Redner(in): Angela Merkel
Datum: 22.02.2007

Untertitel: am 22. Februar 2007 in Köln-Wahn
Anrede: Sehr geehrter Herr Ratsvorsitzender, sehr geehrter Herr Militärbischof Krug, sehr geehrter Herr Militärbischof Mixa, sehr geehrter, lieber Kollege Franz-Josef Jung, sehr geehrte Vertreter des Bundestages, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/02/23007-02-22-rede-merkel-evangelische-militaerseelsorge,layoutVariant=Druckansicht.html


liebe Soldatinnen und Soldaten,

50 Jahre Evangelische Militärseelsorge zeugen von einer guten Partnerschaft zwischen Kirche und Staat ein Anlass, den ich hier heute sehr gerne mit Ihnen feiere. Die Militärseelsorge ist heute eine internationale Aufgabe in enger Kooperation mit unseren Partnern in der NATO. Deshalb möchte auch ich ganz herzlich diejenigen aus den Partnerländern grüßen, die heute hier in Köln dabei sind. Mein besonderer Gruß gilt natürlich all denen, die diese Festveranstaltung an den Bildschirmen des Bundeswehr-Fernsehens in den Einsatzgebieten im Ausland mitverfolgen können.

Meine Damen und Herren, vor 50Jahren sah die Evangelische Seelsorge bei der Bundeswehr noch deutlich anders aus. Was heute von kirchlicher und staatlicher Seite als unverzichtbar angesehen wird, musste damals erst Stück für Stück aufgebaut werden. Schon die Gründung der Bundeswehr schien damals vielen in der Kirche der falsche Weg zu sein? und damit dann natürlich auch die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr. Aber die Bundesregierung mit Bundeskanzler Konrad Adenauer sah ebenso wie viele Repräsentanten der Kirchen die Notwendigkeit, mit der Aufstellung deutscher Streitkräfte auch die Militärseelsorge zu institutionalisieren. Dies hatte gute Gründe.

Glaubens- , Gewissens- und Bekenntnisfreiheit sind grundlegende Wesensmerkmale unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Aus Sicht des Staates ging es damals darum, diese verfassungsrechtlich geschützten Grundrechte auch für die Angehörigen der Bundeswehr zu garantieren. Für die Evangelische Kirche stand insbesondere zweierlei im Vordergrund: Zum einen der Anspruch der Soldaten auf Ausübung ihrer Religionsfreiheit und zum anderen der Wille, nach den schrecklichen Erfahrungen in der nationalsozialistischen Diktatur nunmehr auch am demokratischen Gemeinwesen mitwirken zu können.

Deshalb möchte ich an dieser Stelle Prälat Hermann Kunst nennen. 1956 wurde er von der EKD zum ersten evangelischen Militärbischof in der noch sehr jungen Bundeswehr berufen. Er war in diesem Amt ebenso wie als langjähriger Bevollmächtigter des Rates der EKD bei der Bundesregierung einer der Architekten des partnerschaftlichen Verhältnisses zwischen Staat und Evangelischer Kirche.

Vieles hat sich in den vergangenen 50Jahren gewandelt. Gerade auch die Wiedervereinigung bedeutete in der Frage der Militärseelsorge eine echte Herausforderung. Ich erinnere mich gut daran, dass die Kirchen in den neuen Ländern die in den alten Ländern etablierte Soldatenseelsorge durchaus mit Distanz betrachteten. Die Sorge um die Freiheit der Kirche trieb viele um. Es wurde ein leidenschaftlicher Diskurs geführt, in dem es auch um eine friedensethische Positionierung ging. Schließlich kam es zu einer Zwischenlösung für die Seelsorge bei evangelischen Soldaten in den neuen Bundesländern? mit einer Regelung, wonach die Soldatenseelsorger im kirchlichen Status verbleiben.

Der gefundene Konsens liegt wohl weniger in der bereits im Militärseelsorgevertrag von 1957 enthaltenen Garantieerklärung des Staates begründet, nämlich dass die Ausübung der Militärseelsorge Sache der Kirche ist. Ausschlaggebend waren vielmehr die bei der Bundeswehr gelebte und erlebte Praxis und die vielen positiven Erfahrungen. Allen, die ihren Anteil am guten Ende dieses Verhandlungsprozesses haben, gilt an dieser Stelle mein Dank. Ich glaube, Sie haben ein zukunftsfähiges Ergebnis erzielt.

Meine Damen und Herren, Militärseelsorge ist "Kirche unter den Soldaten". Sie ist Teil kirchlicher Arbeit, ausgeübt und gelebt im Auftrag und unter Aufsicht der Kirche. Der Staat sorgt für organisatorischen Aufbau, für Finanzierung und sonstige Unterstützung. Dabei werden die kirchliche Unabhängigkeit und das staatliche Neutralitätsgebot geachtet. Militärseelsorge ist also der vom Staat unterstützte Beitrag der Kirche, damit Soldatinnen und Soldaten ihre Religion frei ausüben können. Denn weder in der Kaserne, im Manöver noch bei Auslandseinsätzen kann die jeweilige Ortsgemeinde die Soldatinnen und Soldaten erreichen. Dieser Tatsache trägt die Militärseelsorge Rechnung. Der Staat erfüllt damit den im Soldatengesetz verbrieften Rechtsanspruch: "Der Soldat hat einen Anspruch auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung."

In der Bundeswehr begegnet die Seelsorge Menschen in einer besonderen Lebens- und Arbeitssituation. Aus vielen Begegnungen und Gesprächen weiß ich, dass die Seelsorge von vielen Soldatinnen und Soldaten geschätzt wird. Das haben auch die Beiträge im heutigen Gottesdienst noch einmal sehr deutlich gemacht. Die Vermittlung ethischer Werte muss wie in jedem anderen gesellschaftlichen Bereich auch in der Bundeswehr einen hohen Stellenwert haben. Wir wissen: Gerade Soldatinnen und Soldaten können sehr schnell in Grenzsituationen, in Gewissenskonflikte geraten. Sie müssen sicher sein können, dass ihr Handeln nicht nur durch Recht und Gesetz legitimiert ist, sondern auch im Einklang mit ethischen Grundüberzeugungen und ihrem Glauben steht.

Fragen, wie sich die Anwendung militärischer Gewalt legitimiert oder wie unbekannte Kulturen Einfluss auf das eigene Handeln haben, beschäftigen unsere Soldatinnen und Soldaten jeden Tag. Hierbei kommen Führungskultur, Führungsart in der Bundeswehr und ethische Prinzipien ganz eng zusammen. Ob Christ oder nicht, sie befinden sich immer in einem schwierigen Spannungsverhältnis zwischen dem Gebot, nicht zu töten, und dem politisch-militärischen Auftrag, unser Land oder Menschen in anderen Ländern gegenüber Aggressionen? wenn nötig? auch mit Gewalt zu verteidigen.

Deshalb ist die persönliche Begleitung das eine, der so genannte "Lebenskundliche Unterricht" das andere Kernstück der Militärseelsorge. Der "Lebenskundliche Unterricht" vermittelt gesellschaftliches Orientierungswissen. Er geht der umfassenden Frage nach, was dem Leben Sinn gibt, was die Gesellschaft lebenswert und damit zugleich auch verteidigenswert macht. Er dient der Vergewisserung der eigenen kulturellen Identität und der Schärfung des eigenen Gewissens. Er ist zweifellos eine gute Ergänzung des Gesamtkonzeptes der "Inneren Führung".

Die Soldaten erwarten von ihren Seelsorgern viel. Bischof Krug hat in der Predigt von der "stellvertretenden Nachdenklichkeit" gesprochen. Soldaten sehen in ihren Seelsorgern eine Möglichkeit, mit ihnen über ihre Sorgen, ihre Probleme, ihre Zweifel und ihre besondere Lebenssituation zu sprechen. Die Suche nach Orientierung steht dahinter. Und ich glaube, diese Suche nach Orientierung besteht ebenso dauerhaft, wie sich die EKD mit dem Ziel des "gerechten Friedens" beschäftigt? als Leitmotiv für die Überwindung von Gewalt zwischen Ethnien, Kulturen und Religionen.

Sie alle hier im Hangar 3 und an den Bildschirmen wissen, dass die sicherheitspolitische Situation weltweit eben nicht so ist, dass wir in Harmonie miteinander leben könnten. Die weltweite Situation ist im Gegenteil durch zahlreiche Konflikte und Krisen gekennzeichnet. Immer wieder muss sich die Staatengemeinschaft mit der Frage der Sicherheit und damit auch mit Fragen nach militärischen Einsätzen beschäftigen. Wir haben in den letzten Jahren sehr intensiv darüber diskutiert. Das Bundesverteidigungsministerium hat ein Weißbuch erarbeitet, in dem wir einen umfassenden Sicherheitsbegriff entwickelt haben, den das gesamte Bundeskabinett mitträgt. Er enthält als eine Komponente auch militärische Einsätze. Wir wissen, dass hieraus für unsere Streitkräfte über die bekannte Landesverteidigung hinaus neue und sehr hohe Anforderungen erwachsen.

Mehr denn je ist die Bundeswehr eine Armee im Einsatz. Wir wissen auch, dass dies die Soldatinnen und Soldaten, ihre Angehörigen und Familien vor besondere Belastungsproben stellt. Im internationalen Verbund befinden sich im Augenblick fast 7. 600Bundeswehrangehörige. Sie sind zur Sicherung des Friedens und zur humanitären Hilfe auf dem Balkan, in Asien, in Afrika und im Nahen Osten im Einsatz. Sie tragen mit dazu bei, grundlegenden Werten, wie wir sie in unserem Grundgesetz verbrieft haben, auch fernab von Deutschland Geltung zu verschaffen. Wir wissen, dass sie ihren Dienst oft unter beschwerlichen Lebensbedingungen und vielen Gefährdungen leisten. Wo immer sie eingesetzt sind, wirken sie für den Frieden in der Welt, für internationale Sicherheit. Sie dienen damit den Interessen unseres Landes. Deshalb möchte ich heute auch diese Gelegenheit nutzen, allen Soldatinnen und Soldaten? denen, die außerhalb unseres Landes arbeiten, aber auch denen in unserem Land? ein herzliches Dankeschön zu sagen.

So, wie sich die Aufgaben der Bundeswehr gewandelt haben, so hat sich auch das Profil der Seelsorge in der Bundeswehr gewandelt. Alle Einsätze werden von Pfarrerinnen und Pfarrern beider großen Kirchen aktiv und mit großem inneren Engagement begleitet. Wo auch immer deutsche Soldatinnen und Soldaten ihren Friedensdienst leisten, Militärgeistliche stehen ihnen als Seelsorger und Ansprechpartner zur Seite. Sie bilden in den Feldlagern sozusagen "Gemeinden auf Zeit". Die Gottesdienste heben den Sonntag im Einsatz deutlich heraus. Auch Taufen von Soldaten sind keine Seltenheit.

Zugleich teilen die Militärgeistlichen im Einsatz den Alltag und die Rahmenbedingungen des soldatischen Dienstes rund um die Uhr. Auch sie kennen aus eigener Erfahrung die Probleme, die durch Trennung von den Familien und Freunden erwachsen. Oft holen die Probleme zu Hause die Soldaten am Einsatzort ein. Damit werden die Pfarrerinnen und Pfarrer zu besonderen Vertrauenspersonen? auch für Soldaten, die keiner Kirche oder Glaubensgemeinschaft angehören.

Die Einsätze konfrontieren die Soldaten oft erstmals unmittelbar mit existenziellen Fragen. Dies gilt erst Recht in Extremsituationen, bei Verwundung oder gar beim Tod eines Kameraden. Hier werden die Pfarrerinnen und Pfarrer in vielfältiger Weise gefordert und seelsorgerlich gebraucht. Die seelsorgerische Zuwendung? insbesondere, aber wirklich nicht nur? in Auslandseinsätzen ist nicht hoch genug zu würdigen. Ich begrüße es daher sehr, dass auch die Militärseelsorgen in den NATO- und den Partnership-for-Peace-Staaten so eng zusammenarbeiten. Allen, die daran mitwirken, möchte ich auch ein herzliches Dankeschön sagen.

Meine Damen und Herren, die Evangelische Kirche in Deutschland ist eine starke Gestaltungskraft im gesamten gesellschaftlichen Leben unseres Landes. Die Seelsorge in der Bundeswehr ist dabei ein wichtiger und notwendiger Teil ihres gesamtkirchlichen Wirkens und der evangelischen öffentlichen Verantwortung. Sie ist ein unersetzlicher Partner unserer Armee in der Demokratie und unverzichtbar für das Selbstverständnis des Staates, der den Bürger in Uniform kennt.

Ich möchte der Evangelischen Kirche und ihrer Militärseelsorge, allen ihren Militärgeistlichen, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für 50Jahre Dienst an unseren Soldatinnen und Soldaten und deren Familien danken und natürlich auf weitere Jahre guter, gemeinsamer Tätigkeit hinausblicken. Ihr vorbildlicher Einsatz erklärt die hohe Akzeptanz und die außerordentliche Wertschätzung der Militärseelsorge in der Bundeswehr. Lassen Sie uns? das ist mein Wunsch? diese gewachsene Zusammenarbeit der Evangelischen Kirche mit dem Staat und der Bundeswehr zum Wohle der Menschen in gemeinsamer Verantwortung in den nächsten Jahren fortführen und dabei miteinander immer eine intensive Diskussion darüber führen, was unsere Sicherheit und unsere Demokratie möglich macht. Denn das, und das gilt ebenso für die Katholische Militärseelsorge, hat uns, die Repräsentanten des Staates, immer weitergebracht; es ist ein wunderbares Stück gelebter Demokratie.

Herzlichen Dank, dass ich heute dabei sein darf!