Redner(in): Angela Merkel
Datum: 13.02.2007
Untertitel: am 13.Februar 2007 in Straßburg
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/02/2007-02-13-rede-merkel-ep,layoutVariant=Druckansicht.html
Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Hans-Gerd Pöttering,
sehr geehrte Vorgänger und Vorgängerinnen des heutigen Präsidenten,
liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Europäischen Parlament,
sehr geehrter Herr Präsident der Kommission!
Herr Präsident, Sie gehören zu den Parlamentariern der ersten Stunde im Europäischen Parlament. Sie haben es eben gesagt, Sie haben Erfahrung seit 1979. Ich glaube, man kann sagen, dass Sie einen bemerkenswerten Aufstieg eines Parlamentes, das in Kinderschuhen begonnen hat, erlebt und mitgestaltet haben. Es hat sich zu einem sehr emanzipierten Europäischen Parlament entwickelt mit selbstbewussten Abgeordneten, klaren Parteistrukturen und Fraktionsbildungen. Damit wurde es ein anspruchsvoller, aber nicht mehr wegzudenkender Partner im europäischen Diskurs.
Die Weiterentwicklung des Parlaments gehört zu der Erfolgsgeschichte der Europäischen Union. Wir wissen heute, dass ohne die Arbeit des Europäischen Parlaments vieles, was wir für die Bürgerinnen und Bürger Europas geschaffen haben, eine andere Form gehabt hätte.
Ich will aus letzter Zeit an die Arbeiten zu der Chemikalienverordnung REACH, an die Gestaltung der Dienstleistungsrichtlinie und die Diskussionen im Rahmen der "Finanziellen Vorausschau" erinnern, bei denen man sich immer wieder darum bemüht hat, Prioritäten zukunftsweisend auszurichten, und dies zum Teil in harten Verhandlungen mit Rat und Kommission durchgesetzt hat.
Sie haben heute in Ihrer Rede den Bogen hin zur nächsten Wahl des Europäischen Parlaments im Jahre 2009 gespannt. Bis dahin gibt es fünf Präsidentschaften, von denen die deutsche Präsidentschaft eine ist. Wir werden gemeinsam als Vertreter der Nationalstaaten und Sie als Vertreterinnen und Vertreter des Europäischen Parlaments vor die Bürgerinnen und Bürger Europas treten und den fast 500 Millionen Menschen zu berichten haben, worüber wir uns Gedanken machen, wofür dieses Europa gut und warum es für die Menschen wichtig ist.
Es geht um Friedenssicherung, es geht um Solidarität innerhalb dieser Europäischen Union und es geht um Wohlstand und soziale Sicherheit in einer globalen Welt, in der der Wettbewerb für uns alle sehr viel härter geworden ist. Deshalb heißt es bei aller konkreten parlamentarischen Arbeit, den Blick auf das Ganze nicht zu verlieren. Sie haben mit Ihrem Arbeitsprogramm heute deutlich gemacht, welche Rolle Sie sich für das Europäische Parlament, aber auch für die Europäische Union in der Welt vorstellen.
Wir sind uns einig darüber, dass die Frage des Verfassungsvertrages im Blick auf die Wahl 2009 eine entscheidende Frage werden wird einmal im Hinblick auf unser Selbstverständnis und auf unsere Bürgernähe, zum Zweiten aber auch im Blick auf die Handlungsfähigkeit einer Europäischen Union mit 27 Mitgliedstaaten. Deshalb wird die deutsche Ratspräsidentschaft gemeinsam mit der Kommission, dem Parlament und den Mitgliedstaaten alles daran setzen, einen Fahrplan zu schaffen, wie wir dieses Projekt so fertig stellen, dass die Menschen 2009 wissen, über welches Europa sie abzustimmen haben und wie dieses Europa weiter handeln kann.
Ich plädiere dafür, dass wir auch die Diskussion darüber fortsetzen, auch wenn sie jetzt zum Teil noch kontrovers ist, wie die jeweiligen Beziehungen zwischen Kommission, Parlament und Rat weiter klarer strukturiert werden können. Ich habe deshalb auch darauf bin ich hier in meiner Eingangsrede eingegangen das Thema Diskontinuitätsprinzip auf die Tagesordnung gesetzt, weil ich glaube, dass dieses Thema in einer längeren Frist wichtig sein wird.
Was ist das Selbstverständnis eines neu gewählten Parlaments? Was ist das Selbstverständnis einer neu gewählten Kommission? Was muss man wie schaffen? Diese Fragen sind auch mit dem Verfassungsvertrag noch nicht zu Ende geklärt. Deshalb muss die Diskussion aus meiner Sicht weiter gehen.
Wenn wir uns den inhaltlichen Problemen zuwenden, dann wird auf dem Rat, den wir im Frühjahr am 8. und 9. März veranstalten, natürlich das Thema Energie eine ganz wesentliche Rolle spielen.
Ich möchte Ihnen heute über unsere Bemühungen berichten, diesen Rat zu gestalten. Ich möchte mich zuerst ganz herzlich bei der Kommission bedanken. Sie hat uns anspruchsvolle Pakete von Richtlinien und Feststellungen zu dem Thema Energie und Klimaschutz für die Tagesordnung gegeben. Wir haben jetzt in den anstehenden Räten in Vorbereitung des Frühjahrsrates im Wettbewerbsrat und im Umweltrat die entscheidenden Voraussetzungen für eine substantielle Debatte im Rat zu schaffen.
Ich teile das Ziel der Kommission, die CO2 -Emissionen bis zum Jahr 2020 um 30 % zu senken, vorausgesetzt, wir finden internationale Partner. Ich glaube, wir sind alle dazu angereizt, bei unseren internationalen Reisen darauf hinzuweisen, dass Europa 15 % der CO2 -Emissionen verursacht, aber 85 % jenseits der Europäischen Union stattfinden.
Europa muss Vorreiter sein. Ich finde, darauf sollten wir uns verpflichten. Aber Europa muss auch deutlich machen, dass es kein Problem gibt, das sichtbarer macht, dass diese Welt zusammenhängt und das Handeln eines Kontinents nicht ausreicht, um die Gefährdung der gesamten Menschheit zu bannen.
Wir werden sehr schwierige Diskussionen über die Ausgestaltung eines wettbewerbsfähigen Binnenmarktes haben. Das deutet sich bereits an. Aber wer sich in der Materie auskennt, ist darüber auch nicht verwundert. Aber wir werden uns diesen Diskussionen stellen. Denn ein funktionierender Binnenmarkt innerhalb des Energiemarktes ist von essentieller Bedeutung.
Wir werden das Thema Energieeffizienz auf die Tagesordnung setzen und wir werden über erneuerbare Energien sprechen. Die deutsche Ratspräsidentschaft plädiert dafür, auch wirklich Zahlen und Reduktionsansätze zu verabschieden, die nicht im Unverbindlichen bleiben. Kein Mitgliedstaat kann sich davor drücken. Auch dies sage ich ausgesprochen deutlich.
Deshalb hat auch die Bundesrepublik Deutschland, wenn ich das als Bundeskanzlerin sagen darf, hier durchaus schon Kompromisse mit der Kommission eingehen müssen, die uns nicht leicht gefallen sind. Wir haben dies sehr bewusst gemacht, weil ich glaube, dass jeder Mitgliedstaat seinen Beitrag leisten muss. Zu glauben, dass Klimaschutz dadurch funktioniert, dass ihn niemand merkt, das wäre ein Irrtum. Deshalb müssen wir mit diesem Irrtum auch Schluss machen.
Das Thema Energieaußenpolitik wird uns beschäftigen, insbesondere in den Verhandlungen über ein Kooperationsabkommen mit Russland. Ich muss auch hier wieder sagen: Wir hoffen wir arbeiten daran, dass diese Verhandlungen beginnen können. Es ist leider noch nicht so weit. Aber ich habe durchaus Hoffnung, dass wir bis zum EU-Russland-Gipfel im Mai einen guten Schritt vorangekommen sind.
Wir werden das Thema "better regulation", bessere Rechtsetzung, auf die Tagesordnung des Europäischen Rates nehmen. Auch hier bitte ich um die Unterstützung des Parlaments, dass wir nicht im Unverbindlichen stehen bleiben und uns doch zu quantitativen Reduktionszielen verpflichten.
Ich kenne die Sorge und die Angst, dass ein Weniger an Regulierung auch ein Weniger an Schutz bedeuten kann. Das wollen wir nicht. Aber die Art und Weise, in der wir heute auch Bürokratie organisieren, ist verbesserungsfähig und ich sage hinzu es ist aus dem Blickwinkel der Bürgerinnen und Bürger Europas auch notwendig, dies zu verbessern. Es heißt nicht, dass eine Vorschrift nicht wirksam ist, wenn man nicht das komplizierteste Formular für ihre Nachprüfbarkeit entwickelt, meine Damen und Herren.
Herr Präsident, wir sind in guten Konsultationen über die Erklärung am 24. und 25. März für das Europa der Zukunft. Wir werden das auch so fortsetzen. Sie haben in Ihren Ausführungen sehr deutlich gemacht, welche Erwartungen an die Europäische Union im Blick auf ihre Außenpolitik und ihre Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestehen. Ich teile Ihren Einsatz für Menschenrechte, der hier im Europäischen Parlament eine großartige Tradition hat, außerordentlich und ich begrüße, dass Sie den Dialog der Kulturen zu einem der Schwerpunkte machen wollen.
Ich habe bei meiner Reise in den Nahen Osten in den letzten Tagen spüren können, welche Erwartungen auf der Europäischen Union liegen, auf all ihren Institutionen. Die Sehnsucht nach Frieden und die Sorge vor dem Nuklearprogramm des Iran sind im Nahen und Mittleren Osten spürbar und auch fast fassbar. Wir haben hier eine große Verantwortung, alles daran zu setzen natürlich zusammen mit den Akteuren in der Region, natürlich mit den Vereinigten Staaten von Amerika und Russland, einen Friedensprozess in Gang zu bringen, auf den die Menschen so sehnsüchtig warten.
Ich habe es an anderer Stelle gesagt und ich möchte es hier wiederholen: Wir, die Europäer, haben mit dem Ende des Kalten Krieges etwas Unerwartetes in unserem Leben erreicht. Wir haben gesehen, dass wir heute mit 27 Mitgliedstaaten, wieder gemeinsam mit nahezu allen europäischen Ländern in einem demokratischen Prozess auch wenn das oft schwierig ist für Frieden und Freiheit arbeiten und streiten können. Das, was das Wunder unserer Zeit gewesen ist, sollte uns auch ermutigen, für Wunder und Möglichkeiten in anderen Regionen der Welt einzutreten.
Das, was Palästinenser und Israelis über Jahrzehnte nicht erlebt haben ein Leben in Frieden, ein Leben in zwei nebeneinander liegenden Staaten, die sich nicht bekriegen, ein Leben mit einer Perspektive auf Wohlstand, muss auch unser Ziel sein, weil wir einfach die Erfahrung gemacht haben, dass aus scheinbar unüberwindlichen Gräben Frieden und Freundschaft werden kann. Mit diesem Erlebnis haben wir Europäer eine Verpflichtung, uns in diesen Prozess einzubringen. Deshalb bin ich Ihnen sehr dankbar, dass das auch einer Ihrer Schwerpunkte gemeinsam mit dem aller Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament ist.
Herr Präsident, Sie haben Helmut Kohl zitiert und gesagt, dass wir uns beeilen müssen und uns nicht dauernd mit uns selbst beschäftigen dürfen. Denn die Menschen in der Europäischen Union erwarten, dass wir diesen so erfolgreichen Kontinent auch in Zeiten der Globalisierung zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger weiter erfolgreich gestalten. Millionen und Milliarden Menschen auf der Welt erwarten, dass die Europäische Union mit ihrer Erfahrung und ihrem Wohlstand ihren Beitrag dazu leistet, dass die Welt insgesamt friedlicher und freiheitlicher wird. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten.
Ich danke Ihnen für Ihre Rede. Und auf gute Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament.