Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 13.02.2007

Untertitel: - Es gilt das gesprochene Wort -
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/02/2007-02-13-berlinale-keynotes,layoutVariant=Druckansicht.html


wir können schon in unserem Alltag beobachten, welche Veränderungen eine neue Technologie mit sich bringt. Noch vor 20 Jahren konnte man in jedem Büro die gute alte Schreibmaschine finden, in jedem Wohnzimmer den guten alten Plattenspieler. Die Telefone waren alle noch durch ein schwarzes Kabel mit der Wand verbunden und wer einem anderen eine Nachricht schicken wollte, der musste einen richtigen Brief schreiben und zum Briefkasten bringen. All das hat sich im Zeitalter der digitalen Datenverarbeitung, des Handy und des Internet verändert. Wir arbeiten und kommunizieren heute anders als noch vor zwei Jahrzehnten.

Technische Neuentwicklungen haben aber nicht nur Auswirkungen auf unseren Alltag, unser Kommunikationsverhalten. Sondern darüber hinaus auf Gesellschaft, Wirtschaft und Politik.

Was das konkret und aktuell für das Kino und für den Film bedeuten kann, das lässt sich am Beispiel der DVD bereits beobachten. Die digitale Kopie ist von einer solchen technischen Qualität, dass viele sich ihr Kino im Wohnzimmer einrichten und das Kino gar nicht mehr aufsuchen.

Dafür nehmen sie auch in Kauf, dass sie einen Film erst Monate nach dem Neustart sehen können. Ich sage ganz deutlich: Das halte ich für bedauerlich. Nicht nur, weil der Kinofilm die große Leinwand braucht, um seine Wirkung zu entfalten, sondern auch, weil Kino ein Gemeinschaftserlebnis ist. Es lebt davon, dass wir einen Film mit anderen zusammen anschauen.

Den technologischen Fortschritt können und wollen wir nicht aufhalten. Aber es ist Aufgabe der Politik, seine Auswirkungen zu verfolgen und dort steuernd einzugreifen, wo Fehlentwicklungen absehbar sind. Denn die Digitalisierung bedeutet nicht nur Herausforderung und

Handlungsbedarf für die klassische Filmindustrie, sondern auch für diejenigen, die auf politischer Ebene dafür Verantwortung tragen. Deshalb halte ich auch die heutige Veranstaltung der Berlinale und

des Medienboards Berlin-Brandenburg für eine ausgesprochen verdienstvolle Initiative und ich bin überzeugt, dass sie gerade in der Berlinale einen sehr guten Rahmen gefunden hat. Wo, wenn nicht hier, lässt sich über die Zukunft des Kinos und des Films diskutieren.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf drei Themenfelder näher eingehen:

Für die Kinos ist es inzwischen nicht mehr die Frage, ob die digitale Distribution kommt, sondern nur noch, wann und wie. Die FFA lässt derzeit in zwei Gutachten prüfen, wie die technischen Standards dafür aussehen müssten, und unter welchen wirtschaftlichen Bedingungen sich gerade für die kleinen und mittleren Kinos die technische Umrüstung überhaupt rentiert. Zweierlei ist dabei aus Sicht des Kultur- und Medienpolitikers wichtig: Erstens darf die digitale Distribution nicht dazu führen, dass die Vielfalt in den Kinoprogrammen verloren geht und wir nur noch amerikanische Blockbuster zu sehen bekommen. Hier spielt das sogenannte Key-Management, die Verschlüsselung, eine wichtige Rolle und die Frage, wer letztlich Herr im Kino ist: der Betreiber oder der Verleih. Zweitens darf der finanzielle Investitionsbedarf nicht dazu führen, dass die kleinen und mittleren Kinos schließen müssen und damit in Deutschland die flächendeckende Versorgung mit Kinoleinwänden leidet. Wir wollen ja, dass die Menschen ins Kino gehen und wir wollen, dass sie unter vielen, besonders vielen europäischen und deutschen Filmen, die Wahl haben.

Ein zweites Problem betrifft die klassischen Verwertungsketten. Bisher konnten wir davon ausgehen, dass nach der Kinoverwertung das Video oder die DVD erscheint und später der Film im Fernsehen läuft. Die Digitalisierung macht es zum einen möglich, dass ein Film zeitgleich im Kino, auf DVD und im Internet startet. Parallel dazu ist die Filmmusik als Handy-Klingelton zu haben und ein PC-Spiel erscheint, in dem die Abenteuer des Helden nachzuspielen sind. Die Auswertung geht also in die Breite. Zum anderen kann die Digitalisierung

die Verfügbarkeit eines Produkts endlos verlängern. Verschwand früher eine Fernsehserie nach deren Ausstrahlung in den Archiven und wurde Teil unserer Medienerinnerungen, ist sie heute auf DVD verfügbar oder im Internet abzurufen. Harpe Kerkelings wunderbarer Auftritt bei Günter Jauchs Show "Wer wird Millionär" lässt sich im Internet jeden Tag aufs Neue ansehen. Das heißt: Während wir uns die Verwertungskette noch immer linear denken, ist sie bereits dabei, sich zu verbreitern und gleichzeitig zu verlängern. Wir haben deshalb gerade bei der Revision der EU-Fernsehrichtlinie das Ziel, den rechtlichen Rahmen für audiovisuelle Medien unabhängig von den Übertragungswegen zu regeln. Gestern bin ich dabei bei unserem Treffen der EU-Kultur- und Medienminister einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Gerade weil die Digitalisierung die Informationsübertragung auf vielerlei Wegen ermöglicht, müssen wir uns bei der Festlegung von Regeln auf die Inhalte konzentrieren.

Ein drittes Thema betrifft die Rolle des Zuschauers, oder besser gesagt: des Users. Im Zeitalter der Digitalisierung, der schnellen Rechner und DSL-Leitungen wird der Nutzer zunehmend zum Akteur. Plattformen wie Wikipedia oder You tube zeigen uns schon heute, wohin die Reise geht. Foto Web-Sites dienen den Austausch von Bildern, Online DJs und Online Filmemacher stellen eigene Musik oder eigene Filme ins Netz, Minifilme für Handys sollen der neueste Renner sein. Das Internet bietet dadurch eine solche Flut an Informationen und Unterhaltungsangeboten, dass ohne Suchmaschinen dieser Dschungel fast undurchdringlich ist. Doch was sind die Kriterien, nach denen etwas als Treffer in den Suchmaschinen erscheint? Und wie wirksam sind die Korrekturmechanismen bei Websites wie Wikipedia?

Wenn wir in zehn Jahren an die Themen dieser Tagung denken, werden sie uns vermutlich ebenso antiquiert erscheinen wie der Gedanke an den Plattenspieler. Denn die Entwicklung bei den neuen Medien scheint sich immer mehr zu beschleunigen. Umso wichtiger ist es, dass wir uns die Zeit zum Innehalten und zum Nachdenken nehmen. Dazu wünsche ich Ihnen allen heute viel Erfolg und einen anregenden Nachmittag.