Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 30.01.2007

Untertitel: Staatsminister Bernd Neumann stellt in einer Rede vor dem Ausschuss für Kultur und Bildung des Europäischen Parlaments in Brüssel die Schwerpunkte der Kultur- und Medienpolitik während der deutschen Ratspräsidentschaft dar.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/01/2007-01-30-neumann-kulturausschuss-ep,layoutVariant=Druckansicht.html


ich freue mich sehr, dass ich heute die Gelegenheit habe, Ihnen die Schwerpunkte der Kultur- und Medienpolitik während der deutschen Ratspräsidentschaft vorzustellen. Europa ist vor allem die Summe seiner Kulturen. Das klare Nein der Niederländer und Franzosen zum Europäischen Verfassungsentwurf muss auch Konsequenzen für die Kulturpolitiker haben: Wir müssen die Kultur noch stärker als bisher als gemeinsames Erbe Europas und Auftrag für die Zukunft begreifen. Die Menschen werden die Europäische Union nicht annehmen, wenn wir sie allein als Wirtschaftsraum, nicht aber auch und vor allem als Kultur- und Wertegemeinschaft verstehen. Einheit in kultureller Vielfalt ist der eigentliche Schatz Europas. Und dieses Europa werden wir nur gemeinsam schaffen können."Europa gemeinsam gestalten" lautet darum auch das Motto der deutschen Ratspräsidentschaft. François Mitterrand hat einmal mit Blick auf die europäische Einigung auf die ihm eigene gewitzte Art formuliert: "Man kann keine Einheit erzielen, wenn man sich gegenseitig auf die Füße tritt."

Um das zu verhindern, müssen wir uns erst einmal gegenseitig verstehen. Und dabei spielt der kulturelle Austausch eine entscheidende Rolle. Deswegen nutzt die Bundesregierung die EU-Ratspräsidentschaft auch zu diesem Austausch. Wir zeigen beispielsweise hier in Brüssel zwei große Ausstellungen: die Ausstellung "Blicke auf Europa", die die Wahrnehmung Europas in der deutschen Malerei des

19. Jahrhunderts zum Thema hat und von der Bundeskanzlerin eröffnet wird, sowie die Ausstellung "Visit [e]", in der die Bundeskunstsammlung Teile ihres Bestandes zeigt.

Inhaltlicher Schwerpunkt unseres kultur- und medienpolitischen Programms während der Ratspräsidentschaft ist es, die europäische

Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen"

voranzubringen. Das ist auch ein kulturelles Anliegen, denn es geht darum, Vielfalt zu stärken und die Pluralität der Meinungen zu erhalten. Die Fernsehrichtlinie ist das Kernstück der europäischen Rechtsvorschriften im audiovisuellen Bereich. Sie schafft die Voraussetzungen für den freien Austausch von Fernsehdiensten innerhalb der Europäischen Union und fördert dadurch die Entwicklung eines europäischen Medienmarktes. Neue Übertragungstechniken und dadurch veränderte wirtschaftliche Bedingungen haben es notwendig gemacht, die Richtlinie weiter anzupassen. Diese Revision der Fernsehrichtlinie wird richtungweisend für die Entwicklung des audiovisuellen Sektors in Europa in den nächsten zehn Jahren oder gar darüber hinaus sein.

Ihre Überarbeitung erfordert darum besondere Sorgfalt und auch Einiges an Zeit. Deshalb freut es mich sehr, dass Parlament und Rat bei der Behandlung des Vorschlags der Kommission im Laufe des Jahres 2006 schon große Fortschritte erzielt haben. Jetzt gilt es, die Positionen vollständig zusammenzuführen, damit der Text in seine endgültige Fassung gebracht werden kann.

Wie Sie wissen ist unter anderem das Thema der sogenannten bezahlten Produktplatzierung nicht nur im Parlament sondern auch im Rat kontrovers diskutiert worden. Nach dem Ursprungsentwurf sollte die Produktplatzierung zugelassen werden. Bei unseren Beratungen im EU-Ministerrat haben wir uns auf einen Kompromiss geeinigt, den die finnische Ratspräsidentschaft vorgelegt hat. Die Produktplatzierung soll nun in Fernsehfilmen und Serien grundsätzlich verboten sein, aber jeder Mitgliedstaat darf sie unter bestimmten Auflagen im nationalen Recht zulassen. Ich weiß, dass das Parlament dies etwas anders sieht. Ich bin sicher, dass wir zu einer Annäherung kommen können. Der Unterschied der Positionen ist geringer als es den Anschein hat.

Ich kann Ihnen versichern, dass die deutsche Ratspräsidentschaft alles daransetzen wird, um bei diesem wichtigen Dossier große Fortschritte zu machen. Angesichts der bisher guten Zusammenarbeit von Parlament, Rat und Kommission bin ich zuversichtlich, dass wir uns im Laufe des Jahres 2007 über den endgültigen Text einigen werden. Das ist mir besonders wichtig. Denn die europäische Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen" ist auch ein Mittel der Kulturpolitik. Sie wird dazu beitragen, dass die Vielfalt der Kulturen und Meinungen in Europa auch in den Fernsehprogrammen ausreichend berücksichtigt wird. Es ist mir ein Anliegen, über dieses Thema mit meinen europäischen Ministerkollegen während eines informellen Treffens im Februar 2007 auf der Berlinale zu sprechen. Weiter verhandelt wird die Fernsehrichtlinie im Mai 2007 beim Kulturministerrat in Brüssel. Sie kann ein kleines Stück helfen, jenes kulturelle Fundament zu festigen, auf dem die europäische Einigung insgesamt aufgebaut ist.

Ein zweiter Schwerpunkt des kultur- und medienpolitischen Programms der deutschen Ratspräsidentschaft ist das große Potential, das für Europa in der Kulturwirtschaft liegt.

Der deutsche Vorsitz hat die Absicht, die Erörterung dieser Frage, die unter dem österreichischen und dem finnischen Vorsitz eingeleitet wurde, weiter voranzubringen. Eine umfassende Studie zur Kulturwirtschaft, die für die Kommission erstellt und Ende Oktober 2006 veröffentlicht wurde, steht uns jetzt als Beratungsgrundlage zur Verfügung. Wir müssen uns die Frage stellen, welchen Beitrag kulturelle Aktivitäten zu Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit Europas in der Welt leisten können. Auch die europäische Wirtschaft benötigt ein kulturelles Fundament, wenn sie dauerhaft erfolgreich sein soll. Kultur und Wirtschaft schließen sich nicht aus, wie leider mitunter behauptet wird. Es wird oft übersehen, dass die Kulturwirtschaft und die Kreativindustrien die Wirtschaftszweige sind, die in Europa die größten Zuwachsraten haben. Unter bestimmten Bedingungen können sie sich sogar als "Job-Motor" erweisen.

Leider ist das kulturell-kreative Potential Europas bei der Formulierung der Lissabon-Strategie nur wenig oder gar nicht berücksichtigt worden. Gerade mit Blick auf unser Ziel, Europa als eine der wettbewerbsfähigsten Regionen der Welt zu erhalten, dürfen wir den Zusammenhang von Kultur und Wirtschaft nicht vergessen. Es ist höchste Zeit mit einem lang gepflegten Vorurteil Schluss zu machen, nämlich mit der Auffassung, dass Kultur immer nur Geld kostet. Tatsächlich bringt Kultur auch Geld ein. Deshalb werden wir uns dem Thema Kulturwirtschaft zum Beispiel anlässlich eines Fachseminars zum Thema "Kultur, Wirtschaft und Tourismus" Ende Mai 2007 in Hamburg und auch während des erwähnten informellen Ministertreffens auf der Berlinale widmen. Die Kulturwirtschaft wird auch auf der Tagesordnung der Ratstagung im Mai 2007 stehen.

Der deutsche Ratsvorsitz erwartet mit Interesse die anstehende Mitteilung der Kommission über Kultur in Europa, die in den kommenden Wochen veröffentlicht werden dürfte. Diese Mitteilung sollte vor allem zwei Ziele formulieren: das Konzept einer aktiven Unionsbürgerschaft und die Bedeutung der Kreativität für die Steigerung der Wettbewerbsvorteile Europas. Wir sind zuversichtlich, dass unsere Beratungen über die Kulturwirtschaft im Rat in diese Mitteilung einfließen werden. Wir haben ferner die Absicht, die Voraussetzungen für die Annahme eines neuen kulturpolitischen Arbeitsplans im zweiten Halbjahr zu schaffen.

Abgesehen von den großen Themen der Fernsehrichtlinie und der Kulturwirtschaft wird die deutsche Ratspräsidentschaft auch den Aufbau der Europäischen Digitalen Bibliothek weiterverfolgen.

Die kulturpolitische Bedeutung der geplanten digitalen Bibliothek ist groß. Denn sie erleichtert den Zugang aller Menschen in den EU-Staaten zum kulturellen Erbe Europas und fördert auf diese Weise das Wissen um unsere gemeinsamen kulturellen Wurzeln. Sie trägt also zur Herausbildung einer europäischen Identität bei, ohne die die europäische Integration nicht erfolgreich voranschreiten kann.

Ein weiteres Thema, dessen wir uns annehmen werden, ist

das UNESCO-Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Wie Sie wissen, haben die Gemeinschaft und diejenigen Mitgliedstaaten, die ihre internen Verfahren abgeschlossen hatten, das Übereinkommen am 18. Dezember 2006 ratifiziert. Damit ist die Schwelle von 30 Parteien erreicht, die das Inkrafttreten des Übereinkommens am 18. März 2007 ermöglicht. Der Vorsitz will die Umsetzung des Übereinkommens in die Wege leiten. Dazu soll voraussichtlich im Herbst dieses Jahres eine erste Konferenz der Vertragsparteien stattfinden. Und schon vom 26. bis 28. April werden wir in Essen eine Konferenz über kulturelle Vielfalt unter dem Motto "Das UNESCO-Übereinkommen mit Leben füllen" ausrichten.

Sie alle wissen wie bedeutend diese UNESCO-Konvention gerade für uns Europäer ist. Die Einigung Europas kann nur eine Einheit in Vielfalt sein. Dazu bekennt sich auch die deutsche Ratspräsidentschaft. Denn aus der kulturellen Vielfalt schöpft Europa seine Kraft. Ich habe eingangs François Mitterrand zitiert. Lassen Sie mich zum Abschluss den Mann zitieren, mit dem zusammen Mitterrand Großes für Europa geleistet hat, Helmut Kohl. Der deutsche Altbundeskanzler hat zum Verhältnis von europäischer Einigung und nationaler Kultur einmal festgestellt: "Europa hat nicht das Ziel, nationale Eigenheiten in einem Melting Pot aufzulösen. Das Gegenteil ist der Fall." Ich denke, dem können wir uns alle anschließen. Denn nur die europäische Einigung sichert den nationalen Kulturen Europas in einer globalisierten Welt ihr Überleben und ihre Prosperität. Die deutsche Ratspräsidentschaft wird

im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles dafür tun, dass Europa auf dem Weg der Einigung energisch voranschreiten kann. Die Kultur ist dabei ein wichtiger Schlüssel. Deshalb

freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit Ihrem Ausschuss und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.