Redner(in): Angela Merkel
Datum: 22.01.2007

Untertitel: am 22. Januar 2007 in Frankfurt/Main
Anrede: Sehr geehrter, lieber Herr Viermetz, Herr Francioni, Herr Ministerpräsident, lieber Roland Koch und sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/01/2007-01-22-rede-bkin-boerse,layoutVariant=Druckansicht.html


ich bedanke mich für die Einladung. Ich bin gerne heute hierher gekommen. Der Hessische Wirtschaftsminister, seines Zeichens die Börsenaufsicht, hat mich schon darauf hingewiesen, dass ich hier nicht sozusagen im gemütlichen Teil der Börse bin, wie man sich das so vorstellt, wenn man von der Börse keine Ahnung hat, sondern im Wertschöpfungsteil. Ich wünsche natürlich diesem Gebiet Frankfurts alles Gute, wie ich überhaupt der Stadt Frankfurt als Finanzplatz für Deutschland alle guten Wünsche zum Jahresbeginn geben möchte, die Deutsche Börse natürlich inklusive.

Hightech-Ästhetik, große Veränderungen die Deutsche Börse hat sich in den letzten 15 Jahren wie vieles andere auch dramatisch verändert. Kaum erinnert man sich noch daran, dass bis in die 90er Jahre hinein das Börsenwesen rein öffentlich-rechtlich organisiert war. Heute ist die Deutsche Börse ein global tätiges und im Übrigen höchst erfolgreich tätiges Unternehmen. Aber ich glaube, man darf auch sagen, dass die Deutsche Börse kein Unternehmen wie jedes andere ist. Deshalb schauen wir von der Politik auch immer ein bisschen auf Sie. Denn wir wollen natürlich, dass Sie sich auf dem international hart umkämpften Markt behaupten und, so unser Wunsch, dass Sie auch Aufgaben übernehmen, die durchaus im öffentlich-rechtlichen Interesse liegen.

Wir sind uns, glaube ich, in diesem Raum einig: Ohne effiziente Kapitalmärkte sind moderne Volkswirtschaften überhaupt nicht mehr denkbar. Deshalb ist es auch richtig, wenn sich die Europäische Union das gilt natürlich auch für die Mitgliedstaaten ehrgeizige Ziele setzt, damit wir im Wettbewerb mithalten können. Da gibt es die Lissabon-Strategie in der Europäischen Union mit einem sehr ehrgeizigen Ziel, nämlich bis zum Jahr 2010 wachstumsstärkster wissensbasierter Wirtschaftsraum weltweit zu werden. Alle von Ihnen, die die Grenzen Deutschlands manchmal überschreiten, wissen, dass wir bis 2010 als Europäische Union dieses Ziel nicht schaffen können. Aber ich glaube, dieser Anspruch ist durchaus richtig. Ich sage dies als Bundeskanzlerin. Und ich sage das auch als Bundeskanzlerin, die jetzt für Deutschland die Ratspräsidentschaft in der EU übernommen hat.

Überlegen Sie sich einmal: 1900 hatte die Europäische Union ungefähr 26 % der Weltbevölkerung, heute sind es noch zwischen 12 und 14. Am Ende unseres 21. Jahrhunderts werden es 4 oder 5 % sein. Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, wenn wir darauf Einfluss nehmen wollen, auch Standards zu setzen, Maßstäbe zu setzen, dann ist es dringend notwendig, dass wir Wachstum haben, dass wir uns dynamisch entwickeln. Das ist ohne eine dynamische Entwicklung der Kapitalmärkte nicht möglich. Dafür steht geradezu symbolisch auch die Deutsche Börse.

Deshalb haben wir ein großes Interesse daran, dass Innovation gefördert wird, dass wir neue Technologien schaffen. Unser Bundespräsident hat gesagt: "Wir müssen so viel besser sein, wie wir teurer sind." Deshalb hängt die Zukunft Europas nach meiner festen Überzeugung von der Innovation und von der Finanzierung von Innovation ab, also von kluger Lenkung des Kapitals, das einzusetzen möglich ist. Das heißt: Wie wird finanziert? Was wird finanziert? Dabei müssen wir, glaube ich, was die Rahmenbedingungen anbelangt und was die privaten Aktivitäten anbelangt, an einem Strang ziehen, um Wohlstand und Prosperität zu erhalten.

Handelsplätze sind heute das ist die Folge der Entwicklung des Internets, der Datenverarbeitung nicht mehr an einen bestimmten Ort gebunden. Elektronische Handelssysteme sind heute der Ort, der nicht sichtbare Ort, an dem das meiste stattfindet. Anlässlich dieses Jahresempfangs will ich noch einmal daran erinnern, dass beim Einsatz dieser modernen Handelssysteme die Deutsche Börse mit "XETRA" und mit der Terminbörse "Eurex" außerordentlich erfolgreich war und ist und wirklich Meilensteine gesetzt hat. Dass auch weltweit immer mehr Börsen die Nutzung des elektronischen Handels vorantreiben, hat etwas mit dem Vorbildcharakter der Deutschen Börse zu tun. Darauf dürfen Sie, aber darauf dürfen wir alle auch ein Stück stolz sein.

Deshalb glaube ich, dass neben der Tatsache, dass die Deutsche Börse auch umfassender Dienstleister geworden ist, natürlich, so wie Herr Viermetz es eben gesagt hat, die Tatsache, dass es nicht gelungen ist, die Fusion durchzusetzen, sicherlich etwas ist, was man nicht beschönigen sollte. Aber ich möchte nun auch sagen: Es ist, wie es ist. Jetzt heißt es, nach vorne zu schauen. Nach meiner festen Auffassung hat die Deutsche Börse das Potenzial, aus dem, was sie kann, etwas zu machen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.

Ich hätte es gerne als eine große europäische Einheit gesehen, in die die Deutsche Börse hineingeht wie ich überhaupt finde, dass wir in Europa eine Gesamtdiskussion über europäische Champions brauchen. Wir haben einen europäischen Binnenmarkt, wir haben die Freizügigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wir haben eine Dienstleistungsfreiheit. Wenn es aber darum geht, in einem europäischen Wirtschaftsraum auch einmal europäisch zu denken, dann tun wir uns immer noch schwer. Ich finde, Deutschland sollte dort ein Vorreiter sein, allerdings nicht um den Preis, dass wir dann immer Standorte verlieren und die Standorte woanders entstehen. Das ist keine karitative Sache, sondern das ist ein Anspruch, der sich nach wirtschaftlicher Stärke ausrichten muss.

Meine Damen und Herren, im letzten Jahr hat sich die Zahl der Börsengänge wieder verbessert. Das ist ein Indikator dafür, dass sich die wirtschaftliche Lage aufgehellt hat. Wir wissen um die Wechselwirkung von privaten Anstrengungen und politischen Rahmenbedingungen. Deshalb weiß die Politik auch sowohl, was die Bundesregierung anbelangt, aber auch, was die Europäische Kommission anbelangt um ihre Verantwortung. Wir wollen natürlich die im Augenblick bestehende Aufbruchstimmung auch ein Stück weit verstärken.

Ich plädiere dafür, dass wir dennoch nicht zu euphorisch sind. Das Schlimmste, was wir in der Politik in den vergangenen Jahren erlebt haben, war, dass die Prognosen dauernd besser waren als die Realitäten. Ich war sehr erleichtert, dass im letzten Jahr der Fall eingetreten ist jetzt möchte ich mich gar nicht über die Akkuratesse von Prognosen auslassen, dass die Realitäten besser waren als die Prognosen. Ich kann uns nur alle ermutigen, diesen Weg weiterzugehen nicht, indem wir tiefstapeln, aber indem wir realistisch an die Dinge herangehen und unsere Anstrengungen eher verstärken.

Dass wir mit 2,5 % Wachstum im letzten Jahr das höchste Wachstum seit sechs Jahren hatten, das ist erfreulich. Dass wir den Stabilitäts- und Wachstumspakt in Deutschland endlich wieder eingehalten haben, war dringend erforderlich, denn Deutschland war immer das Land, das genau für diesen Stabilitäts- und Wachstumspakt gekämpft hat.

Wenn ich mir die Diskussionen über die politische Einflussnahme auf die Europäische Zentralbank anschaue, dann habe ich große Sorgen. Deshalb will ich an dieser Stelle noch einmal wiederholen, was ich heute beim Besuch der Europäischen Zentralbank gesagt habe: Die Akzeptanz des Euros bei der Bevölkerung, nicht nur in Deutschland, sondern in allen europäischen Ländern, hängt nach meiner festen Überzeugung davon ab, dass wir die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank garantieren.

Vielleicht brauchen wir auch wieder eine breitere Diskussion darüber, dass die Fixierung, dass die Europäische Zentralbank die Verantwortung für die Stabilität der Währung hat, nicht irgendetwas Kaltes, Finanztechnisches, im Zweifelsfalle Neoliberales ist, sondern dass die Stabilität einer Währung die Grundlage für Wachstum ist und Wachstum die Grundlage für mehr Beschäftigung und vernünftige Beschäftigung ist. Dieser Zusammenhang scheint auseinanderzugeraten. Niemals darf politische Einflussnahme auf den Euro eine Entschuldigung für nicht gemachte politische Reformen sein. Das muss unsere feste gemeinsame Überzeugung sein.

Meine Damen und Herren, die Finanzmärkte haben sich dramatisch verändert. Schon in den 90er Jahren sind sie durch verschiedene Gesetze, Finanzmarktförderungsgesetze, reformiert worden. Wir müssen immer wieder auf neue Entwicklungen eingehen. Die Investmentfonds wurden Anfang 2004 mit einem neuen Investmentgesetz geregelt. Ich glaube, damit haben sich auch die Bedingungen für die Branche verbessert. Aber wir werden jetzt auch eine Reform dieses Investmentgesetzes in Angriff nehmen, weil wir in den letzten drei Jahren mit diesem Gesetz Erfahrungen sammeln konnten und glauben, dass da einiges verändert werden muss, insbesondere auch, was den Abbau bürokratischer Hemmnisse anbelangt.

Wir brauchen als Reform natürlich die Einführung von börsengehandelten Immobilienaktiengesellschaften, der so genannten REITs. Die Bundesregierung hat dazu etwas auf den Weg gebracht. Ich will nicht verhehlen, dass ich mir gewünscht hätte, auch die Einbeziehung von bereits bestehenden Wohnimmobilien in die REIT-Strukturen zu ermöglichen. Das haben wir nicht schaffen können. Wir sind vor der Frage gestanden, das Instrument gar nicht gesetzlich zu regeln oder jetzt mit einer von mir noch als unvollkommen betrachteten Regelung auszukommen. Ich plädiere dafür, dass wir das Instrument erst einmal einführen und dann die politische Diskussion, die zum Teil mit großen Ängsten verbunden ist, einfach weiterführen. Es darf uns eben nur nicht wieder das passieren, was in Deutschland schon so oft passiert ist: Während wir noch diskutiert haben, haben andere ihre Geschäfte damit gemacht. Das ist das, wobei ich Sie um Mithilfe bitte, aber eben auch um einfühlsame Mithilfe, denn Angst und Logik sind manchmal nicht unbedingt sofort miteinander kompatibel.

Private Equity hat an Bedeutung gewonnen das ist eine Binsenweisheit. Deshalb werden wir in diesem Jahr parallel zur Unternehmensteuerreform und parallel zur Erbschaftsteuerreform ein Unternehmensbeteiligungsgesetz ausarbeiten und damit die Möglichkeiten für Private Equity verbessern. Lassen Sie mich an dieser Stelle in Anwesenheit des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch sagen: Dass wir mit der Unternehmensteuerreform so weit gekommen sind, das ist das Verdienst vieler, aber ganz besonders auch sein Verdienst, auch das Verdienst des Bundesfinanzministers. Wir werden alle Kraft darauf lenken, diese Unternehmensteuerreform jetzt auch wirklich durchzusetzen. Ich bitte Sie dabei um Unterstützung.

Herr Viermetz, zur Abgeltungssteuer und den von Ihnen mit leichtem Stirnrunzeln genannten Prozentsätzen: Ich nehme Sie einmal mit zu einer Diskussion, bei der es um die Abgeltungssteuer an sich geht. Deshalb empfehle ich Ihnen: Nehmen Sie, was Sie an dieser Stelle bekommen. Es ist ein Teil innovativen Denkens, dass Kapital in einer bestimmten Art und Weise besteuert werden muss. Wer sich mit der Tradition der Progression in Deutschland auskennt, wie tief sie innerlich verwurzelt ist, dem kann ich nur sagen: Wenn wir jetzt die historische Möglichkeit haben, eine solche Abgeltungssteuer einzuführen, lassen Sie uns das machen. Wir haben viel darüber geredet. Wir kennen auch die Unvollkommenheiten, aber es ist nach meiner festen Überzeugung allemal besser, dies jetzt durchzusetzen.

Ich sehe schon: Die Begeisterung hält sich in Grenzen. Sie müssen einfach häufiger mit uns zu politischen Diskussionen kommen. Das Wesen der Demokratie ist ja: Wir müssen für alles eine Mehrheit bekommen. Dafür sind hier viele im Raum, darüber freue ich mich auch, aber es ist halt noch nicht so, dass die Wahlberechtigten hier völlig repräsentativ vertreten sind.

Was ich jetzt vielleicht etwas spaßig gesagt habe, das meine ich im Übrigen sehr ernst. Wenn Sie einmal 15 Jahre zurückblicken und schauen, was allein Sie an Innovationen, an Veränderungen zu verkraften hatten, dann muss man sich einmal überlegen, was für ein Veränderungsdruck auch auf der gesamten Bevölkerung liegt allein im Verständnis der Funktionsprinzipien von modernen Volkswirtschaften. Dann muss man sich an das Urvertrauen erinnern, das die Soziale Marktwirtschaft mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland mit sich gebracht hat. Es sind Menschen, die erlebt haben, dass Ludwig Erhard mit seinem Bekenntnis zur Freiheit der Märkte in ganz kurzer Zeit im Wesentlichen wirklich Wohlstand für alle durchsetzen konnte. Das hat das Vertrauen geschaffen, nicht die theoretischen Betrachtungen über die katholische Soziallehre und die evangelische Sozialethik bei aller Liebe zur Theorie.

Wenn es uns nicht gelingt, heute letztendlich wieder den Beweis zu erbringen, dass auch im globalen Rahmen freiheitliche Mechanismen den Wohlstand der eigenen Bevölkerung fördern, dann stehen wir vor einer ziemlich komplizierten politischen Aufgabe. Deshalb ist es ganz wichtig, neben der Durchsetzung des Fortschritts einfach auch sehr viel Aufklärungsarbeit zu leisten.

Das gilt im Übrigen auch für das Thema Alterssicherungssysteme. Ich glaube, dass wir hier vor einem Bereich stehen, in dem natürlich auch die Anlage in kapitalgedeckten Systemen noch längst nicht ausgeschöpft ist. Man kann sich freuen, dass jetzt das Riester-System doch mehr Akzeptanz findet. Die Bundesregierung hat mit der "Rente mit 67" einen zukunftsweisenden Schritt gemacht, aber letztlich brauchen wir eine Weiterentwicklung der Aktienkultur in unserem Land. Ich halte das für eines der ganz großen Probleme, vor denen wir stehen.

Wenn man sich einmal anschaut, dass die Zahl der Aktionäre in Deutschland im vergangenen Jahr trotz guter Kursentwicklung um 500.000 auf nur 4, 2Millionen Menschen zurückgegangen ist, dann stehen wir hier noch vor einer großen Aufgabe. Da glaube ich, dass neben der Alterssicherung auch die schon angesprochenen Investivlöhne eine Möglichkeit sind. Ich glaube nicht, dass man hier alles an den eigenen Betrieb binden muss. Aber vielleicht kann man ja erst einmal mit dem eigenen Betrieb ein Stück anfangen, weil das eine Welt ist, die der einzelne Arbeitnehmer überblickt. Wenn ich sofort in einen anonymen Fonds übergehe, dann ist das wieder mit Ängsten verbunden. Ich bin nun wirklich nicht dafür, bei den Investivlöhnen alles auf den eigenen Betrieb zu fokussieren, aber ich denke sehr viel darüber nach, wie man die Lust auf Kapitalbildung in weiten Teilen der deutschen Arbeitnehmerschaft und der Bevölkerung verbessern kann.

Deshalb meine Bitte an Sie: Wenn wir jetzt ernsthaft darüber nachdenken, lassen Sie uns nicht als Erstes wieder über die vielen Risiken sprechen, sondern lassen Sie uns einfach mal auch ein Stück weit etwas machen. 4,2 Millionen Aktionäre sind zu wenig; darüber sind wir uns, glaube ich, einig. Wir müssen die verschiedenen Möglichkeiten ausprobieren, hier voranzukommen, und das wird die Bundesregierung tun.

Wir haben in diesem Halbjahr als EU-Ratspräsidentschaft und im ganzen Jahr 2007 als G8 -Präsidentschaft auch die Möglichkeit, zu einer vernünftigen Entwicklung der Kapitalmärkte Beiträge zu leisten. Wir haben uns im Rahmen der G8 das Ziel gesetzt, die Transparenz bei neuen Kapitalmarktinstrumenten und auch Hedgefonds zu verbessern. Sie wissen, G8 ist der Zusammenschluss der Gruppe der führenden acht Industrieländer im Wesentlichen der sieben, wenn man sich die Finanzmärkte ansieht. Ich will jetzt keine staatliche Regulierungsorgie inszenieren. Ich glaube nur, dass wir über die Frage der Transparenz nachdenken müssen und dass wir dies auf Seiten der privaten Akteure auf den Kapitalmärkten gemeinsam mit Wissenschaftlern und unter Beteiligung der Politik, aber mehr im zuhörenden und auch beratenden Sinne, machen sollten.

Aber glauben Sie mir eines: Wir müssen über die Wirkungsweise der Kapitalmärkte mehr Aufklärung in die Bevölkerung bringen, damit wir die Tendenzen zum Protektionismus, zur Abschottung, die wir in allen führenden Industrieländern haben, im Übrigen auch in den Vereinigten Staaten von Amerika, überwinden und den Glauben und die feste Überzeugung, dass globale Kapitalmärkte richtig sind, stärken. Das ist eine ganz wichtige Aufgabe.

Ich will an dieser Stelle hinzufügen: Internationale Absprachen, so wie wir sie zum Beispiel über Jahre bei BaselII hatten, die zum Schluss dazu führen, dass die Europäer eine schöne Richtlinie haben, die wir auch alle artig umsetzen, und die Amerikaner aber kurz vor Toresschluss sagen, dass sie es sich nun doch anders überlegt haben, werden das Vertrauen in solche Absprachen nicht stärken. Ich sage ganz offen: Von dieser Entwicklung bin ich sehr enttäuscht. Ich werde das auch in Amerika immer wieder sagen. Wenn wir agieren wollen, müssen wir an verschiedenen Stellen auch verlässlich international gemeinsam agieren. Dies war nun wirklich ein Projekt, dem sich alle gemeinsam gewidmet haben. Deshalb ist das schon ein echter Rückschlag.

Meine Damen und Herren, wir haben innerhalb der EU-Präsidentschaft neben dem Thema Energie, auf das ich heute nicht eingehen werde, auf dem Frühjahrsrat, der sich mit der Lissabon-Strategie befasst, auch das Thema "Better Regulation", also bessere Rechtsetzung, auf der Tagesordnung. Mental ist das eigentlich der Beginn einer Umkehr in der Europäischen Union, denn zum ersten Mal gibt es die Erkenntnis, dass 50 Jahre nach den "Römischen Verträgen" neben der Aufhäufung des "acquis communautaire" an manchen Stellen vielleicht auch einmal ein Abbau erfolgen kann. So geht es in Europa ja nicht weiter: Dass nur Richtlinien dazukommen können, dass nie wieder etwas in nationale Zuständigkeit zurückverlagert werden kann, dass nie darüber geredet werden kann. Deshalb unterstützen wir die Bemühungen des Kommissars Verheugen, aber auch die Bemühungen des Kommissionspräsidenten an dieser Stelle sehr stark.

Ich füge hinzu: Wir werden das Thema Diskontinuität auf die Tagesordnung der Europäischen Union setzen, aber wir werden es in einem halben Jahr nicht lösen können. Das Europäische Parlament ist das einzige Parlament und die Kommission auch die einzige Institution mit einem gewissen kompetenzregulierenden Charakter, die davon leben können, dass eine Richtlinie, die einmal das Licht der Welt erblickt hat, nie wieder verschwindet. Da können Legislaturperioden zu Ende gehen, da können Parlamentarier verschwinden, da können Kommissionspräsidenten neu ernannt werden, da kann keiner mehr von der alten Kommission dabei sein die Richtlinie überlebt trotzdem. Das ist ein Zustand, der uns dazu führt, dass manche Richtlinie zehn, zwölf Jahre beraten wird, die Welt sich dramatisch verändert hat, aber das Ding zum Ende geführt werden muss, koste es, was es wolle.

Deshalb stelle ich mir vor, dass das Diskontinuitätsprinzip, wie wir es in jedem nationalen Parlament haben, demnach mit Ende einer Legislaturperiode ein Rechtsetzungsakt verfällt, wenn er nicht abschließend bearbeitet ist, und nur durch eine politische Willensbekundung wieder vom neuen Parlament oder der neuen Kommission auf die Tagesordnung gesetzt wird, auch in Europa durchgesetzt wird.

Ich hoffe, dass wir die Zahlungsdienstrichtlinie ein Stück weit voranbringen können. Ich habe mich an anderen Stellen schon einmal über den Zahlungsverkehr in Europa ausgelassen; das möchte ich heute nicht wiederholen. Da ist auch noch manches zu verbessern.

Zum Schluss, meine Damen und Herren, lassen Sie mich sagen: Wir können nur erfolgreich sein, wenn wir uns gewiss sind, dass Sie in Ihren wirtschaftlichen Aktivitäten unter einem starken Veränderungsdruck stehen und dass die Politik immer wieder mit Augenmaß die Rahmenbedingungen dafür setzen muss, dass sich diese wirtschaftlichen Aktivitäten vernünftig vollziehen können. Vieles davon geht heute nicht mehr national. Vieles davon muss in der Europäischen Union gemacht werden. Der Mehrwert der Europäischen Union muss den Menschen auch immer wieder erklärt werden. Deshalb bin ich sehr dankbar, Herr Viermetz, dass Sie sich auch zum Verfassungsvertrag bekannt haben einem Verfassungsvertrag, der diese Europäische Union handlungsfähig macht, der dafür Sorge trägt, dass Entscheidungen auch vernünftig gefällt werden können, der gleichzeitig wieder mehr Subsidiarität durchsetzt und der sicherlich noch nicht vollkommen ist, aber der sich zum ersten Mal mit der Frage begonnen hat zu beschäftigen ich sage ausdrücklich: begonnen hat zu beschäftigen: Wo liegen die Kompetenzen auf europäischer Ebene, wo liegen die Kompetenzen auf nationaler Ebene und wie können wir sicherstellen, dass das Ganze nicht immer zentralistischer wird, sondern sich Europa um das kümmert, was europäisch besser zu lösen ist?

Dass wir ein solches Europa brauchen, daran kann es keinen Zweifel geben. Dass dieses Europa nicht den Besatz und die Dichte von Sonnenschirmen in deutschen Biergärten zu regeln hat, darüber sind wir uns einig. Aber dass zum Beispiel Kapitalmärkte transnationaler Regelungen bedürfen, wenn sie frei funktionieren sollen, darüber sind wir uns, glaube ich, auch einig.

Es gibt viele Dinge, die global funktionieren. Deshalb, Herr Francioni, Herr Viermetz, meine Damen und Herren, bitte ich Sie: Lassen Sie uns die Chancen der Globalisierung nutzen für Deutschland, für Europa, für die Menschen weltweit. Lassen Sie uns nicht protektionistisch agieren. Lassen Sie uns dagegen die Dinge transparent gestalten und den Bürgerinnen und Bürgern auch verständlich machen, weil Globalisierung nun wirklich bedeutet, dass die Welt zusammenwächst, dass ich das, was ganz woanders zu einer ganz anderen Uhrzeit passiert, unmittelbar verstehen muss. Wenn dieses Gesamtverständnis nicht da ist, werden sich Demokratien mit der Akzeptanz der Chancen der Globalisierung schwer tun. Ich weiß, dass Sie diese Chancen nutzen.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Mitarbeitern alles Gute, ich wünsche Ihnen viele zufriedene Kunden, ich wünsche uns eine prosperierende Wirtschaft in Deutschland und ein gutes Miteinander von Politik und Wirtschaft.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.