Redner(in): Angela Merkel
Datum: 22.02.2007

Untertitel: am 22.Februar 2007 in Hamburg
Anrede: Meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Archiv16/Rede/2007/02/2007-02-22-rede-merkel-mediendinner,layoutVariant=Druckansicht.html


man hat mich ermuntert, dass ich mir das Wort erteile. Insofern wünsche ich Ihnen nun einen guten Abend!

Ich bedanke mich bei Ole von Beust, beim Hamburger Senat und bei Ihnen allen, dass wir diesen Abend gemeinsam verleben können. Ich freue mich über die Ehre, zum Mediendinner die Dinner Speech halten zu können in meiner Geburtsstadt, was immer eine Freude ist, in einer wachsenden Stadt, was man nicht von allen Städten in Deutschland sagen kann, in einer Stadt mit viel Leben und in der vieles passiert, in einer weltoffenen Stadt und eben auch, und das passt gut, in einer Stadt der Medien. Eben wurde sie als die Hauptstadt der Medien bezeichnet. Da ich aus der "Hauptstadt für den Rest" komme, kann ich an diesem Punkt großzügig sein. Also: Ich freue mich jetzt, da die Zugverbindung so ist, dass man schnell hin- und herkommt, in der Hauptstadt der Medien zu sein.

Wenn man die Aufgabe hat, über Medien zu Menschen zu sprechen, die von den Medien und mit den Medien leben, dann ist es vielleicht angebracht, zu Beginn darauf hinzuweisen, dass Sie in einer Branche arbeiten, die sich in einem historischen Umbruch befindet, ihn aber auch mitgestaltet und die von dem profitiert, an dem partizipiert und manchmal auch unter dem leidet, was ich einen der wesentlichen Technologietreiber nennen möchte, nämlich Internet und Digitalisierung, also das, was die Wissensgesellschaft möglich gemacht und was unser Leben auf der Welt verändert hat und weiter verändern wird.

Sie haben es in der Hand, wie lange Sie zögern und noch zu dem Alten halten oder wie weit Sie sich dem Neuen öffnen. Wir alle wissen noch nicht, wie und wo das endet. Ich glaube, es ist ein Umbruch, wie wir ihn bei der Erfindung der Buchdruckkunst zu Zeiten von Gutenberg hatten. Die Buchdruckkunst hat letztlich dazu geführt, dass in Europa fast alle Menschen lesen lernten, dass sie sich selber eine Meinung bilden und reflektieren konnten. Das hat die Aufklärung mit Sicherheit stark gefördert. Welche gesellschaftlichen Veränderungen mit dem unlimitierten Zugang zu allen denkbaren Informationen verbunden sein werden, das ist heute, glaube ich, noch nicht abschließend zu beurteilen. Ich kann es jedenfalls nicht.

Es wird in Zukunft nicht mehr nur wichtig sein, irgendwelche Informationen zu bekommen. Vielmehr wird es immer wichtiger werden, unter der Unendlichkeit der Informationen in der endlichen Lebenszeit Mechanismen zu entwickeln, zu entscheiden, welche Informationen mich interessieren und mit welchen Maßstäben ich sie beurteile. Die Tatsache, dass Informationen gleichzeitig weltweit verfügbar sind, birgt riesige Chancen in sich, erhöht aber auch die Transparenz rund um den Globus in einem Maße, dass es einem manchmal schwindelig wird.

Maßstäbe zu finden, die Bodenhaftung nicht zu verlieren, in unterschiedlichen Kulturkreisen zu lernen, mit dieser unterschiedlichen Zahl von Informationen umzugehen, das hat eine ganz enge Wechselwirkung mit der Politik. An einem Beispiel wie dem Karikaturenstreit sehen wir ja: Wenn eine Information eine bestimmte Internetszene erreicht hat, dann wird sie zum Politikum. Es kann aber auch genauso gut passieren, dass die gleiche Information jahrelang um den Globus herumschwirrt und niemanden richtig aufregt.

Einschätzen zu können, welche Information welche Wirkung erzeugt, ist aus meiner Sicht heute ziemlich häufig noch dem Zufall überlassen, weil auch Sie, mit all Ihrer Kenntnis über neue Medien und sich verändernde Medien, die Informationsstränge, über die etwas wichtiger oder unwichtiger wird, noch gar nicht in vollem Maße beherrschen. Für mich als Politikerin ist das wiederum beruhigend, denn so geht auch einmal etwas verloren. Aber manchmal erlangen Dinge, die aus der subjektiven Sicht eines Akteurs ganz unwichtig sind, eben auch eine Beachtung, wie man es selber nie vermutet hätte.

Sie arbeiten also in einer spannenden Branche, in einer Branche, die wenn wir uns fragen, wie Deutschland darauf reagiert, wie die Meinungsmacher darauf reagieren, wie die Konsumenten darauf reagieren und wie weit wir uns gegenseitig immer wieder in Neuland hineintreiben auch mit der Technologieführerschaft und mit der Stellung Deutschlands in der Welt zu tun haben wird.

Sie haben es nicht ganz einfach. Denn wir sind ein Land im wie man das so schön nennt demografischen Wandel. Das heißt, die Zahl der Älteren steigt und die Zahl der Jüngeren sinkt. Ob Länder, die über einen solchen demografischen Aufbau verfügen, zu den Technologietreibern gehören werden, wird ganz stark von der Bildungspolitik und von der Frage abhängen, ob wir ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür schaffen, dass Lernen ein lebenslanger Vorgang ist und nicht irgendwann mit dem Abitur und nach dem Studium keine entscheidende Rolle mehr spielt. Meine Empfehlung an alle, die sich mit Medien beschäftigen, und insbesondere an die, die sich den neuen Medien verpflichtet fühlen, lautet also: Lehren Sie die Menschen, mit Ihnen mitzugehen; lehren Sie die Menschen, das mitzuerleben. Ich glaube, auch wenn Informationen heute schnell verfügbar sind, so gibt es dennoch die dem Menschen innewohnende Trägheit, die ihn davon abhält, jeden Tag alle neuen Medien zu nutzen.

Ole von Beust hat eben schon das schöne Wort "Kohärenz" benutzt. Alles vom Handy über den Fernseher bis zum Computer wächst zusammen. Man hofft, dass die Leitungen, die in der Erde liegen, all das, was da zusammenwächst, noch durchlassen können und dass die versteigerten Frequenzen dabei mithalten. Vergessen Sie nicht: Ohne DSL oder meinetwegen Kabel kommt manches nicht an. Es ist ein spannender Wettstreit, bei dem mir öfters der Gedanke kommt: Wenn Investoren heute in Deutschland entscheiden, ob sie auf die Breitbandtechnologie, die zum Schluss beim Fernseher oder beim Computer ankommt, oder auf die Kabeltechnologie setzen, dann fällen sie damit schon eine gewaltige Entscheidung. Ich glaube, man kann in diesem Bereich große Gewinne, aber bei falschen Investitionen eben auch erhebliche Verluste machen.

Die Frage, ob sich die Mehrheit der Menschen dem Computer als Fernseher oder dem Fernseher als Computer zuwendet oder ob das Ganze so mobil ist, dass das Telefon wieder etwas größer wird und als beides gleichermaßen genutzt werden kann, ist im Augenblick noch nicht entschieden. Ich finde, das ist eine der spannendsten Fragen, bei der Sie sich wiederum an die Konsumenten wenden müssen. Mein Plädoyer lautet: Machen Sie einfache Gebrauchsanweisungen. Haben Sie Mitleid mit dem, der nicht alles gleich versteht. Wenn Sie Chef sind, nehmen Sie einmal die Gebrauchsanleitung, die Ihre Firma herausgibt, und versuchen Sie, Ihr eigenes Produkt zu verstehen. Wenn Ihnen das ganz alleine gelingt, dann haben Sie eine gute Marktchance.

Was kann die Politik in einer solchen Zeit tun? Ich sage es ganz unumwunden: Die Zahl der Spezialisten in unseren Parlamenten, die die gesamte Entwicklung überblicken und die das richtige Recht für all das setzen können, ist natürlich nicht unendlich. Das gilt nicht nur, weil der Bundestag kaum mehr als 600 Mitglieder hat was im Allgemeinen auf die Zustimmung der Medien stößt, sondern auch, weil die Spezialistenausbildung in einer sich so schnell wandelnden Welt durchaus eine Rarität ist. Wir sind an dieser Stelle aber in Europa und in Deutschland von richtiger Rechtsetzung in unglaublichem Maße abhängig. Die Tatsache, dass Postminister Schwarz-Schilling Ende der 80er Jahre, als keiner von uns ein Handy kannte, die richtige Frequenzverteilung und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in Europa und in weiten Teilen der Welt vorgenommen hat, hat uns über Jahre einen Technologievorsprung gesichert.

Wer heute die Standards setzt, entscheidet ganz erheblich über die Frage, ob neue Medien bei uns interessante Entwicklungen und eine schnelle oder langsame Durchsetzungschance haben. Alles wird alle erreichen. Aber wer Technologieführer ist, ist entscheidend. Die Frage, wie die Fernsehrichtlinie aussehen wird, die Frage, wie das duale System beim Fernsehen in Deutschland ausgestaltet wird, die Frage, wie Online-Medien mit den klassischen Printausgaben harmonieren, die Frage, wie unser Kartellrecht aussieht all das sind Fragen von erheblicher Bedeutung.

Zum Kartellrecht sage ich hier nur kursorisch: Die Tatsache, dass das europäische Kartellrecht nach anderen Maßstäben funktioniert als unser nationales Kartellrecht, und die Frage, ob einer schon ein hohes internationales Engagement hat und damit dann bei der Beurteilung der nächsten Fusion unter das europäische Kartellrecht fällt oder ob er dieses Niveau nicht hat und deshalb unter das deutsche Kartellrecht fällt, dürften nach menschlicher Vernunft eigentlich nicht die entscheidende Rolle bei der Entscheidung über die wirtschaftliche Entwicklung spielen.

Deshalb glaube ich: Wir brauchen zwischen nationalem und europäischem Kartellrecht eine Harmonisierung. Das gilt im Übrigen nicht nur für den Bereich der Medien. Das gilt auch für viele weitere Bereiche, bei denen wir zusehen müssen, dass wir zu einer Konvergenz kommen. Das heißt, es geht um Rahmenbedingungen für Investitionen. Wir erleben das jetzt ja beim Telekommunikationsgesetz. Da stellt sich schon die Frage, ob es nur einen Investor geben soll, der in die Breitbandtechnologie investiert und damit auch bestimmte Vorzüge wie Marktgarantien bekommt, oder ob wir das dem freien Spiel der Kräfte überlassen, um dann zum Schluss zu sehen, dass wir zwar zwischen Düsseldorf und Köln Breitbandkabel im Überfluss haben, aber im Rest der Republik überhaupt nicht.

All diese Dinge müssen klug bedacht werden. Ich kann uns nur ermuntern, miteinander darüber einen sehr intensiven Dialog zu führen. Ich kann Sie als Branche nur ermuntern, möglichst gemeinsame Positionsbestimmungen zu erarbeiten, die nicht von den kurzfristigen Vorteilen des eigenen Unternehmens bestimmt sind. Denn wir als Politiker sind auf Rat angewiesen. Wenn wir den immer nur selektiv und ich sage das an dieser Stelle einmal so lobbyistisch bekommen, aber nie kollektiv aus der Branche heraus, wird für uns die Beurteilung sehr viel schwieriger und die öffentliche Diskussion im Übrigen sehr verzerrt.

Wir versuchen als Bundesregierung, den gesamten IT-Bereich wieder zu einem Flaggschiff Deutschlands zu machen. Wir können in diesem Bereich mehr, als wir es manchmal zeigen. Ich glaube, dass Deutschland in der wenn ich das so sagen darf zweiten Generation, also nach sensationellen Hardware-Entwicklungen und nach sensationellen Software-Entwicklungen, bei der Implementierung in die Tiefe der Konsumgüter hinein wieder eine Chance hat. Deshalb haben wir auch einen IT-Gipfel installiert und deshalb müsste es im Interesse all derer sein, die über die Zukunft der Medien nachdenken, dass bestimmte Trägheiten im Lande überwunden werden.

Ich denke zum Beispiel an das Thema Gesundheitskarte. Dazu lese ich unentwegt, dass dieses System die Krankenkassen drei, fünf oder sechs Milliarden Euro kosten würde. Aber die Frage, was es für einen Nutzen hat, wenn 80 Millionen Deutsche mit einer modernen Gesundheitskarte ausgestattet sind denn es ist doch vollkommen klar, dass das digitale System weltweit eine tragende Rolle für ein modernes Gesundheitssystem spielt, wird in der öffentlichen Diskussion kaum einmal gestellt.

Wir als Politiker müssen ich werde das jedenfalls sehr intensiv betreiben darauf achten, dass Deutschland in den Bereichen, in denen wir Massenanwendungen bekommen können, führend in den neuen Technologien wird ob das moderne Ausweise oder Pässe oder moderne Gesundheitskarten sein mögen. Wir haben das Thema Lkw-Maut gehabt. Wir haben mit diesem System am Anfang einen Flop erlebt. Aber heute haben wir unbestritten das beste System. Es war damals richtig, die Nerven zu behalten und weiterzumachen und das Ding durchzuziehen; denn das wird ein wirklich wichtiges Exportgut sein. Nachdem wir nun schon den Computer erfunden haben und dann sehen mussten, wie der Computer im Wesentlichen in andern Ländern hergestellt wird, und nachdem wir den MP3 -Player erfunden haben und dann sehen mussten, dass die Wertschöpfung aus seiner Produktion im Wesentlichen nicht in Deutschland entsteht, sollten wir darauf achten, dass wir bei den praktischen Anwendungen von Software und Computern den Fuß in die Tür bekommen. Das gilt für Europa und das gilt für Deutschland im Besonderen.

Wenn man nun nicht allgemein über Politik und Medien spricht und Medien als eine Technologiebranche, als ein unglaublich interessantes Feld und als eine Branche begreift, die die gesellschaftliche Wahrnehmung prägt, sondern wenn man sich dem Thema Politik und Medien von einer anderen Seite her nähert, dann kommt man natürlich zu der Tatsache, dass wir als Politiker zwar das Schönste sagen könnten, dass das aber ohne die Medien, wenn es keiner verbreiten würde, nur bei wenigen ankommen würde. Ich spreche heute Abend schon zu einer relativ großen Zahl von Menschen. Wenn ich Glück habe, erzählen Sie noch zwei Leuten, was ich gesagt habe. So kann man das jeden Abend machen. Aber ohne die Weitervermittlung über Medien wird es nichts mit politischer Willensbildung.

Es gab nun Leute, die vor mir Verantwortung hatten und die die Medien sehr schnell in jene, die interessant sind, und in jene, die nicht interessant sind, unterteilt haben. Ich will das nicht wiederholen. Ich glaube aber, dass die Meinungsbildung der deutschen Bevölkerung heute in ganz wesentlichem Maße über Regionalzeitungen erfolgt, die von der Bundespolitik häufig gar nicht so wahrgenommen werden. Auch die ARD weiß natürlich ganz genau, warum sie so viel Wert auf ihre Regionalprogramme legt. Was die Menschen verstehen, was sie überblicken, was sie sehen und was sie sich noch vorstellen können, ist für sie mindestens so interessant wie all das, was rund um den Globus herum geschieht. Es ist unbestritten: Politiker und Medien hängen in gewisser Weise zusammen. Sie sollten sich ihre Distanz bewahren, aber auch nicht so tun, als ob sie miteinander in keiner Weise verbunden sind.

Das Bundesverfassungsgericht hat 1958 zu den Massenmedien einmal gesagt, sie seien "die Grundlage jeder Freiheit überhaupt". Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an diesen schönen Satz erinnern. Aber sofern Sie im Bereich der Medien arbeiten, sollten Sie ihn sich manchmal vor Augen halten: Die Massenmedien sind "die Grundlage jeder Freiheit überhaupt". Ich glaube in der Tat, dass sich unser Land ohne Pressefreiheit nicht als ein Land mit einer freiheitlichen demokratischen Ordnung nennen dürfte. Der Satz von Voltaire, den ich im Europäischen Parlament in meiner Eingangsrede zu Beginn der deutschen Präsidentschaft zitiert habe, nämlich "Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst", gehört zu den schönsten, die ich kenne. Deshalb ist es Teil unserer Außenpolitik, immer wieder für die Pressefreiheit einzutreten. Zum Teil ist es sicherlich auch Innenpolitik es darf nicht sein, dass wir uns manchmal auch einer Selbstzensur unterwerfen, aber gerade in der Außenpolitik spielt dieses Thema eine große Rolle, unabhängig davon, ob man nun in Ländern spricht, in denen noch sehr diktatorische Prinzipien gelten, oder ob man mit Menschen spricht, die einfach Angst vor der Vielfalt haben.

Wir dürfen nicht vergessen: In Deutschland ist der Computer erfunden worden, wir waren die Treiber dieser neuen Technologie. Es gibt nun aber auch Regionen in der Welt, die an diesen technologischen Entwicklungen keinen Anteil gehabt haben und deren gesellschaftliche Ordnungen sich nicht Schritt für Schritt darauf einstellen konnten. Deshalb sind die Probleme im Übergang dort natürlich viel deutlicher und viel dramatischer und deshalb sind die Wirkungen auch sicherlich nicht immer voraussehbar. Dennoch ist unbestritten: Die Pressefreiheit, die Freiheit des Einzelnen, das auszudrücken, was ihm wichtig ist, ist eine der Grundlagen einer freiheitlichen Gesellschaft.

Man ist dann allerdings schnell dabei zu fragen: Was ist diese Freiheit? Wie ist sie ausgestaltet? Freiheit ist mit Sicherheit nicht nur die Freiheit von etwas, sondern ist in unserem Verständnis vor allen Dingen die Freiheit zu etwas. Das heißt, Freiheit und Verantwortung sind ganz eng miteinander verbunden. Die individuelle Freiheit hat immer dort ihre Grenze, wo sie die individuelle Freiheit des Nächsten unmöglich macht. Deshalb sind Medien in einer geordneten Pressefreiheit natürlich auch verantwortlich. Ich sage das insbesondere in Bezug auf den Jugendschutz und auf die Frage, was heute machbar, was heute erlaubt, was heute möglich ist und wie weit Selbstkontrolle greifen muss. Ich setze auf Selbstkontrolle und eigene Verantwortung. Das habe ich schon vor vielen Jahren als Jugendministerin gemacht.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass in Bezug auf neue Dinge, wie Computerspiele mit Inhalten höchster Brutalität, vielleicht einmal ein "Runder Tisch der Verantwortung" zusammenkommen könnte, denn diese Probleme beschäftigen die gesamte Gesellschaft. Eine gesetzliche Regelung sollte immer nur die Ultima Ratio sein. Wir sollten versuchen, die Auswüchse durch Selbstverantwortung ein Stück zu begrenzen. Ich weiß, dass das nicht einfach ist. Aber insofern würde ich Ihnen raten: Haben Sie durchaus Mut. Die, die das für richtig halten, sollten sich zusammenschließen und sich die Mühe machen, ehe andere, die viel weiter von der Thematik entfernt sind, kommen und Regelungen erfinden, die vielleicht für uns alle nicht so gut sind. Denn ganz am Schluss wird mit Recht das sage ich ganz ausdrücklich der Staat gefragt: Was habt ihr unternommen? Deshalb muss man darüber ganz offen reden.

Wenn wir über Politik und Medien sprechen, dann wissen wir natürlich um Ungleichzeitigkeiten von Entwicklungen. Heute ist nahezu jede Information verfügbar. Wir müssen sozusagen unentwegt die gesamte Welt im Blick haben auch als Politiker. Denn wir wissen: Wenn wir Probleme auf anderen Kontinenten nicht in den Blick nehmen, haben wir sie sehr schnell vor unserer Haustür. Das Verhältnis von Europa zu Afrika ist dafür ein beredtes Beispiel. Es liegt also durchaus im Eigeninteresse, wenn wir uns jetzt in der G8 -Präsidentschaft und in der Präsidentschaft in der Europäischen Union darum kümmern, wie unser Verhältnis zu Afrika ist und wie wir eine Nachbarschaft schaffen, die auch Afrika Entwicklungsmöglichkeiten gibt.

Oft wird man gefragt: Warum macht ihr diese G8 -Treffen? Wie teuer ist das alles? Wie viele Demonstranten gibt es da? Dazu muss man sagen: Es gibt heute Probleme, die man als Nationalstaat überhaupt nicht mehr lösen kann. Ich nehme einmal das Thema Klimawandel. Wir könnten in Europa auf jede CO2 -Emission verzichten, der Klimawandel würde uns dennoch ereilen, weil wir nur 15Prozent der Emissionen produzieren und 85Prozent woanders entstehen. Wenn wir es nicht schaffen, die Vereinigten Staaten von Amerika, China und Indien dazu zu bewegen, so ähnlich zu denken wie wir, dann können wir uns hier zwar eine Weile wunderbar mit dem Thema beschäftigen, würden das Phänomen aber nicht bekämpfen.

Im Umkehrschluss heißt das nicht etwa, dass Europa sich nicht darum kümmern bräuchte und nur noch mit den Vereinigten Staaten, China und Indien zu sprechen hätte. Wir müssen durchaus eine Vorreiterrolle einnehmen, neue Technologien entwickeln und Möglichkeiten aufzeigen. Wir haben es in den 70er Jahren zugegeben: unter dem Zwang der Ölkrise geschafft, Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch zu entkoppeln. Diese Erfahrung müssen China und Indien unbedingt machen. Andernfalls steuern wir bei der Klimaentwicklung auf eine nichtlösbare Situation zu. Aber wir werden China und Indien dazu nur bewegen, wenn sie bei uns selber ein Stück neues Denken erspähen. Deshalb bin ich sehr dafür, dass wir eine Vorreiterrolle einnehmen. Trotzdem können wir es nicht alleine lösen, sondern brauchen die Außenpolitik dazu.

Diese komplizierten Zusammenhänge darzustellen, bricht sich ein wenig mit mancher medialen Entwicklung, welche auf Beschleunigung, auf kürzere Statement-Zeiten, auf klarere und eindeutigere Aussagen und ich profitiere davon ja manchmal und will mich deswegen gar nicht beklagen sehr stark auf die Konzentration auf wenige Personen ausgerichtet ist. Ich glaube, wir müssen, wenn wir ehrlich miteinander umgehen wollen, auch zusehen, dass wir das ist für ein Land wie Deutschland und für Europa und für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft insgesamt letztlich wichtig das Komplizierte nicht einfacher machen als es das Komplizierte verträgt. Denn andernfalls ist es eine Suggestion und nicht die Abbildung der Realität.

Das zeigt, dass es, wenn ich es einmal vorsichtig ausdrücke, ein Spannungsverhältnis gibt. Bestimmte Dinge sind nicht einfach zu lösen. Die allermeisten der komplizierten Probleme haben nicht eine Ursache, sondern ein ganzes Bündel von Ursachen. Ich glaube, dass wir den Menschen auch dabei helfen sollten, diese Kompliziertheit anzunehmen, und dass wir die Welt nicht einfacher machen sollten als sie ist. Im Übrigen glaube ich, dass Sie, sofern Sie Medienproduzenten sind, letztlich davon profitieren werden. Denn wenn sich jemand erst einmal nur noch auf einen Medienmacher konzentriert, dann ist die Gefahr, dass er eines Tages auch diesen noch aussortiert, ziemlich groß. Sie müssen also immer Konsumenten haben, die fähig sind, sich dauernd ein Urteil darüber zu bilden, wer in welcher Situation eigentlich die interessanteste und realitätsnächste Wiedergabe der Welt verbreitet.

Wenn wir über Medien sprechen, müssen wir auch über Verantwortlichkeiten in unserer Gesellschaft sprechen. Die freiheitliche Gesellschaft hat einen Vorzug: Es ist nicht einer für alles verantwortlich und es gibt in Deutschland, aus unserer Geschichte heraus, eine besonders geteilte Verantwortlichkeit. Die Diskussion über die Föderalismusreform war insofern sehr interessant. Wir haben gesagt, dass wir klarere Entscheidungsstrukturen, also mehr Kompetenzen bei den Ländern brauchen. Ich glaube, dass das richtig ist. Sie können erkennen, dass Reformen manchmal besser greifen, wenn sie nicht im ganzen Land zentral und gleichzeitig durchgeführt, sondern wenn sie Schritt für Schritt durchgeführt werden.

Für mich sind die Studiengebühren insofern ein gutes Beispiel. Aus meiner Sicht gibt es keine Chance, bundesweit mit einem Schlag Studiengebühren einzuführen. Wenn aber die verschiedenen Länder mit unterschiedlichen Motivationen und ganz interessanten und spannenden Angeboten in einen solchen Wettbewerb eintreten, dann ist eine Reform viel besser möglich. Es folgt die Entscheidung der jungen Menschen, wo sie studieren wollen. Natürlich werden die Länder, die Studiengebühren erheben, dabei nicht gut wegkommen, wenn sie nichts besser machen als die Länder, die keine Studiengebühren erheben. Wenn aber klar wird, dass man in einem bestimmten Land schneller studieren kann, man Stipendien bekommt, die Leistung besser belohnt wird, eine lebenslange Bindung an die Universität ermöglicht wird, dann wird sich das unter den jungen Leuten herumsprechen. Aus diesen Gründen spreche ich mich für Vielfalt aus. Man darf sich nachdem man das Gaststättengesetz und andere Dinge in die Kompetenz der Länder überführt hat nur nicht wundern, wenn unterschiedliche Länder zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Sonst hätte man gleich die Bundeskompetenz beibehalten müssen.

Ich bin im Übrigen immer wieder erstaunt, wie mit den Verantwortlichkeiten Sorgen verbunden sind. Bei der Föderalismusreform sind die Kompetenzen für Pflegeheime und Justizvollzugsanstalten auf die Länder übergegangen. Diese Tatsache verursacht bei vielen Menschen große Angst. Sie kommen zu mir und sagen: Frau Merkel, was soll nun werden? Dann sage ich: Gehen Sie doch zu Ole von Beust. Der macht doch sonst auch alles richtig in Ihrer Stadt. Da kann es doch eigentlich nur besser werden.

Das Vertrauen in die Einsicht, dass Vielfalt auch viel resistenter gegen Fehlentscheidungen ist und dass Vielfalt den Wettbewerb und den Vergleich möglich macht, sollten wir stärker herausarbeiten. Die Medien leben von Vielfalt und politische Systeme können davon bin ich zutiefst überzeugt, deshalb glaube ich an den Föderalismus durch Vielfalt letztlich auch besser lernen.

Meine Damen und Herren, wir als Politiker haben uns immer wieder die Frage der Verantwortung zu stellen. Da ich in Hamburg bin, will ich wenigstens ein Wort zu EADS sagen. Dieses Thema bewegt uns in diesen Tagen ja alle. EADS ist ein Unternehmen wenn auch nicht ein Unternehmen wie jedes andere. Denn dieses Unternehmen würde es nicht geben, wenn es nicht eine bewusste politische Entscheidung gegeben hätte, dass man keinen monopolisierten Flugzeugmarkt auf der Welt haben möchte, sondern dass auch Europa ein Spieler auf diesem Markt sein möchte. Jedem Kunden außerhalb Europas, der jetzt vielleicht etwas traurig ist, dass bestimmte Verzögerungen eingetreten sind, sage ich: Stellt euch vor, nur einer alleine auf der Welt würde den Preis bestimmen. Das wäre allemal schlechter. Deswegen haben wir alle ein großes Interesse daran, dass es weiterhin ein europäisches Flugzeugbauunternehmen gibt.

Ich sage es noch einmal: Ohne einen politischen Kraftakt wäre dies nicht möglich gewesen. Deshalb war es eine richtige Entscheidung. Genauso richtig ist heute, dass dieses Unternehmen wirtschaftlich leistungsfähig sein muss. Andernfalls hat es keine Zukunft. Deshalb werden wir morgen natürlich mit dem französischen Präsidenten über EADS sprechen aber nicht in dem Sinne, dass wir uns für etwas verantwortlich erklären, was nur diejenigen, die im Wirtschaftsunternehmen tätig sind, entscheiden. Vielmehr geben wir ein klares Bekenntnis dazu ab, dass diese damalige politische Entscheidung für ein europäisches Flugzeugbauunternehmen richtig war und dass die Politik auch weiter jedes Interesse daran hat, dass dieses Unternehmen mit gut gefüllten Auftragsbüchern seine Chance behält.

Unter diesen Umständen vertreten natürlich die, die damals die politischen Treiber waren Deutschland und Frankreich, aber auch Spanien und Großbritannien, auch einmal ihre Interessen; sie wollen zu Recht das, in dem sie gut sind, weiterentwickeln. Das gehört zum ganz normalen Leben; darüber muss man in aller Freundschaft, aber auch in der Verbundenheit zu den eigenen Interessen miteinander reden. Das wird morgen geschehen. Morgen werden aber keine wirtschaftlichen Entscheidungen gefällt. Die fällt man im Board von EADS. Wir müssen Vertrauen in die Fachleute haben, auch wenn unbestritten ist, dass in der Vergangenheit einige Entscheidungen nicht optimal getroffen wurden. Wir als deutsche Bundesregierung werden uns nun gemeinsam mit den betroffenen Länderchefs dafür einsetzen, dass auch die deutschen Interessen gewahrt werden.

Meine Damen und Herren, meine Bitten lauten also wie folgt. Erstens. Seien Sie stolz, dass Sie in einer so dynamischen Branche tätig sind. Versuchen Sie, neugierig auf all die neuen Entwicklungen zu bleiben. Und versuchen Sie, niemals zu verzagen. Auch die "normale" Zeitung davon bin ich fest überzeugt wird noch lange ihren Leser haben, der am Samstagnachmittag auf dem Kanapee das liest, was er die Woche über nicht geschafft hat. Es wird vielfältig werden.

Zweitens. Lassen Sie uns daran arbeiten, dass wir als Deutsche stolz darauf sein können, dass wir in einer der Umbruchbranchen vorne mit dabei sind. Noch ist nichts entschieden, aber ich bin der Meinung: Wir haben alle Chancen. Die Politik ist bereit, an den Rahmenbedingungen mitzuarbeiten.

Drittens. Helfen Sie sich selbst, um nicht zu viele staatliche Regelungen zu bekommen. Seien Sie eigenverantwortlich und handeln sie selbstverantwortlich.

Viertens. Helfen Sie uns dabei, die komplizierter werdende Welt für die Menschen nicht unübersichtlich, aber auch nicht scheinbar einfach, sondern verstehbar zu machen. Lassen Sie Menschen neugierig auf diese wunderschöne Welt sein. Wenn wir in diesem Sinne zusammenarbeiten, können wir uns jetzt den Hauptgang schmecken lassen und interessante Diskussionen führen.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.