Redner(in): Angela Merkel
Datum: 05.02.2007

Untertitel: am 5. Februar 2007 in Abu Dhabi
Anrede: Sehr geehrte Sheika Lubna, sehr geehrter Herr Dr. Mitscherlich, lieber Michael Glos, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/02/2007-02-05-rede-merkel-wirtschaftsforum-abu-dhabi,layoutVariant=Druckansicht.html


sehr geehrte Vertreter der kuwaitischen Wirtschaft,

ich danke Ihnen für die freundliche Begrüßung, die unsere Delegation aus Wirtschaftsvertretern, aus Vertretern des Parlaments und der Bundesregierung heute hier erfahren hat.

Dies ist mein erster Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ich habe mir von vielen erzählen lassen und habe gerade gelernt, dass wir die zahlreichsten Delegationen hierher schicken.

Aber schon nach wenigen Stunden darf ich sagen, dass wir nicht nur sehr freundlich aufgenommen wurden. Vielmehr ist es durchaus beeindruckend, was hier in den letzten Jahren geschaffen wurde, mit welchem Tempo hier gearbeitet wurde und wird und mit welcher Zielstrebigkeit, Klarheit und auch Logik die Chancen in die Hand genommen und zum Wohle der Menschen auch umgesetzt werden. Jeder, der dies einmal gesehen hat, versteht, dass hier, weit über die Tatsache hinaus, dass Rohstoffquellen auf dem Öl- und Gassektor vorhanden sind, ein attraktiver Wirtschaftsstandort entsteht, und jeder versteht auch sofort, dass wir hier auf der einen Seite gute Partner, aber auf der anderen Seite auch gute Wettbewerber haben bzw. in Zukunft bekommen werden.

Ich glaube, dass die Möglichkeiten, die in unserem Kooperieren bestehen, noch längst nicht ausgeschöpft sind. Ich werde später in einer außenpolitischen Rede noch einmal darauf hinweisen, dass in einer globalen Welt aus meiner Sicht wirtschaftliche Kooperation und politische Kooperation sehr eng miteinander zusammenhängen. Wer sich als gemeinsamer Partner versteht, wer Interessen teilt, wer ähnliche Vorstellungen von der Gestaltung der Welt hat, der wird auch sehr schnell Wege finden, die gegenseitigen Vorteile einer wirtschaftlichen Kooperation zu erkennen.

Dieser Raum, diese Region, ist die Nachbarregion Europas. Wenn wir zu Hause sind, haben wir das nicht ständig vor Augen. Aber viele der international tätigen Unternehmen und Unternehmer wissen das längst. Wir sind deshalb nicht nur interessiert daran, welch ehrgeizigen Pläne Ihre Regierung verfolgt, sondern wir haben auch den Anspruch, wir haben auch den Wunsch, an diesen Plänen teilzuhaben, mitzumachen, dabei zu sein. Ich denke, die bundesdeutschen Unternehmen und auch die bundesdeutsche Politik präsentieren sich dabei als ein sehr verlässlicher und engagierter Partner.

Als Beispiele für die diversifizierte Wirtschaftsstruktur, die Sie hier in Ihrem Land entwickeln und die für uns natürlich von Interesse ist, möchte ich den Bereich der Informationstechnologie nennen. Ich möchte die Logistik, den Personen- und den Warenverkehr zwischen Europa und Asien nennen. Das ist zumBeispiel ein Bereich, in dem wir durchaus im Wettbewerb miteinander stehen. Ich möchte den Ausbau von interessanten Finanzplätzen nennen. Sheika Lubna hat bereits den Tourismus als einen sich entwickelnden Bereich erwähnt. Da die Bundesrepublik Deutschland hieran interessiert ist, haben sich dabei eben auch besonders dynamische Wachstumsraten unsrer wirtschaftlichen Beziehungen ergeben.

Die Zahlen sind genannt worden, und die Steigerungsraten sind wirklich beeindruckend. Weit über 20 % beträgt die Steigerung in diesem Jahr; auch im vorigen Jahr waren es schon 20 % . Wir können also stolz darauf sein, dass wir eine ganze Menge geschafft haben, aber wir dürfen auch nicht ruhen.

Das große Interesse zeigt diese, zeigen aber auch andere Wirtschaftsdelegationen. Ich habe bereits über die Verkehrsinfrastruktur und mögliche gemeinsame Projekte gesprochen. Wir können über die petrochemische Industrie genauso wie über Umwelttechnik reden. Denn zum Teil ist hier eine sehr dichte Besiedelung vorhanden, und gerade in diesem Bereich sind Umwelttechniken oftmals von allergrößter Bedeutung.

Schon heute sind über 500 deutsche Unternehmen vor Ort aktiv. Viele von ihnen haben in den Vereinigten Arabischen Emiraten ihren Regionalsitz für den Mittleren und Nahen Osten. Angesichts dieser Situation könnte ich mir vorstellen, dass wir eine deutsch-emiratische Industrie- und Handelskammer brauchen. Ich denke, dass eine solche deutsch-emiratische Industrie- und Handelskammer ein wirklich wichtiger und kontinuierlicher Ansprechpartner für jene sein könnte, die ein großes Interesse an den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen haben.

Ich habe heute in meinen Gesprächen immer wieder deutlich gemacht, dass Deutschland der Globalisierung begegnen will, indem wir darin unsere Chancen sehen. Herr Mitscherlich hat es eben angesprochen. Unsere Vorteile, unsere Fähigkeiten liegen im internationalen Wettbewerb vor allen Dingen in dem Angebot von Paketlösungen, von komplexen Anlagen und komplexen Einrichtungen, die wir dann inklusive des Trainings des Personals als funktionsfähige Einheiten übergeben können.

Wir können in internationalen Ausschreibungen sicherlich nicht bei jedem Einzelauftrag für 20 km Straße oder 100 km Autobahn konkurrieren, wir können sicherlich nicht immer konkurrieren, wenn wir einzelne Bestandteile eines Krankenhauses im Blick haben; aber die Stärken der deutschen Wirtschaft liegen darin, etwas innerhalb einer bestimmten Zeit so zu übergeben, dass darin auch verlässlich gearbeitet werden kann. Dafür möchte ich an dieser Stelle noch einmal werben.

Heute bin ich auch als europäische Ratspräsidentin hier. Daher habe ich, genauso wie unser Wirtschaftsminister, Michael Glos, auch die europäischen Anliegen ein Stück weit mit zu vertreten. Wir finden es außerordentlich spannend, wie die Golf-Staaten im Golf-Kooperationsrat versuchen ihre Fertigkeiten, ihre Fähigkeiten, ihre Stärken zu kombinieren, welch ehrgeizige Pläne für die Schaffung eines Binnenmarktes es gibt? ich habe heute Morgen mit dem Generalsekretär des Golf-Kooperationsrates in Saudi-Arabien darüber gesprochen? und wie man sich dabei auch an den Erfolgen der Europäische Union orientiert.

Ich würde sagen: Sie müssen nicht jede bürokratische Regelung übernehmen, die wir uns in 50Jahren Europäischer Union ausgedacht haben, aber im Grundsatz ist die Schaffung eines Binnenmarktes in einem Raum ähnlicher Gegebenheiten etwas Richtiges und ist auch die Idee, in Richtung einer gemeinsamen Währung zu gehen, von der mir der Generalsekretär erzählte, ein durchaus interessanter Versuch.

Was die Beziehungen zwischen der Europäische Union und der Golf-Region angeht, so wollen wir ein Freihandelsabkommen erreichen. Das ist soeben von Herrn Mitscherlich schon gesagt worden. Die Verhandlungen laufen seit vielen Jahren; immer wieder türmen sich Schwierigkeiten auf. Wirtschaftsdelegation Gestern habe ich mit dem Kronprinzen in Riad und heute habe ich mit dem Generalsekretär des Golf-Kooperationsrates darüber gesprochen. Ich glaube, es ist jetzt die Zeit zu versuchen, das Ganze zum Abschluss zu bringen.

Wir sagen von unserer Seite: Wir hätten gerne ähnliche Bedingungen, wie sie zumBeispiel auch die USA in dieser Region haben. Aber ich habe gestern gelernt, dass man auch an uns bestimmte Anforderungen stellt. Wenn man dann in die Tiefen der Europäische Union hineinschaut, weiß man, dass bei 27Mitgliedstaaten immer auch eine Reihe sehr spezifischer Interessen auf die Tagesordnung gesetzt wird, die sicherlich manchen Golf-Staat etwas verwundern. Insofern werden wohl beide Seiten Kompromissfähigkeit aufbringen müssen.

Ich bin mir jedenfalls mit unserem Wirtschaftsminister darüber einig, dass wir als deutsche Präsidentschaft den Verhandlungen sowohl bei den Beamtengesprächen, die noch Ende Februar stattfinden, als auch bei den Ministergesprächen beziehungsweise bei den Gesprächen mit Kommissar Mandelson einen Schub geben wollen. Vielleicht schaffen wir es, dass wir die Verhandlungen noch während unserer Präsidentschaft, aber mindestens in diesem Jahr zum Abschluss bringen können. Dies wäre ein wichtiges Signal, das, wie ich glaube, auch im Interesse des Golf-Kooperatiosrats liegt.

Nicht nur, dass wir Europäer ein sehr großes Interesse daran haben, strategisch, freundschaftlich und sehr eng mit Ihnen zusammenzuarbeiten und dass wir wissen, dass Sie umworben sind auf dieser Welt. Vielmehr könnte es auch im Sinne der Diversifizierungsstrategie für die Golf-Region ein ganz wichtiger Zeichen sein, dass die Verbindung und gerade auch die wirtschaftliche Verbindung, enger wird, einfacher wird und wir dies zum Wohle der Menschen ausnutzen können.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass fallende Barrieren immer wieder dazu führen, dass Wachstum entsteht und Arbeitsplätze geschaffen werden. Seit Anfang der 90er-Jahre, als sich die Europäische Union für den Binnenmarkt entschieden hat, hat das viele Millionen Arbeitsplätze gebracht. Wir wissen, dass Freihandelsabkommen eine ganz wichtige Voraussetzung sind, um solche Barrieren ein Stück weit zum Einsturz zu bringen. Deshalb ist mein politischer Wunsch an diese Reise, dass sie auch ein Signal ist, dass die Europäische Union hieran ein wirkliches Interesse hat.

Sehr geehrte Sheika Lubna, sehr geehrte Teilnehmer, es ist mir eine Ehre und Freude, dass wir heute hier zusammen sein können. Ich hoffe, die Vertreter der deutschen Wirtschaft werden noch intensive Gespräche mit ihren Partnern oder den zukünftigen Partnern in den Vereinigten Emiraten führen. Ich glaube, die politische Basis für das Abschließen solcher Verträge kann besser nicht sein. Die Türen sind uns hier freundschaftlich geöffnet, und ich darf sagen: Dasselbe gilt für Besucher aus den Arabischen Emiraten in Deutschland.

Die Felder der Zusammenarbeit sind mit Sicherheit noch nicht ausgeschöpft. Neben dem, was wir an wirtschaftlicher Kooperation schon kennen, haben wir heute zwei Memoranden der Verständigung, und zwar der Technischen Universität München und der Bonner Universität, unterzeichnet. Dies deutet darauf hin, dass gerade in den Feldern von Bildung und Wissenschaft noch sehr vieles gemeinsam unternommen werden kann. Wo immer das möglich ist, werden wir uns von der politischen Seite? die Bundesregierung und auch die mitreisenden Parlamentarier des Deutschen Bundestages? dafür einsetzen, dass wir in dieser Region gute Partner sind und dass diese Partnerschaft ausgebaut und bekräftigt wird.

Herzlichen Dank, dass ich heute hier sein darf.