Redner(in): Angela Merkel
Datum: 26.09.2006

Untertitel: am 26. September 2006 in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Hauff, sehr geehrte Mitglieder des Nachhaltigkeitsrates, Herr von Bomhard, Frau Staatssekretärin, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/09/2006-09-26-rede-bkin-jahreskonferenz-nachhaltige-entwicklung,layoutVariant=Druckansicht.html


sehr gerne bin ich der Einladung des Rates gefolgt. Ich glaube, dass man diese Zusammenkunft, die Sie hier wieder abhalten, schon als Nachhaltigkeitsgipfel bezeichnen kann. Es bietet sich mit diesem Gipfel natürlich die Möglichkeit, über Zukunftsfragen in einem Kreis engagierter Mitstreiter zu diskutieren, und zwar mit der Politik dafür stehe ich hier, mit der Wirtschaft und auch mit der gesamten Breite der Gesellschaft. Ich danke Ihnen, Herr Hauff, und allen, die im Rat für genau dieses Anliegen arbeiten. Natürlich grüße ich in besonderer Weise die drei neuen Mitglieder, von denen wohl zwei hier sind: Zum einen Herrn Geisler und zum anderen Herrn Loster. Herr Krubasik hat sich auch bereit erklärt, mitzumachen. Beschäftigen Sie die Neuen gut, es gibt viel zu tun, lieber Herr Hauff, und für jeden ist genug Arbeit da.

Natürlich bringen Sie zu Recht immer wieder in die gesellschaftliche Diskussion die Frage ein: Warum haben wir es uns eigentlich so leicht gemacht oder warum beschwert es uns im täglichen Leben so wenig, dass wir in vielerlei Dimension von der Substanz leben? Was muss sich ändern, damit eine Gesellschaft dieses Leben von der Substanz und das Verbrauchen der eigenen Zukunft als etwas empfindet, was einen nicht kalt lässt, sondern was uns umtreibt und die gesamte Gesellschaft auffordert, dafür Lösungen zu suchen?

Sie selbst haben sich das Motto gewählt "Die Kunst, das Morgen zu denken". Ich glaube, dieses Motto ist sehr gut gewählt, weil alles, was wir tun, auch sehr auf den Tag ausgerichtet ist. Die langen Linien, das Morgen, in die Gedanken einzubeziehen, macht die Dinge sicherlich nicht einfacher, aber natürlich macht es die Politik beständiger, eben nachhaltiger. Die Frage ist natürlich: Wie weit können wir zukünftige Entwicklungen überhaupt voraussehen? Manches Zukunftsszenario hat sich auch als eines herausgestellt, das übertriebene Akzente gesetzt hat. Aber wir haben auch gelernt, bestimmte Sachverhalte einfach zu verdrängen, weil sie uns in ihren Wirkungen noch nicht ereilen; und trotzdem kommen sie immer näher.

Wir sehen, dass der Rohstoffverbrauch und der Energieverbrauch in den Ländern, die wir früher als Entwicklungsländer bezeichnet haben, keine angenommene Diskussionsgröße mehr sind, sondern Realität geworden sind. Wer sich einmal anschaut, wie Länder wie China und Indien inzwischen auf die Rohstoffmärkte drängen und eine sehr ambitionierte Politik betreiben, der weiß, dass aus einer theoretischen Diskussion von Fachkreisen inzwischen eine Realität geworden ist, die sich im Übrigen auch in der Preisgestaltung notwendiger Rohstoffe widerspiegelt.

Natürlich ist es oft so, dass, auch wenn wir als Politiker auf langfristige Wirkungen hinweisen, die Wählerinnen und Wähler, die Bürger geneigt sind, sich mehr um das Kurzfristige zu kümmern. Aber das darf uns nicht davon abhalten, auch Längerfristiges ins Auge zu fassen. Dazu brauchen wir natürlich Orientierungen, die gesamtgesellschaftlich diskutiert und akzeptiert sind. Deshalb ist der Begriff der Nachhaltigkeit sicherlich einer, der sozusagen als Leitbild tief verankert und immer wieder auch übersetzt werden muss. Ich habe das neulich in einer Rede im Deutschen Bundestag deutlich gemacht, indem ich vom Verbrauch der Zukunft bereits in der Gegenwart gesprochen habe. Denn wir sind uns, glaube ich, auch einig vielleicht im Gegensatz zu denjenigen, die sich seit vielen Jahren mit dem Begriff der Nachhaltigkeit beschäftigen, dass dieser noch nicht der eingängigste, populärste Begriff geworden ist. Für viele ist es ein abstrakter Begriff. Wir müssen immer wieder versuchen, ihn in die Realität zu übersetzen.

Die "Nationale Nachhaltigkeitsstrategie" hat eine zentrale Aussage. Ich zitiere sie: "Jede Generation muss ihre Aufgaben selbst lösen und darf sie nicht den kommenden Generationen aufbürden. Sie muss zugleich Vorsorge für absehbare zukünftige Belastungen treffen. Das gilt für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, für die wirtschaftliche Entwicklung sowie den sozialen Zusammenhalt und den demografischen Wandel." Diese strategische Festlegung ist richtig. Aber das ist auch Ihre Frage, und das afrikanische Sprichwort über das eierlegende Huhn ist sehr schön was passiert nun, und was sind die Schritte, die wirklich gegangen werden?

Es ist natürlich so, dass wir uns fragen müssen, welche Werte dahinter stecken, wenn wir diese Nachhaltigkeitsstrategie umsetzen wollen. Dabei geht es um Gerechtigkeit. Im Übrigen kann kein Land mehr alleine diese Nachhaltigkeitsstrategie umsetzen, sondern es geht um Gerechtigkeit auch zwischen den Teilen der Welt. Ich denke, wenn wir bestimmte Probleme auf der Welt lösen wollen, wie etwa den sozialen Sprengstoff, der sich anhäuft wir sehen es z. B. an den Flüchtlingen, die jeden Tag aus Afrika nach Spanien oder Italien kommen - , und wenn wir uns also mit diesen Dingen auseinandersetzen, dann brauchen wir, um Lösungen zu finden, neben einem klaren Gerechtigkeitsempfinden auch ein Stück Demut. Ich sage das ganz bewusst. Manch einer mag das für antiquiert halten. Aber nicht alles, was wir tun können, dürfen wir tun. Der Anspruch, in hohem Maße das, was man kann, auch zu tun, hat sicherlich zu der Fehlentwicklung geführt, das Morgen nicht mehr ausreichend zu denken. Das spiegelt sich an verschiedenen Dingen wider. Dabei kann es von der Frage der Genforschung bis hin zur Ausbeutung von Rohstoffen gehen.

Es geht um Gerechtigkeit, Demut und aus meiner Sicht, als dritten zentralen Begriff, auch um Ehrlichkeit, eine ehrliche Analyse. Das heißt, dass wir vor manchen Dingen nicht die Augen verschließen dürfen. Dazu gehören eben die weltweite Knappheit von Energie, der Klimawandel, das Verringern der biologischen Vielfalt und die Tatsache, dass wir uns den demographischen Herausforderungen nicht voll stellen, und vieles andere mehr. Deshalb, meine Damen und Herren, stimme ich mit Ihnen, Herr Hauff, vollkommen überein: Innovation im umfassenden Sinne ist der notwendige Schritt, um dem Gedanken der Nachhaltigkeit zu entsprechen, und zwar Innovation auch in der Art und Weise des Denkens genauso wie in der Art und Weise, in der wir technologische Vorsprünge auch dazu nutzen, Ressourcen effizienter einzusetzen. In diesem Sinne ist auch Umweltpolitik in hohem Maße Innovationspolitik. Aber ich stimme Ihnen auch zu, dass der Gedanke der Nachhaltigkeit natürlich vieldimensional ist und daher Chefsache sein muss, weil er sich in allen Bereichen der Politik widerspiegelt.

Wir haben jetzt, was die Innovationskraft anbelangt, als Bundesregierung eine Innovationsstrategie entwickelt, von der wir glauben, dass wir damit auch unsere Chancen als Exportweltmeister auf den Märkten stärken und nachhaltig sichern können. Meine Damen und Herren, dass bestimmte Bereiche z. B. Energieeffizienz, Gesundheitsstrategien und vieles mehr in dieser High-Tech-Strategie verankert sind, ist auch Ausdruck der Tatsache, dass der Gedanke der Nachhaltigkeit eine wirklich gewichtige Rolle in der Politik der Bundesregierung spielt.

Viele fragen immer wieder: Ist es denn richtig und wichtig, dass wir immer wieder die ersten sind, die bestimmte Reduktionsziele erfüllen? Aber wir haben doch alle erlebt, dass neue, innovative Technologien letztlich unsere Exportchancen verbessert haben und gleichzeitig zum schonenden Einsatz von Ressourcen führen können. Natürlich können ein Land wie Deutschland und die Europäische Union bestimmte Entwicklungen nicht alleine stoppen. Aber es ist unsere moralische Verpflichtung, das, was wir lösen können und an Innovationen einbringen können, auch durchzusetzen und zu produzieren, um damit Maßstäbe für andere Anwender zu setzen. Wir sehen am Beispiel China, wie dringend notwendig das ist und wie sehr solche Technologien dann auch nachgefragt werden. Das heißt, ich lasse das Totschlagargument nicht gelten, nämlich dass die Tatsache, dass wir nur 80 Millionen Menschen oder in Europa nur 400 Millionen Menschen sind, die Welt nicht retten kann. Das mag so weit richtig sein, aber ich sage: Wir haben die Verpflichtung im Übrigen ist es uns ökonomisch immer gut bekommen, technologische Lösungen für Anwender zu finden, die man heute noch gar nicht als solche absehen kann.

Meine Damen und Herren, wenn wir uns die Frage der Nachhaltigkeit im weiteren Sinne anschauen, dann glaube ich, dass die Bundesregierung Akzente gesetzt hat zuerst bei der Betrachtung der Haushaltslage. Viele haben darüber geklagt, dass wir gesagt haben: Wir müssen endlich wieder dazu kommen, nicht nur die Maastricht-Kriterien, sondern auch den Artikel 115 des Grundgesetzes zu erfüllen, und zwar ohne Inanspruchnahme von Ausnahmen. Die Tatsache, dass wir uns dies als Ziel gesetzt haben, hat auch etwas damit zu tun, dass wir auf Dauer nicht zusehen können, dass wir jedes Jahr und heute schon 38 Milliarden Euro nur für Zinszahlungen aufbringen und das bei einem Bundeshaushalt mit einem Volumen von 260 Milliarden Euro, und dass wir mit 9 % Investitionsausgaben des Gesamthaushaltes viel zu wenig für die Zukunft tun. Das heißt, wir haben deutlich mehr Zinsausgaben für schon gemachte Schulden als wir jährlich überhaupt in die Zukunft investieren. Das ist eine Missbalance, erst recht, wenn man sich das noch in der Summe der demographischen Veränderung anschaut. Es ist daher richtig ich stehe dazu, dass wir die Haushaltssanierung ganz oben auf die Prioritätenliste geschrieben haben.

Es ist das können Sie in der gesellschaftlichen Diskussion sehen natürlich auch kein Zeichen von nachhaltigem Denken, dass in dem Moment, in dem auch nur eine Steuerschätzung ein wenig über den gemachten Annahmen liegt, eine große Diskussion darüber beginnt, was man alles Schönes mit diesem Geld machen könnte. Angesichts von knapp 40 Milliarden Euro Neuverschuldung in diesem Jahr kann man dazu einfach nur sagen: Mehreinnahmen sind wunderbar und sie müssen dazu genutzt werden, dass wir die Verschuldung nicht weiter vorantreiben. Eben das müsste die reflexartige Diskussion sein, nicht die, dass sich die verschiedenen Fachbereiche darüber streiten, wer das Geld nun am allerbesten ausgeben könnte.

Wir wissen, dass Sparen auch weh tut."Nun spart doch einmal", das sagt sich so leicht. Wir sparen z. B. 1 Milliarde Euro bei der Besoldung der Bundesbeamten. Ich finde, das hat einen Beifall verdient, weil das eine sehr schwierige politische Entscheidung gewesen ist. Das geht den Menschen immer so locker über die Lippen. Wenn sich jetzt z. B. die Soldaten in den Libanon oder den Kongo verabschiedet haben, die nun wirklich schwierige Missionen wahrnehmen und denen gerade das Weihnachtsgeld in erheblichem Maße gekürzt worden ist, dann ist das keine einfache Diskussion, aber wir führen sie um des Sparens willen. Ich weiß auch, dass das Verändern der Pendlerpauschale, des Sparerfreibetrages und das Streichen der Eigenheimzulage keine einfachen Dinge sind. Sie lassen sich überhaupt nur rechtfertigen mit Blick auf den Haushalt, die kommenden Generationen und darauf, dass wir nicht dauernd mehr verbrauchen können, als wir einnehmen. Aber damit sind wir immer noch ein großes Stück davon entfernt, einen ausgeglichenen Haushalt zu haben, geschweige denn davon zu sprechen, dass wir Schulden zurückführen können. In Deutschland gilt es inzwischen schon fast als gegeben, dass das gar nicht geht. Wenn man die Vorgaben des Artikels 115 des Grundgesetzes einhält d. h. man verschuldet sich neu gerade nur so viel, wie man in die Zukunft investiert, dann gilt das schon fast als eine große Leistung. Angesichts der strukturellen Defizite ist es das auch. Aber es gibt europäische Länder, die einen Haushaltsüberschuss haben. Das gilt in Deutschland als fast unmöglich. Aber schon in unserer Nachbarschaft gibt es solche Länder, an denen man sich durchaus auch einmal ein Beispiel nehmen sollte.

Ich glaube, wir sind uns einig: Ein zweiter großer Bereich er ist von Ihnen, Herr Hauff, auch schon angesprochen worden ist der Bereich der Energiepolitik, kombiniert mit Klimaschutz. Wenn man sich die Erkenntnisse der Fachexperten anhört ich habe mir vor wenigen Wochen gerade noch einmal die neuesten Erkenntnisse von Herrn Prof. Schellenhuber angehört, dann muss man ganz einfach sagen: Unser Ziel, eine Erwärmung um 2 % nicht zuzulassen, ist ein ehrgeiziges Ziel. Wir haben mehr als alle Hände voll zu tun, dieses Ziel auch wirklich zu erreichen. Da ich das Gebot der Ehrlichkeit hier genannt habe, weiß man, dass hierbei die Notwendigkeit besteht, auch wirklich zu handeln. Es gibt gute Beschlüsse des Europäischen Rates vom März 2005: Bis 2020 müssen die Emissionen innerhalb der EU um bis zu 30 % sinken. Wir wissen aber, dass die detaillierte Strategie dazu noch nicht überall schlüssig erarbeitet worden ist.

Ich habe schon deutlich gemacht, dass Klimaschutz natürlich nicht nur eine Frage innovativer Technologien und europäischer Handlungsfähigkeit ist. Den Nutzen zur Verfügung stehender Exporttechnologien habe ich genannt. Um aber die reale Erwärmung zu mindern, müssen sich auch die großen Emittenten dieser Erde an der Umsetzung der Reduktionsziele beteiligen. Deshalb werden wir das Thema während unserer G8 -Präsidentschaft auch noch einmal als ein wichtiges Thema auf die Tagesordnung setzen. Ich werde in den nächsten Tagen darüber auch mit dem Bundesumweltminister sprechen.

Es war für mich sehr interessant, vor wenigen Tagen in Helsinki beim ASEM-Gipfel, also beim Gipfel mit den asiatischen Staaten, wieder einmal zu hören, wie über das Thema Klimaschutz auf asiatischer Seite diskutiert wurde. Ich muss sagen, dass sich gegenüber den Zeiten, als ich Umweltministerin war, zumindest der Ernst und die Akzeptanz, dass es sich hier wirklich um ein Problem handelt, weiter erhöht haben. China, Indien und andere Länder sind heute sehr viel risikobewusster. Deshalb ist der Boden, auf dem auch Aktionen folgen können, besser bereitet; wenngleich ich sage, dass wir ohne das Mitmachen unserer amerikanischen Partner auch keinen Erfolg erzielen werden. Hier müssen wir noch dicke Bretter bohren. Das sage ich auch ganz deutlich. Wir brauchen dringend Vereinbarungen für die Zeit nach 2012, wenn das Kyoto-Protokoll an dieser Stelle ausläuft. Daran muss gearbeitet werden. Deutschland wird sowohl im Rahmen der EU-Präsidentschaft als auch im Rahmen der G8 -Präsidentschaft alles, was im Rahmen unserer Möglichkeiten steht, hierfür tun.

Wir müssen auch das Thema Energieeffizienz in den Blick nehmen. Wenn über Energiepolitik der Zukunft geredet wird, wird aus meiner Sicht über das Sparen immer noch viel zu wenig geredet. Die Bundesregierung hat mit dem CO2 -Minderungsprogramm aus meiner Sicht einen wichtigen Akzent gesetzt, weil dieses CO2 -Minderungsprogramm in Millionen von Haushalten letztlich auch ein Umdenken bewirkt, z. B. bei der Entscheidung, Altbausubstanz besser zu isolieren und zu sanieren, wenn hierfür Zinsverbilligungen in Anspruch genommen werden können. Da spielt sich auch im Bewusstsein etwas ab. Deshalb halte ich ein solches Programm für außerordentlich gut. Da es bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau sehr, sehr stark nachgefragt wird, haben wir Ausgaben vorgezogen, um über die Jahreswende keine Lücke aufkommen zu lassen, damit die Nachfrager dieses CO2 -Minderungsprogramm auch wirklich anwenden können. Ich halte das für einen wichtigen Schritt auch in Richtung Klimaschutz.

Ich bedanke mich, dass der Rat für Nachhaltigkeit sich intensiv am Energiedialog beteiligt. Wir werden über das Thema Energieeffizienz im Oktober noch einmal intensiv diskutieren. Wir dürfen es uns bei diesen Energiegesprächen nicht zu einfach machen, dürfen also sozusagen den Kompromiss nicht beim kleinsten gemeinsamen Nenner finden, sondern wir sollten gerade in der Anfangsphase dieses Energiedialogs sehr ambitioniert an das Thema herangehen. Ich denke aber, die Mitglieder werden nicht dabei zurückstehen, hier deutliche Vorschläge zu machen.

Meine Damen und Herren, neben den Themen Energie, Klima und Haushalt ist ein Bereich, der mir sehr am Herzen liegt, das Thema biologische Vielfalt. Der Verlust an biologischer Vielfalt das ist 2002 in Johannesburg noch einmal deutlich geworden, ist groß. Deshalb hat man sich vorgenommen, ihn bis 2010 signifikant zu verringern. Jetzt haben wir schon das Jahr 2006. Man wird bis zum Jahr 2010 sicherlich noch einiges zu tun haben, um das einmal ganz vorsichtig zu sagen.

Das Thema biologische Vielfalt ist sehr, sehr schwer fassbar. Im Zusammenhang mit Klimastrategien können Sie wenigstens noch prozentuale Reduktionsziele einfach definieren. Aber im Zusammenhang mit dem Thema biologische Vielfalt ist es schwierig, der Bevölkerung zu vermitteln, welchen großen Wert die biologische Vielfalt letztendlich für unser menschliches Leben hat. Deshalb glaube ich, dass es ganz wichtig ist, dass wir hier unsere Hausaufgaben machen. Das bedeutet, dass wir insbesondere die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Bodenverbrauch in Deutschland schaffen. Diese Aufgabe gehört vielleicht zu den ambitioniertesten. Denn nach wie vor ist es so, dass im Durchschnitt mehr als 100ha Fläche neu für Siedlungen und Verkehr in Deutschland in Anspruch genommen werden. Angesichts einer demographischen Veränderung, wie wir sie in den nächsten Jahren erleben werden, ist dies kein vernünftiges Verhalten. Deshalb muss die Reduzierung des Flächenverbrauchs gemäß der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie auf 30ha pro Tag bis zum Jahre 2020 auch ein ganz wichtiges Ziel sein und bleiben. Hier müssen noch weitere Planungen und Absprachen getroffen werden. Das ist für eine Bundesregierung Sie wissen das nicht einfach, weil Bund, Länder und Kommunen natürlich im erheblichen Maße zusammenarbeiten und sich der gleichen Zielrichtung bewusst sein müssen. Aber das hat auch hier etwas mit Nachhaltigkeit zu tun.

Meine Damen und Herren, wir haben uns die Frage der Nachhaltigkeit natürlich auch mit Blick auf die Demographie anzuschauen. Wir merken, vor welchen großen Herausforderungen wir stehen, und zwar auch, was die politische Durchsetzbarkeit anbelangt. Wenn man bei den Verbänden, in denen Senioren organisiert sind, Vorträge hält, spricht es sich nicht ganz so gut über den demographischen Faktor im Rentensystem wie hier in diesem Raum. Wenn man dann über den Nachholfaktor redet, der wegen der Generationengerechtigkeit auch eines Tages eingeführt werden muss, dann ergeben sich schnell auch tumultartige Szenen. Ich bin ja nicht nur bei Ihnen, die Sie mir so freundlich zuhören, sondern ich komme überall herum.

Das heißt also, das Gespräch mit der älteren Generation über Nachhaltigkeitsstrategien wird sehr wichtig sein. Dieses Gespräch wird im Übrigen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nicht einfacher, weil die heutige Rentnergeneration das generationenübergreifende Denken noch recht gut versteht und akzeptiert, weil die allermeisten Kinder und Enkel haben. In zukünftigen Generationen können Sie bei einem größeren Teil der Gesellschaft nicht mehr davon ausgehen, dass das eigene Erleben von Kindern und Enkeln sozusagen auch das generationenübergreifende Denken prägt. Deshalb halte ich das Programm der Bundesfamilienministerin, das vom Finanzaufwand sehr überschaubar, aber von seiner Wirksamkeit viel höher ist, für ein ganz wichtiges Programm ich meine das Programm für Mehrgenerationenhäuser, also für das Zusammenleben von Generationen gerade in Ballungsgebieten, wo das mittlerweile immer weniger stattfindet, denn da übt sich generationenübergreifendes Denken ein. Nur wenn man auch die Probleme der jüngeren Generationen ernst nimmt, kann man diese Aufgaben lösen.

Wir haben in der Koalition den Beschluss für die Rente mit 67Jahren gefasst. Das ist auch eine Sache, die durchaus sehr kontrovers in der Gesellschaft diskutiert wird. Viele sagen: Wir brauchen erst einmal bessere Möglichkeiten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jenseits der 50. Das ist richtig. Aber allein aufgrund der demographischen Entwicklung wissen wir, in welcher Art und Weise wir hier gefordert sein werden. Deshalb ist das ein unabwendbarer Schritt.

Wir müssen das lebenslange Lernen einüben. Auch das ist ein Teil der Notwendigkeiten, wenn das Erwerbslebensalter wirklich bis 67Jahre ausgeschöpft werden soll. Wir müssen uns bei der Städteplanung und bei der Siedlungsplanung in ganzen Gebieten der Bundesrepublik gerade in den Regionen mit höherer Arbeitslosigkeit in den nächsten Jahren auf erhebliche Veränderungen einstellen. Die Bundesfamilienministerin sagt an dieser Stelle immer sehr richtig: Wir sollten im demographischen Wandel für Deutschland auch wieder eine Chance sehen. Wir sollten nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern uns die Dinge vor Augen führen und uns dann im Sinne der Mehrgenerationenhäuser, in der Städteplanung und mit vielen anderen Dingen auf diesen Wandel vorbereiten und damit wiederum ein Beispiel für ein vernünftiges Zusammenleben in anderen Gesellschaften geben, die diesem Problem genauso oder zum Teil etwas später begegnen werden.

Meine Damen und Herren, ich vermute, dass Sie so habe ich es jedenfalls heute gelesen mit unseren Aktivitäten nicht in jedem Falle zufrieden sind. Ich glaube, es wäre wohl eine völlig neue Sache, wenn auf der Jahrestagung des Nachhaltigkeitsrats Jubelorgien auf die Arbeit der Bundesregierung gesungen würden. Wir brauchen Sie ja durchaus auch als Mahner und Antreiber. Angesichts der Größe der Probleme und das sage ich ganz unbenommen und natürlich der verschiedenen Einzelinteressen der Gesellschaft ist es in jedem Falle relativ schwierig, unpopuläre Entscheidungen durchzusetzen.

Deshalb ist es wichtig und ich sage das in vollem Ernst, dass wir Gruppen an unserer Seite haben und ich empfinde das durchaus als Unterstützung, die uns aus einer langfristigen Perspektive heraus und mit dem Denken im Sinne der Nachhaltigkeitsstrategie immer wieder ins Buch schreiben, was notwendig ist, aber im Alltagsgeschäft davon bedroht ist, sozusagen an die Wand gedrückt zu werden. Ich habe Ihnen einige Punkte genannt, bei denen wir Schritte in die richtige Richtung gehen. An einigen Stellen werden Sie mit guten Argumenten hinterfragen können: Reicht das? Ist das schnell genug? Deshalb bitte ich Sie auch weiterhin um eine Begleitung unserer Arbeit in der Politik, in der Sie deutlich machen, wo Sie Defizite sehen.

Es gibt einen Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung, in den alle Ressorts eingebunden sind. Ich glaube, dass die Betrachtungsweise innerhalb der Bundesregierung, dass jedes Ressort seinen Anteil an nachhaltiger Entwicklung einbringen muss, Allgemeingut geworden ist. Wir wissen, dass wir nachhaltige Entwicklung für uns allein in Deutschland nicht schaffen können. Wir wissen aber auch: Wenn wir unsere Schulden sich beliebig entwickeln ließen, wenn wir beim Klimaschutz nichts unternähmen, wäre unsere Stimme auf der Welt mit weniger Gewicht versehen als sie es wäre, wenn wir uns selber zu Hause dieser Probleme annehmen würden. Wer aber zu Hause seine Hausaufgaben nicht macht, wird von denen sehr kritisch beäugt, denen wir moralische Vorträge halten oder die wir mahnen. Auf der anderen Seite ist es so, dass wir heute erleben, dass Nachhaltigkeitspolitik eine Politik ist, die sich zwischen Innen- und Außenpolitik nicht mehr unterscheiden lässt, sondern bei der alles, was wir auch mit Blick auf Exporte und Rohstoffabhängigkeiten tun, immer auch diesem Maßstab genügen sollte.

Ein Thema, das mich sehr umtreibt, das sich auch aus dem Gedankengut von Rio und anderen Gipfeln ergibt, ist, dass nachhaltige Politik natürlich auch eine Politik ist, die den einzelnen Menschen ernst nimmt, die die Menschenwürde achtet. Das heißt, dass wir im internationalen Rahmen auch über Maßstäbe sprechen müssen, nach denen gemeinschaftliches und gemeinsames Wirtschaften in einer globalen Welt erfolgen kann. Dabei stellt sich auch die Frage, wie wir politische Maßstäbe z. B. mit der Frage von Ex- und Import verknüpfen. Das ist ein sehr kompliziertes Feld, wenn man sich die Rohstoffpolitik verschiedener Länder in Afrika anschaut. Was machen wir? Wo kaufen wir? Wie kaufen wir? Wie gehen wir mit den Ressourcen afrikanischer Länder um?

Deutschland beteiligt sich im Augenblick an einer militärischen Mission im Kongo und sorgt dafür, dass dort friedliche Wahlen ablaufen können. Aber wir wissen, dass dort eine dauerhafte und vernünftige Entwicklung nur stattfinden kann, wenn auch vernünftige Maßstäbe im Umgang mit den Rohstoffen der afrikanischer Länder eingehalten werden und wenn nicht eine simple Ausbeutung betrieben wird, womit Länder um ihre Ressourcen und ihre Zukunft betrogen werden, sondern wenn hier also gemeinsame Maßstäbe entwickelt und erarbeitet werden. Es ist sehr gut, dass der Bundespräsident während des Afrika-Dialogs genau solche Themen sehr, sehr intensiv anspricht und auch immer wieder verfolgt.

Wenn es um Innovationen geht, dann geht es z. B. auch um das Thema Schutz des geistigen Eigentums. Wir werden auf der Welt nicht gut nachhaltig miteinander auskommen und wirtschaften können, wenn wir uns nicht auch hier auf gemeinsame Kriterien verständigen und sagen: Die Innovationsleistung jedes Einzelnen muss geschützt sein. Genauso dürfen aber auch die Länder, die z. B. über biologische Vielfalt verfügen, dieser nicht beraubt werden. Entsprechende internationale Abkommen müssen an vielen Stellen noch getroffen werden. Deshalb sehe ich im nächsten Jahr für uns eine riesige Chance und zwar sowohl im Rahmen der Präsidentschaft der Europäischen Union als auch im Rahmen der G8 -Präsidentschaft, auf die internationale Szene einzuwirken, sich dieser Themen anzunehmen. Es ist vollkommen klar: Wenn die G8 -Länder, d. h. die industriell sehr gut entwickelten Länder, an dieser Stelle Maßstäbe setzen wollen, werden sie natürlich von anderen auch kritisch beobachtet. Die so genannten "Outreach-Treffen" während der G8 -Gipfel, also die Einladung von Ländern, die eher dem Entwicklungsbereich zuzuordnen sind, werden natürlich von uns auch fortgesetzt, um den Dialog wirklich weiter voranzubringen.

Es wäre vollkommen verfehlt zu sagen, dass wir die Probleme gelöst haben. Das ist noch nicht der Fall. Aber ich habe Ihnen einige Schritte genannt, von denen ich der festen Überzeugung bin, dass sie die Bundesregierung und damit die große Koalition mutig angeht und dass sie alternativlos sind, wenn wir es mit dem Gebot der Nachhaltigkeit ernst nehmen.

Ich freue mich natürlich immer, wenn Sie uns loben, Herr Hauff. Ich nehme interessiert, aufgeschlossen und aufmerksam zur Kenntnis, wenn Sie uns mahnen. Wo immer das möglich ist und auch wenn wir glauben, dass wir noch weitere Schritte gehen können, werden wir diese Mahnungen auch beherzigen.

Herzlichen Dank!