Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 18.11.2006
Untertitel: In seinem Grußwort zur Berliner Konferenz"Europa eine Seele geben" stellte Staatsminister Bernd Neumann die kulturpolitischen Schwerpunkte während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft vor.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/11/2006-11-18-rede-neumann-europa-seele,layoutVariant=Druckansicht.html
Die Rede im Wortlaut:
Im Jahr 1554 stellte der niederländische Mathematiker und Kartograph Gerhard Mercator die erste annähernd korrekte Europakarte her. Mit ihr vermittelte er den Europäern ein geographisches Bild von ihrem Kontinent und seinen Grenzen. Dass der Kontinent Europa aber eine kulturelle Einheit ist, wussten die Europäer schon lange zuvor.
Heute hat man manchmal den Eindruck, dass es den Bürgern der Europäischen Union genau umgekehrt geht. Sie kennen die Landkarte und die Grenzen. Aber es ist ihnen nicht wirklich bewusst, was Europa eigentlich ausmacht. Deshalb begrüße ich es sehr, dass Sie sich hier in Berlin mit Ihrer Konferenz nun schon zum zweiten Mal für die kulturelle Seele Europas einsetzen.
Ich möchte Volker Hassemer und Nele Hertling aufrichtig dafür danken, dass sie die Initiative dazu ergriffen haben. Und weil die Bundesregierung diese Konferenz für ein wichtiges Plädoyer zugunsten der europäischen Kultur hält, unterstützt und fördert sie diese Veranstaltung bewusst.
Es ist eine große Herausforderung, den Menschen eine positive Vorstellung von Europa zu vermitteln.
Ich bin überzeugt, dass im Zentrum solcher Bemühungen immer die Kultur stehen muss. Denn Europa ist immer eine kulturelle Einheit gewesen. Diese Einheit besteht paradoxerweise gerade in der Vielfalt der Kulturen. Und ich gehe noch weiter: Das Spannungsverhältnis von Einheit und Vielfalt hat Europa überhaupt erst zu einem Hort der Freiheit gemacht. Blaise Pascal hat diesen Zusammenhang einmal ganz klar benannt: "Vielfalt, die sich nicht zur Einheit ordnet, ist Verwirrung. Einheit, die sich nicht zur Vielfalt gliedert, ist Tyrannei."
Das häufig kritisierte technokratische Europa schreckt viele Menschen ab. Die Europäische Union wird nur dann Bestand haben, wenn wir sie auch und vor allem als Kultur- und Wertegemeinschaft verstehen. Das müssen wir in Zukunft deutlicher aussprechen.
Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 gibt uns als Kulturpolitikern und Kulturschaffenden in Deutschland die Gelegenheit, unser Land in Brüssel als große europäische Kulturnation zu präsentieren. Mit vielen kulturellen Rahmenveranstaltungen zur deutschen Präsidentschaft werden wir diese Gelegenheit nutzen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang vor allem auf zwei große Ausstellungen in Brüssel hinweisen: die Ausstellung "Blicke auf Europa", die die Wahrnehmung Europas in der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts zum Thema hat und
von der Bundeskanzlerin am 7. März 2007 eröffnet wird, und die Ausstellung "Visite", in der die Bundeskunstsammlung Teile ihres Bestandes zeigen wird.
Die Ratspräsidentschaft gibt aber auch die Möglichkeit, die Kulturpolitik als Anwältin aller Kulturen Europas zu stärken und zu profilieren. Sie können sicher sein - die Bundesregierung wird dies mit Nachdruck tun! Auf der ersten Berliner Konferenz ist vor zwei Jahren von Deutschland, Frankreich und Polen das Projekt einer Europäischen Kulturcharta vorgeschlagen worden. Und ich sage Ihnen ganz deutlich: Ja, auch ich bin dafür, das auf den Weg zu bringen! Wenn wir Europa wirklich für die Menschen greifbarer machen wollen, müssen wir den Zugang zu unserem gemeinsamen kulturellen Erbe erleichtern. Das ist das Motiv, aus dem heraus ich nachdrücklich das Projekt einer Europäischen Digitalen Bibliothek unterstütze.
Während der deutschen Ratspräsidentschaft wird einer meiner Schwerpunkte als Vorsitzender des Ministerrates für Kultur und Medien sein, die europäische Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen" wesentlich voranzubringen. Auch dies ist letztlich ein kulturelles Anliegen, denn es geht immer darum, Vielfalt zu stärken und die Pluralität der Meinungen zu erhalten.
Die Fernsehrichtlinie ist das Kernstück der europäischen Rechtsvorschriften im audiovisuellen Bereich. Sie schafft die Voraussetzungen für den freien Dienstleistungsverkehr von Fernsehdiensten innerhalb der Europäischen Union und fördert dadurch die Entwicklung eines europäischen Medienmarktes. Die Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen" stammt aus dem Jahr 1989. Sie wurde zwar 1997 novelliert, aber nicht entscheidend verändert.
Neue Übertragungstechniken für audiovisuelle Mediendienste und dadurch veränderte wirtschaftliche Bedingungen haben es notwendig gemacht, die Richtlinie weiter anzupassen.
Sie wissen vielleicht, dass die Bundesregierung an der von der Kommission favorisierten Neufassung der Fernsehrichtlinie vor allem auszusetzen hatte, dass darin die sogenannte bezahlte Produktplatzierung zugelassen werden sollte.
Die Trennung von Werbung und inhaltlichem Programm ist in Deutschland ein journalistischer Grundsatz, aber auch im wahrsten Sinne des Wortes kultureller Grundsatz. Unsere Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt, wir haben zumindest einen Teilerfolg erreicht. Mit den europäischen Ministerkollegen haben wir uns mehrheitlich auf einen Kompromiss geeinigt, den die finnische Ratspräsidentschaft vorgelegt hat. Die Produktplatzierung soll
grundsätzlich verboten sein, aber jeder Mitgliedsstaat darf sie nur unter bestimmten Auflagen und engen Grenzen im nationalen Recht zulassen.
Das ist eine wesentliche Richtungsänderung gegenüber dem, was die EU-Kommission ursprünglich geplant hatte. Und wenn die Bundesregierung und die Bundesländer nicht so entschlossen an ihrem Standpunkt festgehalten hätten, dann wäre es nicht dazu gekommen.
Aber als "Anwalt der Kultur", als der ich mich verstehe, muss ich besonders auch die kulturelle Dimension der Medien im Blick haben. Und deshalb sehe ich die europäische Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen" auch unter dem Aspekt der Kulturpolitik.
Die EU-Fernsehrichtlinie wird dazu beitragen, dass die Vielfalt der Kulturen und Meinungen in Europa auch in den Fernsehprogrammen ausreichend berücksichtigt wird.
Es ist mir ein Anliegen, über dieses Thema mit meinen europäischen Kollegen zu sprechen, die ich zu einem informellen Ministerrat am 12. / 13. Februar anlässlich der Berlinale eingeladen habe.
Kultur hat nicht nur eine ideelle, geistige Dimension, sondern auch in hohem Maße eine wirtschaftliche.
Kultur und Wirtschaft schließen sich nicht aus - im Gegenteil. Es wird oft übersehen, dass die Kulturwirtschaft und die Kreativindustrien die Wirtschaftszweige sind, die in Europa die größten Zuwachsraten haben. Unter bestimmten Bedingungen können sie sich sogar als "Job-Motor" erweisen.
Deshalb war es ein Fehler, dass man bei Formulierung der Lissabon-Strategie das kulturell-kreative Potential Europas wenig oder gar nicht berücksichtigt hat. Gerade mit Blick auf unser Ziel, Europa als eine der wettbewerbsfähigsten Regionen der Welt zu erhalten, dürfen wir den Zusammenhang von Kultur und Wirtschaft nicht vergessen.
Was wäre z. B. Berlin ohne die Kultur und die nur durch sie verursachten Tourismusströme.
Vor allem das Gebiet des Kulturtourismus ist in Europa noch weiter zu erschließen. Unsere fabelhaften Kunstschätze und Kulturstätten haben doch eine magnetische Wirkung auf Touristen aus aller Welt. Dies gilt es weiter auszubauen. Es ist höchste Zeit mit einem lang gepflegten Vorurteil Schluss zu machen, nämlich mit der Auffassung, dass Kultur immer nur Geld kostet. Tatsächlich bringt Kultur auch Geld ein und schafft Arbeitsplätze.
Wenn wir das stärker hervorheben, schwächen wir nicht den Eigenwert der Kultur. Wir unterstreichen ihn vielmehr und benennen zudem ein weiteres wichtiges Argument für den Grundsatz, dass Kulturförderung keine Subvention, sondern eine Investition in die Zukunft ist.
Deshalb möchte ich das Thema Kulturwirtschaft neben der Fernsehrichtlinie zum zweiten Schwerpunkt meiner Arbeit während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft machen und es auf die Tagesordnung des informellen Ministertreffens am 12. / 13. Februar in Berlin setzen.
Die Bundesregierung will während ihrer Ratspräsidentschaft im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles dafür tun, dass Europa auf dem Weg der Einigung energisch voranschreiten kann. Die Kultur ist dabei ein Schlüssel und sollte deswegen stärker als bisher im Zentrum unser aller Bemühungen stehen. Diese Berliner Konferenz für Europäische Kulturpolitik trägt maßgeblich dazu bei, dass Europa eine Seele bekommt.