Redner(in): Angela Merkel
Datum: 05.02.2007

Untertitel: am 5. Februar 2007 in Abu Dhabi
Anrede: meine Damen und Herren, sehr über die Gelegenheit, heute bei meinem ersten Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu Ihnen hier im "Emirates Centre for Strategic Studies und Research" sprechen zu dürfen.Lassen Sie mich vorweg sagen: Im Namen unserer Delegation, insbesondere auch der hier anwesenden Mitglieder des Deutschen Bundestages,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/02/2007-02-05-rede-merkel-abu-dhabi,layoutVariant=Druckansicht.html


Eure Hoheit Scheich Abdullah bin Zayed Al Nahyan,

Exzellenz Aida Al Asbi,

Sheika Lubna,

verehrte Gäste,

Exzellenzen,

ich freue mich das heißt unseres Parlaments, möchte ich mich für den herzlichen und freundschaftlichen Empfang in Ihrem Land bedanken.

Das Institut, in dem ich heute sprechen darf, hat nicht nur in den Vereinigten Arabischen Emiraten, sondern auch international einen ganz ausgezeichneten Ruf. Mit den jährlichen Strategiekonferenzen gibt es immer wieder sehr wichtige Impulse zur Energie- und zur Sicherheitspolitik am Golf also zu Themen, die auch für Deutschland und Europa von außerordentlicher Bedeutung sind. Deshalb ist die Tatsache, dass ich hier eingeladen bin, auch ein Zeichen der engen Nachbarschaft und der engen Verflechtung zwischen unseren Regionen.

Besonders froh bin ich natürlich, dass die Bundesrepublik Deutschland und die Vereinigten Arabischen Emirate seit vielen Jahren enge und auch freundschaftliche Beziehungen verbinden. Das zeigt sich in der "Strategischen Partnerschaft", die wir seit 2004 miteinander eingegangen sind. Sie ist sozusagen das Fundament für den Ausbau unserer bilateralen Beziehungen.

Im Arabischen Raum sind die Vereinigten Arabischen Emirate unser wichtigster Wirtschaftspartner. Aber und das haben wir heute an anderer Stelle diskutiert das Potenzial für die Kooperation ist noch nicht ausgeschöpft. Hier wollen wir vertieft weiter arbeiten. Deutsche Unternehmen haben in vielen Bereichen weltweit führendes Know-how anzubieten. Wir sind an einer Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen interessiert. Heute Nachmittag konnten wir wieder dabei sein, als Unternehmen einige Verträge mit Sheika Lubna unterzeichnet haben. Ich glaube, das ist ein wichtiger Schritt.

Einen weiteren Schritt, bei dem ich heute Mittag auch dabei sein durfte, halte ich auch für sehr wichtig, weil er qualitativ eine Neuheit darstellt, nämlich die Zusammenarbeit zwischen der Technischen Universität München und der Universität Bonn mit der Abu Dhabi Universität. Ich denke, das ist ein Bereich, in dem wir noch sehr viel mehr machen können, nämlich in der Zusammenarbeit von Bildung und Wissenschaft. Deutschland hat als Bildungs- und Wissenschaftsstandort sicher viel zu bieten. Den engen wissenschaftlichen Austausch wollen wir vertiefen. Wir spüren, dass die Fortschritte der Vereinigten Arabischen Emirate durchaus so sind, dass wir mehr Wettbewerb bekommen. Aber das ist ja das Ziel, dass wir um die besten Lösungen ringen.

Meine Damen und Herren, vor gut einem Monat hat Deutschland die Präsidentschaft der Europäischen Union übernommen. Die Bundesregierung weiß um ihre Verantwortung, um die Verantwortung Deutschlands innerhalb der Europäischen Union, denn wir sind die größte Volkswirtschaft. Wir müssen unseren Beitrag dazu leisten, dass die Erfolgsgeschichte Europas auch im 21. Jahrhundert fortgesetzt wird.

Jahrhunderte lang wenn man sich einmal die europäische Geschichte anschaut haben die heute 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union gegeneinander Kriege geführt. Der Letzte, der Zweite Weltkrieg, liegt noch gar nicht so lange zurück. Er wurde leider ganz im Namen Deutschlands geführt. Wir haben aus diesem Teufelskreis als Europäer herausgefunden. Es hat lange gedauert. Es ist erst im 20. Jahrhundert gelungen, diesen Teufelskreis zu beenden.

Wenn wir im März dieses Jahres den 50. Jahrestag der so genannten "Römischen Verträge" begehen, dann können wir auf eine Erfolgsgeschichte von über einem halben Jahrhundert zurückblicken, die im Wesentlichen darin begründet war, dass die einzelnen Nationalstaaten in Europa nach Krieg, Leid und Vernichtung endlich gelernt hatten, dass sie ihre eigenen Interessen immer dann am besten vertreten, wenn sie auch die Interessen anderer berücksichtigen. Dieses Lernen hat auch dazu geführt, dass es gelingen konnte, den Kalten Krieg zu beenden. Wir werden den 50. Jahrestag der "Römischen Verträge" während unserer Präsidentschaft in einer wiedervereinigten Hauptstadt, in Berlin, begehen können. Wir können dann im März sagen: Europa ist so geeint wie nie zuvor. Wir konnten das nach vielen langen Auseinandersetzungen erreichen, indem wir die Würde des einzelnen Menschen anerkannt und uns für Demokratie und für die Gleichberechtigung von Mann und Frau eingesetzt haben.

All dies hat dazu geführt, dass Frieden und Wohlstand für die Mitglieder der Europäischen Union heute Realität sind, auch wenn die mittel- und osteuropäischen Länder noch einen längeren Weg zurückzulegen haben.

Die Europäische Union ist auch ein Beispiel dafür, wie große und kleine Länder zueinander gefunden haben, wie Partnerschaft und Gleichberechtigung zwischen unterschiedlichen Nationalstaaten möglich geworden sind. Aber wir sehen: Wir können uns auf unserer Erfolgsgeschichte wahrlich nicht ausruhen. Heute, am Anfang des 21. Jahrhunderts, stehen wir wieder vor riesigen Herausforderungen nach innen und nach außen. Mit 27 Mitgliedstaaten müssen wir dafür sorgen, dass wir handlungsfähig sind. Wir müssen uns überlegen: Was ist eigentlich unsere Identität in der Europäischen Union? Deshalb ringen wir um einen Verfassungsvertrag, wie wir das nennen.

Auf der anderen Seite spüren wir ganz neue Herausforderungen, die nach außen gerichtet sind. Wir leben in einer Zeit völlig neuer Bedrohungen der Sicherheit. Wir leben in einer Zeit eines rasanten technologischen Wandels, einer unglaublichen wirtschaftlichen Dynamik, die wir hier bei Ihnen natürlich in besonderer Weise spüren. Wir haben lebendige Beziehungen über den Atlantik hinweg mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Wir haben eine strategische Partnerschaft mit Russland und sehen hier auch völlig neue Abhängigkeiten voneinander

gerade im Bereich der Energie. Wir erleben große aufsteigende Schwellenländer, wie China und Indien, und wir erleben auch Ihre Region mit dieser dramatischen Veränderung.

Das heißt also, die Herausforderungen an uns alle sind wirtschaftspolitischer, außen- und sicherheitspolitischer sowie gesellschaftspolitischer Natur. Denn es begegnen sich die Kulturen, die Religionen dieser Welt. Das, was wir Globalisierung nennen, fordert uns ein neues Denken ab. Das fordert uns aber nicht nur ein neues Denken, sondern auch ein neues Handeln ab, wenn die Politik weiterhin den Anspruch erheben will, die Veränderungen, die sich vollziehen, auch zu gestalten. Politik ist ja kein Selbstzweck, sondern Politik hat die Aufgabe, die Möglichkeiten und die Chancen so zu gestalten, dass die einzelnen Menschen in unseren Ländern davon profitieren und diese Veränderung auch akzeptieren können.

Wir können sagen, dass wir uns unter dieser Maßgabe in der Europäischen Union wesentlich darauf verständigt haben diese Verständigung ist noch nicht so alt, dass wir eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik brauchen. Früher hat jedes Land seine eigene Außenpolitik gestaltet. Aber wir erleben jetzt, dass die gemeinsame Außenpolitik den europäischen Interessen sehr viel stärker zum Durchbruch verhilft. Wir haben uns immer wieder auch untereinander über die Frage des Vorgehens gestritten. Wir sind sehr froh, dass wir inzwischen einige Erfolge verbuchen können.

Ich will nur daran erinnern, dass vor gut zehn Jahren schrecklichste Auseinandersetzungen auf dem Balkan stattgefunden haben. Auf unserem Kontinent hatten wir Hunderttausende Flüchtlinge und haben keine schnelle Antwort gefunden, wie wir damit umgehen können. Aber wir haben es erreicht, die Situation dort zu stabilisieren. Wir haben in Mazedonien einen heraufziehenden Bürgerkrieg verhindert. Wir hoffen, dass wir auch die Statusfrage des Kosovo so lösen können, dass dies nicht wieder zu Instabilitäten in dieser Region führt.

Ich will auch ein anderes Beispiel nennen, nämlich den Einsatz europäischer Truppen zur Absicherung der Wahlen auf unserem afrikanischen Nachbarkontinent, im Kongo. Das waren die ersten Wahlen, die seit 40Jahren stattgefunden haben. Es ist gelungen, diese Wahlen so abzuhalten, dass danach keine Auseinandersetzungen ausgebrochen sind. Unsere europäischen Soldaten sind alle wieder nach Hause gekommen.

Was leitet uns bei dem, was wir aus der europäischen Gemeinsamkeit heraus als Außen- und Sicherheitspolitik betreiben? Uns leitet ein umfassender Sicherheitsbegriff. Ich glaube, er lässt sich wie folgt auf den Punkt bringen: Krisenbewältigung kann immer nur im Verbund von militärischem und zivilem Einsatz Erfolg haben. Ich brauche also leider in den Extremfällen auch militärische Gewalt. Wenn ich eine sichere Situation schaffen will, dann brauche ich zivile Anstrengungen zur Stabilisierung, das heißt, den Aufbau von staatlichen Institutionen, die die Stabilität garantieren können. Dies ist ganz entscheidend neben dem wirtschaftlichen Wiederaufbau und der Hilfe zur Entwicklung.

An diesem Sicherheitsbegriff richten sich dann auch unsere Missionen aus. Gerade in dem eben von mir genannten Beispiel des Kongo haben wir zuerst über eine lange Zeit den Aufbau von bestimmten Institutionen betrieben und Entwicklungszusammenarbeit durchgeführt. Erst dann sozusagen als einen Zwischenpunkt auf einem sicherlich noch langen Weg konnten wir die ersten Wahlen durchsetzen und brauchten dazu eine militärische Komponente; aber eine, die auch schnell wieder beendet werden konnte.

Ich glaube, wir brauchen einen solchen Ansatz in allen aktuellen Krisen. Dazu will ich einige Stichworte nennen: Libanon, Afghanistan, Irak. Dort sehen wir das nur zu deutlich.

Europa kann allerdings diesen Ansatz nur dann durchsetzen, wenn wir mit einer Stimme sprechen. Das heißt also, Europa muss sich einig sein. Das waren wir in einigen Fällen nicht, wenn ich auf die Situation im Irak zurückblicke. Wir haben deshalb auch unserer Präsidentschaft in der Europäischen Union für dieses erste Halbjahr des Jahres 2007 das Motto gegeben: "Europa gelingt gemeinsam." Ich kann nach meiner festen Überzeugung hinzufügen: Europa gelingt nur gemeinsam.

Nun haben wir, meine Damen und Herren, gleichzeitig mit dem Vorsitz für die EU-Ratspräsidentschaft für das ganze Jahr 2007 den Vorsitz in der G8 -Gruppe. Hier haben wir für uns die Überschrift gewählt: "Wachstum und Verantwortung."

Die Weltwirtschaft das wissen Sie befindet sich in einem rasanten Wandel. Ihr Land nutzt die Chancen in unglaublichem Maße. Viele neue Regionen haben Möglichkeiten, am Wachstum teilzuhaben. Aber damit wir die Chancen wirklich nutzen können, brauchen wir natürlich eine Stabilität der Finanzmärkte. Wir brauchen einen fairen freien Welthandel. Wir brauchen international anerkannte Regeln zum Schutz des geistigen Eigentums, auch zum Schutz des privaten Eigentums. Das heißt, wir brauchen ein Regelwerk, auf das wir uns alle miteinander verständigen können. Denn wenn die Europäer sich etwas ausdenken und andere große Wirtschaftsländer dabei nicht mitmachen, dann werden wir keinen Erfolg haben.

Das ist eine völlig neue Situation. Sie wird vielleicht an einem Beispiel deutlicher als an vielen anderen an einem Beispiel, das in den letzten Tagen durch den internationalen Bericht der Klimaforscher noch einmal in unser Bewusstsein gerückt ist, nämlich am Klimawandel.

Die Europäische Union hat im Kyoto-Protokoll erhebliche Reduktionsraten zugesagt. Die Kohlendioxid-Emissionen der Europäischen Union betragen heute 15 % der weltweiten Kohlendioxid-Emissionen. In Zukunft werden es noch weniger sein. Das heißt, wenn wir hier nicht gemeinsam Verantwortung übernehmen, dann wird es uns nicht gelingen, die Herausforderungen zu bewältigen.

Nun weiß ich wohl, wo ich das sage. Ich sage das in einem Land, das seinen Wohlstand wesentlich über Öl und Gas erwirbt. Und ich sage das in einem Land, das erhebliche Wachstumsraten hat und eine weitere Dynamik haben möchte und das zu Recht.

Aber wir müssen es auf der Welt schaffen, unser Wirtschaftswachstum vom Verbrauch von Energie zu entkoppeln, Energie effizient einzusetzen deshalb stehen wir im Werben und im Erarbeiten der besten Technologien auch miteinander im Wettstreit und unsere endlichen Ressourcen verantwortlich nachhaltig zu verwalten. Abgesehen davon, dass diese Ressourcen eben nicht unendlicher Natur sind, hat der Klimawandel schon heute dramatische Folgen, die uns alle erreichen sei es durch Migration aus Afrika oder durch Unwetter und andere Katastrophen.

Deshalb, meine Damen und Herren, merkt man an diesem wie vielen anderen Beispielen, was Globalisierung heißt: Wir sitzen in einem Boot und wir müssen unsere Verantwortung trotz unterschiedlicher Ausgangslage gemeinsam wahrnehmen.

Das erfolgt natürlich im Bereich der Energiewirtschaft. Wir wissen alle: Energie ist so etwas wie die Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung. Wir müssen dabei sozusagen in einen völlig neuen Dialog eintreten

zwischen denen, die konsumieren, und denen, die produzieren, zwischen denen, die fördern, und denen, die Abnehmer sind. Dabei brauchen wir langfristig verlässliche Partner.

Ich sage für uns, für die Europäische Union und für Deutschland: Wir sind hier auch an einer Diversifizierung interessiert. Das heißt, wir haben strategische Beziehungen zu Russland und werden sie auch weiterhin haben, aber wir sind auch daran interessiert, neue Produzentenmärkte zu erschließen, wenn es z. B. um verflüssigtes Gas geht. Wir werden natürlich auch sehr aufmerksam darauf schauen, dass es in Kombination mit der Liefersicherheit um stabile, politische und wirtschaftliche Verhältnisse in den Energieförderländern geht. Außerdem brauchen wir eine leistungsfähige Infrastruktur, einen sicheren Schiffsverkehr.

Es gibt hier also viele Dinge, die wir miteinander besprechen müssen. Deshalb glaube ich, dass gerade die Kooperation im Energiebereich eines der spannendsten Felder der internationalen Tätigkeit ist. Meine Bitte ist: Wenn es in die nächste Runde der Verhandlungen geht, in denen das Thema Energie verknüpft mit dem Thema Klimawandel auf die internationale Agenda gehört, dann sollten wir auch gemeinsam miteinander besprechen, wie wir in Zukunft vorgehen wollen.

Für uns als Europäische Union ist natürlich das gemeinsame Handeln auch in der Energiepolitik ein ganz wesentlicher Teil. Das wird während unserer Ratspräsidentschaft eine große Rolle spielen. Die Europäische Union wird auch Vorschläge unterbreiten, wie wir die CO2 -Emissionen in den nächsten Jahren reduzieren wollen, wie wir uns diese Dinge nach 2012 vorstellen, wenn das Kyoto-Protokoll ausläuft. Wir sollten darüber rechtzeitig miteinander sprechen.

Meine Damen und Herren, Sie sehen an diesem Beispiel: Mit dem wirtschaftlichen Erfolg ergibt sich immer auch die Notwendigkeit, Verantwortung weit über die eigene Region hinaus zu übernehmen. Für die Europäische Union kann ich hier ausdrücklich sagen: Wir werden und wir wollen das tun. Ich bin sehr froh

das haben mir meine Reisestationen in Ägypten, Saudi-Arabien und hier in den Vereinigten Arabischen Emiraten gezeigt dass auch Sie in Ihrer Region bereit sind, immer mehr Verantwortung zu übernehmen. Ich möchte das hier in den Vereinigten Arabischen Emiraten, die auch Teil des Golf-Kooperationsrates sind, ausdrücklich sagen.

Uns liegt an engen wirtschaftlichen Beziehungen

wir wollen unser Freihandelsabkommen endlich zu Ende bringen

und uns liegt an engen politischen Beziehungen und daran, uns gegenseitig auszutauschen. Ich will daran erinnern, dass wir im letzten Jahr die Golf-Kooperationsrats-Tage in Berlin hatten, die maßgeblich von den Vereinigten Arabischen Emiraten gestaltet wurden. Ich glaube, das war ein sehr guter Beitrag, um einmal weit über die Insider-Kreise hinaus deutlich zu machen, wie eng wir kooperieren und welche Potenziale wir noch haben.

Meine Damen und Herren, wenn wir über gemeinsame Verantwortung sprechen, dann wissen wir, dass es in dieser Region natürlich ein zentrales Thema gibt. Das ist für mich der so genannte Nahost-Konflikt, also der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Diesen Konflikt bezeichne ich deshalb als zentral, weil er dazu führt, dass viele andere Konflikte in der Region letztlich nicht gelöst werden, weil wir bei diesem zentralen Konflikt keinen Fortschritt sehen.

Wir sind uns alle darin einig

ich weiß das aus all den Gesprächen dass dieser Konflikt so viel menschliches Leid und Instabilität verursacht, dass wir alles in unserer Kraft Stehende tun müssen, um ihn einer Lösung zuzuführen. Um das tun zu können, glaube ich, braucht es eine Vision. Diese Vision heißt: Wir brauchen eine Zweistaaten-Lösung, bei der Israel sein Existenzrecht gesichert hat und keine Angst haben muss, angegriffen zu werden oder Gewalt zu erleiden. Auf der anderen Seite muss das palästinensische Volk einen Staat haben, in dem sich die Menschen auf wirtschaftlichem Gebiet fortschrittlich entwickeln können und eine Chance für ihr Leben haben. Eine solche Zweistaaten-Lösung ist das, was ich mir als Vision hier in der Region vorstelle.

Nun weiß ich, wir haben unglaublich viele Rückschläge erlebt. Manch einer sagt, man solle daher solch ein Wort gar nicht in den Mund nehmen. Aber ich möchte Ihnen sagen: Ich bin in der früheren DDR aufgewachsen. Ich habe nicht gedacht, dass ich zu meinen Lebzeiten, bevor ich Rentnerin werde, hier bei Ihnen sein kann, dass ich also einmal hinter der Mauer hervorkomme und in die freie Welt hinaus fahren kann. Ich habe dann erlebt, wie dies mit dem Fall der Mauer, der Deutschen Einigung und dem Ende des Kalten Krieges für mich und für viele Deutsche, aber auch für viele Mittel- und Osteuropäer, plötzlich Realität geworden ist. Die Vision wurde also zur Realität.

Möglich ist das nur geworden, weil es in Europa immer wieder viele gab, die an eine solche Vision geglaubt haben und sich für eine solche Vision eingesetzt haben. Wenn ich dann heute vor Ihnen als Bundeskanzlerin eines vereinigten Deutschland und als EU-Ratspräsidentin stehe, dann sage ich: Aus dieser meiner Erfahrung und der Erfahrung von Millionen Europäern heraus haben wir die Verpflichtung, dass wir in Regionen, in denen heute noch fast unüberwindbar scheinende Konflikte bestehen, unsere ganze Kraft einsetzen, um diese Konflikte zu bezwingen. Das, was in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg gelungen ist, also dass wir keinen Krieg mehr miteinander führen, das kann auch

davon bin ich überzeugt

an anderen Stellen der Welt gelingen. Und ich sage: Es muss uns gelingen. Ansonsten werden wir alle die Folgen zu tragen haben.

Das ist sozusagen der Punkt, an dem ich auch sage: Wir müssen alles daran setzen, uns diesen Konflikt jetzt in der konkreten Situation wieder vorzunehmen. Ich bin natürlich davon überzeugt, dass es nur gelingen kann, wenn Israel und die Palästinenser selber ihren Beitrag dazu leisten. Ohne die Akteure vor Ort können wir nicht von außen etwas erzwingen. Aber wir können mit unserem Einfluss, mit unseren Worten, mit dem, wie wir gemeinsam agieren, sicherlich einen Beitrag dazu leisten, dass ein solcher Fortschritt möglich wird. Ich weiß auch, dass er viele kleine Schritte hat. Ich weiß auch, dass er viele Etappen hat. Aber trotzdem müssen wir wissen, wohin wir wollen. Deshalb ist diese Zweistaaten-Regelung in Frieden so wichtig.

Meine Damen und Herren, ich bin sehr froh, dass sowohl im Golf-Kooperationsrat als auch in der Arabischen Liga jetzt wieder die Bereitschaft vorhanden ist, stärker Verantwortung zu übernehmen. Die Beiruter Erklärung im Jahre 2002 der Arabischen Liga war ein ganz wichtiger Punkt, um deutlich zu machen, dass das Existenzrecht Israels anerkannt wurde. Daran müssen wir anknüpfen. Ich wünsche den Gesprächen in der nächsten Woche in Saudi-Arabien zwischen Fatah und Hamas allen Erfolg, damit wir in dem gesamten Prozess vorankommen.

Wenn ich hier unterwegs bin, dann wird natürlich immer wieder auch an die Verantwortung der Europäer erinnert. Ich will ganz ausdrücklich sagen: Wir wollen diese Verantwortung übernehmen. Deshalb haben wir uns dafür eingesetzt, dass das Nahost-Quartett wieder mit der Arbeit beginnt. Eine erste Sitzung hat am vergangenen Freitag in Washington stattgefunden. Eine zweite Sitzung wird in Berlin stattfinden, wenn die US-amerikanische Außenministerin von ihren Gesprächen zwischen dem israelischen Premierminister und dem palästinensischen Präsidenten, die im Februar stattfinden sollen, wieder zurückkehrt.

Meine Damen und Herren, wir wollen dies alles voranbringen

ich glaube, das Zeitfenster ist da, aber es ist endlich und deshalb danke ich auch den Vereinigten Arabischen Emiraten für all die unterstützenden Bemühungen. Denn eines ist auch klar: Es gibt Kräfte in dieser Region und anderswo, die den Erfolg dieser Bemühungen nicht wollen. Deshalb machen wir uns Sorgen, insbesondere mit Blick auf den Iran, und insbesondere, was das Nuklearprogramm anbelangt. Aber auch hier muss man sagen, dass die Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder nicht hilfreich ist.

Ich nenne hier insbesondere auch die Frage des Libanon. Wir haben alles Interesse daran, dass der Libanon eine vernünftige Entwicklung eines souveränen Staates nehmen kann und die Menschen dort ohne Angst leben können. Ministerpräsident Siniora wird von der Europäischen Union und von der Bundesrepublik Deutschland unterstützt, wo immer wir können. Wir haben uns sehr bewusst entschieden

und das war für Deutschland keine einfache Sache dass wir uns an der UNIFIL-Mission beteiligen, um mit der Sicherung der libanesischen Grenze einen Beitrag zu leisten, um die Souveränität des Libanon zu garantieren und die gewalttätigen Auseinandersetzungen in dieser Region zu beenden.

Wenn ich über den Iran spreche, dann sage ich: Das Nuklearprogramm des Iran sehen wir mit großer Sorge. Hier brauchen wir die gesamte internationale Gemeinschaft, um dem Iran die Grenzen aufzuzeigen. Ich weiß, dass wir in dieser Frage einer gemeinsamen Auffassung sind. Wir haben dem Iran seitens der Europäischen Union, seitens der Vereinigten Staaten von Amerika, Russland und China sehr konkrete Angebote für eine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung gemacht. Wir wollten mit diesen Angeboten deutlich machen: Es geht uns nicht darum, den Iran in irgendeiner Weise von Entwicklungen abzuschneiden, die für seine eigene Bevölkerung erfolgreich und wichtig sind.

Wir hatten die Erwartung, und zwar die feste Erwartung, dass der Iran die Transparenz der internationalen Richtlinien einhält und es somit keine Gefahr für ein nukleares Wettrüsten in dieser Region gibt. Weil der Iran auf dieses Angebot nicht reagiert hat, haben wir als internationale Gemeinschaft im UN-Sicherheitsrat eine Resolution beschlossen. Mit dieser Resolution 1737 haben wir deutlich gemacht, dass wir auch den Weg von Sanktionen gehen, wenn die Angebote nichts nützen. Deshalb sage ich auch hier noch einmal: Es gibt die Möglichkeit zu kooperieren, auch zum Wohle der Menschen im Iran. Ansonsten muss die internationale Gemeinschaft deutlich machen, dass sie dem Tun des Iran auch Grenzen setzt.

Wir haben immer wieder

das sage ich für Deutschland und auch für die Europäische Union

auch gegenüber Syrien Gesprächsbereitschaft gezeigt. Aber auch Syrien hat die Möglichkeiten konstruktiver Zusammenarbeit bis jetzt nicht genutzt. Ein Schritt wäre z. B. , endlich den Libanon offiziell diplomatisch anzuerkennen, also die normalen diplomatischen Beziehungen seitens Syriens mit dem Libanon aufzunehmen. Das könnte ein konstruktiver Schritt sein, um voranzugehen. Denn wir wissen: Natürlich könnte Syrien ein wichtiger und hilfreicher Akteur sein. Aber dies ist natürlich auch an bestimmte Voraussetzungen gebunden.

Meine Damen und Herren, ich habe deutlich gemacht, dass nicht nur unsere Regionen sehr eng beieinander liegen und unsere Interessen oft gemeinsam definiert werden können, sondern dass viele Probleme in der globalen Welt nicht mehr von einzelnen Regionen allein zu lösen sind und wir auf eine konstruktive Zusammenarbeit angewiesen sind. Eine solche Zusammenarbeit erfordert natürlich, dass wir dafür die richtigen Institutionen haben

und zwar für eine multilaterale Zusammenarbeit

und dass wir uns über bestimmte Grundlagen unseres Werteverständnisses auch einig sind.

Deshalb möchte ich zum Abschluss zwei Bemerkungen machen: Für mich ist der Ort der internationalen multilateralen Zusammenarbeit die UNO

die UNO als eine Organisation, die die Interessen der Völker vertritt, die einen reformierten Sicherheitsrat sowie gestraffte und auch transparente Organisationsstrukturen braucht. Deshalb werden wir auch mit aller Kraft den neuen UN-Generalsekretär Ban Ki Moon unterstützen, wenn er sich der Reform der UNO wieder widmet.

Es mag mühselig sein, immer wieder im UN-Sicherheitsrat zu verhandeln und lange Zeit damit zu verbringen, Kompromisse schließen zu müssen. Ich habe großes Verständnis, dass manch einer fragt: Reicht meine Geduld dafür? Aber eine unserer Erfahrungen ist, dass es auch in der Europäischen Union oft mühselig ist, eine gemeinsame Linie mit 27 Mitgliedstaaten bei den Welthandelsgesprächen oder bei anderen internationalen Verhandlungen über Abkommen zu definieren. Trotzdem haben wir auch die Erfahrung gemacht, dass nur aus Kompromissen eine gemeinschaftliche Legitimation erwächst. Deshalb gibt es aus meiner Sicht keine Alternative dazu, mit einer reformierten UNO auch die Legitimation einer globalen Welt zu bekommen.

Das Zweite ist natürlich: Staaten und Regionen werden nur gedeihlich miteinander zusammenarbeiten können, wenn sie sich gemeinsam auf bestimmte Vorgehensweisen und Überzeugungen verständigen. Ich glaube, dass der Schutz der Würde jedes einzelnen Menschen dazu gehört. Das ist sehr, sehr wichtig. Wir sind davon überzeugt, dass Gewalt kein Mittel zur Lösung von Konflikten ist, wenn sie nicht auch unabdingbar im Sinne staatlichen Handelns ist. Die Gewaltenteilung, also dass der Staat das Gewaltmonopol hat, dass UN-Resolutionen die Legitimation dafür geben, ist ein ganz wichtiger Punkt. Deshalb glaube ich, dass wir uns in Zukunft miteinander auch enger mit unseren Kulturen und Religionen befassen müssen.

Eines muss ganz klar sein ich habe das in den Tagen, in denen ich jetzt hier in der Region bin, auch immer wieder gehört: Wir brauchen Religionen, die Religionen des Friedens sind. Jede Äußerung ich sage das jetzt gar nicht mit Blick auf eine Religion, die Religion missbraucht, um daraus Gewaltanwendung zu legitimieren, muss unsere gemeinsame Verachtung und unser gemeinsames Nein bekommen. Das heißt, Respekt und Toleranz zwischen den Kulturen, ein friedlicher Umgang miteinander, ein gemeinsames Fundament von Werten, der Austausch von Ideen und Zielen, das viel bessere Kennenlernen müssen die Herangehensweisen sein.

Ich sage Ihnen abschließend aus unserer Sicht: Wir Europäer waren es über Jahrhunderte schon ein bisschen gewöhnt, die Welt aus einer sehr eurozentrischen Perspektive zu betrachten. Wir erleben heute staunend, wie viel Interessantes und manchmal auch wie viel Besseres in anderen Regionen der Welt entsteht. Wir werden und wollen darauf neugierig sein. Wir wollen unsere Chancen im fairen Wettbewerb nutzen so wie Sie und viele andere das tun, und wir wollen international kooperieren. Ich habe in meinen Gesprächen hier viele Freunde für diese Ideen gefunden.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.