Redner(in): Angela Merkel
Datum: 18.11.2006
Untertitel: anlässlich der Verleihung des "Preises für Verständigung und Toleranz" des Jüdischen Museums in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Blumenthal, sehr geehrter Herr Bundespräsident von Weizsäcker, Herr Barenboim, Herr Panke, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/11/2006-11-18-laudatio-bkin-juedisches-museum,layoutVariant=Druckansicht.html
ich darf erst einmal ein herzliches Dankeschön an die sagen, die Sie eben erwähnt haben, lieber Herr Blumenthal. ( Es ist schön ) , dass wir heute Abend hier so zusammensitzen. Wir freuen uns natürlich auf den Lichthof. Aber ob es dann auch noch so gemütlich sein wird, müssen wir dann schauen.
Ich habe heute die Aufgabe und die Ehre, eine Institution zu würdigen, die sich in ganz besonderer Weise um unser Gemeinwesen verdient gemacht hat. Diese Institution fördert die Integration schwerstbehinderter Menschen in der Arbeitswelt. Sie kümmert sich intensiv um Bildungsprojekte für Kinder und Jugendliche. Sie unterstützt sozialpräventive Arbeit in sozialen Brennpunkten, und sie setzt sich weltweit für interkulturelles Lernen ein.
Wenn ich das sage, dann spreche ich nicht von einer karitativen Einrichtung, sondern ich spreche von einem der erfolgreichsten deutschen Unternehmen, von der BMW-Gruppe unter der langjährigen Führung von Helmut Panke.
Eines der Leitmotive dieses Unternehmens lautet: Wir tragen Verantwortung. Das ist eine Feststellung, und es ist zugleich eine Aufforderung, letztlich eine Aufforderung über das Unternehmen hinaus, über das heute hier gesprochen wird, an uns alle. Denn jedem von uns kommt Verantwortung zu, nach den jeweiligen Möglichkeiten für ein friedliches und gedeihliches Miteinander Sorge zu tragen. Mit dem Preis für Verständigung und Toleranz des Jüdischen Museums in Berlin werden genau diejenigen gewürdigt, die Verantwortung über das erwartbare Maß hinaus übernehmen.
Dieser Preis hat seit seiner ersten Verleihung im Jahr 2002 eine ganz besondere Bedeutung erfahren. Das liegt am bewundernswerten Engagement dieses Hauses, seines Direktors, seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie des Freundes- und Förderkreises. Aber es liegt natürlich auch an den herausragenden Persönlichkeiten, die mit diesem Preis ausgezeichnet wurden.
Ich möchte an diesem Abend an einen Preisträger erinnern, an Johannes Rau. Der in diesem Jahr verstorbene Bundespräsident hat, wie ich glaube, den Geist des "Preises für Verständigung und Toleranz" in ganz besonderer Weise verkörpert. Johannes Rau hat einmal gesagt ‑ich zitiere‑ :
Manchen ist zu wenig bewusst, welch große zivilisatorische Errungenschaft es ist, dass in einer pluralen Gesellschaft Menschen friedlich miteinander leben, die ganz unterschiedliche Überzeugungen haben. Dies muss jeden Tag neu geübt und neu gelebt werden.
Wie recht Johannes Rau mit dieser Aussage hat, das kann jeder von uns im täglichen Leben bei uns erfahren.
Es gibt sehr viele Wege, sich für Verständigung und Toleranz einzusetzen. Dies stellen auch die beiden heutigen Preisträger unter Beweis. Das Ziel, um das es geht, ist stets dasselbe, nämlich konsequent einzustehen für das friedliche, auf Respekt und Achtung gegründete Zusammenleben der Menschen und der Völker. Das ist gerade auch für "global player" in der Wirtschaft außerordentlich wichtig.
Helmut Panke steht dafür. Als Manager genießt er in Deutschland und in der Welt hohes Ansehen. Er ist eine Unternehmerpersönlichkeit, die mit großer Energie Zukunft gestaltet hat.
Sehr geehrter, lieber Herr Panke, unter Ihrer Leitung hat die BMW-Gruppe hervorragende Ergebnisse erzielt. Diese Ergebnisse sind Ausdruck einer beeindruckenden Dynamik und eines sehr klaren Profils des Unternehmens im Wettbewerb. Sie sind aber auch Ausdruck eines in Ihrer Firmengruppe besonders ausgeprägten Gemeinschaftsgefühls ‑einer Gruppe mit 22 Produktionsstandorten in zwölf Ländern, die in 130 Ländern tätig ist und allein in Deutschland Mitarbeiter aus 90 Nationen beschäftigt.
Das Wir-Gefühl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kommt also nicht von ungefähr. Es ist ganz offensichtlich: Gegenseitiger Respekt und Toleranz nach innen und nach außen sind feste Maxime von BMW und von Helmut Panke.
Sie, lieber Herr Panke, werden heute für etwas ausgezeichnet, was fester Bestandteil der Kultur von BMW ist: für die Wahrnehmung sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung."Es kommt nicht auf Worte, sondern auf Taten an." Mit diesem Satz haben Sie, Herr Panke, den Kern dessen hervorgehoben, was das gesellschaftliche Engagement Ihrer Gruppe ausmacht.
Taten statt Worte, das bedeutet für BMW ganz konkret, Menschen mit Behinderungen in vielen Bereichen des Unternehmens zu beschäftigen ‑wir wissen, wie viele Menschen mit Behinderungen diese Chance nicht haben‑ , sich präventiv mit Kindern und Jugendlichen gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit einzusetzen, zugunsten von AIDS-Waisen an Produktionsstandorten in Südafrika und Thailand zu arbeiten, farbige Grundschullehrer in South Carolina auszubilden, interkulturelles Lernen zur eigenen Sache des Unternehmens zu machen.
BMW vergibt seit 1997 den Preis für interkulturelles Lernen. In der Kategorie "Praxis" ging er im Jahr 2005 an ein Schulprojekt für jüdisch-arabische Erziehung in Israel.
Sehr geehrter Herr Panke, wir wissen, ein Unternehmen muss in erster Linie wirtschaftlichen Erfolg anstreben. Das haben auch Sie immer wieder betont. Das ist auch völlig legitim. Wirtschaftlicher Erfolg aber kann auch die Grundlage dafür sein, dass ein Unternehmen als "corporate citizen" die Bedürfnisse der Gesellschaft in den Blick nehmen kann. Bildung, interkulturelle Verständigung, Gewaltprävention das sind solche Bedürfnisse einer offenen und toleranten Gesellschaft. Deshalb verkörpert BMW aktive und gelebte Toleranz aus einer doppelten Motivation heraus, einerseits aus wohl verstandenem Eigeninteresse und andererseits aus dem Willen, einen gezielten Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. Ich wünsche mir, dass viele Unternehmen genau diesem Beispiel folgen. Denn Toleranz muss erfahren, gelernt und praktisch gelebt werden.
Unsere Gesellschaft braucht für ihre Zukunftsfähigkeit mehr aktive Toleranz. Wir brauchen Offenheit gegenüber der Zukunft und ihren Chancen, gegenüber neuen Wegen, Unbekanntem und anderen Kulturen. Toleranz ist aber alles andere als Beliebigkeit. Toleranz ist die Fähigkeit zum ernsthaften Dialog, den anderen als Andersdenkenden zu akzeptieren und als Bereicherung zu verstehen.
Toleranz bedeutet, einen eigenen Standpunkt zu haben und für seine Werte einzutreten. Deshalb ist ein gutes, ein tragendes Zusammengehörigkeitsgefühl in Deutschland so wichtig, eines, das Menschen unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe, Religionen oder Kultur verbindet. Ohne Zusammengehörigkeit kann Demokratie auf Dauer nicht gelingen.
Aber gerade deshalb brauchen wir auch klare Grenzen, klare Grenzen gegenüber denjenigen, die Toleranz ablehnen. Auf den Punkt gebracht: Es gibt null Toleranz gegenüber Intoleranz. Wir brauchen klare Grenzen gegenüber denjenigen, die Andersdenkenden, Andersfarbigen oder Andersgläubigen Respekt verweigern und klare Grenzen gegenüber denjenigen, die eine offene und plurale Gesellschaft bekämpfen.
Das heißt, wir müssen unmissverständlich gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus eintreten. Wir können und wir werden es nicht hinnehmen, wenn Gräber und Denkmäler geschändet oder Bücher verbrannt werden. Wir werden es nicht dulden, wenn Menschen verunglimpft, bedroht und verletzt werden oder gar um ihr Leben fürchten müssen. Wir müssen Gesicht und Zivilcourage zeigen, um der Tragfähigkeit unserer Demokratie und um der Humanität in unserer Gesellschaft willen.
Wir müssen dies auch um des Vertrauens und der Erwartung gerade derer willen tun, die diese Gesellschaft entschlossen mittragen, und zwar, obwohl sie selbst oder ihre Verwandten unter der nationalsozialistischen Diktatur verfolgt, vertrieben oder ermordet wurden.
Ich teile die Hoffnung, die Charlotte Knobloch bei der Einweihung der neuen Hauptsynagoge in München so in Worte fasste ‑ich zitiere‑ :
Von heute an wird der 9. November nicht nur ein Symbol der Vergangenheit sein, sondern hoffnungsvoller Ausdruck des friedlichen Miteinanders für die Zukunft.
Meine Damen und Herren, ich darf hinzufügen: Aus dieser Hoffnung muss Wirklichkeit werden. Gelingen kann das mit aktiver Toleranz. Ein international engagiertes Unternehmen wie BMW kennt den Wert aktiver Toleranz. Deshalb bin ich mir sicher, dass BMW daran auch mit dem neuen Vorstandsvorsitzenden Norbert Reithofer anknüpfen wird, der heute Abend wohl ebenfalls unter den Gästen ist.
Sie, lieber Herr Panke, haben in 24 Jahren bei BMW immer mit dem Blick auf das Morgen gearbeitet. Sie haben mit Freude und Leidenschaft ein großes Traditionsunternehmen mit einer vorbildhaften Unternehmenskultur geführt. Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zur Auszeichnung mit dem "Preis für Verständigung und Toleranz" des Jüdischen Museums, und ich bin sicher, dass die Firmengruppe die Botschaft dieses Preises auch in die Zukunft mit großem Engagement weiter tragen wird. Herzlichen Glückwunsch!