Redner(in): Thomas de Maizière
Datum: 14.11.2006

Untertitel: am Dienstag, 14. November 2006, in Potsdam
Anrede: Sehr geehrter Herr Voigt, meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/11/2006-11-14-rede-de-maiziere-sparkassenverband,layoutVariant=Druckansicht.html


Sperrfrist: Redebeginn

Es ist für mich eine ausgesprochene Freude, im Jubiläumsjahr Schirmherr des zehnten Unternehmerkonvents des Ostdeutschen Sparkassenverbandes zu sein.

Ihr Konvent bringt Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund zusammen, die aber Eines verbindet: ihre tatkräftige Initiative für die Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft.

Dies ist für mich etwas ganz Entscheidendes. Tatsache ist: Wachstum und Wohlstand ergeben sich in ihrer Gesamtheit immer aus der Summe von vielen Einzelleistungen, vom Engagement jedes einzelnen Bürgers.

Nicht "die Wirtschaft" wächst, sondern Unternehmen wachsen.

Nicht "die Arbeitslosigkeit" sind, sondern es haben mehr Menschen Arbeit als zuvor.

Nicht "der Staat" verschuldet sich, sondern dem Steuerzahler werden mehr Lasten auferlegt.

Wir haben uns eine Sprache angewöhnt, die die Dinge abgehoben und nicht mit der Wirkung auf die Menschen beschreibt. Da steckt eine der wichtigsten Ursachen für Vertrauensverlust in Institutionen, die oft unterschätzt wird.

Der Unternehmerpreis des Ostdeutschen Sparkassenverbandes setzt vor diesem Hintergrund ein wichtiges Signal.

Er würdigt Unternehmen, Kommunen und Vereine, die durch ihren Einsatz einen substanziellen Beitrag zur Stärkung der Wirtschaftskraft der neuen Länder geleistet haben.

Wir sind auf Menschen angewiesen, die unser Land mit Innovationsgeist und Eigeninitiative voranbringen, die etwas unternehmen und nicht etwas unterlassen.

Mit Bedauern habe ich zur Kenntnis nehmen müssen, dass Sie, lieber Herr Voigt, das Amt des Geschäftsführenden Präsidenten des Ostdeutschen Sparkassenverbandes zum Ende des Jahres abgeben werden.

Sie haben dieses Amt seit 1990 inne und sind damit dienstältester Verbandspräsident in der deutschen Sparkassenorganisation.

Sie waren von Anfang an dabei, als es darum ging, nach der Wiedervereinigung die notwendigen Strukturveränderungen im ostdeutschen Sparkassenwesen anzugehen.

Ein wichtiger Schritt war 1990 die Gründung des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes, mit der die Sparkassen sich aus der Umklammerung durch die ehemalige Staatsbank der DDR lösen konnten.

Gleichzeitig war damit die große Aufgabe verbunden, die ostdeutschen Sparkassen in ein marktwirtschaftliches System zu überführen.

Die ostdeutschen Sparkassen haben im Gegensatz zu vielen anderen Kreditinstituten, die sich nach dem Wiedervereinigungsboom aus der Fläche zurückgezogen haben von Anfang an und bis heute auf Geschäftsstellen vor Ort gesetzt, soweit sie irgendwie wirtschaftlich betrieben werden können.

Im Laufe der Jahre sind die Sparkassen so zu einer Art "Hausbank für Ostdeutschland" geworden.

Durch ihre regionale Verankerung und breite Präsenz können sie passgenau auf ihre Kunden eingehen.

In der Anfangsphase der gesamtdeutschen Währungs- , Wirtschafts- und Sozialunion waren es gerade auch die Sparkassen, die den vielen kleinen Unternehmen nach dem fast vollständigen Zusammenbruch der Produktionsstrukturen in Ostdeutschland auf die Beine geholfen haben.

Heute kommen mehr als zwei Drittel der Kredite für das ostdeutsche Handwerk von den Sparkassen.

2005 haben sie insgesamt 2,2 Milliarden Euro an die ostdeutsche Wirtschaft ausgereicht. Etwa 42 Prozent der KfW-Fördermittel für Existenzgründungen und den Mittelstand werden über die ostdeutschen Sparkassen bereitgestellt.

Mit ihrem Engagement und der Bereitschaft, immer wieder auch größere Kreditrisiken einzugehen, haben sie wesentlich am Aufbau einer leistungsfähigen und wettbewerbsstarken Unternehmensbasis in den Regionen mitgewirkt.

Motor der ostdeutschen Wirtschaft ist dabei die Industrie. Sie wuchs seit 1999 mit im Schnitt um rund 7 Prozent deutlich stärker als in den alten Ländern.

Zudem haben die Unternehmen in Ostdeutschland in den letzten Jahren kontinuierlich alte und neue Exportmärkte erschlossen.

Die Industriebetriebe erwirtschaften mittlerweile etwa 28 Prozent ihres Umsatzes im Export. Damit ist die Exportquote mehr als doppelt so hoch wie vor zehn Jahren.

Trotz dieser Fortschritte ist eine Verbreiterung und Vertiefung der gesamten unternehmerischen Basis in den ostdeutschen Bundesländern weiterhin notwendig. Wir brauchen auch in ganz Deutschland mehr Unternehmer und mehr Unternehmertum.

Dazu beizutragen ist ein besonderes Anliegen der Bundesregierung.

Eine wesentliche Weichenstellung, die nicht zuletzt auch mittelständischen Unternehmen zu Gute kommen wird, ist die Reform der Unternehmensbesteuerung, auf die wir uns vor kurzem verständigt haben und die am 1. 1. 2008 in Kraft tritt.

Die Steuerbelastung für einbehaltene Gewinne von Kapitalgesellschaften sinkt um fast ein Viertel von 39 auf knapp unter 30Prozent.

Es wird keine automatische gewinnabhängige Hinzurechnung von Finanzierungsentgelten bei der Körperschaftsteuer geben. Bei der Gewerbesteuer bleibt es beim Anordnungsvolumen, statt nur Dauerschuldzinsen zu 100Prozent werden jetzt alle Zinsen zu 50Prozent angerechnet, aber erstmals mit einem Freibetrag von 100. 000Euro.

Vereinbart wurde zudem eine Abgeltungssteuer auf Zinsen und Dividenden in Höhe von 25 Prozent ab dem Jahr 2009. Dies sind auch im internationalen Vergleich attraktive steuerliche Bedingungen für Unternehmen und Arbeitsplätze in Deutschland.

Wichtig ist, dass Steuererleichterungen für Kapitalgesellschaften auch auf die Personenunternehmen übertragen werden sollen.

Personengesellschaften erhalten künftig die Möglichkeit, einbehaltene Gewinne wie Kapitalgesellschaften mit dem neuen abgesenkten Steuersatz von knapp unter 30Prozent zu versteuern.

Unterm Strich entlasten wir Bürger und Unternehmen mit der Unternehmenssteuerreform um rund 5Milliarden Euro.

Vor drei Wochen hat die Bundesregierung eine weitere bedeutende Steuerrechtsänderung beschlossen.

Familienunternehmen bilden traditionell das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft. Es war uns daher ein besonderes Anliegen, mit Wirkung ab 2007 Erleichterungen für Unternehmensnachfolgen in das Erbschaftsteuergesetz aufnehmen.

Ziel ist, Familienunternehmen beim Übergang von einer Generation zur anderen zu erhalten.

Zu diesem Zweck wird die Erbschaftsteuer auf das produktiv eingesetzte Betriebsvermögen zunächst gestundet und erlischt im Laufe von zehn Jahren, wenn der Erbe den Betrieb fortführt.

Dies ist eine steuerliche Privilegierung von Betriebsvermögen, die aus verfassungsrechtlichen Gründen allerdings an konkrete Maßgaben gebunden werden muss.

Die Steuererleichterungen werden deshalb nur dann gewährt, wenn der Betrieb "in einem nach dem Gesamtbild der wirtschaftlichen Verhältnisse vergleichbaren Umfang fortgeführt wird". Das ist ja auch der Sinn der Sache.

Dieses aus dem Umwandlungssteuergesetz übernommene Kriterium ist eine praktikable und bewährte Klausel.

Meine Damen und Herren,

die Bundesregierung hat auch einen neuen Ansatz für einen systematischen Bürokratieabbau gewählt.

Der im September eingesetzte "Nationale Normenkontrollrat" soll nicht nur geltende, sondern auch geplante Rechtsvorschriften des Bundes überprüfen. Der Gesetzgeber gerät so bei jeder neuen bürokratischen Belastung unter hohen Rechtfertigungsdruck.

Die Maßnahmen zum Bürokratieabbau fügen sich ein in die von der Bundesregierung beschlossene umfassende Mittelstandsinitiative.

Weitere Schwerpunkte sind

ein leichterer Zugang zu ausländischen Märkten,

Verbesserungen für Existenzgründer,

ein Ausbau der Mittelstandsfinanzierung und

die Stärkung der Innovationsbereitschaft.

Speziell auf die Belange der ostdeutschen Wirtschaft ausgerichtet ist die Verlängerung der Laufzeit der Investitionszulage Ost bis 2009 und die Verbesserung der Finanzierungsbedingungen ostdeutscher Unternehmen.

Der ohnehin schon überproportionale Anteil der neuen Länder an der

ERP-Förderung ist in den letzten fünf Jahren von 29 auf 40 Prozent angestiegen.

Darüber hinaus wird die Bundesregierung bei allen neuen und zu überarbeitenden Programmen zusätzliche Förderpräferenzen einrichten.

Bis zum Jahresende stehen zum Beispiel die Überarbeitung der beiden Programme "ERP Kapital für Gründung" und "ERP Kapital für Wachstum" an.

Meine Damen und Herren,

ich will mit dem Eigenlob aufhören...

Das Wort "Reformen" ist in der letzten Zeit zu einem strapazierten Begriff geworden. Nicht alle Bürger verbinden mit Reformen eine Veränderung der Rahmenbedingungen, die sich für sie letztlich positiv auszahlt.

In der manchmal etwas aufgeregten "Reformdebatte" der vergangenen Monate ist es nützlich, sich auf den Kompass zu besinnen, den der Begriff der Sozialen Marktwirtschaft uns bietet.

Er zielt auf eine Verbindung von gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Freiheit mit dem Wert der sozialen Sicherheit und Gerechtigkeit.

Keiner der beiden "Pole" ist ohne den anderen zu denken. Insbesondere setzt aber das Erreichen von sozialer Gerechtigkeit wirtschaftliche Freiheit voraus.

Der Staat ist vor allem dort gefordert, wo Wettbewerb sich von alleine nicht entfalten kann oder zu ersticken droht. In solchen Fällen muss die Ordnungspolitik notfalls auch regulierend eingreifen.

Die durch überkommene monopolistische oder oligopolistische Strukturen geprägten Infrastrukturbereiche wie vor allem Telekommunikation, Post, Energie und Bahn sind hierfür ein Beispiel.

Prinzipiell gilt jedoch: Nur eine Politik, die Rahmenbedingungen für ein innovatives und produktives Unternehmertum bietet, kann Wachstum und Beschäftigung sichern und somit das Fundament für ein solidarisches System der sozialen Sicherung legen.

Die Senkung der Lohnzusatzkosten ist gerade auch aus diesem Grund ein ganz zentrales Element unserer Politik.

Der paritätisch finanzierte Gesamt-Sozialversicherungsbeitragssatz wird zu Beginn des kommenden Jahres voraussichtlich unter 40Prozent sinken.

Vor allem die Arbeitslosenversicherung erzielt kräftige Überschüsse, die dank der zunehmend besser greifenden Arbeitsmarktreformen zu einem bedeutenden Teil nachhaltig sind.

Wir haben daher beschlossen, ab 1. Januar 2007 den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung um zusätzlich 0, 3Prozentpunkte von 6,5 auf dann 4, 2Prozent zu senken. Solch eine Senkung hat es lange nicht gegeben.

Zudem werden wir schon ab dem kommenden Jahr mit der gesamtgesellschaftlichen Finanzierung der Kindermitversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung beginnen.

Um das Wachstum wieder auf ein dauerhaft solides Fundamt zu stellen, ist auch eine langfristig angelegte Konsolidierung der öffentlichen Haushalte unabdingbar. Deutschland kann nicht länger von seiner Substanz leben.

Ein Anfang ist gemacht. Bereits in diesem Jahr schaffen wir es, die

3-Prozent-Defizitgrenze des Maastricht-Vertrages deutlich zu unterschreiten.

2007 wird die Neuverschuldung des Bundes mit unter 20 Milliarden Euro so gering wie in keinem anderen Jahr seit der Wiedervereinigung ausfallen.

Auch die Einnahmenseite des Haushalts kann von den Konsolidierungsbemühungen nicht ausgenommen werden. Ich weiß, dass viele von Ihnen die Erhöhung der Umsatzsteuer um 3Prozentpunkte als bittere Medizin betrachten.

Die aktuelle unter anderem vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband in Auftrag gegebene Studie "Mittelstand in Deutschland" zeigt, dass viele mittelständische Unternehmen eine Eintrübung der Konjunktur erwarten.

Allerdings rechnen die meisten Experten mittlerweile damit, dass diese Verlangsamung nicht übermäßig ausfallen und nur vorübergehend sein wird.

Der Sachverständigenrat erwartet in seinem in der vergangenen Woche vorgelegten Gutachten für 2007 ein Wachstum von immerhin 1,8 Prozent. Der Aufschwung bleibt damit ungebrochen.

Das günstige konjunkturelle Umfeld macht es auch leichter, die ungelösten Strukturprobleme in den sozialen Sicherungssystemen anzugehen.

So haben wir neben einer umfassenden Gesundheitsreform im Kabinett beschlossen, das gesetzliche Renteneintrittsalter von 2012 bis 2029 von 65 auf 67 Jahre anzuheben.

Dies hilft in beiden Bereichen, die zunehmenden demografischen Belastungen abzufangen.

Meine Damen und Herren,

die Zukunftsfähigkeit Deutschlands zu sichern ist eine Aufgabe, die uns alle angeht die Politik, die Unternehmen und die Bürger im Land. Den Hauptbeitrag leistet nicht der Staat, sondern die Zivilgesellschaft.

Ich möchte Sie ermutigen, weiterhin das Beste für die Zukunft unseres Landes zu geben. Aus dem Engagement vieler wächst der Erfolg für die Region.

Der Unternehmerpreis 2006, der nun überreicht wird, soll uns allen dazu Ansporn sein.