Redner(in): Angela Merkel
Datum: 17.11.2006
Anrede: Sehr geehrter Herr Ackermann, Exzellenzen, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/11/2006-11-17-rede-bkin-banking-congress,layoutVariant=Druckansicht.html
ich freue mich, heute hier auf Ihrer Konferenz sprechen zu können: Trade Centre Europe.
I apologize for speaking in German, but German chancellors have to speak German, at least as long as the French President speaks French.
Ich freue mich, heute bei Ihnen zu sein, hier in der Alten Oper in Frankfurt am Main. Vor 25 Jahren ist dieses Haus glanzvoll wiedereröffnet worden, nachdem es nach dem Zweiten Weltkrieg nur als Ruine übrig geblieben war. Ähnlich ist es auch dem Finanzplatz Frankfurt ergangen, der sich nach bescheidensten Anfängen nach dem Zweiten Weltkrieg doch zu einem bedeutenden globalen Finanzzentrum entwickelt hat.
Das kommt nicht von ungefähr, denn Frankfurt konnte auf alten Traditionen aufbauen. Wenn man einmal bedenkt, dass die Frankfurter Börse bereits auf eine über 400-jährige Geschichte zurückblicken kann, dann können wir sagen: Hier gibt es Tradition. Deshalb kann Frankfurt auch den Herausforderungen der Globalisierung mutig begegnen. Aber wir wissen auch, dass der Wettbewerb härter geworden ist. Wir sind deshalb sehr froh, dass viele internationale Institutionen hier in Frankfurt zu Hause sind, unter anderem die Europäische Zentralbank. Auch darauf sind wir ein Stück stolz.
Wir alle wissen, dass Wachstum und Beschäftigung nur gelingen können, wenn wir auch ein effizientes und international wettbewerbsfähiges Finanzsystem haben. Das heißt, das, was wir in Europa die Lissabon-Strategie nennen, nämlich die sehr anspruchsvolle Zielsetzung, bis zum Ende des Jahrzehnts das werden wir vielleicht nicht ganz schaffen, aber wir erheben immerhin den Anspruch der wachstumsstärkste Kontinent zu sein, kann auf keinen Fall erfolgreich sein, wenn wir nicht leistungsfähige und integrierte Finanzmärkte in Europa haben. Natürlich sind die Börsen ein Bestandteil. Deshalb lassen Sie mich aus aktuellem oder fast noch aktuellem Anlass auch sagen, dass ich es sehr bedauere, dass die angestrebte Fusion zwischen der Deutschen BörseAG und Euronext nicht zustande gekommen ist, denn dies hätte die Integration der europäischen Finanzmärkte und der dazugehörigen Infrastruktur verbessert. Nicht alle sind der gleichen Meinung, aber wir hätten das trotzdem gerne gehabt.
Ich will an dieser Stelle auch gleich ein Wort zu dem sagen, was in Europa nötig ist. Wenn die Lissabon-Strategie erfolgreich sein soll, wenn wir den Herausforderungen der Globalisierung begegnen wollen, dann müssen wir uns natürlich auch zu europäischen Champions bekennen. Wir dürfen nicht im nationalen Denken verharren. Darüber gibt es im Augenblick in Europa eine Diskussion: Empfinden wir dieses Europa mit seinem Binnenmarkt als eine solche Größe, in der wir dann auch bereit sind, europäische Unternehmen zu akzeptieren? Oder sind wir, wenn es um die Unternehmen und die Beschäftigung geht, doch letztendlich immer wieder nationalstaatlichem Denken verhaftet?
Natürlich brauchen wir in Europa moderne Antworten das wissen die Finanzinstitute ja auch auf das, wofür Finanzierung heute notwendig ist. Der klassische Bankkredit ist als Patentlösung bei der Fremdfinanzierung nicht mehr gefragt. Gefragt sind stattdessen individuelle, maßgeschneiderte Finanzierungslösungen, Banken als Kapitalgeber genauso wie als Berater und das in einem immer härter werdenden Wettbewerb. Deshalb weiß Frankfurt, deshalb weiß ganz Europa: Es kann sich nicht auf Erfolgen ausruhen, die wir in der Vergangenheit hatten. Deshalb brauchen wir natürlich auch eine Vielzahl von neuen regulatorischen Rahmenbedingungen Rahmenbedingungen, die zu der internationalen Entwicklung passen, und Rahmenbedingungen, die das Wachstum befördern.
Heute wird eine Vielzahl von internationalen Entwicklungen durch internationale Gremien angestoßen oder vorangetrieben. Das entspricht ja auch dem globalen Denken. Ich darf dabei nur an BaselII erinnern. Ich will allerdings an dieser Stelle nicht verhehlen, dass ich mit großer Unruhe sehe, dass BaselII innerhalb der Europäischen Union implementiert wird, aber man gleichzeitig jenseits des Atlantiks in letzter Sekunde zu zögern beginnt. Das war nicht die Intention von BaselII. Insofern müssen wir hierüber auch mit den amerikanischen Partnern sicherlich noch einmal reden.
Genauso wird auf EU-Ebene vieles verabschiedet. Ich denke an das umfangreiche Maßnahmenpaket des Aktionsplans Finanzdienstleistungen von 1999, das mit seinen vielen Einzelmaßnahmen die Integration der Finanzmärkte in Europa auch schon kräftig vorangetrieben hat. Jetzt muss das alles in allen Mitgliedstaaten schnell und konsequent umgesetzt werden, soweit das noch nicht geschehen ist und das möglichst wieder eins zu eins, damit wir uns nicht durch die nationale Umsetzung jeweils einzelne Hürden einbauen, während andere vielleicht weniger Hürden haben.
Ich glaube, es war auch richtig, dass die Europäische Kommission im Dezember 2005 mit ihrem Weißbuch die Leitlinien ihrer Finanzmarktpolitik bis 2010 abgesteckt hat. Das ist kein neuer ehrgeiziger Maßnahmenkatalog gewesen. Ich glaube, die Marktteilnehmer sind darüber auch nicht besonders böse. Es geht dagegen um eine so genannte dynamische Konsolidierung. Das heißt, wir schauen, wie die Maßnahmen ihre Wirkung entfalten, und realisieren die Integration der Finanzmärkte auch möglichst unbürokratisch.
Wenn in diesem Weißbuch keine neuen großen regulatorischen Maßnahmen stehen, heißt das, dass es keinen Handlungsbedarf in Finanzmarktfragen in Europa mehr gibt? Das glaube ich nicht. Wir brauchen zum Beispiel eine faire und transparente Lösung für das Verfahren beim grenzüberschreitenden Erwerb bedeutender Beteiligungen an Finanzinstituten. Und wir brauchen natürlich eine Vertiefung der Finanzmarktintegration im Privatkundengeschäft. Ich glaube, es ist richtig, dass die Kommission darauf einen besonderen Schwerpunkt legt. Wir wollen jedenfalls von deutscher Seite hier auch eine vertiefte Integration.
Das heißt, eine maximale Harmonisierung ohne Rücksicht auf nationale Besonderheiten soll es alleine nicht geben. Aber wenn wir vertiefte, überschaubare und einfache Beziehungen zwischen den verschiedenen Ländern haben wollen, dann müssen wir auch mehr dazu bereit sein, Harmonisierung zu akzeptieren.
Ich glaube, dass der Grundsatz, der sich unter dem Motto "Better Regulation" jetzt zum ersten Mal in der Europäischen Kommission breitgemacht hat, ein richtiger ist."Better Regulation" ist die feine Umschreibung dafür, dass man Bürokratie abbauen will. Das ist in Europa kein einfacher Schritt, aber es ist ein notwendiger.
Wenn wir im nächsten Jahr den 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge feiern, dann können wir auf einen erheblichen Bestand an Richtlinien der Europäischen Union blicken. Die Idee, dass in der Europäischen Union im Sinne des Acquis communautaire immer nur Richtlinien dazukommen können, aber nie eine verschwinden kann, ist mit Sicherheit keine zielführende Idee. Deshalb unterstützen wir wir werden das in unserer Präsidentschaft ganz besonders machen, dass das Thema "Better Regulation" im Übrigen auch mit ehrgeizigen Zeitmarken vorangetrieben wird.
Wenn man sich einmal anschaut Sie hatten heute Vormittag den tschechischen Präsidenten zu Gast, mit welcher Regelungsdichte die neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in dem Moment ihres Beitritts konfrontiert sind, und sich überlegt, ob man damit die Europäische Union in den 50er- , 60er- , 70er Jahren auch so gut aufbauen hätte können, dann, glaube ich, kommt man ins Zögern. Wir lasten uns allen zum Teil sehr viel auf.
Wir brauchen einheitliche Zahlungsverkehrsinstrumente. Ich denke, dass sich auch die Vertreter der Kreditwirtschaft hier eine stärkere Integration wünschen, genauso wie beim Thema Finanzmarktaufsicht. Wir haben bei den vielen Mitgliedstaaten inzwischen 70 verschiedene Aufsichtsinstitutionen für die Finanzmärkte. Für Banken und Versicherungen, die in mehreren Mitgliedstaaten aktiv sind bei dem Gedanken der europäischen Champions wird das ja immer häufiger vorkommen, stellt dies natürlich eine erhebliche Belastung dar.
Nun gibt es immer die Frage: Wollen wir eine vollständig europäisierte Finanzmarktaufsicht? Wir sind politisch der Meinung, dass die Zeit dafür noch nicht gekommen ist. Das wäre aber eine Idee, die wir intensiver miteinander diskutieren sollten. Aber wir müssen schon sehen, dass die Marktstrukturen in den Mitgliedstaaten natürlich noch erheblich unterschiedlich sind. Zumindest darf es aus deutscher Sicht nicht zu Verschlechterungen der Wettbewerbsbedingungen kommen. Wir müssen uns genau überlegen, ob wir hier Kompetenzen auf die Kommission übertragen oder nicht.
Aber wir brauchen eine Harmonisierung des Aufsichtsrechts und auch eine vertiefte Kooperation der Aufsichtsbehörden. Auch hier wird es wieder so sein: Je besser wir es schaffen, die einzelnen Institutionen zusammenzubringen und eigene Lösungen zu finden, umso praxisnäher werden die gefundenen Lösungen sein. Denn es gibt immer die Gefahr, wenn die, die die Arbeit nicht ausführen, darüber befinden, wie 70 verschiedene Aufsichtsbehörden zusammenarbeiten sollen, dass es den Aufsichtsbehörden nicht gefällt. Das kann man vielleicht noch hinnehmen. Aber wenn es Kunden oder denen, die mit den Aufsichtsbehörden zu tun haben, auch nicht gefällt, dann wird es schlecht.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat zu jeder Zeit sehr aktiv an der Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für die Finanzwirtschaft mitgewirkt. Wir werden das auch in Zukunft tun. Dabei werden wir im nächsten Jahr im ersten Halbjahr in der EU-Präsidentschaft und auch im Rahmen der G8 -Präsidentschaft im gesamten Jahr 2007 natürlich eine besondere Verantwortung haben. Da werden sich viele Erwartungen an uns richten. Aber ich möchte an dieser Stelle auch sagen: Die Erwartungen gehen oft in sehr unterschiedliche Richtungen. Deshalb werden wir manche Erwartung vielleicht auch nicht erfüllen können.
Zumindest müssen wir die Diskussion führen: Wohin soll sich Europa eigentlich entwickeln? Im Augenblick gibt es bei den Bürgerinnen und Bürgern in den Mitgliedstaaten eine Skepsis gegenüber der Europäischen Union, weil konkrete Probleme, wie Arbeitslosigkeit, Wachstumsschwäche, demographische Herausforderungen, aus dem Blickwinkel der Menschen durch die Europäische Union nicht immer so beantwortet und gelöst werden, wie die Menschen sich das vorstellen.
Das heißt, für uns ist es ganz wichtig, dass die Bürger in Europa das Vertrauen in diese Europäische Union wiedergewinnen. Dabei sind im Übrigen, wenn man einmal an das Privatkundengeschäft denkt und was man als Bürger in Europa so tun kann, manchmal auch Kleinigkeiten, wenn ich das an dieser Stelle sagen darf, nicht ganz unwichtig. Denn wenn man ganz einfache Überweisungsaufträge zwischen benachbarten Ländern in Europa ausführen will, wundert man sich dann, was der Binnenmarkt alles noch nicht geschafft hat. Die Gebühren sind auch nicht gering, wenn ich das einmal aus eigener Erfahrung sagen darf. Wenn Sie wollen, dass die Menschen zum Beispiel an einen europäischen Finanzmarkt glauben, dann fangen Sie bei den ganz einfachen Dingen an. Sie werden sich wundern, wie das wirkt.
Meine Damen und Herren, wir brauchen eine wachstumsfreundliche Politik. Wir haben im Augenblick eine gute Voraussetzung dafür, denn wir werden nach den Prognosen der Europäischen Kommission mit 2,7 Prozent das stärkste gemeinschaftsweite Wachstum seit dem Jahr 2000 in Europa haben. Das kann uns erfreuen, das darf uns aber in keiner Weise zufrieden stellen. Ich glaube, wir können auch sagen, dass die positive Entwicklung in Deutschland dazu einen Beitrag geleistet hat ganz einfach deshalb, weil Deutschland die größte Volkswirtschaft in der Europäischen Union ist. Auch bei uns wird das Wirtschaftswachstum so stark sein wie seit sechs Jahren nicht mehr. Glücklicherweise macht sich das bei uns auch auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar, weil wir sagen können, dass wir 470.000 Arbeitslose weniger haben als vor einem Jahr. Was ich als besonders wichtig empfinde: Wir haben vor allen Dingen 250.000 mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, was für alle sozialen Sicherungssysteme von unglaublicher Bedeutung ist.
Wir wissen auch, dass wir in Europa und in unserer G8 -Präsidentschaft nur stark sein können, wenn wir als nationale Regierung auch unsere Hausaufgaben machen. Das hängt miteinander zusammen. Manch einer denkt ja, wenn wir jetzt die internationalen Präsidentschaften haben, dass wir uns nicht mehr um unsere Politik zu Hause kümmern werden. Das wird auf keinen Fall passieren, denn die Frage, wie gut Deutschland dasteht, ist entscheidend dafür, wie viel Einfluss und wie viele Möglichkeiten wir auch haben werden, politische Entscheidungen voranzubringen. Das heißt also, wir werden auch zu Hause nicht nachlassen.
Ich glaube, jetzt, ein Jahr nach der Arbeitsaufnahme der neuen Bundesregierung, zeichnen sich manche Konturen ab, bei denen deutlich wird, dass wir wichtige Schritte gehen und gegangen sind. Ich nenne jetzt in Ihre Richtung nur die Reform des Unternehmensteuerrechts, wofür die Eckpunkte vorliegen, die Reform des Erbschaftsteuerrechts, die Frage der REITs ein Thema, bei dem zumindest ich mir gewünscht hätte, dass die Wohnungen auch noch einbezogen würden. Wir haben uns dann aber entschieden, das Ganze wenigstens anzugehen und es nicht wieder liegen zu lassen. Ich glaube, auch das war richtig.
Wir haben in dem Dreiklang "Sanieren, Reformieren, Investieren" auch, was die Haushaltsbilanz anbelangt, einen Beitrag für Europa geleistet. Deutschland war es einmal, das den Wachstums- und Stabilitätspakt eingefordert hat. Es ist immer besonders unschön, wenn man als Initiator einer Sache zum Schluss zu denen gehört, die sie am wenigsten erfüllen. Wir sind froh, dass wir in diesem Jahr wieder das Maastrichter Defizitkriterium erfüllen werden und dass wir im nächsten Jahr einen Bundeshaushalt haben werden, bei dem wir nach Jahren wieder sagen können: Mehr Investitionen als Neuverschuldung. Die Neuverschuldung wird, soweit wir es jetzt voraussehen können, die niedrigste seit der Wiedervereinigung sein. Das sind Daten, die uns, glaube ich, ein Stück besser dastehen lassen auch mit Blick auf die Zukunft und auf die Spielräume. Denn wenn Sie sich die bisherige Zusammensetzung unseres Haushalts anschauen, dann sind Zinsausgaben und feststehende Ausgaben einfach so übermächtig, dass für die Investitionen zu wenig Spielraum bleibt. Wir müssen diesen Investitionsspielraum wieder vergrößern.
Nun wissen wir also: Deutschland kann seine Präsidentschaften sicherlich besser nutzen, wenn es selbst mit gutem Beispiel vorangeht. Wir werden in unserer Präsidentschaft natürlich vor allen Dingen darauf achten, dass wir den Binnenmarkt vertiefen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass der europäische Binnenmarkt die Möglichkeit bietet, für die mehr als 400 Millionen Menschen, die in Europa leben, mit diesem Binnenmarkt auch wirklich eine Größe zu schaffen, die weltweit wettbewerbsfähig ist und damit Akzente setzen kann, in gewisser Weise auch Maßstäbe setzen kann. Deshalb ist die Weiterentwicklung des Binnenmarktes von allergrößter Bedeutung. Jacques Delors hat einmal gesagt: "Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt." Das mag so sein. Aber es ist natürlich so: Ohne den Binnenmarkt wird Europa seine wirtschaftliche Leistungskraft nicht entfalten können.
Ich will Sie an dieser Stelle auf ein Thema aufmerksam machen, für das ich keine abschließende Lösung habe, aber das uns in den nächsten Jahren beschäftigen wird. Die Abgrenzung des Binnenmarkts, der heute mit seinen Kompetenzen ja vergemeinschaftet ist das heißt, weitestgehend durch die Europäische Kommission reguliert wird, gegenüber der Sozialpolitik, die weiter in nationalstaatlicher Zuständigkeit bleibt, wird in der Zukunft immer schwieriger werden. Wo beginnt der Wettbewerb und wo ist eine Größe vorrangig wirtschaftlich und wo mehr unter sozialen Gesichtspunkten zu betrachten? Eine Grenzsetzung muss uns möglichst genau gelingen, weil wir ansonsten dauernd Verfahren vor der Europäischen Kommission haben. Wenn etwa ein einfacher Sportverein in Deutschland in Konkurrenz zum Sportstudio treten muss und sich irgendwann vor dem Europäischen Gerichtshof wiederfindet, dann werden die Menschen das nicht verstehen. Insofern haben wir noch viele Abgrenzungsaufgaben vor uns.
Dies war im Übrigen einer der Gründe, warum die Bundesrepublik Deutschland so intensiv für einen Verfassungsvertrag eingetreten ist einen Vertrag, der klar abgrenzen soll, auf welcher Ebene die Zuständigkeit liegt, und der deutlich machen soll, dass dann, wenn die Zuständigkeit bei der Europäischen Kommission liegt, ihr natürlich auch die Handlungsvollmachten gegeben werden, und dann, wenn es nationale Zuständigkeiten gibt, die Europäische Kommission sich hier nicht durch Koordinierung durch die Hintertür wieder eine Zuständigkeit verschaffen kann.
Der Verfassungsvertrag ist also ein Schritt in die richtige Richtung. Das ist auch einer der Gründe, warum wir sehr massiv dafür eintreten, dass wir mit diesem Verfassungsvertrag vorankommen. Aber er ist sicherlich noch nicht die Ideallösung, die wir uns vorgestellt haben. Aber die Kompetenzzuordnung wird eine der wesentlichen Fragen auch für die Akzeptanz Europas bei den Bürgern sein. Denn nichts ist schlimmer, als wenn Sie den Menschen nicht sagen können, wer in einem politischen System wofür verantwortlich ist. Es gibt eine Vielzahl von Grenzfragen, bei denen man sich mit Europa herausreden kann, bei denen Nationalstaaten über Europa versuchen, ihre Interessen durchzusetzen. Das verstört die Bürgerinnen und Bürgern und ergibt keine Akzeptanzgrundlage.
Wir brauchen eine Vertiefung des Binnenmarktes. Und wir müssen immer wieder deutlich machen, auch im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung, dass wir durch die Schaffung des Binnenmarktes mindestens 2,5 Millionen neue Arbeitsplätze gewonnen haben, dass dies also nicht etwas ist, was Arbeitsplätze zerstört, sondern dass durch diese Offenheit die Möglichkeit entsteht, mehr Arbeitsplätze zu schaffen.
Wir brauchen natürlich, wenn ich über die Vertiefung des Binnenmarktes rede, noch eine Vielzahl von Maßnahmen. Ich glaube, Sie in diesem Raum sind mit der Dienstleistungsrichtlinie nicht ganz zufrieden. Wir sind der Meinung, dass sie immerhin ein Schritt in die richtige Richtung ist, dass sie Genehmigungsverfahren vereinfachen wird. Aber sicherlich werden wir in einigen Jahren auch darüber noch weiter reden müssen. Es ist ja ganz interessant: Eigentlich ist der freie Verkehr von Dienstleistungen seit der Schaffung der Europäischen Union ein Gebot. Wenn Sie sich dann anschauen, wie die Praxis in den einzelnen Mitgliedstaaten aussieht, dann ist aber eine solche Richtlinie dringend notwendig. Das heißt, von dem Anspruch, den wir für uns erheben, sind wir an vielen Stellen noch weit entfernt.
Wir wissen, dass sich auch die Hälfte des Warenverkehrs heute noch im nicht harmonisierten Bereich vollzieht. Das heißt, Warenverkehrsfreiheit kann auch immer noch durch Mitgliedstaaten behindert werden. Deshalb muss man das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung auch wirklich effektiv durchsetzen. Wir wollen vor allen Dingen die Öffnung der Märkte vorantreiben. Das gilt neben den Finanzdienstleistungen vor allen Dingen für die Bereiche Post und Telekommunikation. Meine Damen und Herren, auch da ist es natürlich ganz wichtig, dass wir eine Parallelität in Europa erreichen. Es hat keinen Sinn, wenn Deutschland an dieser Stelle mit gutem Beispiel vorangeht bei uns wird Ende des nächsten Jahres zum Beispiel das Briefmonopol abgeschafft sein. Aber natürlich können wir das alles nur machen, wenn nicht in anderen Ländern gebremst wird und ganz anders verfahren wird, weil ansonsten für uns Wettbewerbsnachteile entstehen. Deshalb sagen wir: Wir werden sehr intensiv dafür eintreten, die europäischen Postmärkte ab 2009 vollständig zu öffnen; das ist ganz, ganz wichtig.
Wir brauchen die Überarbeitung des Rechtsrahmens für die elektronische Kommunikation. Wir unterstützen auch den Vorschlag der Kommission, in der Frequenzpolitik auf mehr Markt zu setzen. Deshalb wird die Präsidentschaft an dieser Stelle auch viele Aufgaben für uns übrig lassen. Wir werden weiteren Präsidentschaften auch noch Aufgaben vererben können. Wir werden uns im Übrigen mit dem Energiemarkt beschäftigen müssen. Die Kommission wird zu Beginn des nächsten Jahres eine Vielzahl von Mitteilungen zur Energiepolitik machen sowohl zur Energieaußenpolitik als auch zum freien Markt für Energie in der Europäischen Union. Wie man an den Diskussionen über E. ON und Endesa gesehen hat, sind wir auch hier von einem liberalisierten, barrierefreien Markt weit entfernt.
Und, wie ich es schon angedeutet habe, wir werden uns mit dem Thema Bürokratievereinfachung, Bürokratieabbau beschäftigen. Die Europäische Kommission wird das machen, was die Niederländer gemacht haben, was die Briten gemacht haben, was wir in Deutschland jetzt machen, nämlich auch einen so genannten Normenkontrollrat einsetzen und sich das Ziel setzen, 25 Prozent der Kontroll- und Berichtspflichten abzuschaffen. Auch das ist, glaube ich, eine ganz wichtige Zielmarke. Das Ganze soll im Frühjahr losgehen. Die deutsche Präsidentschaft wird das mit viel Energie begleiten.
Wenn wir über Europa und die Strukturen sprechen, dann, glaube ich, müssen wir an einigen Stellen noch einmal sehr intensiv über die Frage nachdenken: Wo wollen wir hin? Da gibt es noch sehr, sehr große Unterschiede zwischen den Auffassungen der einzelnen Mitgliedstaaten. Ich will Ihnen das an dem Beispiel des Verhältnisses von Parlament, Kommission und Rat erläutern. Aus meiner Sicht ist die Kommission dafür zuständig, die vergemeinschafteten Kompetenzen zu verwalten. Sie darf dafür die notwendigen Richtlinien erlassen. Das Europäische Parlament muss sich nach meiner Auffassung immer stärker zu einem richtigen Parlament, wie wir es aus den Nationalparlamenten kennen, entwickeln. Das heißt, die Zusammensetzung der Kommission wir machen das am Beispiel des Kommissionspräsidenten muss mit dem Ergebnis von europäischen Wahlen etwas zu tun haben. Nach solchen Wahlen gibt es ein neues Parlament. Dann gibt es eine neue Kommission, die aber von den Staats- und Regierungschefs im Rat zusammengesetzt wird und mit dem Wahlergebnis nichts zu tun hat. Das verstehen die Leute nicht. Deshalb haben wir es im Verfassungsvertrag auch geschafft, zu sagen: Wer in der europäischen Wahl als Parteiengruppe der Stärkste ist, soll auch die Möglichkeit haben, den Präsidenten zu bestimmen, damit man wenigstens an der Spitze der Kommission sieht, dass das Wählen einen Sinn hat. Es sind aber längst nicht alle Mitgliedstaaten der Meinung, dass das der richtige Weg ist.
Als Zweites stellt sich die Frage: Wie verhält sich die Rechtsetzung der Kommission zu den Aufgaben des Europäischen Parlaments? Ich habe mir als Ziel gesetzt wir werden das jetzt langsam vorantreiben, bekommen dafür auch schrittweise Verbündete, dass das, was wir aus den nationalen Parlamenten kennen, nämlich das Diskontinuitätsprinzip, auch in Europa eingeführt wird. Was heißt das? Das heißt: Wenn ein Gesetz in Deutschland im Parlament nicht zu Ende beraten ist, bis die Legislaturperiode vorbei ist, dann überlebt das Gesetz auch nicht die Legislaturperiode, sondern das neue Parlament muss dieses Gesetz wieder auf die Tagesordnung setzen. In Europa überlebt eine Richtlinie alles: Den Wechsel der Kommission, den Wechsel des Parlaments. Die Richtlinie bleibt bestehen.
Ich glaube, auch für das Selbstverständnis wäre es sehr, sehr wichtig, das Diskontinuitätsprinzip in der Europäischen Union zu verankern. Ich weiß, dass ich hier noch viele Schlachten zu schlagen habe. Aber um die Legitimation der Europäischen Union deutlich zu machen, brauchen wir das. Wenn Sie mich zu einer Podiumsdiskussion zu diesem Themenkomplex mit dem tschechischen oder dem polnischen Präsidenten eingeladen hätten, wären wir sicherlich zu ganz anderen Meinungen gekommen mit dem französischen im Übrigen auch. Aber das macht nichts. Man musste in Europa schon viele dicke Bretter bohren. Aber es gibt auch noch ein paar Verbündete.
Meine Damen und Herren, wir wollen also die Themen Energiepolitik, Bürokratieabbau, Institutionen, Verhältnis der Institutionen auf die Tagesordnung setzen. Wir werden in zwei Bereichen auch die Beziehungen der Europäischen Union zu wichtigen anderen Partnern durch die jeweils stattfindenden Gipfel vorantreiben.
Da ist während unserer Präsidentschaft auf der einen Seite der EU-Russland-Gipfel. Es muss mit Russland ein neues Kooperationsabkommen ausgehandelt werden. Eines unserer Ziele besteht darin, ein Verhandlungsmandat aufzusetzen, bei dem wir in bestimmten Kapiteln die Energiezusammenarbeit definieren und dies, wenn möglich, in analoger Weise zu der Energiecharta, mit deren Ratifizierung sich Russland noch etwas schwer tut. Wir brauchen gute Beziehungen zu Russland. Wir brauchen strategische Beziehungen zu Russland. Russland ist ein großer Nachbar der Europäischen Union. Dennoch müssen wir auch hier die Beziehungen auf eine verlässliche Grundlage stellen.
Wir haben auf der anderen Seite einen weiteren Gipfel: Den EU-Amerika-Gipfel. Dort wollen wir in unserer Präsidentschaft etwas vorantreiben, was mir persönlich sehr wichtig ist und was von der österreichischen Präsidentschaft unter der Überschrift "Gemeinsamer Markt" begonnen wurde. Wir werden sicherlich auf absehbare Zeit nicht dazu kommen, dass wir eine Freihandelszone zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika schaffen. Ich glaube, es wäre im Augenblick auch nicht besonders klug, sich dabei immer über Agrarzölle zu unterhalten. Aber wir müssen uns fragen: Auf welcher Grundlage basieren die europäischen Regeln, auf welcher Grundlage basieren die amerikanischen? Wenn wir uns einmal das zugrunde liegende Werteverständnis anschauen, dann sind das ja doch sehr vergleichbare Werte: Freiheit, Achtung des Einzelnen, Achtung der Menschenwürde, Demokratie. Ich glaube, angesichts der Entwicklung der globalen Märkte ist es den Schweiß der Akteure wert, einmal zu überlegen, wo wir aus diesem gemeinsamen Werteverständnis heraus auch gemeinsame Positionen und gemeinsame Regeln entwickeln könnten.
Wenn man sich die Finanz- und Kapitalmärkte anschaut, dann sind die Regulierungen in Amerika und Europa zum Teil sehr unterschiedlich. Man muss vieles lernen, man muss vieles doppelt machen. Der Umgang mit neuen Finanzierungsinstrumenten ist unterschiedlich, die Transparenzregeln sind unterschiedlich. Wenn wir uns aber die Herausforderungen im Blick auf die asiatischen Märkte anschauen, dann hätten wir gute Gelegenheit, gemeinsam aufzutreten, wenn es zum Beispiel um den Schutz des geistigen Eigentums geht.
Denn wir als entwickelte westliche Länder werden bei aller Kreativität, bei aller Innovationsbereitschaft, die wir brauchen, natürlich nur eine Chance haben, wenn bestimmte Prinzipien, über die wir uns zum Beispiel in Europa auch jahrehundertelang gestritten haben dazu gehören für mich der Schutz des geistigen Eigentums, die Akzeptanz von Patenten, bestimmte Regeln, weltweit Geltung erlangen. Wenn es in einem Teil der Welt sozusagen kein Problem ist, ob man etwas raubt oder kopiert, dann wird es Verzerrungen der Wettbewerbsfähigkeit geben. Deshalb müssen wir nach meiner Auffassung unsere Kräfte bündeln. Wir werden in unserer G8 -Präsidentschaft in ganz besonderer Weise unsere Kräfte bündeln, um hier gemeinsame Positionen gegenüber Dritten zu beziehen.
Wenn ich über diesen gemeinsamen Markt Amerika / Europa rede, dann spreche ich nicht von abgeschotteten Aktivitäten. Das wäre vollkommen falsch. Die Sorgen, dass jetzt wieder protektionistische Tendenzen Raum greifen könnten, die sowohl der US-amerikanische Präsident als auch einige in Europa haben, müssen wir ausräumen. Wir haben nur durch Offenheit eine Chance. Sie können auf die Globalisierung mit Angst reagieren, dann werden die Menschen aber erleben, dass das Spielen mit dieser Angst kein einziges Problem löst. Die Herangehensweise kann nur Offenheit und Stärkung der eigenen Stärken und Überwindung der eigenen Schwächen sein.
In diesem Sinne muss nach meiner festen Auffassung auch noch einmal alles unternommen werden, um die Welthandelsrunde anzustoßen und zum Erfolg zu bringen. Ich darf hier nur keine und will hier auch keine übertriebenen Erwartungen wecken, denn dies liegt nicht alleine an Europa. Ob der Ausgang der US-amerikanischen "mid-term elections" die Voraussetzungen dafür verbessert hat, ist mir noch nicht ganz klar. Deshalb, meine Damen und Herren, sollten wir trotzdem versuchen, das noch vorhandene Zeitfenster noch einmal zu nutzen, weil die Vielzahl an bilateralen Abkommen, die entstehen würde, wenn diese Doha-Runde scheitert, keine adäquate Alternative zu einem multilateralen Handelssystem ist.
Wir werden also in unserer G8 -Präsidentshaft und in unserer EU-Präsidentschaft durchaus auch überlappende Aktivitäten entfalten. Ich möchte Ihnen noch einen Punkt sagen, der für mich an dieser Stelle sehr wichtig ist: Wir werden jenseits der gesamten Kooperationen mit dem großen Kontinent Asien natürlich auch darauf achten, dass Afrika kein vergessener Kontinent wird. Deshalb wird während unserer G8 -Präsidentschaft auch das Thema Afrika eine besondere Rolle spielen.
Wir erleben inzwischen durch die Migrationsbewegungen, dass wir den Problemen auf unserem Nachbarkontinent Afrika nicht ausweichen können. Wir erleben, dass China wir haben es vor wenigen Tagen beim Afrika-China-Gipfel in Peking gesehen hier eine sehr strategische Politik betreibt, die auch eng verknüpft mit den Rohstoffinteressen Chinas ist. Wir als Europäer tun gut daran, zu Afrika Beziehungen zu entwickeln, die für die Afrikaner auch ein Zugewinn sind. Da spielt, wenn man mit afrikanischen Staatschefs redet, vor allen Dingen das Thema Zeit eine Rolle. Da wird einem eben einfach gesagt: Wenn man in China einen Wunsch nach Kooperation hat, dann ist der schnell erledigt, und in Europa wird erst einmal eine Ausschreibung veranstaltet. Die endet dann irgendwann mit einem Gerichtsverfahren und dann geht es von Neuem los. Das ist nicht das, was die Afrikaner brauchen. Da ist Zeit einfach ein Faktor, der im Augenblick unglaublich gegen Europa und für die afrikanisch-chinesischen Beziehungen arbeitet.
Aber ich glaube, im Dialog mit Afrika müssen wir auch auf zwei weitere Dinge achten: Zum einen das wird für die Afrikaner ganz wichtig sein, auch im Vergleich zu den afrikanisch-chinesischen Beziehungen, dass wir sagen, wir wollen einen fairen Umgang mit euren Rohstoffen, wir wollen euch an dieser Stelle nicht über den Tisch ziehen; ihr habt ein Anrecht darauf, hier vernünftige Verträge zu bekommen. Zum anderen auch das muss möglich sein müssen wir auf "Good Governance", also auf gutes, vernünftiges Regieren in Afrika pochen, sonst kann die Entwicklung dort nur immer wieder in Enttäuschungen enden. Wir haben ein strategisches Interesse, aber wir müssen hier auch zu einem ehrlichen Dialog kommen. Dieser ehrliche Dialog soll geführt werden. Wir haben ja zum ersten Mal eine so genannte Dreierpräsidentschaft. Die Europäische Union geht von den halbjährlichen Präsidentschaften, die immer aneinandergereiht waren, zu längeren Zeiträumen über. Unsere Dreierpräsidentschaft umfasst die Präsidentschaft von Deutschland, danach Portugal und dann Slowenien. Wir werden gemeinsam mit den Portugiesen für das zweite Halbjahr 2007 schon einen EU-Afrika-Gipfel vorbereiten, auf dem wir genau diese Themen miteinander diskutieren können.
Abschließend, meine Damen und Herren, komme ich zum Verfassungsvertrag. Wir haben die Chance, am 25. März den 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge in Berlin begehen zu können. Für mich hat es Symbolcharakter, dass es 50 Jahre nach der Gründung der Europäischen Union nun möglich ist, in Berlin einem Symbol von Teilung, von Kaltem Krieg feiern zu können, dass Europa wieder zusammen ist.
Wir alle haben in den letzten zehn, fünfzehn Jahren erlebt, dass zwischen der Sonntagsrede über die Schwestern und Brüder im Osten hinter dem Eisernen Vorhang und der Aufnahme dieser Staaten in die Europäische Union ein weiter Weg ist. Es steht jetzt die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien bevor. Ich habe die Diskussionen im Parlament miterlebt. Die Euphorie hat etwas nachgelassen, die Zweifel nehmen zu. Trotzdem ist die Aufnahme richtig; ich will das ausdrücklich sagen. Dieser europäische Kontinent hat nur gemeinsam eine Chance, sein Gewicht in die Waagschale des weltweiten Wettbewerbs zu legen.
Wir werden uns am 25. März der geistigen Grundlagen der Europäischen Union vergewissern. Europa hat es nach dem Zweiten Weltkrieg aus unendlichen Leiden und Mühen geschafft, aus Erbfeindschaften Brücken zu bauen. Die Tatsache, dass das möglich war, die Tatsache, dass es nach Jahrhunderten voller Kriege gelungen ist, den Wert der Toleranz in Europa so fest zu verankern, dass die einzelnen agierenden Akteure verstanden haben, dass der Vorteil des anderen auch ihr eigener Vorteil sein kann, und dass daraus ein gemeinsamer Vorteil erwächst, diese Erkenntnis muss Europa leben. Deshalb ist es so wichtig, dass wir nicht eine schöne Europäische Union auf dem Papier haben und wieder national denken, sondern dass wir das auch aktiv demonstrieren. Wenn wir diese Fähigkeit auch anderen weitervermitteln könnten, dann könnte dieses Europa auch ein Beitrag zur Lösung vieler Konflikte jenseits des europäischen Kontinents sein.
Deshalb, so glaube ich, muss sich Europa anlässlich des 50. Jahrestags der Unterzeichnung der Römischen Verträge über die einzelnen Regelungen hinaus in der Frage verständigen, was dieses Europa möglich gemacht hat, aber auch über die Frage, vor welchen Herausforderungen dieses Europa steht. Es muss ein klares Bekenntnis dazu erfolgen, dass nur Offenheit uns die Möglichkeit bietet, wirklich in Wohlstand und Sicherheit zu leben. In diesem Sinne werden wir diesen 25. März vorbereiten.
Ich hoffe, dass auf der Grundlage des gemeinsamen Verständnisses dessen, was uns in Europa zusammenhält, vielleicht auch wieder eine etwas veränderte Diskussion über den Verfassungsvertrag stattfindet. Denn der Verfassungsvertrag soll ja nicht neue Bürokratie schaffen, sondern er soll Kompetenzen ordnen und die Werte, sozusagen die Grundrechte, verdeutlichen, auf deren Fundament wir die einzelnen Regelungen aufbauen.
In diesem Sinne wird die deutsche Präsidentschaft keine Lösung für das Thema Verfassungsvertrag finden können. Dafür ist der Zeitraum bis Ende 2008 eingeplant. Ich finde es auch sehr gut, dass der Europäische Rat genau dies beschlossen hat. Es würde sozusagen jeden Versuch unterminieren, wenn wir schon während dieser Präsidentschaft Sie brauchen bloß an die Wahlen in Frankreich und in anderen Ländern zu denken schon eine Lösung finden müssten. Aber wir müssen vorankommen. Und wir brauchen vor allen Dingen den gemeinsamen Geist, dass dieses Europa ich jedenfalls bin davon überzeugt mehr ist als eine Freihandelszone.
Wir werden das alles nur schaffen, wenn die Politik Mitstreiter hat. Deshalb bin ich heute gerne bei Ihnen, weil ich glaube, dass wir auch gerade die wirtschaftlichen Eliten brauchen, die für dieses Europa mitstreiten. Sie alle wissen Deutschland weiß es am allerbesten, wie sehr wir gewonnen haben, wann immer wir uns geöffnet haben. Dieser Gedanke muss Raum greifen, über kleine Einzelinteressen hinweg. Europa ist da sehr vorangekommen. Diejenigen, die Handel treiben, die die Finanzmärkte gestalten, sollten auch die sein, die auf diesem Weg unsere Verbündeten sind. Jedenfalls erhoffe ich mir das, auch bei allem kritischen Dialog. Herzlichen Dank, dass ich heute hier sein kann.