpflichtung sind allemal besser als staatliche Regulierung. Sie müssen dann aber auch zuverlässig funktionieren.

Nicht jede bürokratische Standard-setzung oder Subventionskulisse wurde von Staat und Verwaltung gegen den erbitterten Widerstand der betroffenen Branchen durchgesetzt...

Manchmal ist es auch Aufgabe der Politik, Freiräume für jene innovativen Kleinen zu sichern, die ihre faire Startchance erst noch bekommen müssen.

Anrede,

Der Auftrag, Freiheit in Verantwortung möglich zu machen, hat deswegen nicht nur einen, er hat zwei Adressaten. Die Politik, aber auch alle anderen.

Die neue Bundesregierung hat sich vorgenommen, die Rahmenbedingungen für Wohlstand und Arbeit deutlich zu verbessern. Sie will zugleich die Freiräume weiten, damit Bürgersinn und Eigenverantwortung gedeihen können.

Die Handlungsfelder sind im Koalitionsvertrag klar vereinbart:

Wir wollen mehr Innovation und weniger Bürokratie. Es gibt seit langem keinen Koalitionsvertrag mehr, der so deutlich auf Innovationsfreundlichkeit und neue Technologien, auf Bürokratieabbau und mehr Freiräume setzt, wie diese Vereinbarung.

Wir wollen bei der Staatsverschuldung eine Trendumkehr einleiten. Der Weg, der seit mehr als drei Jahrzehnten beschritten wird, darf so nicht fortgesetzt werden. Alle politische Kräfte tragen hier ihren Teil der Verantwortung, sie alle waren langjährig in Regierungsverantwortung. Die Große Koalition will sich dieser Verantwortung stellen.

Wir wollen die Unternehmensbesteuerung neu ordnen. Wir bitten aber für Verständnis, dass dies Zeit zur sorgfältigen Vorbereitung bedarf. Er soll und muss in dieser Legislaturperiode kommen.

Und wir wollen dafür sorgen, dass die sozialen Systeme verlässlicher und sicherer ausgestaltet werden. Wir wissen, dass wir nicht viel Zeit haben. Aber was wir tun, muss dann auch handwerklich sitzen.

Dies zusammen ist ein gewaltiges Modernisierungsprogramm, das alle Teile der Gesellschaft umfasst.

Wir wollen, dass die Menschen wieder mehr Zutrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik fassen - Zutrauen nicht in dem Sinne, dass alle Probleme des Lebens schnell und umfassend gelöst werden können: Aber doch Zutrauen so, dass Verlässlichkeit, Stetigkeit und Schritt für Schritt ein Aufschwung für alle spürbar werden.

Um unsere Vorhaben umsetzen zu können, brauchen wir die Unterstützung aller Kräfte dieses Landes.

Wenn ich mich hier heute abend umgucke, dann ist mir darum nicht bange. Aber es sind ja heute nicht alle im Saal...

Freiheit und Verantwortung ist ein Aufgabe, für die sich jede Anstrengung lohnt. Machen wir uns gemeinsam daran - Ich danke Ihnen!