Redner(in): k.A.
Datum: 15.11.2006
Untertitel: Rede des Bundesumweltministers Sigmar Gabrielzu Beginn der Ministerberatungen in Nairobi am 15.11.2006
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/11/2006-11-15-rede-gabriel-ministerberatungen-klimawandel,layoutVariant=Druckansicht.html
Die Rede im Wortlaut:
Auf der internationalen Klimaschutzkonferenz in Nairobi haben heute die Beratungen auf Ministerebene begonnen. In der Eröffnungssitzung hielt Bundesumweltminister Sigmar Gabriel folgende Rede: Bevor ich nach Nairobi kam, fragte mich meine Tochter, was ich dort tun würde. Ich versuchte ihr zu erklären, was es mit dem Klimawandel auf sich hat, wer ihn verursacht und was die Folgen sind. Ich sagte, dass es sehr unfair sei, dass die Länder des Südens, z. B. in Afrika, am stärksten betroffen sein werden, obwohl sie die geringste Verantwortung für das Problem tragen. Und ich versuchte ihr zu erklären, dass Untätigkeit in Bezug auf den Klimawandel unsere wirtschaftliche und soziale Entwicklung gefährdet, insbesondere für zukünftige Generationen.
Ihre Antworten waren sehr direkt: Worauf wartet Ihr noch? Helft den Menschen in Afrika, Ihr seid reich genug. Und tut konkret etwas, um Treibhausgase zu reduzieren. Ihr Politiker seid doch intelligent genug.
In Deutschland gibt es ein Sprichwort:'Kindermund tut Wahrheit kund'. Mit ihren einfachen Antworten kommen Kinder direkt zum Punkt, während wir Erwachsenen uns an komplizierten Erklärungen versuchen, um keine Verantwortung übernehmen zu müssen.
Ich weiß nicht, ob wir Politiker immer intelligent genug sind, um Probleme zu lösen. Aber in einem bin ich mir ganz sicher: Viele unserer Töchter und Söhne werden von uns Antworten erwarten, wenn wir am Samstag nach Hause kommen.
Was bedeutet das für diese Konferenz?
Meiner Ansicht nach können wir nicht länger über die Einrichtung neuer Ausschüsse und bürokratischer Ebenen sprechen. Wir müssen echte Fortschritte erzielen. Erstens müssen die Industrieländer ihre Bemühungen verstärken, die Entwicklungsländer bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels zu unterstützen. Es ist eine großartige Leistung, dass wir ein Fünf-Jahres-Arbeitsprogramm zur Anpassung ausarbeiten und verabschieden und mit der Umsetzung konkreter Projekte beginnen konnten. Deutschland ist bereit, das Programm finanziell zu unterstützen. Ich freue mich auch, dass wir eine Entscheidung zum Anpassungsfonds treffen konnten, der Fonds wird bald funktionsfähig sein. Dies kann jedoch nicht das einzige Ergebnis dieser Konferenz sein. Müssen wir wirklich 6000 Teilnehmer zu einer Konferenz einberufen, um über die Struktur eines relativ kleinen Fonds zu entscheiden? Sollten wir nicht endlich beginnen, angemessen auf eine der größten Herausforderungen für die Menschheit zu reagieren? Ich bin der Meinung, dass dieser Anpassungsfonds nur ein erster Schritt sein kann, um angemessen auf den Anpassungsbedarf der Entwicklungsländer zu reagieren.
Ich sage auch meine Unterstützung für die Initiative von UN-Generalsekretär Kofi Annan zu. Deutschland wird zur Unterstützung Afrikas und aller am wenigsten entwickelten Länder beitragen, um ihre Beteiligung am CDM zu erhöhen. Die Vorteile des CDM müssen in allen Entwicklungsländern weltweit ankommen.
Um das zu erreichen, müssen wir auch den Technologietransfer fördern und verbessern. Dieser sollte nicht nur von CDM-Projekten abhängen. Deutschland schlägt eine gemeinsame Initiative zur Erhöhung des Anteils von erneuerbaren Energien in ländlichen Gebieten vor, um so den Weg für eine nachhaltige Energieversorgung in der Zukunft zu ebnen. Dies wäre eine konkrete Form des Technologietransfers nach Afrika und in andere Regionen der Welt. Eine solche Initiative würde helfen, den 1,6 Milliarden Menschen Zugang zu Energie zu verschaffen, die nicht an ein Stromnetz angeschlossen sind. Deutschland ist bereit, mit Partnern zusammenzuarbeiten, um dies schon bald in die Tat umzusetzen.
Zweitens gibt es keinen Zweifel, dass Minderungen der Stützpfeiler einer jeden Klimapolitik sein müssen. Nur wenn es uns gelingt, die weltweiten Emissionen bis zum Jahr 2050 um 50 % zu reduzieren, werden wir in der Lage sein, die globale Erwärmung auf höchstens zwei Grad Celsius zu begrenzen. Nur dann haben Afrika und andere Regionen der Welt die Möglichkeit, die schlimmsten Folgen abzuwenden und sich anzupassen.
Die Zeit drängt. Unser Handlungsspielraum schrumpft schnell zusammen. Deutschland hat sich bereits verpflichtet, seine Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2012 um 21 % zu senken, und wir werden dieses Ziel erreichen. Darüber hinaus bin ich überzeugt, dass Europa als Ganzes sein Reduktionsziel erreichen wird.
Deutschland ist bereit, weiterhin eine Führungsrolle zu übernehmen und sich auf ehrgeizigere absolute Reduktionsziele festzulegen. Diese sind die Voraussetzung für Märkte, die für das Klima arbeiten. Als nächsten Schritt schlagen wir vor, dass die EU ihre Emissionen bis 2020 um 30 % gegenüber 1990 reduziert. In diesem Fall wären wir in Deutschland bereit, unsere Emissionen um 40 % zu senken. Wir können es uns nicht leisten zu warten, bis andere sich bewegen. Wir müssen unsere Verhaltensmuster ändern, von "du zuerst" zu "ich auch".
Heute spielt Deutschland, wie viele andere europäische Staaten, eine Vorreiterrolle. Wir sind alle bereit, diese Rolle auch in Zukunft zu übernehmen. Lassen Sie mich aber auch sagen, dass wir das Problem nicht allein lösen können. Andere Industrieländer müssen vergleichbare Verpflichtungen übernehmen. Auch die Entwicklungsländer müssen nach dem Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung ihren Beitrag leisten. Um es ganz deutlich zu machen: Deutschland verlangt von den Entwicklungsländern keine Reduktionsverpflichtungen. Wir müssen jedoch Wege finden, die es ihnen erlauben, ihre Emissionen und das Wirtschaftswachstum zu entkoppeln. Die wirtschaftlichen und technischen Instrumente, die wir brauchen, um wirtschaftliches Wachstum und ökologische Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen, liegen auf der Hand: Energieeffizienz und Technologien für erneuerbare Energien, sowie Schutz der Regenwälder und marktbasierte Instrumente wie das System des europäischen Emissionshandels.
Eine ehrgeizige und robuste Regelung für die Zeit nach 2012 ist von größter Bedeutung. Wir müssen uns auf eine volle Verhandlungsrunde unter Einbeziehung aller Parteien im Jahr 2007 vorbereiten. Die nach Artikel 9 des Kyoto-Protokolls erforderliche Analyse ist ein wichtiger Teil dieser Vorbereitung und muss bei dieser Konferenz vereinbart werden. Bis 2009 sollten wir in der Lage sein, der Welt ein Abkommen vorzulegen, mit dem es möglich ist, die globale Erwärmung auf 2 Grad Celsius zu begrenzen.
Wenn ich aus Nairobi zurückkehre, wird mich meine Tochter fragen, was wir dort erreicht haben. Und wie viele andere Menschen in unseren Ländern wird sie sich nicht mit Ergebnissen zufrieden geben, die lauten:'Wir haben ein paar neue Arbeitsgruppen eingesetzt.'Wir werden viel Vertrauen und Unterstützung verlieren, wenn wir ohne echte Fortschritte nach Hause kommen. Die wissenschaftlichen Fakten sind klar. Ich bin überzeugt, dass wir tief im Innern alle wissen, was wir tun sollten. Die Chancen für ein entschlossenes Handeln gegen den Klimawandel waren nie besser. Wir sollten sie nicht verspielen."