Redner(in): Angela Merkel
Datum: 05.10.2006

Untertitel: am 5.Oktober 2006 in Istanbul
Anrede: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Tayyip Erdo?an, sehr geehrter Herr Vorsitzender, Herr Oberbürgermeister, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/10/2006-10-05-rede-bkin-iftar-mahl,layoutVariant=Druckansicht.html


ich wünsche Ihnen allen Frieden und einen gesegneten Ramadan! Ich freue mich, heute Abend hier mit dabei sein zu können, wenn das Fastenbrechen stattfindet, und grüße Sie ganz herzlich! Ich weiß, dass dies ein Moment ist, an dem Muslime in aller Welt einander besonders verbunden sind. Es ist eine besondere Erfahrung für mich, dass ich dies heute hier mit Ihnen teilen darf. Das Fasten ist auch der christlichen Tradition nicht fremd. Es ist eine Zeit des Innehaltens und der Besinnung, der Selbstdisziplin und des bewussten Verzichtens.

Mit eigenen Augen zu sehen und neue Erfahrungen miteinander zu teilen, das ist der Ausgangspunkt für einen konstruktiven Dialog zwischen verschiedenen Kulturen und zwischen verschiedenen Religionen. Dies ist umso wichtiger, da wir doch alle oft genug in der Gefahr schweben, dass wir mehr übereinander reden, als miteinander. Deshalb sage ich: Wir müssen uns Zeit nehmen, einander zuzuhören und uns besser kennen zu lernen. Dies ist hier heute für mich eine wunderbare Gelegenheit dazu.

Die Türkei und Deutschland können dabei auf vielfältigen Beziehungen aufbauen, die heute bereits bestehen und sehr intensiv sind. Unsere Länder sind wichtige Handelspartner. Natürlich gilt es, die wirtschaftlichen Beziehungen weiter auszubauen. Deshalb besteht ein großer Teil unserer Delegation, mit der ich hierher gekommen bin, auch aus Vertretern der Wirtschaft. Tayyip Erdo? an hat eben beschrieben, in wie vielfältiger Weise wir Partner sind. Deshalb haben wir als Partner auch ein ganz besonderes Interesse an der Annäherung der Türkei an die Europäische Union. Damit verbunden sind nicht nur Herausforderungen für die Wirtschaft, sondern auch für die Politik und letztlich für die Menschen in unseren Ländern insgesamt.

Gerade deshalb begrüße ich ganz ausdrücklich die Initiative, die mit dem Namen von Ernst Reuter verbunden ist und die unsere beiden Außenminister angestoßen haben eine Initiative zu einem vertieften Dialog unserer Zivilgesellschaften, einschließlich der Hochschulen, der Wissenschaften und der Kulturschaffenden. Ich sage ausdrücklich: Das Projekt einer deutsch-türkischen Universität ist ein gutes Projekt, das auch von deutscher Seite mit ganzer Kraft unterstützt wird.

Auch die erfolgreiche Kooperation türkischer und deutscher Medien ist aus meiner Sicht ein zukunftsweisender Schritt, ebenso wie all die Impulse, die zu mehr Schulpartnerschaften, zu mehr wissenschaftlichem Austausch zwischen unseren Ländern führen. Die Türkei wird nächstes Jahr das Partnerland auf der Hannover Messe, einer großen Industriemesse in Deutschland, sein, und ich freue mich schon jetzt, den türkischen Ministerpräsidenten dort treffen zu können. Ebenso? das kommt noch hinzu? wird die Türkei auch Gastland der Frankfurter Buchmesse 2008 sein. Das sind also zwei große Ereignisse, die uns mit dem Leben und der Kultur der Türkei näher vertraut machen werden.

Wir sind also jeden Tag dabei, die Brücken zueinander, die heute schon fest verankert sind, noch breiter zu machen. Nicht zuletzt geschieht das dadurch, dass über

2, 5Millionen türkischstämmige Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutschland leben, die natürlich in ganz besonderer Weise ein Bindeglied zwischen Deutschland und der Türkei sind.

Gerade wenn wir über das Miteinander unserer Länder und der Menschen in unseren Ländern sprechen, dürfen wir natürlich Fragen des Glaubensfundaments nicht ausklammern, denn für viele Menschen gehört gerade der Glaube zu ihrer Identität, zu ihren Wurzeln. Unser Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat in der vergangenen Woche zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesregierung einen Dialogprozess mit Vertretern der muslimischen Verbände und der muslimischen Zivilgesellschaft eingeleitet.

Es geht dabei um Fragen des täglichen Zusammenlebens, es geht um den Bau von Moscheen, die Ausbildung von Religionslehrern und Imamen in Deutschland. Aber letztlich geht es bei diesem Dialog um mehr. Es geht um eine gemeinsam akzeptierte Grundordnung, ein gemeinsames Verständnis von Gesellschaft und Religionen auf der Basis unserer freiheitlichen Werte. Alle Teilnehmer an diesem Dialog haben klar gemacht, dass sie sich engagiert an diesem Gespräch beteiligen wollen. Damit gehen wir wichtige Schritte aufeinander zu. Ich freue mich auch, dass wir morgen die Gelegenheit haben werden, ein Gespräch mit Vertretern der Religionen hier in Istanbul zu führen.

Meine Damen und Herren, die großen politischen Aufgaben? darüber bin ich mit Tayyip Erdo? an einer Meinung? können heute nur noch gemeinsam bewältigt werden. Frieden, Sicherheit, Demokratie und Menschenwürde auf der Welt bedürfen gemeinschaftlicher Anstrengungen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass uns dies in vertrauensvoller und enger Partnerschaft zwischen der Türkei und Deutschland immer besser gelingen wird.

Ich danke Ihnen, dass ich heute hier bei Ihnen sein darf. Dies ist mir nicht nur eine Freude, es ist auch eine ganz besondere Ehre für mich. So wünsche ich Ihnen allen einen gesegneten Ramadan! Hayirli Ramazanlar dilerim!