Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 04.12.2006
Untertitel: Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat in seiner Rededie stillen Helden gewürdigt, denendas kleine Museum am Hackeschen Markt in Berlin gewidmet ist.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/12/2006-12-04-blindenwerkstatt-otto-weidt,layoutVariant=Druckansicht.html
Hans Ackermann war ein ganz normaler Berliner Rentner. Er hatte sich in seinem Leben weder durch besonderen Mut hervorgetan, noch hatte er sich etwas zuschulden kommen lassen. Er führte das ruhige, eher gleichförmige Leben eines pensionierten Kommunalbeamten. Trotzdem zögerte er im Jahre 1942 nicht, der ihm vollkommen unbekannten Johanna Putzrath Unterschlupf in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung in Tempelhof zu gewähren. Er rettete die Jüdin damit vor der Deportation ins Vernichtungslager. Diese Geschichte mag unspektakulär klingen, aber sie ist es nicht.
Denn indem Ackermann Johanna Putzrath und später auch dem Ehepaar Krakauer half, setzte der gläubige Protestant seine eigene Existenz auf Spiel. Nichts zwang ihn zu helfen, nur sein Gewissen und das Gebot der Menschlichkeit.
Hans Ackermann ist einer der "Stillen Helden", denen eine Ausstellung gewidmet ist, von der heute schon die Rede war und die wir im Jahr 2008 eröffnen wollen. Zu diesen stillen Helden gehört auch der Mann, den wir mit der heutigen Veranstaltung ehren Otto Weidt.
Die neue Dauerausstellung des Museums Blindenwerkstatt Otto Weidt erinnert an einen Menschen, der jahrelang versuchte, seine zumeist blinden oder gehörlosen jüdischen Mitarbeiter vor der Deportation in die Todeslager zu bewahren. Selbst fast blind, verschaffte er ihnen mit der Hilfe von Gleichgesinnten falsche Ausweise für das Leben im Untergrund und unterstützte sie mit Lebensmitteln. Die Familie Horn versteckte er in seiner eigenen Werkstatt. Für die Familie Licht mietete er ein Versteck in der Neanderstraße. Der jungen Alice Licht verhalf er zur Flucht aus dem Konzentrationslager in Christianstadt. Von der Rosenthaler Straße aus schickte er rund einhundert Lebensmittelpakete in das Ghetto Theresienstadt.
Man hat ihn einen "kleinen Schindler" genannt. Das war er tatsächlich, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass wir das Wort "klein" nicht auf seine Taten beziehen. Denn Otto Weidt war ein großer Mann.
Deshalb genügt es nicht, sein Handeln mit ein paar knappen Worten zu beschreiben. Er verdient mehr, eine Ausstellung, die seinen Mut dokumentiert. Doch das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt hält nicht einfach nur eine historische Ausstellung für uns bereit, die man vielleicht auch an einem anderen Ort zeigen könnte. Nein, dieses Museum ist mehr als das. Es ist ein authentischer Ort. Wenn wir es betreten und uns in den Räumen der ehemaligen Bürstenwerkstatt umsehen, dann wandeln wir an einem Schauplatz der Geschichte auf den Spuren von Otto Weidt.
Meist sind es ja eher die großen Museen, die im Licht der Öffentlichkeit stehen. Aber ich kann mir kaum einen Ort vorstellen, der mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, als das kleine Museum beim Hackeschen Markt.
Erinnerung kann sich nicht im luftleeren Raum vollziehen, sie braucht Orte der Anschauung und der Besinnung. Nur wenn wir die authentischen Orte der Vergangenheit erhalten, können wir sicher stellen, dass es auch zukünftigen Generationen noch möglich ist, sich ein Bild zu machen von der Vergangenheit.
Auf dieser Prämisse beruht auch die Gedenkstättenkonzeption des Bundes, die dem authentischen Ort Vorrang vor dem nachträglich eingerichteten Museum gibt. Otto Weidts Blindenwerkstatt ist zwar nicht Teil dieses Konzepts. Aber auch sie ist ein authentischer Ort, ein Schauplatz der Geschichte. Er soll um die Ausstellung "Stille Helden" ergänzt werden, die anderen mutigen Frauen und Männern in ganz Deutschland gewidmet ist, die Verfolgten des Hitler-Regimes geholfen haben. Otto Weidt und die anderen "Stillen Helden" sind Vorbilder, die im Gedächtnis unserer Gesellschaft einen Ehrenplatz verdient haben.
Auch deshalb war es der Bundesregierung ein Anliegen beide Projekte maßgeblich zu fördern. Aus dem Etat des BKM wurden allein in die Sanierung und Einrichtung des Museums Blindenwerkstatt Otto Weidt fast 600.000 Euro investiert. Und für die Ausstellung "Stille Helden" wird die Bundesregierung bis zur Eröffnung im Jahr 2008 insgesamt fast eine Million Euro aufwenden.
Wir fördern beide Projekte, weil der Bund eine besondere Verantwortung für die historische Erinnerung in Deutschland hat. Ganz besonders gilt das für die Erinnerung an die Zeit der nationalsozialistischen Tyrannei.
Insgesamt sind in meinem Haushalt des Jahres 2006 fast 73 Millionen Euro für die Pflege des Geschichtsbewusstseins vorgesehen. Denn die Geschichte ist Teil unserer nationalen Identität. Nur wer weiß, wo er herkommt, kann Gegenwart und Zukunft verantwortungsbewusst gestalten. Wenn wir in das historische Erinnern investieren, investieren wir in die Zukunft unseres Landes.
Aber natürlich kann man Ausstellungen und Museen nicht allein mit Geld betreiben. Es bedarf außerdem vieler engagierter Menschen, die ein festes Ziel vor Augen haben. Stellvertretend für viele möchte ich heute einigen wenigen den Dank der Bundesregierung aussprechen.
So danke ich Herrn Professor Steinbach und Herrn Dr. Tuchel sowie Ihren Mitarbeitern von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand dafür, dass sie das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt unter ihre Fittiche genommen haben, und dass sie die neue Konzeption der Dauerausstellung erarbeitet haben. Vor allem aber möchte ich der Frau danken, ohne die es das ganze Museum heute nicht gäbe.
Sehr verehrte Frau Deutschkron,
Herr Schmitz hat ihre Leistungen und Ihren Einsatz für dieses Museum heute schon eingehend gewürdigt. Sie haben geholfen, die "stillen Helden" vor dem Vergessen zu bewahren. Haben Sie ganz herzlichen Dank dafür.
Sie wissen, welch große Bedeutung die Erinnerung an Menschen wie Otto Weidt hat. Wir alle können im Museum Blindenwerkstatt und in absehbarer Zeit auch in der Ausstellung "Stille Helden" erfahren, was es heißt, für etwas einzustehen. Während die meisten Deutschen wegsahen, als ihre jüdischen Nachbarn deportiert wurden, war Otto Weidt bereit, den Verfolgten unter hohem persönlichen Risiko zu helfen. Wir lernen daraus, dass es auch scheinbar machtlosen Menschen möglich war, einem menschenverachtendem Regime Widerstand zu leisten. In Berlin konnten etwa 1700 Juden im Untergrund überleben, in ganz Deutschland mehr als 3000. Das ist verschwindend wenig angesichts der etwa 160.000 bis 165.000 ermordeten deutschen Juden oder gar gemessen an den sechs Millionen Holocaust-Opfern in ganz Europa. Aber das Beispiel Otto Weidts und anderer zeigt uns, dass es durchaus möglich war, etwas zu tun. Es zeigt, dass es Menschen gab, die mutig genug waren, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um andere zu retten. Für mich sind diese Helden Vorbilder, die wir dem Schatten der Geschichte entreißen, die wir würdigen und ehren sollten.
Ich wünsche der neuen Dauerausstellung deshalb, dass sie möglichst großes Interesse in der Öffentlichkeit findet und viele Besucher anzieht. Und ich hoffe, dass sich gerade junge Menschen Otto Weidt zum Beispiel nehmen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.