Redner(in): Angela Merkel
Datum: 18.01.2007
Untertitel: am 18. Januar 2007 in Berlin
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/01/2007-01-18-bkin-gruene-woche,layoutVariant=Druckansicht.html
Sehr geehrter Herr Kommissionspräsident, lieber José Manuel Barroso, sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister Wowereit, sehr geehrter Herr Präsident Sonnleitner, sehr geehrter Herr Kollege Seehofer, sehr geehrte Minister, liebe Gäste, meine sehr verehrten Damen und Herren, vor allem liebe Bäuerinnen und Bauern, ich freue mich, dass ich nach vielen Besuchen wie Herr Präsident Sonnleitner bereits gesagt hat in diesem Jahr die Grüne Woche gemeinsam mit Ihnen eröffnen darf. Die Grüne Woche ist eine ganz besondere Messe oder Ausstellung das wissen alle, die mit der Berliner Messe zu tun haben. Sie ist etwas, was mit Emotionen verbunden ist, etwas, wo sich die Landwirtschaft präsentiert, wo sich die Forstwirtschaft und die Ernährungswirtschaft präsentieren. Sie ist etwas zum Anfassen wenn man auf den Bauernhof geht, kann man sogar etwas riechen und sie ist etwas, woran Kinder und Erwachsene gleichermaßen Freude haben. José Manuel Barroso hat eben aus seiner Kindheit erzählt und über die Bedeutung der ländlichen Räume gesprochen. Ich möchte zu Beginn noch einmal daran erinnern, dass auch in Deutschland rund 50Prozent der Menschen in ländlichen Räumen wohnen und diese ländlichen Räume ihren Charakter nur dann erhalten können, wenn sie eine wirtschaftliche Bedeutung haben. Diese wirtschaftliche Bedeutung ist wiederum die Voraussetzung dafür, dass die kulturelle und die gesamtgesellschaftliche Bedeutung gestärkt wird. Da auch ich auf dem Lande aufgewachsen bin, weiß ich, welche Faszination die Natur ausübt, aber auch, welche Demut sie uns immer wieder abverlangt. Deshalb gehört neben der Produktion und dem wirtschaftlichen Bereich, der Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte und der Ernährungswirtschaft natürlich auch alles, was sich um den Tourismus, was sich um Ferien auf dem Bauernhof rankt, zur Erlebniswelt einer entwickelten Industriegesellschaft, weil gerade jene, die in Städten leben, die Natur kennen lernen wollen und sollen. Meine Damen und Herren! Es ist für uns eine große Ehre, dass heute so viele Gäste aus den europäischen Mitgliedsstaaten anwesend sind, wir als Ratspräsidentschaft sie als Gäste willkommen heißen dürfen und auf dieser internationalen Schau auch ein Stück Europäische Union präsentieren können. Deshalb möchte ich dem Präsidenten der Europäischen Kommission noch einmal ganz herzlich danken: Es ist nicht selbstverständlich, dass Sie hier sind. Ich möchte an dieser Stelle auch die Kommissarin, Frau Fischer Boel, noch einmal ganz herzlich begrüßen. Wir wissen, dass die Kommission bei allen Notwendigkeiten zur Umstrukturierung ein weites Herz für die Landwirtschaft hat. Das Motto dieser Eröffnungsveranstaltung lautet "Europas Regionen fit für die Zukunft". Europa ist vielfältig. Deshalb ist es auch immer wieder wichtig, die unterschiedlichen Bedürfnisse der einzelnen Regionen zu berücksichtigen. Aber es gibt Gemeinsamkeiten. Eine dieser Gemeinsamkeiten ist von Herrn Präsidenten Sonnleitner schon angesprochen worden. Ich möchte ein Dankeschön an die Kommissarin, Frau Fischer Boel, richten und sagen: Wir brauchen Regeln in der Landwirtschaft, müssen aber darauf achten, dass diese Regeln so ausgestaltet sind, dass sie auch für die Bauern praktikabel sind, so dass ihnen die Lust auf die Inanspruchnahme von Fördermitteln nicht vergeht, sondern die Beantragung und die Kontrolle auf vernünftige Art und Weise geregelt sind. Deshalb begrüße ich sehr, dass sich die Kommission dem Prinzip der "better regulations", der besseren Rechtsetzung also auch dem Bürokratieabbau verschrieben hat und das sage ich mit großer Hochachtung die Kommissarin, die für den Bereich der Landwirtschaft verantwortlich ist, nicht die Schotten dicht macht und hofft, dass keiner zu ihr kommt, sondern von selbst an diese Arbeit geht. Ich bitte Sie alle, die Sie in der Landwirtschaft tätig sind: Sperren Sie sich nicht, sondern versuchen Sie, praktikable Lösungen zu finden! Diese können nämlich nur diejenigen finden, die Ahnung von der Landwirtschaft haben. Alles andere endet im Chaos. Das Thema Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung gehört ebenso zu den Zielen unserer Präsidentschaft, wie wir davon überzeugt sind, dass die Europäische Union handlungsfähig sein muss. Wir haben darüber gesprochen, dass inzwischen erfreulicherweise und ich begrüße besonders die Vertreter von Bulgarien und Rumänien 27Mitgliedsstaaten die Europäische Union bilden. Es ist jedoch kein Geheimnis und auch kein Wunder, dass eine Entscheidungsfindung von 27Mitgliedsstaaten anders ablaufen muss, effektiver gemacht werden muss, als dies am Anfang, vor 50 Jahren, mit sechs oder später auch mit 15Mitgliedsstaaten der Fall war. Wir wollen zusammenarbeiten. Wir wollen vor allem effektiv zusammenarbeiten. Denn letztlich sind wir alle in eine globale Welt gestellt, die mit hartem Wettbewerb ausgestattet ist. Die Europäische Union hat in der Meinung der Bürgerinnen und Bürger nur dann einen Wert, wenn wir sagen können, dass die Zusammenarbeit in der Europäischen Union die Grundlage für mehr Wohlstand, für bessere Entwicklung, für mehr Arbeitsplätze ist. Das müssen wir den Menschen immer wieder beweisen. Deshalb ist der Verfassungsvertrag ein so wichtiges Thema, weil wir ohne diesen Verfassungsvertrag in Zukunft nicht handlungsfähig sein werden. Wir wissen auch das ist ebenfalls angesprochen worden, dass wir Nachbarschaftspolitik betreiben wollen und müssen, denn unsere Ernährungswirtschaft und unsere Landwirtschaft leben auch stark von Exporten. Deshalb freue ich mich sehr, dass Russland diesmal mit einer riesigen Schau auf der Internationalen Grünen Woche vertreten ist. 6000 Quadratmeter umfasst seine Ausstellungsfläche das erinnert fast an russische Weiten, auf der bestimmt viele interessante Produkte zu sehen sein werden. Ich möchte als Ratspräsidentin ausdrücklich unterstreichen, was der Kommissionspräsident bereits gesagt hat: Russland ist unser strategischer Partner. Wir wollen miteinander kooperieren, wir wollen dies auf verlässlicher Basis tun. Diese Verlässlichkeit muss immer wieder auch im praktischen Leben eingefordert werden. Wir wollen es so tun, dass wir auch mit unserem neuen Partnerschafts- und Kooperationsabkommen ein Stück intensiver kooperieren, als es früher der Fall war. Deshalb sage ich als Ratspräsidentin: Tun Sie etwas auf dieser Grünen Woche dafür, dass wir "losverhandeln" können! Ich bin am Sonntag beim russischen Präsidenten. Vielleicht sind die anwesenden Landwirtschaftsminister und Kommissionsvertreter aus Russland, Polen und der Kommission dann schon ein Stück weiter; wir brauchen das. Ich brauche nicht zu verraten, dass es auf der Grünen Woche gemütlich ist und man unter gemütlichen Bedingungen fast noch besser zu Einigungen kommt als in den etwas sterilen Brüsseler Gebäuden. Ich setze also große Hoffnungen in die Grüne Woche. Meine Damen und Herren! Über die neuen Perspektiven der Landwirtschaft ist heute schon gesprochen worden. Wir haben zum ersten Mal mehr Optimismus in der Landwirtschaft und haben fast seit Jahrzehnten zum ersten Mal wieder mehr junge Menschen, die sich für Berufe in der Landwirtschaft entscheiden. Wir wissen ganz genau, dass gerade die Entscheidung junger Menschen, wohin sie ihr beruflicher Weg führen soll ich habe über Jahre viele Diskussionen mit Vertretern der Landjugend geführt, immer mit der Sorge verbunden ist: Ist es für einen jungen Menschen noch sinnvoll, einen Beruf zu erlernen, der ihn später in die Landwirtschaft bringt? Wir wissen, dass solche Entscheidungen nach der Zukunftsperspektive gefällt werden. Ich glaube, hier hat sich unglaublich viel getan. Es gibt auf der einen Seite das, was wir als die traditionelle Landwirtschaft kennen. Ich bin sehr froh, dass wir jetzt sagen können: Wir spielen nicht mehr die ökologische gegen die konventionelle Landwirtschaft aus. Diese Phase haben wir überwunden. Wir haben mit dem Thema Energie ein völlig neues Betätigungsfeld. Man darf diese Dimension nicht unterschätzen. Wir haben die Windenergie und wissen über die Konflikte, die dort bestehen. Über die nachwachsenden Rohstoffe, über die Biokraftstoffe, über Biogas, über die Möglichkeiten der Stromerzeugung hat sich ein Fenster geöffnet, das nach meiner festen Überzeugung eine wichtige Säule der Landwirtschaft werden wird. Ich will noch einmal daran erinnern, dass wir zum 1. Januar dieses Jahres ein Gesetz eingeführt haben, nach dem Auto-Kraftstoffen 7 % Biokraftstoff beigemischt werden. Wir sind, was die Kommissionsziele anbelangt, sehr zufrieden, dass wir das schon gemacht haben, und sind sehr optimistisch, dass wir die 3 % bis zum Jahre 2020 auch noch schaffen. Wir sind auch davon überzeugt, dass wir an dieser Stelle natürlich durchaus unter Zuhilfenahme auch der grünen Gentechnologievorankommen. Denn wir müssen doch auch einmal aus unseren Erfahrungen lernen. Wir wissen als Politiker, dass man bestimmte Dinge nicht einfach von oben aufpfropfen kann. Wir wissen als Politiker aber auch, dass man sich gewissen Entwicklungen öffnen muss und nicht verschließen darf. In Horst Seehofer haben Sie einen wirklich einfühlsamen Landwirtschaftsminister, der um die Ängste und um die Notwendigkeiten weiß. Nun sage ich, was ich nicht möchte das sage ich auch als Chefin der Bundesregierung: Deutschland hat schon an vielen Stellen gute Ideen gehabt, jedoch durch Zögern verursacht, dass die Produkte anschließend anderswo produziert wurden. Wir müssen die richtige Balance finden. Ich wollte heute eigentlich keine kontroverse Rede halten; dies war nur ein Nebenaspekt. Jedenfalls sind die nachwachsenden Rohstoffe und die erneuerbaren Energien mit Sicherheit eine der Zukunftsperspektiven, in denen Deutschland führend sein wird. Dafür wird sich die Bundesregierung insgesamt einsetzen. Damit werden sich auch die Möglichkeiten der Landwirtschaft sowie die Fragen der finanziellen Notwendigkeiten vollkommen neu stellen. Es gehört zu den interessanten Entwicklungen, dass wir schon heute zum Teil Knappheiten bei Rohstoffen haben, wobei wir nicht gedacht hätten, dass dies einmal so sein würde. Deshalb sage ich der Holzwirtschaft eine sehr gute Perspektive voraus. Was haben wir vor Jahren nicht diskutiert. Heute müssen wir sagen: Die Tatsache, dass mehr Holz nachwächst, als wir heute nutzen, ist eine gute Botschaft für die Holzwirtschaft, aber auch eine gute Botschaft für die erneuerbaren Energien und die Biomasse. Wir wissen, dass unsere Landwirtschaft im internationalen Wettbewerb steht. Deshalb will ich sagen: Wir wollen einen Erfolg der Doha-Runde. Aber ich sage auch: Die europäische Landwirtschaft hat schon viel angeboten. Es ist jetzt an den anderen Partnern, in diesem Verhandlungsmarathon einmal deutlich zu machen, was sie wollen. Das ist die Forderung, mit der wir als Europäische Union in diese Verhandlungen gehen. Meine Damen und Herren! Wir haben ökonomische Perspektiven für die Landwirtschaft und wir haben viele Emotionen für die Landwirtschaft. Deshalb weiß ich, dass die Menschen, die zur Grünen Woche kommen werden, mit großem Interesse, mit großen Augen, mit einem wachen Gaumen und viel Engagement hierher kommen. Ich wünsche der Internationalen Grünen Woche, dass sie eine Schau ist, die uns die Augen für andere Länder, für andere Regionen öffnet, für das, was dort angebaut, was dort hergestellt wird, und dass sie auch ein Schaufenster, eine Visitenkarte dessen ist, was wir in Deutschland können. Wir brauchen uns nicht zu verstecken, sondern können vieles vorzeigen. Ich wünsche mir, dass viele neue Kontakte geknüpft werden, dass Europa weiter zusammenwächst. Ich danke all denen, die bereit sind, auf dieser Grünen Woche zu zeigen, was sie können: Den Bundesländern, die alle hier vertreten sind, den Ländern der Europäischen Union, die sich viel Mühe gemacht haben, denen, die als Gäste aus Ländern außerhalb der Europäischen Union hier sind. Es soll ein Fest der Freundschaft, des gegenseitigen Kennenlernens, des Zusammenwachsens sein. In diesem Sinne darf ich sagen: Die Internationale Grüne Woche 2007 ist hiermit eröffnet.